Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß, welcher in seinem Ausspruch über die Versagung des Unterhaltsvorschusses für die Zeit von 1.9.1993 bis 31.5.1996 als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird im übrigen - also für den Zeitraum vom 1.Juni bis zum 31.August 1993 - dahin abgeändert, daß insoweit der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Text
Begründung
Gerhard R***** anerkannte am 2.1.1985 die Vaterschaft zu dem mj. Sascha G*****; ein Unterhaltstitel wurde nie geschaffen. Seinen Antrag auf Festsetzung eines Unterhaltsbetrages (ON 8) zog der durch das Bezirksjugendamt für den 21. Bezirk als Sachwalter vertretene Minderjährige zurück (ON 22), nachdem die Mutter Isabella G***** mitgeteilt hatte, daß sie mit dem Vater wieder im gemeinsamen Haushalt lebe. Der Vater gehe keiner Beschäftigung nach und erbringe keinerlei Einkommen; sie beziehe Sondernotstandshilfe und die Familienbeihilfe für drei Kinder (ON 21). Nachdem der Vater in Strafhaft gekommen war, gewährte das Erstgericht mit Beschluß vom 28.1.1992, ON 26, dem Minderjährigen für die Zeit vom 1.1.1992 bis zum 31.5.1993 Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG. Am 5.5.1993 floh der Vater aus der Strafvollzugsanstalt Wien-Simmering.
Hierauf beantragte das Amt für Jugend und Familie 21. Bezirk als Unterhaltssachwalter des Kindes die Gewährung von Richtsatzvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG für die Zeit vom 1.6.1993 bis 31.5.1996 unter Hinweis darauf, daß die Festsetzung eines Unterhaltsbeitrages noch nicht gelungen sei, der Vater keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehe und auch beim Arbeitsamt nicht gemeldet sei.
Das Erstgericht bewilligte diese Vorschüsse. Die Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Vater gelinge nicht, weil es unmöglich sei, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Infolge Rekurses des für den Vater bestellten Abwesenheitskurators Dr.Otto A***** wies das Gericht zweiter Instanz den Antrag auf Gewährung von Richtsatzvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionrekurs nicht zulässig sei. Daß bisher kein Unterhaltstitel für den Minderjährigen geschaffen wurde, liege nicht am Unterhaltsschuldner, sondern an der Rückziehung des Unterhaltsbemessungsantrages durch den Sachwalter. Die Flucht des Vaters aus der Strafvollzugsanstalt sei kein ausreichender Grund für die Gewährung von Richtsatzvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG, weil auch gegen Abwesende eine Unterhaltsfestsetzung möglich sei. Freilich bestehe bei einem aus der Haft geflohenen Unterhaltsschuldner die Befürchtung daß er, um nicht neuerlich verhaftet zu werden, in Österreich nur schwer einer ordnungsgemäßen Beschäftigung werde nachgehen können. Dieser Umstand stehe zwar einer Vorschußgewährung gemäß § 4 Z 2 UVG nicht grundsätzlich entgegen, doch könne bei der gegebenen Sachlage keineswegs von vornherein ausgeschlossen werden, daß die Unterhaltsfestsetzung unter Mitwirkung eines Abwesenheitskurators gelingen könnte. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn der Vater vor seiner neuerlichen Inhaftierung am 23.8.1993 unangemeldet und daher für die Behörden schwer greifbar gearbeitet hätte oder ins Ausland geflüchtet wäre. Im konkreten Fall hätte daher von einem Versuch, einen Titel zu schaffen, nicht Abstand genommen werden dürfen.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des von seinem Unterhaltssachwalter vertretenen Minderjährigen wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Minderjährigen für die Zeit vom 1.6. bis zum 31.8.1993 Unterhaltsvorschuß gemäß § 4 Z 2 UVG gewährt wird.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht im Einklang steht; er ist auch berechtigt.
