Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 8.811,76 (darin S 1.461,96 Umsatzsteuer und S 40,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 5.433,60 (darin S 905,60 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit November 1980 bei der beklagten Partei als Küchenhilfe beschäftigt. Am 30.11.1991 wurde sie gemäß § 82 lit d GewO 1859 entlassen.
Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin S 100.000 brutto sA an Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung. Sie sei - zu Unrecht - entlassen worden, weil sie nach Kantinenschluß am Samstag zwei Weckerl im Verkaufswert von S 5, die ohnehin weggeworfen worden wären, mitgenommen habe. Hätte sie gefragt, hätte man ihr überdies die Mitnahme der Weckerl - wie schon früher - gestattet.
Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin sei berechtigt entlassen worden, da sie beim Verlassen des Hauses in ihrer Tasche sieben Kornweckerl und drei Personalessen mitgeführt habe. Ähnliche Vorfälle seien schon berichtet und die Klägerin sei diesbezüglich wiederholt ermahnt worden.
Da der Klägerin S 6.347 zuviel an Entgelt ausgezahlt worden sei, werde dieser Betrag einer allenfalls zu Recht bestehenden Klageforderung gegenüber aufrechnungsweise eingewendet.
Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit S 80.000 brutto sA als zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren mit S 80.000 brutto sA statt; das Mehrbegehren wies es ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Die Klägerin arbeitete in der Essensausgabe und zeitweise an der Kantinenkasse. Auf Grund von Informationen, daß die Klägerin angeblich unerlaubt Essen mitnehme, beschlossen die Personalleiterin und der Restaurantleiter, die Klägerin am 30.11.1991 (einem Samstag) beim Verlassen der Arbeit zu kontrollieren. Die Klägerin erklärte zunächst, sie habe ihr Essen mit, das sie nicht eingenommen habe und bezahlte Weckerl. Dazu wies sie einen Kassabon über S 20 vor. In ihrer Tasche waren aber sieben Weckerl im damaligen Wert von je S 4 und drei Plastikgeschirre mit Essen, das etwa drei Mahlzeiten entsprach.
Die betreffenden Arbeitnehmer der beklagten Partei haben Anspruch auf ein Personalessen. Wenn es wegen Zeitmangels nicht möglich ist, dieses Essen im Betrieb einzunehmen, kann der Arbeitnehmer die Mahlzeit mitnehmen; er muß aber vorher den Restaurantleiter fragen. Die Klägerin hat zwar nicht gefragt; es ist aber auch nicht erwiesen, ob sie auf die Pflicht zur Anfrage jemals ausdrücklich hingewiesen wurde.
Die Essensreste werden einem Landwirt überlassen, der sie zur Fütterung seiner Schweine abholt. Backwaren werden als Retourware verrechnet und durch Frischware ersetzt. Es ist nicht erwiesen, daß der Klägerin diese Regelung bekannt war. Es ist auch nicht erwiesen aber auch nicht widerlegt, daß die Klägerin auf Grund des Bons S 20 für die Weckerl gezahlt hat. Aus Gründen der Beweislastverteilung ist aber davon auszugehen, daß die Klägerin fünf Weckerl bezahlt hat.
Eine Anzeige wurde von der beklagten Partei nicht erstattet.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß auch die Entwendung einer Sache geringen Werts einen Entlassungsgrund bildet, es sei denn, daß besondere Umstände des Falls eindeutig gegen die Annahme der Vertrauensunwürdigkeit sprächen. Die Klägerin habe seit 1980 anstandslos für die beklagte Partei gearbeitet; ähnliche Vorfälle oder Verwarnungen seien im Beweisverfahren nicht hervorgekommen. Der Vorwurf gegen sie beschränke sich letztlich auf die unerlaubte Mitnahme von zwei Kornweckerl und zwei Portionen Restessen. Sie habe aber - unwiderlegt - der Meinung sein können, daß beides nicht mehr verwertbar sei und daher für die beklagte Partei keinen Wert mehr habe. Diese besonderen Umstände ließen eine "voll berechtigte" Entlassung nicht zu. Die Klägerin treffe aber gemäß § 1304 ABGB ein Mitverschulden, das zur Kürzung der der Höhe nach nicht weiter bestrittenen entlassungsabhängigen Ansprüche führe. Die Gegenforderung der beklagten Partei sei weder näher substantiiert worden noch im Beweisverfahren hervorgekommen.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin durch ihr Verhalten nicht den Tatbestand der Entwendung gemäß § 141 StGB verwirklicht habe, sondern den Tatbestand des Diebstahls gemäß § 127 StGB oder der Veruntreuung nach § 133 StGB. Das Vorliegen der Vertrauensunwürdigkeit brauche daher im Sinne des § 82 lit d GewO 1859 nicht mehr geprüft werden (DRdA 1991/48). Der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat der Klägerin bleibt nicht wesentlich hinter dem für derartige Delikte typischen Ausmaß zurück. Besondere Umstände, die dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung der Klägerin ausnahmsweise nicht unzumutbar gemacht hätten, seien nicht zu erkennen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Der Mängelrüge der Klägerin ist insoweit zu folgen, als sie eine unzulässige Vermengung von Feststellungen und der daraus gezogenen rechtlichen Schlüsse aufzeigt. Das Erstgericht ist nicht nur im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zum Ergebnis gekommen, daß die Essensreste üblicherweise zur Schweinefütterung verwendet werden. Das Erstgericht stellte vielmehr ausdrücklich fest, daß die Essensreste einem Bauern überlassen werden, der sie zur Schweinefütterung abholen kann (S 59 d.A.). Diese Feststellung beruht auf der Aussage des ehemaligen Restaurantleiters der beklagten Partei, der bekundete, daß nicht mehr verwertbares Essen in den "Schweinekübel" komme und von einem Bauern geholt werde (S 25 d.A.). Von dieser Feststellung konnte das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung nicht abgehen. Im Hinblick darauf, daß das Kaufhaus und die Kantine der beklagten Partei am Sonntag nicht geöffnet sind und es sich bei den mitgenommenen Personalessen um "Geschnetzeltes", Reis und Salat (S 52 d. A.) handelte, so daß eine Wiederverwendung dieser Reste am nächsten Werktag nicht in Frage kam, ist der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung gezogene Schluß des Erstgerichtes, daß die Klägerin - unwiderlegt - der Meinung sein konnte (richtig: durfte), daß beides nicht mehr verwertbar sei und daher für die beklagte Partei keinen Wert mehr habe, nicht unzutreffend. Ob sie dieser Meinung sein durfte, fällt aber in den Bereich der rechtlichen Beurteilung, so daß es unerheblich ist, ob das Berufungsgericht diese "Feststellung" übernommen hat oder nicht.
