OGH 10ObS2/94

OGH10ObS2/9418.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinz Paul (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A***** P*****, Pensionist,***** Stainach, vertreten durch Dr.Rudolf Kaltenböck ua, Referenten der Arbeiterkammer für Steiermark, Ausseer Straße 42, 8940 Liezen, diese vertreten durch Dr.Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Juli 1993, GZ 8 Rs 2/93-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreis-(Landes)gerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Oktober 1992, GZ 22 Cgs 96/92-14, aufgehoben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, seinen Beschluß durch den Ausspruch zu ergänzen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt oder nicht.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 17.4.1992 lehnte die beklagte Partei die Gewährung einer Integritätsabgeltung für die Folgen des Unfalles des Klägers vom 10.11.1989 ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Gewährung einer Integritätsabgeltung in gesetzlicher Höhe zu verpflichten. Dem Dienstgeber des Klägers falle ein grob fahrlässiger Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften zur Last, weil er ungeachtet der von der Freileitung ausgehenden Gefahr dem Kläger Arbeiten aufgetragen habe, die in diesem Bereich zu verrichten gewesen seien, ohne für entsprechende Sicherheitsmaßnahmen Vorsorge zu treffen.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe den Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen selbst zu verantworten. Er habe unbedacht mit der Leiter in der Nähe der Freileitung hantiert. Dieser Vorgang sei für den Dienstgeber nicht vorhersehbar gewesen, zumal sich die Baustelle 15 m von der Freileitung entfernt befunden habe. Für Schutzmaßnahmen habe daher kein Anlaß bestanden. Ein Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften liege daher nicht vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dem Arbeitgeber des Klägers sei keine grobe Fahrlässigkeit unterlaufen. Er sei über die Starkstromleitung nicht informiert gewesen und habe die Annäherung an die Gefahrenquelle nicht voraussehen können, sie insbesondere im Hinblick auf den großen Abstand der Leitung von der eigentlichen Baustelle nicht voraussehen können. Der Kläger habe sich von sich aus in den Gefahrenbereich begeben. Es bestehe daher kein Anspruch auf die begehrte Leistung.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil über Berufung des Klägers auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück, wobei es aussprach, daß der Rekurs gegen seine Entscheidung zulässig sei. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes, erachtete jedoch die Feststellungsgrundlage ergänzungsbedürftig. Es lägen bestimmte Hinweise dafür vor, daß dem Dienstgeber des Klägers grob fahrlässiges Verhalten zur Last falle, doch seien Umstände, die das Berufungsgericht für die Beurteilung des Verschuldensgrades für maßgeblich erachte, ungeprüft geblieben. In diesen Punkten erweise sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, wie weit der Rekurs zulässig ist, kann aufgrund des Ausspruches des Berufungsgerichtes noch nicht beurteilt werden.

Gemäß § 213 a Abs 2 ASVG ist die Integritätsabgeltung als einmalige Leistung zu gewähren. Es handelt sich daher nicht um eine wiederkehrende Leistung im Sinne des § 45 Abs 4 ASGG. Gemäß § 82 ASGG hat die Klage in Sozialrechtssachen ein unter Bedachtnahme auf den erhobenen Anspruch hinreichend bestimmtes Begehren zu enthalten. Das von einem Versicherten erhobene Klagebegehren ist auch dann hinreichend bestimmt, wenn es auf Leistungen "im gesetzlichen Ausmaß" gerichtet ist. Insbesondere ist nicht erforderlich, daß das von einem Versicherten erhobene Klabegehren, wenn es auf Leistung gerichtet ist, einen bestimmten Geldbetrag anführt. Ein Begehren im "gesetzlichen Ausmaß" ist so zu verstehen, daß es auf das für den Versicherten Günstigste gerichtet ist. Unter diesen Gesichtspunkten ist daher das vorliegende, auf Gewährung einer Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Leistungsbegehren nicht zu beanstanden. Das Erstgericht wies dieses Begehren ab, ohne dessen ziffernmäßige Höhe zu erörtern. Das Berufungsgericht setzte sich wohl mit der für den maßgeblichen Bemessungszeitpunkt gültigen Höchstgrenze des Anspruches auf Integritätsabgeltung auseinander, zur Höhe des konkreten Begehrens hat es jedoch nicht Stellung genommen.

Gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist der Rekurs gegen einen im Berufungsverfahren ergehenden Beschluß ua zulässig, soweit das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und dem Gericht erster Instanz eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen oder die Sache an ein anderes Berufungsgericht verwiesen und dabei ausgesprochen hat, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist. Nach § 519 Abs 2 ZPO darf die Zulässigkeit des Rekurses nur ausgesprochen werden, wenn das Berufungsgericht die Voraussetzungen für gegeben erachtet, unter denen nach § 502 ZPO die Revision zulässig ist. § 519 ZPO ist gemäß § 2 ASGG auch im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden, zumal das ASGG hiefür keine Sonderbestimmung vorsieht. Anstelle des Verweises auf § 502 ZPO in § 519 Abs 2 ZPO hat jedoch § 46 ASGG zu treten, da das ASGG für die Zulässigkeit der Revision Sonderbestimmungen normiert. In arbeits- und sozialrechtlichen Verfahren ist die Zulässigkeit eines Rekurses nach dem § 519 Abs 1 Z 2 ZPO im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 46 Abs 2 ASGG auszusprechen; dies ergibt sich aus der Verweisungsbestimmung des § 46 Abs 2 ASGG (991 BlgNR 17.GP 74 f; 10 ObS 128/93).

Nach § 45 Abs 1 Z 1 ASGG hat das Berufungsgericht, wenn der Wert des Streitgegenstandes, über den es entscheidet, nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, in seinem Urteil auszusprechen, ob der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteigt. Wenn der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S nicht übersteigt, hat es auszusprechen, ob die Revision nach § 46 Abs 2 Z 1 ASGG zulässig ist. Nach § 45 Abs 5 ASGG hat ein solcher Ausspruch in Sozialrechtssachen in Verfahren über wiederkehrende Leistungen zu unterbleiben. Die Zulässigkeit der Revision ist in Fällen, in denen der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, 50.000 S nicht übersteigt, vom Vorliegen einer im Sinne des § 45 Abs 1 Z 1 ASGG qualifizierten Rechtsfrage abhängig; übersteigt der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, 50.000 S oder bildet ein Begehren auf wiederkehrende Leistungen den Gegenstand des Rechtsmittels, ist die Revision ohne weitere Voraussetzung zulässig.

Das Berufungsgericht hat daher im Fall des Ausspruches der Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluß dann, wenn der Streitgegenstand nicht ausschließlich in Geld besteht, auszusprechen, ob dieser 50.000 S übersteigt. Übersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstandes nach diesem Ausspruch den Betrag von 50.000 S, so unterliegt der Beschluß bei Erhebung eines Rekurses jedenfalls der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof. Andernfalls müßte vorerst geprüft werden, ob eine qualifizierte Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 Z 1 ASGG vorliegt. Mag auch das Berufungsgericht bei seinem Ausspruch der Zulässigkeit des Rekurses von einem 50.000 S übersteigenden Wert ausgegangen sein (siehe die Ausführungen zur Höhe der Integritätsabgeltung in der Begründung des Aufhebungsbeschlusses), ersetzt dies den erforderlichen Bewertungsausspruch nicht, weil die zweite Instanz der unrichtigen Auffassung gewesen sein könnte, es komme auf den Wert des Entscheidungsgegenstandes nicht an (4 Ob 27/92), weil es etwa das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs 4 ASGG annahm. Im übrigen ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 526 Abs 3 ZPO bei der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht gebunden, wohl aber an dessen Bewertungsausspruch (§ 504 Abs 4 ZPO; 1 Ob 11/92).

Da das Berufungsgericht den notwendigen Ausspruch im Sinne der §§ 500 Abs 2 Z 1, 519 Abs 2 ZPO unzutreffenderweise unterlassen hat, wird es diesen im Wege der Ergänzung (Berichtigung) des Spruches seines Aufhebungsbeschlusses nachzuholen haben.

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