OGH 9ObS33/93

OGH9ObS33/9322.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Alfred Schätz als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz K*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Versicherungsdienste, Wien 4, Schwindgasse 5, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld S 166.306,61 netto sA, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.August 1993, GZ 31 Rs 74/93-13, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4.März 1993, GZ 11 Cgs 2003/92-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Dienstverhältnis des Klägers zur Dr.Walt(h)er M***** GesmbH endete am 6.11.1986 durch Entlassung. Der Kläger machte beim Arbeits- und Sozialgericht Wien Ansprüche wegen ungerechtfertigter Entlassung geltend, und obsiegte in der ersten und zweiten Instanz. Für das vom Dienstgeber eingeleitete Revisionsverfahren wurde ihm der (nunmehrige) Klagevertreter beigegeben. Diesem erteilte er mündlich Vollmacht. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Dienstgebers mit Urteil vom 31.8.1988, 9 Ob A 168/88-18, das dem Klagevertreter am 20.10.1988 zugestellt wurde, nicht Folge.

Der Klagevertreter verständigte den Kläger vom Verfahrensausgang nicht, weil eine Kanzleikraft (irrtümlich) den Akt ablegte. Bei mehreren Telefonaten mit der Kanzlei des Klagevertreters erhielt der Kläger immer nur die Auskunft, "er solle sich keine Sorgen machen, die Sache sei noch im Gang". Einem Artikel in der "Kronen-Zeitung" hatte der Kläger entnommen, daß ein Verfahren beim Obersten Gerichtshof durchschnittlich neun Monate dauere.

Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 22.11.1989 wurde über den ehemaligen Dienstgeber des Klägers der Konkurs eröffnet und mit Beschluß vom 22.11.1990 mangels Kostendeckung wieder aufgehoben. Etwa zwei bis drei Monate vor der Konkurseröffnung hatte der Kläger von einem früheren Arbeitskollegen erfahren, daß seinem Dienstgeber der Konkurs bevorstehe. Im Laufe des Jahres 1992 erlangte er durch eine Mitteilung dieses Arbeitskollegen Kenntnis von diesem Konkurs und suchte erst längere Zeit danach den Klagevertreter auf. Dieser stellte erst bei dieser Gelegenheit fest, daß das Urteil des Obersten Gerichtshofes schon im Jahr 1988 ergangen war.

Am 14.7.1992 brachte der Kläger einen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld, verbunden mit einem Antrag auf Nachsicht von der Versäumung der Antragsfrist ein, der mit Bescheid der Beklagten vom 6.10.1992 abgelehnt wurde.

Das Erstgericht wies das auf Zahlung eines Insolvenz-Ausfallgeldes von S 166.306,61 netto gerichtete Klagebegehren ab. Berücksichtigungswürdige Gründe, die die Nachsicht von der Versäumung der Antragsfrist rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben, weil es der Kläger verabsäumt habe, sich in zielführender Art über den Stand des Arbeitsgerichtsverfahrens zu erkundigen und sich mit nichtssagenden Äußerungen des Kanzleipersonals des Klagevertreters zufrieden gegeben habe. Trotz Kenntnis, daß Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof durchschnittlich neun Monate dauern, habe er nach Ablauf dieser Frist nicht rechtzeitig reagiert. Der Umstand, daß der Kläger von der drohenden Konkurseröffnung über das Vermögen seines ehemaligen Arbeitgebers wußte und dennoch nichts weiter unternahm, weise auf eine geradezu unverständliche Sorglosigkeit hin. Selbst nach Kenntnis des Konkurses habe es der Kläger noch Monate lang unterlassen, sich mit dem Klagevertreter in Verbindung zu setzen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die durch nichts gerechtfertigte Untätigkeit des Klägers begründe auffallende Sorglosigkeit.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Mit der Novellierung des § 6 Abs 1 IESG (BGBl 1986/395) sollte die bisher vom Verwaltungsgerichtshof restriktiv gehandhabte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist des § 6 Abs 1 IESG durch die Einführung einer Härteklausel ersetzt werden (SZ 62/50 mwN, Anw 1990, 450; DRdA 1993, 251, 9 Ob S 14/93). Berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne dieser Härteklausel, die die Nachsicht von der Fristversäumung rechtfertigen, liegen insbesondere vor, wenn dem Arbeitnehmer billigerweise (dh bei Anlegung eines nicht allzu strengen Maßstabes an seine Sorgfalt) die Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Kenntnis von der Antragsfrist (und ihrer Handhabung) (Anw 1990, 450) nicht zugemutet werden kann, sofern die Antragsfrist letztlich nicht übermäßig hinausgezögert wurde (infas 1993, H 5 25; 9 Ob S 20, 21/89). Auffallende Sorglosigkeit schließt die Nachsicht von der Fristversäumung aus (Anw 1990, 450; infas 1993, H 5 25; 9 Ob S 14/93).

