OGH 4Ob170/93

OGH4Ob170/9314.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verband des österreichischen Orientteppichfachhandels, ***** vertreten durch Dr.Gunter Granner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Hans Lesigang, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 400.000), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 23.September 1993, GZ 5 R 210/93-10, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 16. Juli 1993, GZ 39 Cg 68/93f-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Die Revisionsrekursbeantwortung der klagenden Partei wird

zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

"Der Antrag, der klagenden Partei, zur Sicherung ihres Anspruches auf Unterlassung von Wettbewerbsverstößen der beklagten Partei aufzutragen, ab sofort bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils es im geschäftlichen Verkehr beim Handel mit Teppichen zu unterlassen, Preisgegenüberstellungen mit Schätzwerten bzw Bezugnahmen auf Schätzwerte vorzunehmen, wenn an der Verkaufsstätte nicht gleichzeitig in das (die) Gutachten, mit dem (denen) die Schätzwerte ermittelt worden sind, vom Publikum Einsicht genommen werden kann, wird

abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 35.724,60 (darin S 5.954,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt den Handel mit Teppichen. Sie hat ihren Sitz in Wien, führt aber auch außerhalb von Wien Veranstaltungen mit Teppichverkäufen durch. So wickelte sie in der Zeit vom 17.5. bis zum 29.5.1993 im Gewerbesaal M*****, einen "Freihandverkauf von verpfändeten Orientteppichen" ab. Dafür warb sie mit folgendem, einem durch Postwurf versandten Flugblatt:

Am Donnerstag, dem 27.5.1993, begab sich Friedrich M***** - der Leiter der Bezirksstelle der Handelskammer Niederösterreich in Mödling - in den Verkaufsraum, wo er keine Schätzlisten oder Gutachten auffinden konnte. Als er einen Verkäufer nach solchen Unterlagen fragte, erhielt er zur Antwort, daß es im Lokal keine Schätzlisten gebe; es sei daher erforderlich, sich an den Geschäftssitz der Beklagten in der Wiener Innenstadt zu wenden. Der Verkäufer bot Friedrich M***** nicht an, daß er sich die Liste beschaffen werde und sein Gesprächspartner noch einmal vorbeikommen solle; er sagte auch nicht, daß dann ein Geschäftsführer der Beklagten anwesend sein werde.

Am 29.5.1993, einem Samstag, besuchte Wolfgang M***** die Veranstaltung der Beklagten in M***** und interessierte sich für einen Teppich pakistanischer Herkunft. Als er sich von der Richtigkeit des angegebenen Schätzwertes durch Einsichtnahme in das Protokoll überzeugen wollte, wurde ihm dies mit der Begründung verwehrt, die Unterlagen habe der "Chef der Firma" bei sich.

Mit der Behauptung, daß die Beklagte, welche mit Schätzwerten geworben habe, ihrer sich daraus ergebenden Verpflichtung, Interessenten über den Schätzwert näher aufzuklären, insbesondere darüber Auskunft zu geben, wer wann geschätzt habe, nicht entsprochen habe, begehrt der klagende Wettbewerbsverband zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr beim Handel mit Teppichen, Preisgegenüberstellungen mit Schätzwerten bzw Bezugnahmen auf Schätzwerte vorzunehmen, wenn an der Verkaufsstätte nicht gleichzeitig in das (die) Gutachten, mit dem (denen) die Schätzwerte ermittelt worden sind, vom Publikum Einsicht genommen werden kann.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Entsprechende Schätzgutachten seien stets vorhanden gewesen; eine Einschau in diese wäre durchaus möglich gewesen. Die Ankündigung sei auch insoweit richtig gewesen, als sämtliche bei dem Freihandverkauf angebotenen Teppiche von einem gerichtlich beeideten Sachverständigen geschätzt und im Durchschnitt mit etwa 35 %, teilweise auch bis zu 50 % unter dem Schätzwert angeboten worden seien. Die Unterlagen hätten die beiden Geschäftsführer der Beklagten in Verwahrung; sie stünden den Kunden auf Wunsch zur Verfügung.

Der Erstrichter erließ die einstweilige Verfügung. Die in der Werbung erwähnten Schätzwerte seien dem Publikum im allgemeinen nicht bekannt. Fehlten solche Schätzlisten im Verkaufslokal, dann bestehe für den Interessenten keine Möglichkeit einer Überprüfung, wer wann die Schätzung durchgeführt habe. Da das UWG auch dem Konsumentenschutz diene, sei zur Wahrung der guten Sitten zu verlangen, daß im Interesse der Überprüfbarkeit einer günstigen Kaufgelegenheit durch das Publikum bei solchen Veranstaltungen die Schätzgutachten - ständig - aufzuliegen haben. Bei einer Preisherabsetzung gegenüber einem Schätzwert nehme das Publikum an, daß es sich um einen jedenfalls aktuellen Wert handle. Die Unterlagen, auf die sich die Beklagte berufen habe, stammten jedoch von Mitte Februar 1991; sie seien daher zur Zeit der Veranstaltung schon mehr als zwei Jahre alt gewesen, so daß ihre Aktualität nicht mehr angenommen werden könne.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der (ordentliche) Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Werbe ein Unternehmer mit prozentmäßigen Preisnachlässen, dann werde dies im allgemeinen dahin verstanden, daß er einen Abschlag von seinen eigenen Normalpreisen gewähre. Das Publikum habe dabei die Möglichkeit zu prüfen, ob der behauptete prozentuelle Preisnachlaß tatsächlich den vom Verkäufer früher verlangten Preisen entspreche. Das treffe aber bei der Werbung unter Gegenüberstellung herabgesetzter Preise mit nicht näher erläuterten Schätzwerten von Orientteppichen nicht zu, da man davon ausgehen könne, daß Schätzwerte handgeknüpfter Teppiche dem Publikum nicht bekannt sind. Werde bei einem allgemein zugänglichen Verkauf von Teppichen damit geworben, daß die Verkaufspreise gegenüber dem Schätzwert um einen bestimmten Prozentsatz reduziert seien, dann bestehe die Verpflichtung, Interessenten über den Schätzwert näher aufzuklären, insbesondere darüber Auskunft zu erteilen, wer die Schätzung durchgeführt habe und wann das geschehen sei. Auch sei darauf zu verweisen, daß das Schätzungsgutachten, dem die Beklagte die Schätzwerte entnommen hatte, Mitte Februar 1991, also vor mehr als zwei Jahren erstattet worden sei. Im Verschweigen dieser Tatsache liege gleichfalls eine Irreführung im Sinne des § 2 UWG.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß der Sicherungsantrag abgewiesen wird.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revisionsrekursbeantwortung des Klägers ist verspätet:

