OGH 10ObS103/93

OGH10ObS103/9328.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Edeltraud Haselmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alfred Klair (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Daniel S*****, geb. am 18.10.1984, *****, vertreten durch den Vater und gesetzlichen Vertreter Elmar S*****, *****, ebendort, dieser vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in Landeck, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA), 1081 Wien, Josefstädterstraße 80, wegen S 27.255,60 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. März 1993, GZ 5 Rs 11/93-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. November 1992, GZ 47 Cgs 47/92-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.811,52 bestimmten Revisionskosten (darin enthalten S 301,92 Ust) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der mj. Kläger wurde am 18.10.1984 in der 28. Schwangerschaftswoche geboren. Es lag eine deutliche intrauterine Dystrophie (Mangelversorgung) mit Kleinwuchs vor. Zusätzlich fand sich bei der Untersuchung des Neugeborenen eine mediane Gaumenspalte, eine glandale Hypospadie, eine Fußstellungsanomalie und ein Fondiculus Metopicus. Die Gaumenspalte wurde im Jahr 1986 erfolgreich operiert. Seit dem Verlassen der Klinik litt das Kind an einer chronischen Bronchitis, die in den folgenden Jahren bis 1988 durch den Hausarzt und einen Kinderfacharzt unter Verwendung von Antibiotika, vor allem Penicillin, behandelt wurde. Im Laufe der Zeit traten bei dem Kind immer wieder psychische Störungen auf. Für diese Verhaltensstörungen ist nicht die Behandlung mit Antibiotika ursächlich, sondern die intrauterine Mangelversorgung und die Mißbildungen. Durch die Gabe von Antibiotika trat auch keine Schwächung des Immunsystems ein. Ab Ende 1988 wurde, da eine wesentliche Besserung der chronischen Bronchitis sowie der Verhaltensstörungen noch nicht eingetreten war, eine praktische Ärztin konsultiert, die eine längerfristige Behandlung mit homöopathischen Mitteln anordnete. In den folgenden Jahren besserte sich der allgemeine Gesundheitszustand des Klägers.

Die Gaumenspalte ist gerade für die Entstehung gehäufter katharalischer Infekte eine sehr belastende Fehlbildung. Die Atemwege werden infolge der gestörten Mund-Nasenatmung fehlerhaft belüftet. Dies bewirkt eine Irritation der Schleimhäute im Bronchialsystem. Die deutliche schlechtere Mittelohrraumbelüftung infolge der Gaumenspalte kann zu gehäuften Mittelohrentzündungen führen, die einer langen Behandlung bedürfen. Die gestörte Koordination der Schluck-Atemphase durch die Gaumenspalte macht gerade in den ersten Lebensmonaten nicht nur Atem-, sondern auch Schluckprobleme, vor allem bei der Nahrungsaufnahme. Kinder mit gehäuften Infekten sind für die Entwicklung einer abnormen Verhaltensweise anfällig. Sie bedürfen wegen dieser Störungen einer besonderen Betreuung. Die erfolgte Penicillinbehandlung durch den Hausarzt und durch den Kinderfacharzt war beim Kläger absolut indiziert, da es galt, schwere Komplikationen wie Lungen- und Mittelohrentzündungen zu verhindern. Am 5.12.1988 verschrieb der Kinderfacharzt erstmals das Antiallergikum "Zaditen". Dieses Antiallergikum muß über einen Zeitraum von Monaten bis Jahren verabreicht werden. Beim Kläger wurde dieses Mittel nur einen Monat lang verwendet, was beim Beschwerdebild ein zu kurzer Zeitraum war. Der behandelnde Kinderfacharzt hatte beim Kläger nach den gehäuften Infekten, der letzte mit einer spastischen Bronchitis einhergehend, auf eine allergische Komponente dieser Erkrankung geschlossen und aus diesem Grund völlig zu Recht "Zaditen" verordnet. Der Kläger hätte aber nicht nur mit diesem Antiallergikum behandelt werden können. Eine längere Gabe dieses Medikaments kann die allergische Neigung zur Erkrankung durch eine Stabilisierung von dafür verantwortlichen Zellen deutlich vermindern. Die Verabreichung des Antiallergikums "Zaditen" war nicht nur zweckmäßig, sondern auf Grund der Symptomatik notwendig. Eine Flasche "Zaditen-Saft" mit 250 ml Inhalt kostet S 548,50. Bei einer Verordnung von rund 10 ml pro Tag kann mit dem Inhalt einer Packung durch 25 Tage die gewünschte Dosis verabreicht werden. Bei einer Behandlungsdauer von 6 Monaten errechnen sich dafür Kosten von S 3.291,--.

