Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß, der bezüglich der Zuerkennung der Obsorge für das Kind Ramona mangels Anfechtung unberührt bleibt, wird im übrigen dahin abgeändert, daß er zu lauten hat:
"Die Obsorge für das Kind Rene N***** kommt dem Vater Gerhard N***** allein zu."
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern des am 31.8.1988 geborenen Kindes Ramona und des am 13.1.1991 geborenen Kindes Rene wurde am 3.2.1992 aus dem gleichteiligen Verschulden beider Ehegatten rechtskräftig geschieden. Eine Vereinbarung über die Obsorge für die beiden Kinder kam nicht zustande.
Das Erstgericht entschied auf Grund eines von der Mutter der Kinder am 11.2.1992 und vom Vater am 25.2.1992 eingelangten Antrags, daß die Obsorge für Ramona dem Vater und für Rene der Mutter allein zukommt.
Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Die Ehewohnung der Eltern der Kinder befand sich im ersten Stock eines Hauses, in dessen Parterre die Eltern des Vaters der Kinder in einer mit dem ersten Stock verbundenen Wohnung wohnten und noch wohnen. Die Mutter der Kinder ging schon einige Monate nach der Geburt der Tochter Ramona wieder einer Ganztagsbeschäftigung nach. Der Vater kam auf Grund seiner Berufstätigkeit als Lagerarbeiter erst zwischen 17 und 18 Uhr nach Hause. Die Tochter wurde in dieser Zeit hauptsächlich von ihrer Großmutter betreut, die eine sehr liebevolle und enge Beziehung zu dem Kind entwickelte und sich auch noch um den ebenfalls in der Ehewohnung wohnenden, nunmehr zwölfjährigen Sohn der Mutter der Kinder aus erster Ehe kümmerte. Die Mutter war wegen ihrer Berufstätigkeit schon aus zeitlichen Gründen nicht in der Lage, eine besondere Nahebeziehung zur Tochter aufzubauen. Sie hatte außerdem nervliche Probleme und wurde deshalb fallweise mit Beruhigungsmitteln und Antidepressiva behandelt. In der Ehe der Eltern kam es schon vor der Geburt des Sohnes Rene immer wieder zu Auseinandersetzungen, die hauptsächlich darin begründet waren, daß sich die Großeltern ins Eheleben und in die Probleme bei der Erziehung des Sohnes aus der ersten Ehe der Mutter einmischten. Die Mutter begann schon einige Wochen nach der Geburt ihres Sohnes vermehrt abends und in der Nacht alleine auszugehen, wobei sie fallweise auch bis in die Morgenstunden des folgenden Tages wegblieb und dann bis zum Nachmittag schlief. Die Kinder wurden in dieser Zeit hauptsächlich vom Vater und der Großmutter betreut. Ramona schläft seit Renes Geburt meistens bei der Großmutter und hält sich auch sonst meistens bei ihr auf. Untertags spielt sie mit ihrem Bruder, dem sie liebevoll verbunden ist, in dem zum Haus gehörenden Garten. Dabei werden die Kinder meist von ihrem Großvater beaufsichtigt. Die Großmutter ist Anfang Sechzig, in gutem gesundheitlichen Zustand und körperlich sowie psychisch zur Erziehung von Kindern geeignet. Sie stellt besonders für Ramona die Hauptbezugsperson dar.
Die Mutter war der Belastung durch die Kinder nicht ausreichend gewachsen. Dies äußerte sich vor allem darin, daß sie die Kinder und hier vor allem ihre Tochter oft grob beschimpfte, daß sie ungeduldig reagierte und daß sie den Kindern nur mangelnde Zuwendung angedeihen ließ. Von September bis Dezember 1991 war sie zweimal in der Woche von 16,30 Uhr bis 2 Uhr morgens berufstätig. In dieser Zeit verbrachte sie die Nachmittage in ihrer Freizeit hauptsächlich mit ihrem Freund, mit dem sie dann am 8.8.1992 die Ehe schloß.
