OGH 10ObS93/94

OGH10ObS93/9414.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Walter Holzer und Ing.Robert Eheim in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J***** P*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3.Februar 1994, GZ 13 Rs 118/93-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 13.Juli 1993, GZ 14 Cgs 1033/92-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 22.3.1940 geborene Kläger hat 8 Klassen Volksschule besucht und begann dann eine Tischlerlehre, die er jedoch nicht abschloß. Nach verschiedenen Hilfsarbeitertätigkeiten war er von 1971 bis 1975 Lagerangestellter bei der ADEG in Wels und ab 1975 bis Mai 1989 Lagerleiter bei einem anderen Unternehmen. Dort wurde im Lager Tiefkühlkost bei einer Temperatur von -22 Grad gelagert. Dem Kläger waren 4 - 5 Lagerangestellte unterstellt. Er war für die ordnungsgemäße Führung des Lagers verantwortlich. Dabei mußte er den Warenein- und -ausgang kontrollieren, wozu er die einzelnen Fleisch- und Fischsorten kennen mußte. Es mußten täglich 5 Autos mit Waren im Wert von ca 500.000 S pro Lieferung kontrolliert werden. Der Kläger war dafür verantwortlich, daß bestellte Ware geliefert wurde. Auch die Disposition für den Wareneinkauf im Inland war dem Kläger übertragen. Dabei nahm er selbständig Bestellungen vor, damit 150 Kaufleute beliefert werden konnten. Er war auch dafür verantwortlich, daß im Lager keine Überbestände, aber auch keine Engpässe auftraten. Er hatte auch die Ablaufdaten zu kontrollieren und dafür zu sorgen, daß keine abgelaufenen Waren ausgeliefert wurden. Beim Be- und Entladen half er freiwillig mit, wenn es erforderlich war. Er war der Disziplinarvorgesetzte der Lagerarbeiter und stimmte auch die Urlaube der Lagerarbeiter und der LKW-Fahrer ab. Der Kläger hat keine kaufmännische Lehre abgeschlossen und besuchte nur firmeninterne Kurse. Er erstellte die Beurteilungen über die ihm unterstellten Dienstnehmer und wurde auch bei deren Aufnahme zu Rate gezogen. Die schriftlichen Arbeiten bestanden aus der Führung einer Kartei, wofür er täglich etwa 1 - 2 Stunden aufwendete. Zuletzt verdiente er 22.000 S monatlich. Im Hinblick auf die etwas unter dem Mittelbereich liegende intellektuelle Leistungsfähigkeit, den psychischen Zustand und das Alter ist der Kläger nicht mehr umschulbar, wohl aber anlernbar und unterweisbar. Arbeiten, die schriftliche Fertigkeiten verlangen, können nicht geleistet werden. Seine diesbezüglichen Leistungen liegen unter dem Durchschnitt; der Kläger hat auf diesem Sektor keine Übung und auch keine Erfahrung und Ausbildung. Leitende Tätigkeiten, die selbständige Entscheidungen oder Eigeninitiative verlangen, kann der Kläger nicht mehr ausführen. Er ist nur mehr zu einfachen Tätigkeiten befähigt. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ist der Kläger einordenbar. Aufgrund seiner körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen kann er noch alle leichten Arbeiten in wechselnder Körperhaltung bei Einhaltung der üblichen Arbeitspausen verrichten. Er muß relativ häufig die Arbeitshaltung wechseln können; in einer Körperhaltung kann er maximal eine halbe Stunde arbeiten; nach ca 1/2 Stunde Arbeit in sitzender Körperhaltung genügt ein kurzes Aufstehen und Herumgehen, um dann in sitzender Körperhaltung weiterarbeiten zu können. Das Arbeiten im Sitzen mit nach vorn übergeneigtem Oberkörper führt rasch zu Schmerzen. Arbeiten, die mit häufigem Bücken und Stiegensteigen verbunden sind, Arbeiten unter Nässe- und Kälteeinwirkung, auf Leitern und Gerüsten und in knieender Körperhaltung können nicht ausgeführt werden. Das Heben und Tragen ist nur bis zu einem Gewicht von 8 kg möglich, zwei- bis dreimal während eines Arbeitstages können Gewichte von 10 - 12 kg gehoben werden. Arbeiten, die mit einem erhöhten psychischen Druck verbunden sind, wie Schichtarbeit, Akkordarbeit und Nachtarbeit sowie sonstige Arbeiten unter überdurchschnittlichem Zeitdruck sind nicht mehr möglich. Ein öffentliches Verkehrsmittel kann benützt werden. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung.