Homöopathische Mittel werden nach den Richtlinien des Arzneibuches hergestellt und gelten aus diesen Gründen als Heilmittel (im weiteren Sinn). Die Wirkungsweise der homöopathischen Medikamente - in ihrer wirksubstanzarmen Verdünnung - ist weder erklärbar noch durchschaubar, weil sie sehr oft als wirksubstanzlos - in so starken Verdünnungen - angesehen werden. Die medizinische Betreuung nach den Grundsätzen der sogenannten Schulmedizin war im Fall des Klägers erfolgversprechender, weshalb man diese ohne weiteres fortsetzen hätte können. Die Eltern des Kindes entschlossen sich jedoch für eine homöopathische Medikation. Erfolge dieser Art der Betreuung lassen sich nicht beweisen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo der Kläger mit schulmedizinischen Medikamenten behandelt wurde, war die Behandlung nach den Richtlinien der Schulmedizin in Ordnung. Bei Verabreichung von Antibiotika über einen längeren Zeitraum können von Seiten des Magen-Darm-Traktes Nebenwirkungen auftreten. Die Kosten für das Antiallergikum "Zaditen" können den Kosten für die homöopathischen Medikamente nicht gegenübergestellt werden.

Mit Bescheid der beklagten Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter vom 12.2.1991 wurde der Antrag auf Kostenersatz für die bezogenen homöopathischen Mittel und diverse andere Präparate im Betrag von S 27.255,60 abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, die Verabreichung der näher genannten Präparate habe nicht als notwendig anerkannt werden können, weil der behauptete Zusammenhang von Wirkung der Präparate und der Erkrankung nicht objektivierbar und nachvollziehbar sei.

Mit der rechtzeitigen Klage wird die Zahlung des Betrages von S 27.255,60 samt 4 % Zinsen begehrt. Da es durch die Behandlung des Kindes mit herkömmlichen Medikamenten zu den erwähnten Nebenerscheinungen gekommen sei (Verhaltensstörung mit Schwächung des körpereigenen Immunsystems) und eine Besserung der chronischen Bronchitis nicht in Aussicht schien, sei eine längerfristige Behandlung durch homöopathische Heilmittel angeordnet worden. Dadurch sei es bald zu einer deutlichen Besserung des Gesundheitszustandes des Kindes gekommen. Es habe sich gezeigt, daß die homöopathische Behandlung zielführender gewesen sei als die konventionelle Behandlung. Die Verordnung homöopathischer Mittel sei zweckmäßig gewesen, so daß die Beklagte auch die Kosten für diese Mittel zu ersetzen habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der behauptete Zusammenhang zwischen den Homöopathika und der Besserung des Gesundheitszustandes sei nicht nachvollziehbar und objektivierbar. Es handle sich offenbar um eine kindliche Entwicklungsstörung, möglicherweise auf Grund der Frühgeburt, deren Auswirkungen sich im Laufe des Heranwachsens von selbst gebessert hätten. Bei den injizierten Präparaten handle es sich Großteils um Komplexpräparate, deren Kostenübernahme abgelehnt werde.

