Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen (die im Kostenpunkt unberührt bleiben) werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
"1. Die Klagsforderung besteht mit S 37.496 zu Recht.
2. Die Gegenforderung besteht bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht.
3. Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von S 56.244 samt 4 % Zinsen seit 26.11.1990 zu bezahlen und die Prozeßkosten zu ersetzen, wird abgewiesen."
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 5.601,69 (darin S 933,61 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 21.7.1990 kam es gegen 16 Uhr im Gemeindegebiet von Wolfsberg auf einer Gemeindestraße zu einer Kollision zwischen dem vom Kläger gelenkten und gehaltenen PKW Subaru 1800 und dem entgegenkommenden, vom Erstbeklagten gelenkten, vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Motorrad Honda (500) PC
20.
Der Kläger begehrt von den Beklagten Ersatz seines insgesamt mit S
56.244 geltend gemachten und in dieser Höhe auch nicht strittigen, aus Fahrzeugschaden, Ummeldespesen, Rückfahrkosten, Bergekosten sowie Telefon- und sonstigen Unkosten bestehenden Schadens. Er erblickt das Alleinverschulden des Erstbeklagten darin, daß dieser zum Unfallszeitpunkt eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit eingehalten habe, durch ein unsachgemäßes Bremsmanöver nach links geraten und dadurch mit dem PKW des Klägers zusammengestoßen sei. Darüber hinaus sei der Erstbeklagte mit dem Motorrad auch nicht vertraut gewesen, weil er erst neun Tage zuvor den Führerschein erhalten habe.
Die Beklagten wendeten Alleinverschulden des Klägers ein. Dieser habe mit seinem Fahrzeug eine so weit links gelegene Fahrlinie eingehalten, daß die dem Erstbeklagten zustehende Fahrbahnhälfte blockiert gewesen wäre. Der Erstbeklagte sei deshalb zu einer Vollbremsung genötigt gewesen und sei hiebei kurventangential über die Fahrbahnmitte hinausgekommen. Das Verschulden des Klägers liege in dessen zu weit links gelegener Fahrlinie, aber auch in dessen mangelnder Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Aufrechnungsweise wendeten die Beklagten eine Schadenersatzforderung (Fahrzeugschaden, Ummeldespesen, Sturzhelm, Bekleidung, Schmerzengeld etc) ein, deren mit S 143.200 ermittelte Höhe im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist.
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit S 14.061 und die eingewendete Gegenforderung zumindest bis zur Höhe der Klagsforderung als zu Recht bestehend und wies daher das Klagebegehren ab. Es traf unter anderem die Feststellung, daß die Gemeindestraße im Unfallsbereich eine Fahrbahnbreite von 4,1 m aufweist, kurveninnenseitig eine Sicht von 85 m besteht, der Kläger unmittelbar vor der Kollision mit seinem PKW von der Gemeindestraße nach rechts in eine Hauszufahrt einbiegen wollte und hiebei einen Seitenabstand vom rechten Fahrbahnrand der Gemeindestraße von ca 1 m eingehalten hat, wodurch für das entgegenkommende, vom Erstbeklagten gelenkte Motorrad eine Durchfahrtslücke von ca 1,4 m verblieben ist. Der Erstbeklagte hat seinerseits einen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von 1 m eingehalten und ist vor Einleitung seines Bremsmanövers mit einer Fahrgeschwindigkeit von 86 km/h gefahren.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu einem Verschulden beider Teile. Es lastete dem Kläger aufgrund dessen Fahrlinie von 1 m vom rechten Fahrbahnrand und dadurch bedingtem Überragen der Fahrbahnmitte einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 StVO an. Zudem habe der Kläger bis zur erfolgten Kollision auf das ihm entgegenkommende Motorrad trotz seiner gewählten Fahrlinie überhaupt nicht reagiert. Der Erstbeklagte habe hingegen zwar eine Bremsung eingeleitet, diese jedoch nicht mit der erforderlichen Intensität. Eine stärkere Bremsung wäre ihm möglich gewesen und hätte ihm auch ein rechtzeitiges Anhalten vor dem PKW des Klägers ermöglicht. Dies rechtfertige die Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Klägers.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Es führte im wesentlichen folgendes aus:
Zwar könne der Argumentation des Klägers darin nicht gefolgt werden, daß der Erstbeklagte gegen das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht (und damit gegen § 10 Abs 2 StVO) verstoßen hätte. Dieser Vorwurf könnte dann zu Recht erhoben werden, wenn für den Erstbeklagten aufgrund der tatsächlichen Gestaltung des Verkehrsgeschehens die Notwendigkeit bestanden hätte, wegen Gegenverkehrs anzuhalten, weil nicht oder nicht ausreichend ausgewichen werden kann. Im vorliegenden Fall habe der Kläger aber auf Höhe der Bezugslinie die Gemeindestraße verlassen und in die Einfahrt zu einem Hause einbiegen wollen. Für den Erstbeklagten habe daher aus der tatsächlichen Verkehrslage heraus keine Notwendigkeit bestanden, sein Motorrad innerhalb seiner halben einsehbaren Wegstrecke und somit rund 40 m vor dieser Einbiegeposition des Klägers anzuhalten. Das Erstgericht habe daher zu Recht dem Erstbeklagten einen Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht nicht angelastet.
