OGH 9ObA50/94

OGH9ObA50/946.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Dr.Hans Peter Bobek und Erwin Macho als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Eva H*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Paul Friedl, Rechtsanwalt in Eibiswald, wider die beklagte Partei A*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Elmar A.Peterlunger, Geschäftsführer des Fachverbandes der Audivisions- und Filmindustrie, Wiedner Hauptstraße 63, dieser vertreten durch Dr.Franz-Christian Sladek und Dr.Michael Meyenburg, Rechtsanwälte in Wien, wegen 87.500 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Oktober 1993, GZ 33 Ra 89/93-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19. Oktober 1992, GZ 4 Cga 1039/91-9, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin war seit 3.6.1991 bei der beklagten Partei mit einem Bruttomonatsgehalt von 25.000 S als Angestellte beschäftigt. Am 10.10.1991, einem Donnerstag, war der Geschäftsführer der beklagten Partei nach einem geschäftlichen Telephonat, das er am frühen Nachmittag geführt hatte, verärgert und beschimpfte die Angestellten und auch die Klägerin. Es war nicht das erste Mal, daß er die Klägerin beschimpfte; es geschah dies öfters. Bei diesen Beschimpfungen der Klägerin fiel an diesem Tag der Ausdruck "Hurenarsch" und ähnliche Schimpfworte. Um 17 Uhr 45 war die Klägerin eben dabei, nach Hause zu gehen, als ihr der Geschäftsführer sagte, daß bis kommenden Mittwoch 5000 Kuverts abzufertigen seien. Die Klägerin erklärte darauf, sie werde sich bemühen. Darauf sagte der Geschäftsführer "reizn's mit net" und erhob die Hand gegen die Klägerin zu einer Ohrfeige. Die Klägerin fühlte sich bedroht. Sie sagte nichts mehr und verließ das Büro. Am nächsten Tag ging die Klägerin nicht an ihren Arbeitsplatz, weil sie einen Arzttermin hatte. Sie rief im Büro an, konnte jedoch den Geschäftsführer nicht erreichen. Sie gab über den Anrufbeantworter bekannt, daß sie die ganze Nacht nichts geschlafen habe und jetzt zum Arzt gehe. Über diesen Arzttermin hatte sie die beklagte Partei bereits zuvor informiert. Knapp darauf rief sie ein zweites Mal an und teilte über den Anrufbeantworter mit, daß sie sich weitere Schritte überlegen müsse. Am 14.10.1991 übermittelte sie der beklagten Partei einen Brief mit nachstehendem Inhalt: "Ich möchte hiemit schriftlich festhalten, daß die Vorkommnisse vom Donnerstag 10.10.1991 - die wüsten ordinären Beschimpfungen meiner Person (wie auch der anderen Mitarbeiter!) und vor allem die Drohung "reizns mi net" mit erhobener Hand - einen berechtigten vorzeitigen Austrittsgrund darstellten. Eine Zusammenarbeit unter derartigen Umständen ist für mich hiermit nicht mehr gegeben.......". Dieses Schreiben langte bei der beklagten Partei am 15.10.1991 ein. Ebenfalls am 14.10.1991 kündigte die beklagte Partei das Dienstverhältnis mit der Klägerin zum 15.11.1991. Auf das Austrittschreiben der Klägerin reagierte die beklagte Partei mit Schreiben vom 15.10.1991; sie erklärte, der Austritt sei nicht berechtigt und forderte die Klägerin auf, ihren Dienst unverzüglich wieder anzutreten.

Die Klägerin begehrt (restlich) die Zahlung einer Kündigungsentschädigung von 87.500 S. Sie sei berechtigt ausgetreten und habe daher Anspruch auf die Kündigungsentschädigung.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Ein Austrittsgrund liege nicht vor, der Geschäftsführer habe das inkriminierte Verhalten nicht gesetzt. Ein Austritt wäre überdies verspätet erfolgt, weil die Klägerin die Erklärung nicht unverzüglich abgegeben habe. Auch die Höhe der begehrten Zahlung wurde bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe von ihrem Austrittsrecht nicht unverzüglich Gebrauch gemacht. Sie habe den Austritt erst 4 Tage nach den Vorfällen und damit verspätet erklärt. Der erst am 14.10.1991 erklärte Austritt sei daher nicht berechtigt gewesen, sodaß der geltend gemachte Anspruch nicht zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen oder aber sie dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Eine Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Unterlassung der Vernehmung des Geschäftsführers der beklagten Partei war bereits Gegenstand der Mängelrüge der Klägerin. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Ausführungen auseinandergesetzt und ist zum Ergebnis gelangt, daß ein Verfahrensmangel nicht vorliege. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann jedoch ein Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens, dessen Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (SSV-NF 1/32, 3/115 uva).

Daß die unflätigen Beschimpfungen der Klägerin durch den Geschäftsführer der beklagten Partei und die Drohung mit einem tätlichen Angriff den Tatbestand eines Austrittsgrundes (§ 26 Z 4 AngG) erfüllen, bedarf keiner weiteren Begründung.

Treten Umstände ein, die einen wichtigen Grund zu einer vorzeitigen Lösung des Dienstverhältnisses abzugeben vermögen, so ist diese nach Kenntnis ohne Verzug auszusprechen. Dies gilt für die fristlose Entlassung des Dienstnehmers durch den Dienstgeber und den vorzeitigen Austritt des Dienstnehmers aus dem Dienstverhältnis in gleicher Weise. Die unverzügliche Geltendmachung stellt einen von der Rechtsprechung und der Arbeitsrechtslehre allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz dar. Dieser darf jedoch nicht überspitzt werden und bedarf einer verständnisvollen Anwendung, wenn er nicht mit den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und den Betriebserfordernissen in Widerspruch geraten soll (Martinek-Schwarz-Schwarz, AngG7 549 f mwN).

Die Klägerin setzte wohl nach den Beschimpfungen durch den Geschäftsführer, die im Lauf des Nachmittags des 10.10.1991 erfolgten, ihre Arbeitstätigkeit zumindest kurzfristig fort, verließ jedoch unmittelbar nach der körperlichen Bedrohung, die der Geschäftsführer äußerte, als sich die Klägerin zum Heimgehen anschickte, den Betrieb. Wohl lag klar auf der Hand, daß der Geschäftsführer damit Gründe gesetzt hatte, die die Klägerin zum vorzeitigen Austritt berechtigten, doch darf die psychische Ausnahmesituation, in der sich die Klägerin zufolge der Vorfälle befand, nicht außer Betracht gelassen werden. Sie erklärte den Austritt zwar erst vier Tage später, doch lag dazwischen ein Wochenende. Am Freitag leistete die Klägerin wegen eines Arztbesuches keinen Dienst und konnte den Geschäftsführer auch nicht erreichen. Aus ihrer über den Anrufbeantworter mitgeteilten Erklärung, daß sie sich weitere Schritte überlege, mußte für den Geschäftsführer aber klar sein, daß die Klägerin nicht bereit war, sein exzessives Verhalten ohne weiteres hinzunehmen. Unter diesen Umständen erfolgte die am 14.10.1991 abgegebene Austrittserklärung noch rechtzeitig. Der Klägerin stehen daher die aus dem vorzeitigen Austritt abgeleiteten Ansprüche zu.

Da die Vorinstanzen ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht die Prüfung der von der beklagten Partei bestrittenen Höhe der geltend gemachten Ansprüche unterließen, bedarf es diesbezüglich einer Ergänzung des Verfahrens.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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