Das Erstgericht wies - auch im zweiten Rechtsgang - das Klagebegehren zur Gänze ab. Die Krankenbehandlung müsse ausreichend und zweckmäßig sein, dürfe jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Daß ein Heilmittel im Heilmittelverzeichnis nicht enthalten sei, könne für sich allein das Recht des Klägers auf dieses Heilmittel nicht ausschließen, wenn es in seinem Behandlungsfall den gesetzlich festgelegten Kriterien einer ausreichenden, zweckmäßigen und das Maß des Notwendigen nicht überschreitenden Krankenbehandlung diene. Es müsse gefordert werden, daß zur Behebung eines regelwidrigen Körperzustandes (Krankheit) zunächst eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst versucht werde, dies zumindest dann, wenn diese dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechend kostengünstiger sei. Nur wenn eine solche Behandlung erfolglos geblieben sei oder nicht zur Verfügung stehe oder die Kosten der Außenseitermethode etwa jenen der üblichen Methode entsprechen, stelle sich die Frage nach der Honorierung einer dann angewendeten Außenseitermethode. Im vorliegenden Fall könne man nicht davon sprechen, daß eine zumutbare Behandlung mit wissenschaftlich anerkannten Methoden nicht erfolgversprechend gewesen wäre. Dem Kläger sei auch der Beweis dafür, daß eine Besserung auf Grund der angewendeten Außenseitermethode eingetreten sei, nicht gelungen. Die Penicillinbehandlung habe weder zu einer Schwächung des Immunsystems noch zu einer Änderung der psychischen Verhaltensweise geführt. Das Klagebegehren sei daher nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die negative Feststellung des Erstgerichtes, daß Wirkungen der dem Kläger verordneten homöopathischen Mittel nicht feststellbar seien, beruhe auf dem Gutachten des gerichtsärztlichen Sachverständigen. Damit sei in Form einer negativen Feststellung die Frage der Wirksamkeit der homöopathischen Mittel zur Gänze behandelt. Dem Kläger könne auch darin nicht gefolgt werden, daß die Behandlung mit den homöopathischen Mitteln zweckmäßig und notwendig gewesen sei und tatsächlich zu einer Besserung geführt habe. Nach den Feststellungen sei der Kläger nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst behandelt worden, diese Methode wäre auch durchaus erfolgversprechend gewesen. Die vom Kläger behaupteten Nebenwirkungen dieser Behandlung, nämlich Verhaltensstörungen und Schwächung des Immunsystems, würden nicht zutreffen, so daß die Weiterführung der anerkannten Behandlungsmethode durchaus zumutbar gewesen wäre. Der Beweis dafür, daß die gewählte homöopathische Behandlung zumindest gleich kostengünstig gewesen wäre, sei gar nicht angetreten und auch nicht erbracht worden. Davon ausgehend könne die Frage des Anscheinsbeweises dafür, daß durch die Behandlung mit den Homöopathika die Besserung des Zustands des Klägers herbeigeführt worden sei, auf sich beruhen, da sie für sich allein nicht entscheidungswesentlich sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Abklärung, inwieweit die Kosten homöopathischer Mittel zu ersetzen seien, über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Er beantragt die Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Nach § 62 Abs 2 B-KUVG (ebenso § 133 Abs 2 ASVG ua) muß die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Dienstfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden. Nach § 62 Abs 1 B-KUVG umfaßt die Krankenbehandlung ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe und Hilfsmittel. Die Heilmittel umfassen nach § 64 Abs 1 B-KUVG (§ 136 Abs 1 ASVG) sowohl die notwendigen Arzneien als auch die sonstigen Mittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolges dienen. Bei Gewährung der ärztlichen Hilfe ist das Gebot der wirtschaftlichen Behandlungsweise zu beachten: Das Krankenversicherungsrecht ist zwar einerseits bestrebt, die ärztliche Behandlungsfreiheit weitgehend zu respektieren, zum anderen aber muß es Fällen von "Überarztung" vorbeugen. Es ist auch nicht Sache des Krankenversicherungsträgers, die Kosten für medizinische Experimente zu tragen. Die Kosten einer von der Wissenschaft noch nicht anerkannten Behandlungsmethode (Außenseitermethode) sind aber zu ersetzen, wenn zunächst eine - kostengünstigere - zumutbare Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln vergeblich versucht wurde und die Außenseitermethode beim Versicherten erfolgreich war oder doch nach den bisherigen Erfahrungen ein Erfolg erwartet werden durfte (Binder in Tomandl SV-System 5. ErgLfg 206; SZ 62/210 = SSV-NF 3/154 jeweils mwN).

