Spruch:
Der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 22. September 1993 (1 c Bl 81/93) verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 466 Abs. 1 und 467 Abs. 1 iVm § 6 StPO.
Der bezeichnete Beschluß wird aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Graz die meritorische Erledigung der vom Angeklagten Oliver R***** erhobenen Berufung aufgetragen.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Der in der Strafvollzugsanstalt Graz (nunmehr: Justizanstalt Graz-Karlau) eine langjährige Freiheitsstraße verbüßende Oliver R***** wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 28.Juni 1993, GZ 2 U 408/93-6, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach Rechtsmittelbelehrung hatte er in der Hauptverhandlung keine Erklärung abgegeben, meldete aber in der Folge schriftlich "volle Berufung" an. Dieser von ihm selbst verfaßte Schriftsatz langte am 1. Juli 1993 bei der Leitung der Strafvollzugsanstalt Graz ein, wurde von dieser am 6.Juli 1993 zur Post gegeben und langte am 7.Juli 1993 beim Bezirksgericht für Strafsachen Graz ein (ON 7). Die Urteilsausfertigung wurde Oliver R***** am 3.August 1993 zugestellt (AS 3 des Antrags- und Verfügungsbogens). Die (von ihm selbst verfaßte) schriftliche Berufungsausführung übergab er am 16.August 1993 der Leitung der Strafvollzugsanstalt Graz, sie wurde am 18. August 1993 zur Post gegeben und langte am 19.August 1993 beim Bezirksgericht für Strafsachen Graz ein (ON 8).
Mit seinem Beschluß vom 22.September 1993 (1 c Bl 81/93; ON 10) wies das Landesgericht für Strafsachen Graz die Berufung als unzulässig, weil verspätet angemeldet, zurück. Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß die Berufung nicht § 466 Abs. 1 StPO entsprechend binnen drei Tagen nach der Urteilsverkündung beim Bezirksgericht angemeldet, sondern die Berufungsanmeldung erst nach Ablauf der dreitägigen Anmeldungsfrist zur Post gegeben worden und erst einen Tag später bei Gericht eingelangt sei. Ferner wurde darauf hingewiesen, daß auch die Berufungsausführung beim Erstgericht verspätet eingelangt sei.
Der vorbezeichnete Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Der darin vertretenen Auffassung zuwider ist für die Wahrung der Rechtsmittelfrist nach einhelliger Judikatur der Zeitpunkt der Übernahme der von einem in Untersuchungs- oder Strafhaft befindlichen
Angeklagten verfaßten Rechtsmittelschrift in der Direktion des Gefangenenhauses (nunmehr Justizanstalt) maßgeblich, weil in diesem Fall die Leitung der Justizanstalt gleichsam als verlängerter Arm des Gerichtes angesehen werden muß, bei dem das Rechtsmittel anzumelden und auszuführen ist (vgl. EvBl. 1976/135). Eine (vom Beschuldigten nicht zu verantwortende) Verzögerung in der Weiterleitung der Eingabe über die Einlaufstelle an die zuständige Gerichtsabteilung kann dem Beschuldigten daher nicht zur Last fallen (LSK 1976/176, Mayerhofer-Rieder, StPO3, E 45 zu § 6 StPO mwN). Die Bestimmungen der §§ 466 Abs. 1 und 467 Abs. 1 iVm § 6 StPO sind daher zum Nachteil des Verurteilten Oliver R***** verletzt worden, sodaß spruchgemäß zu erkennen war.
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