Rechtsunkundigkeit des Dienstnehmers bildet keinen berücksichtigungswürdigen Grund, weil durschschnittliche Dienstnehmer in der Regel nicht über die Kenntnis aller für sie im Einzelfall wesentlichen arbeits- und sozialrechtlichen Normen verfügen und darauf angewiesen sind, sich entsprechende Informationen zu verschaffen (DRdA 1993, 251).

Auch bei Anlegung eines nicht allzustrengen Maßstabes liegen berücksichtigungwürdige Gründe im Sinne des § 6 Abs 1 IESG nicht vor. Dem Kläger wäre es möglich gewesen, sich nach der Kenntnis vom drohenden Konkurs seines Dienstgebers (im Spätsommer oder Herbst 1989) beim Klagevertreter über die Rechtsfolgen dieses Sachverhaltes zu informieren und auf Grund dieser Erkundigungen rechtzeitig einen Antrag auf Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld zu stellen. Auch auf den Umstand, daß ihn der Klagevertreter vom Ausgang des Revisionsverfahrens nicht verständigt hat, kann sich der Kläger nicht erfolgreich berufen, weil er sich die auffallende Sorglosigkeit der Kanzleikräfte seines Bevollmächtigten, anrechnen lassen muß (Anw 1990, 450). Auch wenn der Kläger den Klagevertreter nur für das Revisionsverfahren bevollmächtigt hatte, war dieser verpflichtet, seinen Mandanten vom Ausgang dieses Verfahrens ohne unnötigem Aufschub zu verständigen und über die weitere Vorgangsweise bei der Einbringung der Forderung zu belehren.

Der Kläger hatte sich schon bisher bei mehreren Telefonaten mit der Kanzlei des Klagevertreters mit nichtssagenden inhaltsleeren Auskünften zufrieden gegeben; obwohl er wußte, daß die Sache seit etwa Mitte 1988 beim Obersten Gerichtshof anhängig war und "daß vielleicht eine Frist einzuhalten sei", blieb er bis auf mehrere nicht zielführende Telefonate mit Kanzleikräften des Klagevertreters auch dann untätig, als er etwa ein Jahr später von der drohenden Insolvenz seines früheren Dienstgebers erfuhr. Auch an die Interessenvertretung, die ihn in erster und zweiter Instanz vertreten hatte, wendete er sich nicht.

Ein Fall des § 6 Abs 1 Z 4 IESG liegt nicht vor, weil das Gerichtsverfahren über die Ansprüche des Klägers schon ein Jahr vor der Konkurseröffnung beendet war.

Erst etwa Mitte 1992 wendete sich der Kläger wiederum an den Klagevertreter. Infolge dieser ungewöhnlichen Untätigkeit liegt kein berücksichtigungswürdiger Grund vor, der es rechtfertigt, ihm die Rechtsfolgen der Fristversäumung nachzusehen. Obwohl die Fristversäumung auch durch Fehler in der Kanzlei des Klagevertreters mitverschuldet wurde (auf die sich der Kläger nicht berufen kann), hat er auch selbst auffallend sorglos im Sinne des § 1324 ABGB gehandelt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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