Homöopathie ist ein durch Samuel Hahnemann (1755-1843) begründetes medikamentöses Therapieprinzip, das Krankheitserscheinungen nicht durch exogene Zufuhr direkt gegen die Symptome gerichteter Substanzen behandelt (sog. Allopathie), sondern bei dem (meist in niedriger Dosierung) Substanzen eingesetzt werden, die in hoher Dosis den Krankheitserscheinungen ähnliche Symptome hervorrufen. Dieses sog. Ähnlichkeitsprinzip der Homöopathie (lat. "Similia similibus curentur") wird in der klassischen Homöopathie ergänzt durch ein komplexes System von Zuschreibungen sowohl im Hinblick auf Patientengemeinschaften (Konstitutionstypen) als auch im Hinblick auf die eingesetzten Arzneimittel, das bei der individuellen Verordnung berücksichtigt wird. Die Arzneistoffe werden zum Teil extrem niedrig dosiert (sog. Potenzen), wobei der Ausgangsstoff meist in Dezimalpotenzen verdünnt wird und der Dezimalexponent die Verdünnungsstufe charakterisiert (Pschyrembel, Klin. Wörterbuch256 716). Die Homöopathie grenzt sich in allen ihren wesentlichen Merkmalen deutlich und unmißverständlich von der Schulmedizin ab (Dorcsi, Homöopathie heute. Ein praktisches Handbuch [1993], 122). Sie ist bis heute von der Schulmedizin nicht vollends anerkannt.

In der Bundesrepublik Deutschland, wo das Wirtschaftlichkeitsgebot im § 12 SGB V verankert ist, hat der Arzt in der kassenärztlichen Versorgung, wenn anerkannte Behandlungsmethoden fehlen oder im Einzelfall ungeeignet sind, auch solche Außenseitermethoden in Erwägung zu ziehen, deren Wirksamkeit zwar nicht gesichert ist, aber für möglich gehalten werden muß, also beispielsweise auch homöopathische Präparate (BSGE 63, 102; vgl Schlenker, Die Außenseitermedizin und das System der gesetzlichen Krankenversicherung, SGb 1992, 530).

Die Frage der Kostenübernahme durch Krankenversicherungsträger wurde in Österreich schon vor Jahren streitig. Das Oberlandesgericht Wien als letzte Instanz in Leistungsstreitsachen orientierte sich zunächst an den vom Hauptverband nach § 31 Abs 3 Z 11 ASVG erlassenen Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Arzneimitteln und Heilmitteln sowie Heilbehelfen (RöV), worin damals die Verordnung von Homöopathika auf Kassakosten "grundsätzlich" ausgeschlossen wurde. Es forderte sodann eine gesetzeskonforme, an § 133 Abs 2 ASVG orientierte Interpretation und bejahte einen Kostenersatzanspruch für Homöopathika, wenn eine Behandlung mit diesen nach dem Leidenszustand erforderlich erschien. Dies sei der Fall, wenn die Behandlung mit anderen im Spezialitätenverzeichnis enthaltenen Medikamenten Nebenwirkungen zeitigten, die bei Homöopathika nicht auftreten. Der Nachweis der vorherigen Verwendung der im Spezialitätenverzeichnis enthaltenen Mittel müsse hiebei aber nur erbracht werden, wenn bei in etwa gleichem therapeutischen Nutzen die Preise der Homöopathika bedeutend höher lägen (SSV 24/65; dazu Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 [151]).