Wohl aber habe das Beweisverfahren erbracht, daß der Erstbeklagte vorerst eine zu geringe Bremsung eingeleitet habe und so sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig vor dem im Einbiegen begriffenen PKW des Klägers anhalten habe können. Die Parteien hätten im Berufungsverfahren außer Streit gestellt, daß für den Erstbeklagten am 12.7.1990 der Führerschein ausgestellt worden sei. Da das Unfallsgeschehen sich bereits am 21.7.1990 ereignet habe, habe daher der Erstbeklagte über eine nur sehr geringe Fahrpraxis verfügen können. Gerade das Einleiten der vorerst zu geringen und somit für ein rechtzeitiges Anhalten nicht ausreichenden Bremsung deute auf eine zu geringe Fahrpraxis und mangelnde Vertrautheit mit dem Fahrzeug hin. Bei stärkerer Bremsung wäre ja dem Erstbeklagten ein rechtzeitiges Anhalten vor dem PKW des Klägers möglich gewesen. Geringe Fahrpraxis und mangelnde Vertrautheit mit dem Fahrzeug müßten aber durch besondere Vorsicht, Aufmerksamkeit bei der Bedienung und Wahl einer entsprechenden niedrigeren Geschwindigkeit ausgeglichen werden. Die vom Erstbeklagten eingehaltene Geschwindigkeit von etwa 86 km/h habe es ihm nicht ermöglicht, auch bei seiner geringen Bremsung noch rechtzeitig den Stillstand zu erlangen. Die Geschwindigkeit des Erstbeklagten sei daher in Anbetracht der geringen Vertrautheit mit dem schweren und schnellen Motorrad und der geringen Fahrpraxis nicht den vorliegenden Umständen angepaßt gewesen, weshalb dem Erstbeklagten ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 20 Abs 1 StVO anzulasten sei.
Das Ausmaß des Sicherheitsabstandes zum rechten Fahrbahnrand dürfe nicht größer sein als unbedingt notwendig, um die Gefährdung von Personen oder eine Beschädigung von Sachen zu vermeiden. Diesem Gebot werde nicht entsprochen, wenn der Lenker eines Fahrzeuges auf einer 4,1 m breiten Fahrbahn einen Abstand zum rechten Fahrbahnrand von etwa 1 m einhalte. Daß das Einhalten eines wesentlich geringeren Seitenabstandes zum rechten Fahrbahnrand unzumutbar oder gar unmöglich gewesen wäre, ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Vielmehr hätte der Kläger sein Rechtsabbiegen auch aus einer fast am rechten Fahrbahnrand liegenden Fahrlinie technisch problemlos durchführen können. Ohne Rechtsirrtum habe daher das Erstgericht dem Kläger einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 StVO angelastet.
Die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung sei aber auch unter Bedachtnahme auf den vom Erstbeklagten zu vertretenden Verstoß nicht zu beanstanden. Entscheidend für die Verschuldensabwägung sei nicht eine Gegenüberstellung der von den einzelnen Verkehrsteilnehmern begangenen Verstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen, sondern der Grad ihrer Fahrlässigkeit, die Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Straßenverkehrs sowie die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr. Zu berücksichtigen sei auch, welcher Verkehrsteilnehmer das unfallseinleitende Verhalten gesetzt habe. Gerade letzteres sei aber dem Kläger anzulasten, da er mit seiner die Fahrbahnmitte doch beträchtlich überragenden Fahrlinie seines Fahrzeuges die dem entgegenkommenden Motorradlenker zustehende Fahrbahnhälfte weitgehend eingeengt habe, was in erster Linie auslösende Ursache für das vom Erstbeklagten eingeleitete Bremsmanöver gewesen sei.
Da seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ZVR 1979/296 jüngere höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, wie weit geringe Fahrpraxis und mangelnde Vertrautheit mit dem Fahrzeug für die Wahl der Fahrgeschwindigkeit ausschlaggebend und daher verschuldensbegründend zu sein vermöge, fehle, sei gemäß § 502 Abs 1 ZPO auszusprechen gewesen, daß die Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision für unzulässig zu erklären bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist - allerdings aus einem anderen als dem vom Berufungsgericht genannten Grund - zulässig und teilweise auch berechtigt.