Nach der Scheidung der Ehe der Eltern der Kinder blieben diese in dem weiterhin in der Ehewohnung geführten Haushalt des Vaters. Die Mutter war wegen der immer größer werdenden Schwierigkeiten zwischen den Eheleuten schon Ende 1991 mit ihrem Sohn aus erster Ehe aus der Ehewohnung ausgezogen. Die Tochter besucht seit Herbst 1991 den Kindergarten. Sie wird von ihrer Großmutter dorthin gebracht und von dort abgeholt. Diese nimmt auch an Festen und Veranstaltungen im Kindergarten teil und bringt die Enkelin zum Arzt.
Die Mutter der Kinder zog im Jänner 1993 in eine etwa 77 m2 große Wohnung, in der sich zwei Kinderzimmer befinden und in der sie mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn aus erster Ehe wohnt. In unmittelbarer Nähe der Wohnung befindet sich ein Kinderspielplatz und der Garten ihrer Schwiegereltern, in dem Ramona und Rene fallweise spielen, wenn sie auf Grund des der Mutter eingeräumten Besuchsrechtes zu dieser kommen. Der Ehemann der Mutter der Kinder nimmt sie bei diesen Gelegenheiten bereitwillig auf und befürwortet es, daß die Obsorge der Mutter zukommt. Insbesonders während der letzten Monate entwickelte sich eine sehr intensive Bindung von Rene an die Mutter, die sich in einem ständigen Festklammern an die Mutter äußert. Bei dieser ist nunmehr ein deutlich verbessertes Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Kindern zu erkennen. Sie zeigt sich wegen der bei der Erziehung der Kinder begangenen Fehler einsichtig und es haben sich auch ihre nervösen Zustände gebessert. Die Mutter ist wieder stundenweise berufstätig. Während ihrer Abwesenheit werden die Kinder hauptsächlich von ihrem Ehemann betreut.
Im Haushalt des Vaters der Kinder lebt noch seine Lebensgefährtin und deren elfjähriger Sohn. Die Lebensgefährtin arbeitet täglich bis etwa 17 Uhr in einem Hort. Zwischen den Kindern einerseits und dem Vater und seiner Lebensgefährtin andererseits besteht ein gutes Verhältnis. In der Freizeit werden auch gemeinsame Ausflüge und Unternehmungen mit den Kindern durchgeführt.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß beide Elternteile zur Erziehung der Kinder geeignet seien. Während die Tochter schon aus Gründen der Kontinuität der Pflege und Erziehung bei ihrem Vater zu belassen sei, entspreche es dem Wohl des Sohnes trotz des Grundsatzes der Kontinuität und obwohl eine Trennung von Geschwistern möglichst vermieden werden sollte, besser, die Obsorge für ihn der Mutter zuzuerkennen, weil er durch die Trennung von der Mutter bereits belastet sei und daher durch eine solche Trennung allenfalls Schäden bei ihm zu befürchten wären. Außerdem sei die Großmutter durch die Erziehung eines Kindes bereits "ausreichend" belastet.
Das Rekursgericht gab den von beiden Elternteilen gegen diesen Beschluß des Erstgerichtes erhobenen Rekursen nicht Folge und sprach aus, daß der (ordentliche) Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Rechtlich war es der Meinung, daß die Obsorge für die Tochter wegen ihrer besonderen Hinwendung zum väterlichen Haushalt in Verbindung mit dem Umstand, daß sie durch ihre Großmutter bestens betreut werde und dies auch für die Zukunft gewährleistet sei, dem Vater zukommen solle. Wegen der verstärkten Hinwendung des Sohnes zur Mutter in Verbindung mit dem Grundsatz, daß Kleinkinder in der Regel in der Obsorge der Mutter verbleiben sollten, sei die Obsorge für den Sohn hingegen der Mutter zuzuerkennen. Dies widerspreche zwar dem Grundsatz, daß Geschwister in der Regel nicht getrennt werden sollten. Meist könnten aber nicht alle in der Rechtsprechung für die Zuerkennung der Obsorge entwickelten Grundsätze verwirklicht werden. Überdies liege es an den Eltern, deren Wohnorte nur etwa vier bis fünf Kilometer voneinander entfernt seien, den sicher nicht zu bagatellisierenden Nachteil der Trennung von Geschwistern durch möglichst häufige Besuchskontakte zu minimieren.