Mit Bescheid vom 14.9.1990 wurde dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension für die Zeit vom 1.6.1990 bis 30.9.1991 gewährt. Mit Bescheid vom 21.1.1992 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 6.8.1991 auf Weitergewährung der Pension nach Ablauf der Befristung ab.

Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt und verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension weiterzugewähren. Auch wenn der Kläger keine kaufmännische Ausbildung erhalten habe, habe er während seiner Tätigkeit als Lagerleiter überwiegend kaufmännnische Arbeiten durchgeführt; die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei daher qualifiziert gewesen. Für Lagerleitertätigkeiten sei der Kläger wegen der Einschränkungen im medizinischen Leistungskalkül nicht mehr einsetzbar, weil ein Lagerleiter fallweise manuell mitarbeiten und auch unter Zeitdruck arbeiten müsse. Innerhalb von kaufmännischen Tätigkeiten sei der Kläger nicht mehr einsetzbar und er sei wegen der Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit auch für Bürotätigkeiten einfacherer Art nicht mehr verwendbar. Das erhobene Begehren bestehe zu Recht, weil der Kläger zufolge Verrichtung einer qualifizierten Tätigkeit nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden könne.

Das Berufungsgericht wies über Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren ab. Der Kläger habe als Lagerleiter in den letzten Jahren Teiltätigkeiten eines Handelsangestellten ausgeführt. Aufgrund des Kollektivvertrages der Handelsangestellten Österreichs seien Lagerleiter, die für den Wareneingang, Lagerhaltung und Warenausgang verantwortlich sind, in die Verwendungsgruppe 4 einzureihen. Dem habe die Tätigkeit des Klägers entsprochen und er sei tatsächlich auch in die Verwendungsgruppe 4 eingereiht gewesen. Fest stehe aber auch, daß der Kläger kaufmännisch nicht ausgebildet sei, sondern nur interne Firmenkurse besucht habe, in denen er offenbar jene Fertigkeiten und Kenntnisse erworben habe, die er für seine spezielle Tätigkeit benötigte. Seine schriftlichen Tätigkeiten hätten in der Führung einer Kartei mit einem täglichen Zeitaufwand von 1 - 2 Stunden bestanden. Andere Büroarbeiten habe er nicht ausgeführt und daher insoweit keine Kenntnisse und Fähigkeiten erworben. Er verfüge weder über eine kaufmännische Ausbildung noch über kaufmännische Kenntnisse und Fähigkeiten, die für kaufmännische Angestellte mit selbständiger Tätigkeit (Beschäftigungsgruppe 4) oder auch nur für Angestellte, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausüben (Beschäftigungsgruppe 3) allgemein üblich seien. Seine Kenntnisse und Fähigkeiten beschränkten sich vielmehr auf den für seine Tätigkeit als Lagerleiter in dem konkreten Unternehmen erforderlichen, verhältnismäßig engen fachlichen Bereich. Der Kläger könne daher nicht den Berufsschutz eines Angestellten der Verwendungsgruppe 3 oder 4, sondern nur den eines Angestellten der Beschäftigungsgruppe 2 beanspruchen, weil seine Kenntnisse und Fähigkeiten nur zur Ausführung der in diese Beschäftigungsgruppe fallenden einfachen Angestelltentätigkeiten ausreichten. Es treffe nicht zu, daß der Kläger zufolge seines Leistungskalküls auch solche Tätigkeiten nicht verrichten könne. Dies ergebe sich aus den Feststellungen nicht. Aber selbst wenn man davon ausginge, daß der Kläger wegen bestehender Einschränkungen nicht in der Lage sei, schriftliche Bürotätigkeiten zu verrichten, sei er jedenfalls imstande, die Tätigkeit eines Telephonisten, die keine erhöhten Anforderungen an die Konzentration stelle und auch mit dem körperlichen Leistungskalkül vereinbar sei, weil sie die erforderlichen Haltungswechsel gestatte, zu verrichten. Da er zumindest eine in Frage kommende Verweisungstätigkeit ausüben könne, seien die Voraussetzungen für die begehrte Leistung nicht erfüllt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionswerber erachtet sich dadurch beschwert, daß das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangte, daß ihm Berufsschutz der Beschäftigungsgruppe 4 nicht zukomme. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, daß es sich bei seiner Tätigkeit als Lagerleiter um eine qualifizierte Tätigkeit gehandelt habe. Er habe Dispositionen im Einkauf und Verkauf wie auch im personellen Bereich zu treffen gehabt und über eine gute Warenkenntnis verfügen müssen. Seine Tätigkeit habe der Beschäftigungsgruppe 4 entsprochen; davon sei auch bei Prüfung der Verweisungsmöglichkeiten auszugehen.