Diese eher offenen Formulierungen wurden jedoch in der weiteren - dieselbe Rechtssache betreffenden - Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien SSV 26/69 teilweise wieder zurückgenommen. Da die genannten RöV durch Beschluß des Hauptverbandes für verbindlich erklärt und in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit" kundgemacht worden seien, handle es sich dabei um eine Verordnung, die nicht nur die Sozialversicherungsträger und ihre Vertragsärzte, sondern auch die Schiedsgerichte der Sozialversicherung binde. Es liege dabei innerhalb der durch das Gesetz bestimmten Grenzen im Ermessen des Hauptverbandes, welche Heilmittel er in die Richtlinien aufnehme. Dies gelte insbesondere für die Aufnahme homöopathischer Heilmittel. Würden sie nicht aufgenommen, so könnten hierauf weder die Versicherungsträger noch der Versicherte noch die Schiedsgerichte Einfluß nehmen. Bei gesetzeskonformer Auslegung des die homöopathischen Heilmittel betreffenden Punktes 15 lit h der RöV sei dem Versicherten ein Anspruch auf Übernahme der Kosten solcher Mittel dann zuzuerkennen, wenn dies infolge seines Leidenszustandes und nach den Ergebnissen der Behandlung mit diesen Mitteln notwendig sei. Dies folge aus der im § 31 Abs 1 Z 11 ASVG für die RöV festgesetzten Grenze, daß hiedurch der Heilzweck nicht gefährdet werden dürfe. Im konkreten Fall sei das Leiden des Klägers zumindest mit einem im Spezialitätenverzeichnis enthaltenen Medikament erfolgreich und ohne Nebenwirkungen zu behandeln gewesen. Aus diesem Grund bestehe kein Anlaß und keine Möglichkeit, den auf Grund der Richtlinien nur als Ausnahme zu bejahenden Anspruch auf Übernahme der Kosten homöopathischer Mittel als gegeben anzusehen.

Diese Entscheidung wurde von Binder (Aktuelle Fragen im Leistungsrecht der Krankenversicherung, ZAS 1990, 11 [16]) mit dem Hinweis auf das Fehlen der Gesetzeskonformität der RöV kritisiert. Ein im Einzelfall erfolgreich erprobtes und annähernd preisgleich liegendes Homöopathikum sollte daher vom Arzt auf Kassenkosten gleichrangig mit schulmedizinischen Mitteln verordnet werden können. Schließlich sei nicht zu übersehen, daß das Arzneimittelgesetz auf die homöopathischen Arzneimittel ausdrücklich Bezug nehme und für sie eine besondere Zulassung und Registrierung vorschreibe.

Auf die Frage der Gesetzeskonformität der (alten) RöV ist nicht mehr näher einzugehen. Mit 1. Juli 1990 sind nämlich geänderte Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Arznei- und Heilmitteln sowie Heilbehelfen gemäß § 31 Abs 3 Z 11 ASVG in Kraft getreten. In § 7 der neuen RöV sind nunmehr jene Mittel angeführt, für die der Chef-(Kontroll-)Arzt keine Bewilligung erteilen darf. Ausnahmen sind hiebei nicht zulässig; dies ist ein absolutes Verbot. Der in den bisher geltenden Richtlinien vorgesehene Ausschluß der Gewährung von Homöopathika ist nunmehr nicht mehr vorgesehen; daraus ist zu schließen, daß Homöopathika demnach mit chef-(kontroll-)ärztlicher Bewilligung - da sie jedenfalls nicht zu den frei verschreibbaren Heilmitteln gehören - für Rechnung der Krankenversicherungsträger abgegeben werden können (Choholka in SoSi 1990, 293 [294]). Aus dieser Änderung der RöV wurde in der erstinstanzlichen Judikatur bereits abgeleitet, daß die im Hauptverband vertretenen Krankenversicherungsträger einer nachträglichen Kostenübernahme privat bezogener und bezahlter, ärztlich verordneter Homöopathika grundsätzlich zugänglich sind, wenn Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verschreibung gegeben sind (LG Innsbruck ZAS 1993 Heft 4 Jud Beil 16 = ARD 4499/31/93; vgl. auch LG Graz SVSlg

34.661 und LG Salzburg SVSlg. 34.662). Dieser Auffassung ist beizutreten, wobei allerdings weitere Bestimmungen der RöV in die Betrachtung einzubeziehen sind:

