Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.812,48 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 302,08 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bei der beklagten Partei ab 18.September 1990 in einem Lehrverhältnis zur Ausbildung als Großhandelskaufmann beschäftigt. Die Klägerin löste am 28.Februar 1992 das Lehrverhältnis vorzeitig auf, weil sie ihren Lehrberuf aufgab. Im zweiten Lehrjahr hatte die Klägerin bis zur vorzeitigen Auflösung eine Dienstzeit von fünf Monaten und zehn Tagen zurückgelegt und 13 Tage Urlaub verbraucht.
Die Klägerin begehrt 3.592,90 S brutto sA an Urlaubsentschädigung für insgesamt 17 Werktage unverbrauchten Urlaubs. Die berechtigte vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses durch die Klägerin sei als begründeter vorzeitiger Austritt des Arbeitnehmers im Sinne des § 9 Abs 1 Z 2 UrlG zu werten.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Auflösungstatbestand des § 15 Abs 4 lit g BAG entspreche der Kündigung durch den Arbeitnehmer. Da die Klägerin das Lehrverhältnis in der ersten Hälfte des Urlaubsjahres beendet habe, gebühre ihr lediglich eine Urlaubsabfindung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dem berechtigten vorzeitigen Austritt eines Arbeitnehmers könne die Auflösung des Lehrverhältnisses durch die Klägerin nicht gleichgestellt werden, weil Gründe, die die Fortsetzung des Lehrverhältnisses unzumutbar gemacht hätten, von der Klägerin nicht einmal behauptet worden seien. Im BAG sei eine Kündigung des Lehrverhältnisses nicht vorgesehen, doch habe der Lehrling jederzeit die Möglichkeit, das Lehrverhältnis mit der Begründung zu beenden, er habe den Lehrberuf aufgegeben. Da die Auflösung des Lehrverhältnisses nach § 15 Abs 4 lit g BAG weitgehend der Arbeitnehmerkündigung entspreche, liege auch die Anwendung gleicher Rechtsfolgen und damit die Subsumtion unter § 9 Abs 1 Z 5 UrlG nahe.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Die Auflösung des Lehrverhältnisses wegen Aufgabe des Lehrberufes sei mit der Arbeitnehmerkündigung ident oder zumindest vergleichbar. Gehe man davon aus, daß der Fall der Auflösung des Lehrverhältnisses wegen Aufgabe des Lehrberufes durch den Lehrling im UrlG nicht geregelt sei, liege eine verdeckte Gesetzeslücke vor, die durch Analogie zu schließen sei. Anlaß für die Auflösung des Lehrverhältnisses sei zwar kein Verschulden des Lehrlings, wohl aber ein dem Lehrling zurechenbares Verhalten, das wie eine Arbeitnehmerkündigung zu behandeln sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Ebensowenig wie auf den Gegenstand der Entscheidung SZ 59/177 = Arb
10.560 = DRdA 1987/19 (Cerny) bildenden Fall der ex-lege Beendigung
des Lehrverhältnisses wegen Zurücklegung der Gewerbeberechtigung nach § 14 Abs 2 lit d BAG lassen sich die Rechtsfolgenanordnungen der §§ 9 und 10 UrlG unmittelbar auf den Austritt des Lehrlings wegen Aufgabe des Lehrberufes nach § 15 Abs 4 lit g BAG anwenden. In der zitierten Entscheidung ging der Oberste Gerichtshof davon aus, daß der Gesetzgeber bei der Regelung der Vergütung fälligen, aber unverbrauchten Urlaubs nur die typischen Endigungsgründe von Arbeitsverhältnissen vor Augen hatte und weitere, in Sondergesetzen geregelte Endigungsgründe nicht berücksichtigte. Damit liegt aber - trotz der Materialien, die nur im Zweifel maßgebend sind - eine verdeckte Gesetzeslücke vor, die durch Analogie zu schließen ist, um erhebliche Wertungswidersprüche durch Ungleichbehandlung gleichwertiger Sachverhalte zu vermeiden. Wie der Oberste Gerichtshof in der den Mutterschaftsaustritt nach § 23a Abs 3 AngG betreffenden Entscheidung Arb 10.411 = ZAS 1985/20 (Andexlinger) = DRdA 1986/18 (M.Schwarz) ausgesprochen hat, erfaßt § 9 Abs 1 Z 2 UrlG nicht eine besondere Kategorie eines "begründeten" Austritts aus Gründen, die denen für den vorzeitigen Austritt aus wichtigem Grund im Sinne der traditionellen arbeitsrechtlichen Terminologie (§§ 1162 ABGB; 26 Abs 2 AngG und 82a GewO 1859) nicht entsprechen. Noch weniger als der Mutterschaftsaustritt nach § 23a Abs 3 AngG entspricht der auf einem bloßen Willensentschluß des Lehrlings basierende Austritt nach § 15 Abs 4 lit g BAG dem gängigen Austritt aus wichtigem Grund. Diese Lösungsmöglichkeit ergibt sich nur aus der Besonderheit des Lehrverhältnisses als ex lege befristetes Dauerschuldverhältnis, für das eine vorzeitige Beendigung durch Kündigung nicht vorgesehen ist. Da der Gesetzgeber den Lehrling nicht gegen seinen Willen für die gesamte Dauer des Lehrverhältnisses binden wollte, räumte er ihm mit § 15 Abs 4 lit g BAG eine ebenso wie die Kündigung auf einem freien, nicht näher zu begründenden Willensentschluß beruhende Lösungsmöglichkeit ein. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Lehrling seinen Entschluß weder begründen noch einen Nachweis dafür erbringen muß, daß er den Lehrberuf tatsächlich aufgibt (siehe Berger-Fida-Gruber Berufsausbildungsgesetz § 15 Anm 104). Da die Erklärung, den Lehrberuf aufzugeben, nicht ausschließt, daß der Lehrling kurz danach seine Absicht ändert und wieder einen Lehrvertrag im selben Lehrberuf abschließt, kann auch bei Zugrundelegung der von Berger-Fida-Gruber aaO vertretenen Auffassung, der Gesetzgeber habe (dennoch) mit dieser Bestimmung nicht einen Auflösungsgrund schaffen wollen, der von der Willkür des Lehrlings abhängt, allein in der formalen Berufung auf den Entschluß zur Aufgabe des Lehrberufes - ohne Begründung und ohne Bindung für die Zukunft - keine so erhebliche Beschränkung des ansonsten völlig freien Willensentschlusses zur einseitigen Lösung des Lehrverhältnisses erblickt werden, daß eine analoge Anwendung der für die Arbeitnehmerkündigung in § 9 Abs 1 Z 5 UrlG getroffenen Rechtsfolgenanordnung sachlich nicht gerechtfertigt wäre. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß die bloß formale Berufung auf den Willen, den Lehrberuf aufzugeben, durch wichtige, den Lehrling begünstigende Vorteile gegenüber der Arbeitnehmerkündigung, wie das Fehlen von Frist und Termin und einer gleichwertigen Lösungsmöglichkeit für den Lehrberechtigten, mehr als aufgewogen wird.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)