Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Erstkläger die mit S 1.478,59 (davon S 246,43 Umsatzsteuer), dem Zweitkläger die mit S 1.087,20 (davon S 181,20 Umsatzsteuer) und dem Drittkläger mit S 1.783,01 (davon S 297,17 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger waren bei der R***** AG beschäftigt. Mit Beschluß vom 14.10.1991 wurde über das Vermögen ihres Dienstgebers der Konkurs eröffnet. Das Dienstverhältnis endete durch vorzeitigen Austritt der Kläger gemäß § 25 KO. Sämtliche Kläger meldeten - neben anderen Entgeltforderungen - Urlaubsentschädigungen im Konkurs an und begehrten von der Beklagten Insolvenz-Ausfallgeld, und zwar der Erstkläger für 54 Werktage S 128.674 netto, der Zweitkläger für 90 Werktagen S 194.939 netto und der Drittkläger für 61 Werktage S
171.118 netto. Mit den Bescheiden vom 12.5.1992 erkannte die Beklagte dem Erstkläger an Insolvenz-Ausfallgeld für Urlaubsentschädigung S 108.000, dem Zweitkläger S 180.000 und dem Drittkläger S 122.000 zu und lehnte das jeweilige Mehrbegehren (Erstkläger: S 20.674; Zweitkläger: S 14.939; Drittkläger: S 49.118) ab, weil die Ansprüche der Kläger gemäß § 1 Abs 3 Z 4 und Abs 4 IESG mit S 2.000 pro Werktag zu begrenzen seien.
Die Kläger behaupten, daß der Berechnung der Urlaubsentschädigung nicht Werktage, sondern Arbeitstage zugrundezulegen seien, weil dies bei der Gemeinschuldnerin immer so gehandhabt worden sei. Der offene Urlaub sei daher in Kalendertage umzurechnen. 54 (90, 61) Arbeitstage entsprächen 74 (126, 85) Kalendertagen. Der Erstkläger begehrt daher den Differenzbetrag von S 20.674, der Zweitkläger S 14.939 und der Drittkläger S 48.000 sA.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Im Verwaltungsverfahren sei die Urlaubsentschädigung unter Zugrundelegung von Werktagen begehrt worden. Das Vorbringen, daß die Berechnung durch die Gemeinschuldnerin immer nach Arbeitstagen vorgenommen worden sei, sei neu und daher unbeachtlich.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, dem Erstkläger S 20.000 netto sA, dem Zweitkläger S 14.939 netto sA, und dem Drittkläger S 24.000 netto sA zu zahlen und wies die Mehrbegehren (Erstkläger: S 674 netto sA, Drittkläger: S 24.000 netto sA) ab. Da der Urlaub im Unternehmen der Gemeinschuldnerin immer in Arbeitstagen berechnet wurde, seien diese in Werktage umzurechnen, so daß sich beim Erstkläger 64, beim Zweitkläger 108 und beim Drittkläger 73 Werktage ergäben. Unter Berücksichtigung des Grenzbetrages nach § 1 Abs 3 Z 4 IESG stünden den Klägern noch die zugesprochenen Differenzbeträge zu.
Das Berufungsgericht wies die Klagebegehren unter Berücksichtigung der bereits rechtskräftigen Teilabweisungen zur Gänze ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision hinsichtlich jedes der verbundenen Verfahren zulässig sei.