Auch der Rechtsrüge kommt Berechtigung zu.
Während für das Vorliegen einer Entlassung grundsätzlich der (klagende) Arbeitnehmer beweispflichtig ist, hat der Arbeitgeber den Nachweis eines im Zeitpunkt der Entlassungserklärung vorliegenden, vom Gesetz gebilligten Entlassungsgrundes zu erbringen (Kuderna, Das Entlassungsrecht 30; Arb 9492; 9 ObA 213/93 ua). Das Erstgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß der beklagten Partei der Beweis ihrer Vorwürfe nur hinsichtlich der unerlaubten Mitnahme zweier unbezahlter Weckerl und einer Menge an Personalessen gelungen ist, die den berechtigten Anspruch der Klägerin überstieg. Da diese - nicht wieder verwertbaren - Essensreste einem Landwirt zur Fütterung der Schweine übergeben worden wären - eine Kostenerstattung wurde weder behauptet noch festgestellt - durfte die Klägerin der Meinung sein, daß diese Reste für die beklagte Partei keinen Wert mehr haben.
Richtig ist, daß es bei der Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit einer auf einem Diebstahl gegründeten Entlassung grundsätzlich nicht auf den Wert des Deliktsobjektes ankommt (Arb 7824, 8227; 14 Ob 132,133/86 ua). Da in diesem Fall die Vertrauensunwürdigkeit subintelligiert wird, müssen demnach besondere Umstände vorliegen, die dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung ausnahmsweise nicht unzumutbar machen (Kuderna aaO 60; 4 Ob 118/85; SZ 63/207 = DRdA 1991/48 [mit Kritik von Pfeil] ua). Dabei ist auch das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (9 ObA 10/93 uva).
Die Klägerin war bei der beklagten Partei über elf Jahre hindurch als Küchengehilfin beschäftigt. Es gab keine Beanstandungen oder Verwarnungen. Abgesehen von der subjektiven Tatseite strafbarer Tatbestände, für die ebenfalls die beklagte Partei beweispflichtig gewesen wäre (4 Ob 133/85), beträgt der Verkaufswert der Deliktsobjekte lediglich S 8 (oder nach der Klage S 10), wobei nicht feststeht, welche Kosten der beklagten Partei dafür selbst aufgelaufen sind. Weder die Kornweckerl noch die restlichen Speisen hätten zufolge des Wochenendes noch verkauft werden können. Hinsichtlich der Essensreste wurde weder ein Kostenbeitrag durch den Landwirt behauptet noch festgestellt. Da die Essensreste in Plastikgeschirre abgefüllt waren, dürfte überdies eine exakte Portionierung über das der Klägerin ohnehin zustehende Ausmaß (zwei Portionen mehr) schwer nachzuvollziehen sein, da der Klägerin ein "Nachschlag" zu ihrem Personalessen, hätte sie es im Betrieb eingenommen, sicherlich nicht verweigert worden wäre. Die auf einer Schätzung beruhende Feststellung liegt daher eher im subjektiven Bereich (S 25 d.A.).
Insgesamt ergibt sich daraus im Hinblick auf die nahezu wertlosen Lebensmittelreste, der jedenfalls mangelnden Schuldintensität und der gesamten Umstände, unter denen die Tat begangen wurde, die Geringfügigkeit des Vorfalls, welche im Zusammenhang mit der langjährigen unbeanstandeten Tätigkeit der Klägerin für die beklagte Partei die Entlassung nicht rechtfertigen kann. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem, der der Entscheidung vom 21.11.1990, 9 ObA 295/90 (= DRdA 1991/48 = SZ 63/207) zugrunde lag. In diesem Fall handelte es sich zwar auch um den Entzug von Sachen geringen Werts (S 45,-), doch war hier das planmäßige Vorgehen der entlassenen Verkäuferin, welche die sechs Mehlspeisen, die noch hätten verkauft werden können, schon am Vormittag außerhalb der Geschäftsräume in der Garderobe versteckte, um sie nach Arbeitsschluß mitzunehmen, entscheidend. Ein solches planmäßiges Vorgehen ist aber der Klägerin nicht anzulasten, so daß die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest für die Kündigungsfrist für die beklagte Partei objektiv nicht ausgeschlossen war.
Die Kostenentscheidungen sind in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)