Nach deren § 1 Abs 1 haben die Krankenver- sicherungsträger nach Maßgabe dieser Richtlinie die Kosten ärztlich verschriebener Heilmittel zu tragen, soweit sie für eine ausreichende und zweckmäßige, das Maß des Notwendigen nicht überschreitende Krankenbehandlung erforderlich sind. Wesentlicher Grundsatz dieser Richtlinien sind Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit von Verschreibungen. Nach der Definition des § 2 ist die Verschreibung von Heilmitteln oder Heilbehelfen durch den behandelnden Arzt zweckmäßig und wirtschaftlich, wenn die Verschreibung geeignet ist, den größtmöglichen therapeutischen Nutzen zu erzielen und die Behandlungskosten im Verhältnis zum Erfolg und zur Dauer der Behandlung möglichst gering zu halten. Bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ist insbesondere darauf Bedacht zu nehmen (Abs 2), ob von mehreren therapeutisch geeigneten Heilmitteln das ökonomisch günstigste Heilmittel gewählt wurde, ob im Einzelfall die Verschreibung einer kleineren Menge eines Heilmittels im Hinblick auf die Art und Dauer der Erkrankung zweckmäßiger und wirtschaftlicher wäre, ob bei einer chronischen Krankheit die Verschreibung einer größeren Menge zweckmäßiger und wirtschaftlicher wäre als die wiederholte Verschreibung von kleinen Mengen und letztlich ob gegebenenfalls statt der Verschreibung von Heilmitteln überhaupt andere z.B. hygienische, physikalische, diätetische oder psychotherapeutische Maßnahmen zweckmäßiger und wirtschaftlicher wären. Hat der Versicherungsträger nach den Bestimmungen dieser Richtlinien die Kosten für Heilmittel ohne chef-(kontroll-)ärztliche Bewilligung zu übernehmen, so wird vorerst grundsätzlich die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit angenommen (§ 2 Abs 3). Nach § 4 Abs 2 Z 4 ist jedoch eine chef-(kontroll-)ärztliche Bewilligung erforderlich, wenn es sich um eine magistrale Zubereitung eines Homöopathikums handelt.

Nach Auffassung des erkennenden Senates kann somit ein Kostenersatz für homöopathische Mittel - wie bei jeder Außenseitermethode - nur dann gewährt werden, wenn der Einsatz dieser Mittel einer zweckmäßigen Krankenbehandlung entspricht und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Dies setzt voraus, daß zunächst eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln versucht wurde, dies zumindest dann, wenn diese kostengünstiger ist. Weitere Voraussetzung für den Kostenersatzanspruch ist, daß die Behandlung beim Versicherten erfolgreich war oder von ihr nach den Ergebnissen einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen ein Erfolg erwartet werden konnte, sie sich also als erfolgversprechend darstellte.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist nicht davon auszugehen, daß die homöopathische Behandlung des Klägers einen Erfolg hatte oder auch nur erfolgversprechend war. Nach diesen den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen lassen sich Erfolge bei der Behandlung des klägerischen Leidens durch eine homöopathische Medikation nicht beweisen, während die weitere Betreuung nach den Grundsätzen der Schulmedizin durchaus zumutbar und erfolgversprechend gewesen wäre. Daraus folgt, daß die zusätzliche Behandlung des Klägers mit homöopathischen Mitteln das Maß des Notwendigen überschritt und somit kein Anspruch auf eine Kostenübernahme durch die Beklagte besteht. Die Revisionsausführungen, wonach die Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln versagt habe und erst mit der Behandlung durch die Außenseitermethode eine Besserung eingetreten sei, gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da eine höchstgerichtliche Judikatur zum Ersatz von Kosten homöopathischer Mittel bisher nicht vorliegt, die Entscheidung also von der Lösung einer Rechtsfrage iS des § 46 Abs 1 Z 1 ASGG abhängt, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger die Hälfte seiner Revisionskosten zuzusprechen (SSV-NF 6/61 ua).

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