OGH 7Ob581/93

OGH7Ob581/9319.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Patrick B*****, geboren ***** 1988, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft H*****, als besondere Unterhaltssachwalterin, infolge Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft H***** gegen die Entscheidung des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 11.Mai 1993, GZ 2 R 69/93-76, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Eggenburg vom 25.Februar 1993, GZ P 22/89-72, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der ***** 1988 geborene Patrick B***** ist der eheliche Sohn des Herbert und der Birgit Maria B*****, deren ***** 1988 vor dem Standesamt E***** geschlossene Ehe mit Beschluß des Bezirksgerichtes H***** 1989 einvernehmlich geschieden wurde. Der Minderjährige befindet sich in Obsorge der Mutter und wird in deren Haushalt betreut. Der Vater ist aufgrund des anläßlich der Scheidung abgeschlossenen Vergleiches zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 1.525 verpflichtet.

Am 10.September 1991 beantragte der Minderjährige, den vom Vater zu leistenden Unterhalt ab dem 1.September 1991 bis 31.Dezember 1991 auf monatlich S 2.060 und ab 1.Jänner 1992 auf monatlich S 2.130 zu erhöhen. Mit dem bisherigen Unterhalt könne das Auslangen nicht gefunden werden; die Mutter sei arbeitstätig und benötige während der Arbeitszeit eine Aufsichtsperson.

Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag mit der Begründung aus, aus dem vom landwirtschaftlichen Betrieb bezogenen Einkommen kaum seinen eigenen notdürftigen Unterhalt finanzieren zu können. Er beantragte seinerseits am 6.August 1992 die Herabsetzung des von ihm zu bezahlenden monatlichen Unterhalts auf S 1.200, weil die Getreideernte 1992 um 20 bis 30 % weniger Ertrag als im Vorjahr erbracht habe.

Der Unterhaltssachwalter sprach sich gegen den Herabsetzungsantrag aus und erklärte, der Vater sei im Hinblick auf seine Sorgepflicht verpflichtet, für ein ausreichendes Einkommen allenfalls in einer anderen Sparte als in der Landwirtschaft zu sorgen.

Das Erstgericht wies sowohl den Unterhaltserhöhungsantrag des Minderjährigen als auch den Herabsetzungsantrag des Vaters ab. Es traf dazu nachstehende Feststellungen:

Der Minderjährige befindet sich in Pflege und Erziehung der Mutter. Der Vater betreibt eine Landwirtschaft im Ausmaß von ca. 30 ha, aus der er ein jährliches betriebliches Gesamt(Rein)einkommen von S

37.671 erzielt. Dies ergibt sich aus dem "Gesamtdeckungsbeitrag" (Bruttoeinkommen) von S 368.642 abzüglich der Fixkosten von S 345.078 zuzüglich einer Mineralölsteuerrückvergütung von S 14.107. Die Fixkosten sind überdurchschnittlich hoch, weil in ihnen Kreditzinsen in der Höhe von S 148.196 wegen eines Schuldenstandes von ca. 1,8 Mio.S enthalten sind. Üblicherweise liegen die Fixkosten für eine vergleichbare Landwirtschaft bei S 319.000. Der Vater hat für betriebliche Zwecke einen Rahmenkredit von S 800.000 bei der Raiffeisenbank E***** aufgenommen, wofür im Jahre 1991 Zinsen in der Höhe von S 75.482 zu entrichten waren. Ein weiterer für Wirtschaftszwecke aufgenommener Kredit bei der Sparkasse H***** AG erfordert halbjährliche Zinsenzahlungen von S 14.268,70. An Privatentnahmen bezieht der Vater vier Schweine sowie Eier und Holz für den Selbstverbrauch. Die Privatentnahmen übersteigen nicht die jährlichen Einnahmen des Vaters. Das Erstgericht stellte noch fest, daß vom Jahresreineinkommen noch Kapitaltilgungen, Lebenshaltungskosten sowie die Sozialversicherungsbeiträge zu leisten seien, sodaß die Verschuldung jährlich zunehmen werde. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Vaters unter den gegebenen Verhältnisses sei nicht zu erwarten.