Es trifft nicht zu, daß das Berufungsgericht die dargestellten Umstände außer Acht gelassen hätte. Es hat vielmehr den gesamten Tätigkeitsbereich des Klägers berücksichtigt und hat hieraus den Schluß gezogen, daß diese Tätigkeit der Beschäftigungsgruppe 4 des maßgeblichen Kollektivvertrages entspreche. Daraus allein kann aber noch nicht abgeleitet werden, daß der Kläger auch den Berufsschutz dieser Berufsgruppe genieße. Fest steht, daß der Kläger nur Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die ihm die Ausübung der der Beschäftigungsgruppe 4 zuzuzählenden Tätigkeit eines Lagerleiters an seinem konkreten Arbeitsplatz ermöglichten. Kenntnisse und Fähigkeiten, über die Angestellte der Beschäftigungsgruppe 4 verfügen, besitzt er jedoch nicht. Er ist daher nicht aus Gründen, die im Herabsinken seiner Arbeitsfähigkeit liegen, nicht imstande, andere Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 4 auszuüben, sondern die Verweisung auf solche Tätigkeiten scheidet schon deshalb aus, weil dem Kläger die erforderlichen Kenntnisse mangeln, die er nie besessen hat. Ein Versicherter kann aber nicht den Berufsschutz einer Berufsgruppe in Anspruch nehmen, deren Voraussetzungen er nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht erfüllt. In einem vergleichbaren Fall hat der Oberste Gerichtshof bereits zu SSV-NF 4/17 ausgeführt, daß ein Versicherter, der zwar Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 4 in einer spezialisierten Form ausführte, dem jedoch das erforderliche kaufmännische Fachwissen dieser Beschäftigungsgruppe fehlt, nur den Berufsschutz der Beschäftigungsgruppe 2 in Anspruch nehmen kann, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht. Von diesen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Abstrahiert man die kaufmännischen Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers aus der von ihm konkret ausgeübten Tätigkeit, so ergibt sich, daß sie lediglich der Beschäftigungsgruppe 2 entsprechen. Zutreffend ist das Berufungsgericht daher bei der Prüfung der Verweisungsmöglichkeiten von dieser Beschäftigungsgruppe ausgegangen. Dagegen, daß der Kläger in der Lage ist, als Telephonist tätig zu sein, wird in der Revision nichts mehr vorgebracht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch aus der Aktenlage nicht.

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