Auch im Verfahren außer Streitsachen hat das Rekursgericht die angefochtene Entscheidung nach der Sachlage zur Zeit der Fassung des Beschlusses erster Instanz zu prüfen (EFSlg 47.073; 67.379 ua). Zu diesem Zeitpunkt (14.7.1993) war aber der Vater des Minderjährigen nach seiner Flucht aus der Strafhaft noch unbekannten Aufenthaltes.
Nach § 4 Z 2 UVG sind Vorschüsse ua dann zu gewähren, wenn die Festsetzung des Unterhaltsbeitrages aus Gründen auf der Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer wenn dieser nach seinen Kräften zu einer Unterhaltsleistung offenbar nicht imstande ist. Damit hat der Gesetzgeber dem Kind nicht ausdrücklich die Obliegenheit aufgebürdet, daß es um die Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner besonders intensiv bemüht sein müsse; insbesondere kann dem Gesetz kein dementsprechender besonderer Versagungs- oder Einstellungsgrund entnommen werden. Aus dem Zweck der Einrichtung, nur die Hereinbringung eines konkreten gesetzlichen Unterhaltsanspruches zu gewährleisten, kann aber geschlossen werden, daß das Kind auch im Ausnahmefall des § 4 Z 2 UVG alles Zumutbare zur Unterhaltsfestsetzung unternehmen müsse. Praktisch aussichtslose Versuche einer Unterhaltsfestsetzung können jedoch vom Kind (oder dessen gesetzlichem Vertreter) nicht gefordert werden (SZ 63/89; SZ 63/95; Knoll, Kommentar zum UVG Rz 10). Nach den Ausführungen in der RV 276 BlgNR 15. GP 9 sollen Vorschüsse gewährt werden, "wenn der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthaltes ist oder Ungewißheit über seine Lebensverhältnisse herrscht".
Die Vorschußleistung soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Unterhaltsschuldner "offenbar" zur Unterhaltsleistung nicht imstande ist (SZ 63/95; Knoll aaO Rz 4). Eine Bevorschussung nach § 4 Z 2 UVG setzt also voraus, daß der Unterhaltsschuldner an sich, dem Grunde nach, in der Lage ist, Unterhalt zu leisten. Die Leistungsunfähigkeit müßte sich auf der eingeschränkten Beweisgrundlage des § 11 Abs 2 UVG durch einen positiven Beweis ergeben. Ein Beweisdefizit sowie Zweifel über die Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit nicht offenbar und stehen daher der Vorschußgewährung nicht entgegen (SZ 63/95; Knoll aaO Rz 6 und 7).
Nach der Aktenlage zur Zeit der Fassung des Beschlusses erster Instanz mußte die Einleitung eines Unterhaltsfestsetzungsverfahrens aussichtslos erscheinen. Vermögen besitzt der Vater des Minderjährigen offenbar nicht; Angaben über seine Einkünfte während seiner Flucht konnte der Unterhaltssachwalter nicht machen und wären auch bei einer Befragung des Abwesenheitskurators nicht zu erwarten gewesen. Eine Unterhaltsfestsetzung im Sinne der Anspannungstheorie mußte nach der Rsp schon daran scheitern, daß es sich um eine erstmalige Bemessung gehandelt hätte (SZ 53/54; SZ 63/95). Überdies hat der aus der Strafthaft entsprungene Vater des Minderjährigen keinerlei "beweismäßige Spuren hinterlassen, die auf seine Leistungsfähigkeit schließen lassen" (Knoll aaO Rz 14; SZ 63/95).
Obgleich dem Rekursgericht darin beizupflichten ist, daß der Vater des Minderjährigen während seiner Flucht kaum einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgegangen sein wird, kann doch nicht gesagt werden, daß er in dieser Zeit "offenbar" zur Unterhaltsleistung nicht imstande gewesen wäre, fehlt doch mangels konkreter Kenntnisse über seine Lebensverhältnisse der erforderliche positive Beweis hiefür.
Aus diesen Erwägungen war der Beschluß des Erstgerichtes in Stattgebung des Revisionsrekurses, soweit er den Zeitraum betrifft, in welchem der Vater des Minderjährigen flüchtig war, wiederherzustellen.
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