Der erkennende Senat hat in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ZVR 1979/296 unter Hinweis auf die Vorjudikatur ausgesprochen, daß bei der Anpassung der Fahrgeschwindigkeit an die gegebenen Umstände auch auf die persönlichen Verhältnisse des Fahrzeuglenkers Bedacht zu nehmen ist. Der Fahrzeuglenker hat eine Geschwindigkeit zu wählen, die es ihm unter Berücksichtigung seines Fahrkönnens und der Vertrautheit mit dem Fahrzeug ermöglicht, dieses jederzeit zu beherrschen. Geringe Fahrpraxis und mangelnde Vertrautheit mit einem Fahrzeug müssen durch besondere Vorsicht, Aufmerksamkeit bei der Bedienung und Wahl einer entsprechend niedrigen Geschwindigkeit ausgeglichen werden.
Es besteht kein Grund zur Annahme, daß diese Rechtsprechung nicht mehr aktuell wäre. Eine im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage liegt daher insoweit - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - nicht vor.
Eine solche Rechtsfrage ist aber hinsichtlich der von den Vorinstanzen vorgenommenen Verschuldensteilung gegeben. Die Gewichtung des Verschuldens stellt zwar im allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage dar (Petrasch, ÖJZ 1983, 177; Kodek in Rechberger § 502 ZPO Rz 3). Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen den ihnen zustehenden Beurteilungsspielraum aber verlassen, was vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmen ist.
Zutreffend hat das Berufungsgericht dem Kläger einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 StVO und dem Erstbeklagten zu geringe Bremsung sowie einen Verstoß gegen § 20 Abs 1 StVO - nicht aber gegen § 10 Abs 2 StVO (vgl hiezu auch ZVR 1994/118 mwN) - angelastet. Auf die betreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird verwiesen.
Was die Abwägung des beiderseitigen Verschuldens anlangt, so ist zu berücksichtigen, daß einerseits der eine Fahrgeschwindigkeit von ca 10 km/h einhaltende Kläger mit seinem PKW zwar einen - zu großen - Seitenabstand zum rechten Rand der ca 4 m breiten Fahrbahn einhielt, hiedurch für das ca 80 cm breite, vom Erstbeklagten gelenkte Motorrad aber immer noch eine Durchfahrtslücke von ca 1,4 m blieb. In etwa mit einer solchen - für das Passieren mit dem Motorrad noch ausreichenden - Restbreite hätte der Erstbeklagte im übrigen auch das Auslangen finden müssen, wäre ihm ein ganz am rechten Fahrbahnrand fahrendes Fahrzeug mit der nach § 4 Abs 6 KFG höchstzulässigen Breite von 2,5 m entgegengekommen. Andererseits war die vom Erstbeklagten eingehaltene Fahrgeschwindigkeit von (vor der Bremsung noch) 86 km/h in Anbetracht der örtlichen Verhältnisse (Kurve, geringe Fahrbahnbreite) und seiner geringen Fahrpraxis deutlich überhöht. Wie wenig der Erstbeklagte das schwere Motorrad des Zweitbeklagten beherrschte, zeigt gerade seine ungenügende Bremsung; hätte er nicht nur die Hinterradbremse, sondern auch die Vorderradbremse betätigt, so wäre er noch vor der Anstoßstelle zum Stillstand gelangt. Überdies wäre er bei Wahl einer geeigneten Fahrgeschwindigkeit nicht "kurvenbedingt tangential" auf die in seiner Fahrtrichtung gesehen linke Fahrbahnhälfte gelangt, sondern hätte er die auf der rechten Fahrbahnhälfte neben dem in die Hauszufahrt einbiegenden PKW verbliebene Fahrbahnbreite nützen können.
Angesichts dieser Umstände ist der erkennende Senat der Auffassung, daß nicht das Verschulden des Klägers, sondern das des Erstbeklagten überwiegt. Eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zugunsten des Klägers ist angemessen. Es war daher in Abänderung der angefochtenen Entscheidung auszusprechen, daß die Klagsforderung zu zwei Drittel, das heißt mit S 37.496 zu Recht besteht. Im Hinblick darauf, daß ein Drittel der Gegenforderung diesen Betrag übersteigt, ändert sich hiedurch aber an der Klagsabweisung nichts.
Dies bedeutet, daß der Kläger, der die Abänderung im Sinne der gänzlichen Klagsstattgebung beantragt hat, auch im Revisionsverfahren als unterlegen anzusehen ist und den Beklagten gemäß den §§ 41, 50 ZPO die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen hat.
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