Nach dem Urlaubsgesetz werde der gesetzliche Urlaubsanspruch in Werktagen bemessen, so daß auch die Urlaubsentschädigung und damit auch der maßgebende Zeitraum nach Werktagen zu berechnen sei. Die Kläger hätten ihre Urlaubsentschädigung im Verwaltungsverfahren in Werktagen geltend gemacht, aber innerhalb der Frist des § 6 Abs 1 IESG nicht behauptet, daß sie die Urlaubsentschädigung für Arbeitstage begehren, so daß das Insolvenz-Ausfallgeld nicht unter Zugrundelegung einer höheren Anzahl von Tagen, als in der Anmeldung ausgewiesen waren, zu berechnen gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Gemäß § 10 IESG idF BGBl 1985/104 (§ 97 ASGG) sind bei Streit über den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld oder einen Vorschuß auf dieses die Bestimmungen des ASGG sinngemäß anzuwenden. Durch die Neufassung des § 10 IESG hat der Gesetzgeber ab 1.1.1987 eine sukzessive Kompetenz neuer Art geschaffen; fühlt sich ein Arbeitnehmer bzw ein sonstiger Anspruchsberechtigter durch den Insolvenz-Ausfallgeld ablehnenden Bescheid oder durch die Untätigkeit des Arbeitsamtes beschwert, kann er Klage beim Arbeits- und Sozialgericht erheben (Kuderna, ASGG 363, 474; Holler, Neuerungen im Bereich der Entgeltsicherung bei Insolvenz, ZAS 1987, 147 [156]; Liebeg, Aktuelle Fragen der Insolvenz-Entgeltsicherung, ÖJZ 1990, 680). Der Rechtsschutz in Form der sukzessiven Kompetenz besteht in der dem Verfahren vor dem Arbeitsamt nachfolgenden, aber dennoch originären Zuständigkeit ordentlicher Gerichte (Oberndorfer in Tomandl, SV-System 6.ErgLfg 648). Voraussetzung der gerichtlichen Zuständigkeit gemäß § 10 IESG ist ein Streit über den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, der aber erst entsteht, wenn das Arbeitsamt über diesen Anspruch mit ablehnendem Bescheid entschieden hat (§ 67 Abs 1 Z 1 ASGG) oder (im Sinne des § 67 Abs 1 Z 2 ASGG) untätig blieb, obwohl ein Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld gestellt worden war. Von den Säumnisfällen (§ 67 Abs 1 Z 2 ASGG) abgesehen darf also die Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger (hier: Arbeitsamt) darüber bereits mit Bescheid entschieden hat (§ 67 Abs 1 Z 1 ASGG). Dies ist eine Verfahrensvoraussetzung. Wird eine Klage erhoben, obwohl über den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld noch nicht mit Bescheid entschieden wurde, so ist sie in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen (§ 73 ASGG iVm § 67 Abs 1 Z 1 ASGG). Wird in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 7 ASGG die Klage rechtzeitig erhoben, so tritt der Bescheid im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft.
Dies hat zur Folge, daß der beim Arbeitsamt erhobene und bescheidmäßig erledigte Antrag bei Gericht grundsätzlich nicht erweitert oder geändert werden darf (vgl die zur sukzessiven Kompetenz im MRG ergangene Rechtsprechung [MietSlg 29.456; XL/31 ua]), und zwar unabhängig von der materiellrechtlichen Frage, ob zu diesem Zeitpunkt in der Regel auch die Antragsfrist als Ausschlußfrist (SZ 61/253) nach § 6 Abs 1 IESG bereits abgelaufen ist.
§ 86 ASGG durchbricht jedoch diesen Grundsatz. In Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 7 ASGG zur Geltendmachung von Ansprüchen nach dem IESG ist eine Änderung der Klage hinsichtlich des Ausmaßes der vom Versicherten eingeklagten Versicherungsleistung (des Teils der Versicherungsleistung) (hier: Insolvenz-Ausfallgeld) ohne Zustimmung des Beklagten bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zulässig. Insoweit ist § 67 ASGG nicht anzuwenden. Dieser Bestimmung liegt die Überlegung zugrunde, daß quantitative Änderungen aus demselben Versicherungsfall, der den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildet, zulässig sein sollen, um bei Anhängigkeit eines Sozialrechtsverfahrens im Sinne des § 65 ASGG einen neuen Antrag beim Arbeitsamt und ein neues Verfahren zu vermeiden (Kuderna, ASGG 432, 434). In einem solchen Fall ist die Klageänderung entgegen § 235 Abs 3 ZPO auch zulässig, wenn dadurch eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung bewirkt würde (vgl Kuderna aaO 432).