Die Mitteilung, daß ihm die Beantwortung des Revisionsrekurses freistehe, wurde dem Kläger am 22.11.1993 zugestellt; erst am 7.12.1993 überreichte er die Beantwortung.

Die somit erst nach Ablauf der Frist von 14 Tagen (§ 402 Abs 3 EO) eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung war daher zurückzuweisen.

2. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage fehlt, ob der mit einem Schätzungsgutachten Werbende dieses Gutachten vorzeigen muß; er ist auch berechtigt.

Der Kläger hat nicht behauptet, daß die Werbeankündigung der Beklagten unrichtig sei, die bei der Veranstaltung vom Mai 1993 verlangten Preise also nicht bis zu 50 % unter dem (tatsächlichen) Schätzwert lägen. Auch der - von den Vorinstanzen aufgegriffene - Umstand, daß die von der Beklagten vorgelegten Gutachten aus dem Februar 1991 stammten, ist nicht Gegenstand des vom Kläger geltend gemachten Unterlassungsanspruches. Der Vorwurf des Klägers geht vielmehr ausschließlich dahin, daß die Beklagte, obwohl sie in ihrer Werbung auf Schätzwerte Bezug genommen habe, die entsprechenden Schätzgutachten nicht dem Publikum zur Einsicht überlassen habe. Der Kläger wirft also der Beklagten kein positives Tun, sondern ein Unterlassen vor. Das Unterlassen einer Handlung ist aber nur dann rechtswidrig, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht; diese kann sich aus dem Gesetz, aus einer Berufs- oder Amtspflicht oder aber auch aus einem vorangegangenen Tun ergeben (Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht17, 248 Rz 353 EinlUWG). Eine Unterlassung kann auch sittenwidrig sein, wenn Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte eine Tätigkeit fordern (JBl 1931, 442). Das Verschweigen von Tatsachen kann unter Umständen sittenwidrig (oder irreführend) sein, wenn für den werbende eine Aufklärungspflicht besteht (Baumbach-Hefermehl aaO 804 Rz 48 zu § 3 dUWG; ecolex 1993, 253; WBl 1993, 336 uva). Eine solche Aufklärungspflicht hat die Rechtsprechung auch im Fall der Werbung mit Preisgegenüberstellungen ("Statt"-Preise) insofern bejaht, als ein Verstoß gegen § 2 UWG dann angenommen wird, wenn mangels näherer Erläuterung der Vergleichspreise eine Irreführung des Publikums möglich ist (ÖBl 1986, 66 uva; Baumbach-Hefermehl aaO 918 Rz 319). Daß aber ein Unternehmer, der einen Vergleich mit seinem früheren Preis, dem vom Herstellter empfohlenen Preis odgl. anstellt, dem Publikum diese Preise durch Auflegen seiner früheren Preislisten, der Empfehlungen des Herstellers usw. nachweisen müßte, ist - soweit überblickbar - in der Rechtsprechung und Lehre noch nie gefordert worden. Eine Grundlage für eine solche Rechtspflicht ist auch nicht zu erkennen:

Der Unternehmer braucht die Richtigkeit seiner Behauptungen dem Kunden gegenüber grundsätzlich nicht nachzuweisen. Vertraut ihm der Kunde nicht, dann wird er mit dem Unternehmer keine Geschäfte schließen. Hält aber ein Mitbewerber oder - wie hier - eine Vereinigung zur Förderung wirtschaftlicher Interessen von Unternehmern (§ 14 UWG) eine Werbebehauptung für unrichtig, dann steht es ihnen frei, auf Unterlassung zu klagen; im gerichtlichen Verfahren ist dann die umstrittene Behauptung auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Auch die von der Beklagten in der beanstandeten Werbung aufgestellte Behauptung, daß sie ihre Teppiche unter dem Schätzwert verkaufe, ist grundsätzlich einer Überprüfung (durch Sachverständige) zugänglich.

Hat aber die Beklagte dadurch, daß sie in ihrem Verkaufslokal kein Schätzungsgutachten zur Einsicht für das Publikum aufgelegt hat, nicht gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstoßen und auch keine irreführenden Angaben gemacht, dann mußte in Stattgebung des Revisionsrekurses der Sicherungsantrag des Klägers abgewiesen werden.

Der Ausspruch über die Kosten des Provisorialverfahrens erster Instanz gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO; §§ 41, 52 ZPO, jener über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf dieselben Gesetzesstellen in Verbindung mit § 50 Abs 1 ZPO.

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