OGH 6Ob525/94

OGH6Ob525/9422.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Kindes *****, vertreten durch den obsorgeberechtigten Vater *****, wegen Übertragung der Obsorge an die Pflegeeltern, infolge Revisionsrekurses der Mutter *****, vertreten durch Dr.Walter Holme, Rechtsanwalt in Wels, gegen den zum Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 24.September 1993, GZ 2 P 17/89-27, ergangenen rekursgerichtlichen Beschluß des Landesgerichtes Wels vom 10.November 1993, AZ R 1004/93(ON 31), den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben und in Abänderung der angefochtenen Rekursentscheidung der antragsabweisliche erstinstanzliche Beschluß wieder hergestellt.

Text

Begründung

Der nunmehr im 9.Lebensjahr stehende Knabe kam als Kind eines im Juli 1961 geborenen Fernfahrers und dessen im Februar 1959 geborenen Ehefrau zur Welt. Die Ehe der Eltern wurde gemäß § 55 a EheG geschieden, die dabei getroffene Vereinbarung der Eltern, den damals im 4.Lebensjahr gestandenen Knaben der alleinigen Obsorge des Vaters zu überlassen, pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Der Knabe blieb in der Pflege und Erziehung einer im Juli 1949 geborenen Tante des Vaters und deren Ehegatten, bei denen der Vater auch nach seiner Ehescheidung selbst wohnte.

Die in der ehemaligen Ehewohnung verbliebene Mutter übte die gewerbsmäßige Prostitution aus, ging mit einem Tankstellenpächter eine Lebensgemeinschaft ein, heiratete diesen, verwitwete aber 1992 und ist nunmehr Tankstellenpächterin.

Der Knabe wächst weiter bei seiner Großtante und deren Ehemann heran. Zwischen dem Kind und seinen Pflegeeltern entwickelte sich eine volle Eltern-Kind-Beziehung. Eine Änderung der bestehenden Pflegeverhältnisse wird von niemandem angestrebt. Beide Elternteile bekunden in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Jugendwohlfahrtsträgers, daß die Betreuung des Kindes durch seine Pflegeeltern nichts zu wünschen übrig lasse.

Schwierigkeiten gab es in der Vergangenheit lediglich bei der Ausübung des Besuchsrechtes der Mutter, die die festgelegten Besuchszeiten nicht einzuhalten vermochte. Der tatsächlich gepflogene Mutter-Kind-Kontakt ist derzeit stark verkümmert.

Die Pflegeeltern beantragten die Übertragung der Obsorge für das Kind an sie. Sie erblicken in der berufsbedingten tagelangen Ortsabwesenheit des Vaters für den nicht auszuschließenden Fall plötzlich notwendiger Entscheidungen und Erklärungen des Obsorgeberechtigten eine Gefährdung des Kindeswohles.

Die Mutter, die zwar mit der Beibehaltung der Pflegeverhältnisse ausdrücklich einverstanden ist, stimmte der beantragten Übertragung der Obsorge an die Pflegeeltern im Gegensatz zum derzeit allein obsorgeberechtigten Vater nicht zu.

Derzeit gibt im Bedarfsfall die Pflegemutter mit Zustimmung des Vaters alle einem Erziehungsberechtigten zustehenden Erklärungen gegenüber der Schulbehörde ab.

Das Pflegschaftsgericht wies den Antrag der Pflegeeltern im Hinblick auf die verweigerte Zustimmung der Mutter und eine nicht erkennbare Gefährdung des Kindeswohles bei Aufrechterhaltung der seit der Ehescheidung der Eltern bestehenden Obsorgeregelung ab.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Antragsstattgebung ab. Dazu sprach es aus, daß eine Revisionsrekurszulässigkeitsvoraussetzung im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG vorliege.

Das Rekursgericht wertete die Zustimmungsverweigerung der Mutter zur Obsorgeübertragung an die Pflegeeltern der Sache nach als Rechtsmißbrauch. Eine Zustimmungsverweigerung des nicht obsorgeberechtigten Elternteiles ohne Angabe hinreichender Gründe, "praktisch aus einer Laune heraus", sei in einem Fall wie dem vorliegenden wegen offenkundiger Mißachtung des Kindeswohles unbeachtlich.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und berechtigt.

Es besteht kein Zweifel, daß die Voraussetzungen einer Obsorgeübertragung an die Pflegeeltern im Sinne des § 186a Abs 1 ABGB gegeben sind. Andererseits hat aber das Pflegschaftsgericht zutreffend erkannt, daß aus der Aufrechterhaltung der bisherigen Obsorgeregelung keine konkrete Gefährdung des Kindeswohles zu besorgen sei. In einem solchen Fall ist aber die Zustimmung der im § 186a Abs 2 ABGB genannten Personen unerläßlich und nicht ersetzbar. Der Revisionswerberin stand als Mutter während der ersten Lebensjahre ihres Sohnes gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann und Vater des Kindes die Obsorge für ihren Sohn zu. Die derzeitige Obsorgeregelung beruht auf einer pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vereinbarung der Eltern im Sinne des § 177 Abs 1 ABGB. Ob eine Maßnahme nach § 176 ABGB gerechtfertigt gewesen wäre, ist nun im nachhinein keinesfalls zu prüfen. Es kann daher unerörtert bleiben, ob § 186a Abs 2 ABGB einer teleologischen Einschränkung - im Sinne des von Pichler in Rummel2 ABGB § 186a Rz 2 vertretenen, von Schwimann in Schwimann ABGB § 186a Rz 4 und Klein in ÖAV 1992, 135 ff nicht geteilten Ansicht - bedarf.

Der Mutter würden auch im Fall einer Obsorgeübertragung an die Pflegeeltern grundsätzlich die Mindestrechte im Sinne des § 178 ABGB zustehen. Damit erhielten die tatsächlichen Beziehungen zwischen ihr und den Pflegeeltern ihres Kindes eine völlig andere rechtliche Eigenschaft. Erörterungen darüber sind in aller Regel für das Pflegeverhältnis nicht förderlich. Der Gesetzgeber hat sie offensichtlich aus diesem Grund bewußt dadurch ausgeschlossen, daß die Obsorgeübertragung an Pflegeeltern von der durch gerichtliche Entscheidung nicht ersetzbaren Zustimmung der im § 186a Abs 2 ABGB genannten Personen abhängig gemacht wurde. Daß die Obsorgeübertragung an die Pflegeeltern dem Wohl des Kindes entsprechen müsse, ist schon ein Erfordernis nach § 186a Abs 1 ABGB. Trotzdem verlangt der Gesetzgeber die Zustimmung der bisher oder ehemals obsorgeberechtigten Eltern oder Großeltern. Die Ausübung der diesen Personen damit eingeräumten rechtlichen Befugnis, die Einwilligung nicht zu erteilen, kann an sich noch nicht als Rechtsmißbrauch gewertet werden.

Der Antrag auf Obsorgeübertragung scheint nach der Aktenlage ebenso wie die Zustimmungsverweigerung der Mutter keinem aktuellen konkreten Umstand zu entspringen, sondern vielmehr taktischen Erwägungen für denkbare künftige Wechselfälle.

Nach den derzeitigen aktenkundigen Verhältnissen kommt der - nicht weiter zu begründenden - Zustimmungsverweigerung der Mutter volle Beachtlichkeit zu.

In Stattgebung des Revisionsrekurses war daher die erstinstanzliche Entscheidung auf Abweisung des Sorgerechtsantrages der Pflegeeltern wieder herzustellen.

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