Es erörterte rechtlich, daß die Fixkosten einen Abzugsposten bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage darstellten. Auch für den Fall, daß der Vater infolge der defizitären Betriebsführung verpflichtet sein sollte, Verkäufe zu tätigen oder sonst unselbständig erwerbstätig zu sein, könne nicht gesagt werden, daß er dann ein Einkommen erzielen werde, das es ihm erlaube, Unterhaltsbeiträge in Höhe des Regelbedarfes zu leisten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Unterhaltssachwalters nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte rechtlich noch aus, daß ein Unterhaltspflichtiger grundsätzlich verpflichtet sei, seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen; tue er das nicht, werde er so behandelt, als beziehe er Einkünfte, die er bei einer zumutbaren Erwerbstätigkeit hätte erzielen können. Diese Verpflichtung könne auch zur Folge haben, daß dann, wenn keine entsprechenden Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit zu erwarten seien, die Verpflichtung zur Annahme einer unselbständigen Tätigkeit bestehe. Der vom Vater (tatsächlich) geleistete Unterhaltsbeitrag entspreche einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von rund S 9.500. Da der Vater Landwirt sei und besondere Fähigkeiten und Kenntnisse nicht behauptet worden seien, könnte er nur auf eine unselbständige Tätigkeit als landwirtschaftlicher Facharbeiter oder als Hilfsarbeiter verwiesen werden. Es wäre zweifelhaft, ob es ihm gelänge, eine Ganzjahresbeschäftigung zu erhalten, sodaß ein höheres erzielbares Einkommen als S 9.500 nicht als Unterhaltsbemessungsgrundlage angenommen werden könnte. Im konkreten Fall sei ein Berufswechsel für den Vater unzumutbar. Unter Berücksichtigung des Schuldenstandes von rund 1,8 Mio. S hätte die Aufgabe der selbständigen Tätigkeit zur Folge, daß die Landwirtschaft zumindest zu einem Teil verkauft werden müßte, ohne daß dadurch sichergestellt wäre, daß damit gleichzeitig eine wesentliche Verbesserung der Leistungsmöglichkeit des Vaters eintreten werde.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, inwieweit der Betreiber eines landwirtschaftlichen Betriebes verpflichtet sei, diesen Betrieb einzustellen und einen wesentlichen Teil des Betriebsvermögens zur Abdeckung der vorhandenen Schulden zu veräußern und danach eine unselbständige Erwerbstätigkeit anzunehmen, nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Nach § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Die Unterhaltsbemessung hat sich daher an den in dieser Gesetzesstelle genannten Faktoren, also vor allem neben den Bedürfnissen des Kindes an der Leistungsfähigkeit des zur Zahlung von Geldunterhalt verpflichteten Elternteiles zu orientieren. Durch die - mit dem Bundesgesetz über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes in diese Bestimmung aufgenommenen - Worte "nach Kräften" wurde die bisher von der Rechtsprechung - vorsichtig angewendete - Anspannungstheorie in das Gesetz aufgenommen (60 BlgNR 14. GP 21; Pichler in Rummel2 Rz 6 zu § 140; RZ 1991/25). Die Eltern müssen daher alle persönlichen Fähigkeiten, also ihre Leistungskraft, unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres Könnens ausschöpfen (4 Ob 518/91), doch kann ein Unterhaltspflichtiger nur auf ein seiner Ausbildung entsprechendes Durchschnittseinkommen angespannt werden (EFSlg 62.021). Bei Beurteilung der Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils ist allerdings, wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, nicht nur das durchschnittliche Arbeitseinkommen, sondern auch das Vermögen maßgebend, weil diese Faktoren die Lebensverhältnisse wesentlich bestimmen. Die Eltern müssen daher im Rahmen des Zumutbaren zur Erfüllung ihrer Unterhaltsverpflichtung auch ihr Vermögen angreifen, soweit die erforderliche Unterhaltsleistung nicht aus dem laufenden Einkommen bestritten werden kann (SZ 54/52; RZ 1991/44; EFSlg 65.010). Das Kriterium für die Zumutbarkeit ist dabei das Verhalten eines ordentlichen ("maßgerechten") Familienvaters (Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 247; Schwimann in Schwimann Rz 38 zu § 94). Jedenfalls darf der Unterhaltsschuldner unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nicht über seine konkrete Leistungsfähigkeit hinaus zu Unterhaltsleistungen verhalten werden. Es ist daher nach den obigen Kriterien jeweils nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles zu prüfen, ob und in welchem Umfang auch die Heranziehung des Vermögensstammes zur Unterhaltsbemessung zumutbar ist. Dabei ist jedenfalls auch zu beachten, ob das Vermögen der Erhaltung der Erwerbsmöglichkeit (oder auch der Befriedigung des angemessenen Wohnbedürfnisses) dient (Pichler in Rummel2 aaO Rz 4).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haftet der Entscheidung des Rekursgerichtes kein Rechtsirrtum an.

Auszugehen ist davon, daß der zur Leistung von Geldunterhalt verpflichtete Vater als Landwirt einer ca. 30 ha großen Landwirtschaft ein jährliches Reineinkommen von S 37.671 erzielt. Der von ihm vereinbarungsgemäß geleistete Unterhalt von S 1.525 aber entspricht zwar nicht dem Regelbedarf des Unterhaltsberechtigten, jedoch einem - angenommenen - Einkommen von rund S 9.500. Ginge man deshalb auch davon aus, daß der Vater verpflichtet wäre, eine seiner Ausbildung und seinem Können entsprechende unselbständige Tätigkeit zu ergreifen, sind doch keinerlei Umstände aktenkundig, nach denen er dadurch ein höheres Einkommen erzielen könnte. Das Rekursgericht hat zutreffend darauf verwiesen, daß der Vater nur auf die Tätigkeiten eines landwirtschaftlichen Facharbeiters oder eines Hilfsarbeiters verwiesen werden könnte, bei denen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände ein durchschnittliches höheres Einkommen voraussichtlich nicht erreicht werden könnte. Wurde aber der unterhaltspflichtige Vater ohnedies zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet, die einem von ihm auf diese Weise erzielbaren Einkommen entspricht, dann ist die vom Rekursgericht aufgeworfene Frage, ob er verpflichtet ist, zur Abdeckung seiner Verbindlichkeiten die Landwirtschaft zumindest zum Teil zu veräußern und danach eine unselbständige Erwerbstätigkeit anzunehmen, nicht mehr entscheidungswesentlich. Die Zumutbarkeit einer derartigen Veräußerung wäre im übrigen nach den oben angestellten Erwägungen nach dem Verhalten eines maßgerechten Familienvaters zu beurteilen. Dem Berufungsgericht ist aber darin beizupflichten, daß bei intakten Familienverhältnissen eine Veräußerung der Landwirtschaft zur Abdeckung der bestehenden Verbindlichkeiten ohne Aussicht auf andere bessere Erwerbsmöglichkeiten kaum in Betracht käme.

Unter den festgestellten Verhältnissen des Einzelfalles ist die bestehende Unterhaltsverpflichtung des Vaters seiner Leistungsfähigkeit angemessen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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