Rechtliche Beurteilung
Der nur vom Vater gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht das Wohl der Kinder nicht ausreichend bedacht hat; er ist auch berechtigt.
In dem hier zu entscheidenden Fall kommt dem Umstand besonderes Gewicht zu, daß die Kinder untereinander eine enge Bindung entwickelt haben, die den vom Erstgericht aus dem Fachgebiet der Jugendpsychiatrie beigezogenen Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten zu der Aussage veranlaßt hat, daß das Schicksal der beiden Kinder gemeinsam beurteilt werden könne, weil eine Trennung nicht in Frage komme. Unter diesen Umständen steht aber der Grundsatz, daß Geschwister nicht ohne zwingenden Grund getrennt werden sollen (EFSlg 59.843, 59.808, 56.822 ua; Pichler in Rummel2, Rz 2 b zu § 177 ABGB; Schlemmer/Schwimann in Schwimann, ABGB, Rz 10 zu § 177; Diederichsen in Palandt53, 1689), im Vordergrund. Das gemeinsame Aufwachsen und die gemeinsame Erziehung von Geschwistern dient dem Wohl des einzelnen. Hier wäre vor allem das Wohl des Mädchens, auf das ebenfalls Bedacht zu nehmen ist, bei einer Trennung von ihrem Bruder entscheidend beeinträchtigt. Berücksichtigt man dazu noch, daß bei der Entscheidung über die Zuerkennung der Obsorge auch die Kontinuität in der Betreuung gewahrt werden soll (EFSlg 56.819, 54.076, 54.075, 54.048 ua), so entspricht es ganz offensichtlich allein dem Wohl beider Kinder, wenn die Obsorge und damit gemäß § 144 ABGB die Pflege und Erziehung dem Vater allein zukommt, zumal er infolge der bezüglich der Tochter eingetretenen Rechtskraft der Entscheidungen der Vorinstanzen nicht möglich ist, der Mutter die Obsorge für beide Kinder zuzuerkennen.
Keine Bedeutung hat hier der vom Rekursgericht ins Treffen geführte Umstand, daß Kleinkinder von der Mutter erzogen werden sollen, weil er nur bei sonst gleichen Verhältnissen gilt (EFSlg 66.103, 48.445, 45.870 ua). Dieser Fall ist aber wegen der besonderen Bindung der Kinder zueinander und wegen der schon länger dauernden Pflege und Erziehung durch den Vater und dessen Mutter nicht gegeben. Gegenüber diesen Umständen muß auch die von den Vorinstanzen für ihre Entscheidung ins Treffen geführte Bindung des Sohnes an die Mutter an Gewicht verlieren, zumal die bisherige Form der Pflege und Erziehung zu keiner Beeinträchtigung der Kinder geführt hat und offensichtlich ihrem Wohl entspricht, während die Trennung des Sohnes von seiner bisherigen Umgebung und vor allem von seiner Schwester mit der Gefahr einer Beeinträchtigung des Wohles der Kinder verbunden wäre. Dabei kann auch nicht außer Betracht bleiben, daß sicherlich auch schon eine gewisse Bindung des Sohnes an seinen Vater und seine Großmutter besteht und der Sohn diese Bezugspersonen weitgehend verlieren würde, wenn er in die Pflege und Erziehung seiner Mutter käme.
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