Eine Erweiterung des Ausmaßes der begehrten Versicherungsleistung ist nur dann unzulässig, wenn das geänderte Klagebegehren auf einem neuen Klagegrund beruht, der nicht Gegenstand des vor dem Versicherungsträger (= Arbeitsamt) durchgeführten Verwaltungsverfahrens war und über den im Bescheid nicht erkannt worden ist. In diesem Fall läge hinsichtlich der Klageänderung Unzulässigkeit des Rechtsweges vor (Kuderna aaO 434).
Diese Bestimmung ist analog anzuwenden, wenn schon mit der Klage selbst der Leistungsgegenstand gegenüber dem mit Bescheid des Versicherungsträgers (Arbeitsamt) erledigten Antrag bezüglich des Ausmaßes der vom Versicherten (Anspruchsberechtigten) begehrten Leistung (§ 86 2.Fall ASGG) ohne Geltendmachung eines neuen Klagegrundes erweitert wird. Der Gesetzgeber hat zwar bei der Schaffung des § 86 ASGG in erster Linie den Fall vor Augen gehabt, daß der Kläger während der Anhängigkeit eines Leistungsstreitverfahrens keinen neuen Antrag beim Versicherungsträger (Arbeitsamt) stellen muß, wenn sich herausstellt, daß er - insbesondere wegen einer Änderung der Sachlage - eine höhere als die eingeklagte Leistung verlangen kann. Der Versicherte (Anspruchsberechtigte) kann jedoch die begünstigenden Rechtsfolgen des § 86 ASGG stets dadurch herbeiführen, daß er den abweisenden Bescheid zunächst ohne Änderung des Ausmaßes der Versicherungsleistung mit einer - wenn auch vielleicht materiellrechtlich aussichtslosen - Klage bekämpft und erst später die (allein erfolgversprechende) Änderung des Ausmaßes der Versicherungsleistung vornimmt. Der vorliegende Fall ist daher wie eine Klageänderung zu behandeln.
Die Kläger haben in den verbundenen Klagen gegen die abweisenden Bescheide der Beklagten lediglich das Ausmaß der Urlaubstage, das der begehrten Urlaubsentschädigung zugrundelag, geändert und behauptet, daß es sich bei den im Verwaltungsverfahren geltend gemachten 54 (90, 61) Werktagen Urlaub in Wahrheit um Arbeitstage gehandelt habe, so daß sich bei entsprechender Umrechnung ein richtiges Urlaubsausmaß von 64 (108, 73) Tagen ergebe. Da die Verteilung der in unveränderter Höhe begehrten Urlaubsentschädigung auf eine größere Anzahl von Urlaubstagen dazu führt, daß der Grenzbetrag nach § 1 Abs 3 Z 4 und Abs 4 IESG nicht mehr (bzw nicht mehr im selben Umfang) überschritten wird, liegt in diesem Vorbringen eine Änderung des Ausmaßes der eingeklagten Versicherungsleistung ohne Geltendmachung eines neuen Klagegrundes. Diese Änderung war daher in sinngemäßer Anwendung des § 86 ASGG zulässig.
Mit der Bestimmung, daß § 67 ASGG in den Fällen der Klageänderung nach § 86 ASGG nicht anzuwenden ist, stellt das Gesetz auch klar, daß die Klageänderung unabhängig davon zulässig ist, ob die Klagefrist noch offensteht (Kuderna aaO 435). Dasselbe gilt für die Frist des § 6 IESG. Sie ist auf die nach § 86 ASGG zulässige Anspruchserweiterung nicht anzuwenden. § 86 IESG hätte sonst im Verfahren nach § 65 Abs 1 Z 7 ASGG keinen Anwendungsbereich, weil die Ausschlußfrist des § 6 Abs 1 IESG in aller Regel längst abgelaufen wäre, wenn der Versicherte (Anspruchsberechtigte) erstmals die Möglichkeit hat, im gerichtlichen Verfahren seinen Anspruch in den zulässigen Grenzen des § 86 ASGG zu erweitern. Es kommt daher lediglich darauf an, ob der nach § 1 Abs 2 IESG gesicherte Anspruch im Konkurs gemäß § 1 Abs 5 IESG angemeldet und in seiner ursprünglichen Höhe rechtzeitig in der Frist des § 6 Abs 1 IESG beim Arbeitsamt geltend gemacht wurde.
Der Revision ist daher Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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