OGH 7Ob9/94

OGH7Ob9/942.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Graf und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag.Wolfgang W*****, vertreten durch Dr.Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei M***** Versicherungsanstalt, ***** vertreten durch Dr.Lutz Hötzl und Dr.Manfred Michalek, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 55.000 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 25. Juni 1993, GZ 1 R 165/93-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 25. Jänner 1993, GZ 7 C 2232/92x-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Unterinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger schloß im Jahr 1978 bei der beklagten Partei eine Zusatzkrankenversicherung mit Standardtarif ab.

Er begehrt S 55.000 mit der Begründung, die beklagte Partei habe es schuldhaft unterlassen, ihn darauf hinzuweisen, daß für BVA-Versicherte Tarife mit wesentlich niedrigerer Prämie angeboten würden. Der Kläger habe erst vor kurzem hievon erfahren. Infolge der schuldhaften Verletzung der Aufklärungspflicht seitens der beklagten Partei sei ihm ein Schaden in der Höhe der Preisdifferenz zwischen den beiden Versicherungsvarianten entstanden.

Die beklagte Partei wendete ein, daß zwar im Jahr 1978 aufgrund von Verhandlungen zwischen der Personalvertretung der Bundesbediensteten und der privaten Krankenversicherer eine zusätzliche Tarifvariante für pragmatisierte Bundesbedienstete eingeführt worden sei. Darin seien jedoch niedrigere Rückvergütungssätze bzw teilweise geringere Leistungen als in der vom Kläger abgeschlossenen Versicherung vorgesehen. Es bestehe keine Benachrichtigungspflicht des Versicherungsunternehmens gegenüber dem Versicherungsnehmer über andere Tarifvarianten. Abgesehen davon habe die beklagte Partei eine entsprechende Information in ihrem "M*****-Magazin" eingeschaltet. Der Kläger habe keinen Schaden erlitten, weil er höhere Rückvergütungssätze in Anspruch habe nehmen können. Die Prämiendifferenz zwischen den beiden Versicherungsvarianten betrage im maßgeblichen Zeitraum von Mai 1978 bis Dezember 1989 lediglich S

43.184. Für die vor dem Juli 1989 auflaufende Differenz werde überdies Verjährung eingewendet.

Das Erstgericht wies die Klage ab, weil die Versicherung nicht verpflichtet sei, jeden Versicherungsnehmer über den für ihn günstigsten Tarif aufzuklären. Es wäre Sache des Klägers gewesen, sich über die von der beklagten Partei angebotenen Tarifvarianten zu informieren.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil seine Entscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur culpa in contrahendo nicht abgewichen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage vorliegt, ob die Versicherung nach Treu und Glauben verpflichtet ist, die Angehörigen einer bestimmten Gruppe auf die Möglichkeit einer prämiengünstigeren, für diese Gruppen eigens geschaffenen Versicherungsvariante hinzuweisen.

Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Unterinstanzen berechtigt.

Wie die beklagte Partei nunmehr in ihrer Revisionsbeantwortung selbst einräumt, wäre sie im Sinn von Lehre und Rechtsprechung über die vorvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten verpflichtet gewesen, den Kläger auf die eigens für Bundesbedienstete geschaffene Möglichkeit der für diese preislich günstigeren Tarifvariante hinzuweisen, sollte diese Versicherungsmöglichkeit bereits im Zeitpunkt des gegenständlichen Vertragsabschlusses mit dem Kläger von den Versicherungsunternehmungen angeboten worden sein. Das eminente Interesse von BVA-Versicherten, nach Möglichkeit eben diese und keine andere Versicherungsvariante abzuschließen, lag nach dem eigenen ausführlichen Vorbringen der beklagten Partei in erster Instanz über die Entstehungsgeschichte der damals neu geschaffenen Versicherungsvariante auf der Hand (vgl Prölss-Martin VVG25, 26,27, 331 mwN). Der vorliegende Sachverhalt ist nicht mit dem den vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen jeweils zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar, in denen davon auszugehen war, daß der künftige Versicherungsnehmer grundsätzlich selbst wissen muß, welchen wirtschaftlichen Zweck er mit der Versicherung verfolgt und auf welchen Deckungsumfang er besonderen Wert legt. Deshalb wurde in diesen Entscheidungen vor allem darauf abgestellt, ob der Antragsteller eine unzutreffende Meinung geäußert hat, unrichtig belehrt wurde oder trotz Nachfrage unrichtig oder mangelhaft aufgeklärt wurde (RdW 1986, 271 f, VersE 1474; SZ 57/94). Die Versicherung konnte im vorliegenden Fall nicht davon ausgehen, daß der Kläger von sich aus über die neue, spezielle Variante und deren Zustandekommen Bescheid wußte und sich dennoch bewußt für die ihm offenbar allein angebotene allgemeine Variante entschied.

Dieselben Erwägungen gelten auch für den Fall, daß die für die pragmatisierten Beamten geschaffene Variante im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Kläger zwar noch nicht am Markt angeboten worden, es aber für die Versicherung absehbar gewesen sein sollte, daß ein derartiger Tarif in Kürze angeboten werden wird. Die beklagte Partei hätte in diesem Fall den Kläger auf die bevorstehende, ihn betreffende Änderung im Bereich der Krankenzusatzversicherung hinweisen müssen.

Das Erstgericht hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die für den Kläger finanziell günstigere Variante schon im Zeitpunkt seines Vertragsabschlusses bestand oder nicht bzw wann die Versicherung davon Kenntnis erhielt, daß eine solche Variante in naher Zukunft angeboten werden wird. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht diesen Feststellungsmangel zu beheben haben. Sollte sich herausstellen, daß bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Möglichkeit bestand, zu den speziellen Bedingungen abzuschließen oder daß diese Möglichkeit konkret in absehbarer Zeit bevorstand, werden sich die Untergerichte weiters mit der - bestrittenen - Schadenshöhe und dem Verjährungseinwand der beklagten Partei zu befassen haben.

Der Argumentation der beklagten Partei, dem Kläger könne kein Schaden entstanden sein, weil die von ihm abgeschlossene Versicherungsvariante einen höheren Leistungsumfang vorgesehen habe, ist entgegenzuhalten, daß die beklagte Partei beweisen müßte, daß die Verletzung der Aufklärungspflicht für die Entscheidung des Klägers nicht kausal gewesen sei (Prölss-Martin VVG25, 27 mwN).

Auf die Frage, ob eine Benachrichtigungspflicht aufgrund einer Betreuungspflicht während des laufenden Vertragsverhältnisses besteht, braucht derzeit nicht eingegangen zu werden, weil sich der Kläger auf eine solche Betreuungspflicht nicht berufen hat (vgl hiezu Prölss-Martin VVG25, 6, 24 ff).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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