OGH 10ObS240/93

OGH10ObS240/937.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Theodor Zeh (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dipl.Ing. Raimund Tschulik (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut A*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Eckart Fussenegger und Dr.Alexander Hacker, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.September 1993, GZ 12 Rs 69/93-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 24. März 1993, GZ 18 Cgs 24/93-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

Beschluß

gefaßt:

Der Antrag des Klägers, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des § 1 Abs 2 und des § 6 Abs 4 lit b ARÜG zu stellen, wird zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 22. April 1934 geborene Kläger hat in Österreich 465 Versicherungsmonate und in der Bundesrepublik Deutschland 70 Versicherungsmonate erworben. Mit Bescheid vom 20. August 1992 lehnte die Landesversicherungsanstalt Oberbayern den Antrag des Klägers vom 18. März 1992 auf Rente wegen Berufsunfähigkeit - Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung ab, daß beide besonderen Anspruchsvoraussetzungen nicht vorlägen. Mit Schreiben vom 22. Oktober 1992 teilte die Landesversicherungsanstalt Oberbayern der Beklagten mit, daß beim Kläger in der deutschen Rentenversicherung im Leistungsfall für den Zeitraum 1. April 1948 bis 5. Jänner 1954 insgesamt 70 Versicherungsmonate für Wartezeit und Leistung zu berücksichtigen seien. Mit Bescheid vom 11. November 1992 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Berufsunfähigkeitspension nach § 271 ASVG ab 1. November 1992 und setzte diese Pension mit monatlich S 18.216,40 brutto fest. Dieser Pensionsberechnung liegen nur jene 465 Versicherungsmonate zugrunde, die der Kläger in Österreich erworben hat.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen, auf eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Höchstausmaß ab dem 1. November 1992 gerichteten Klage vertritt der Kläger die Ansicht, daß bei der österreichischen Pensionsberechnung auch jene 70 Versicherungsmonate zu berücksichtigen seien, die er in der Rentenversicherung der Arbeiter in der Bundesrepublik Deutschland erworben habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Da ein Träger der Sozialversicherung eines Staates, mit dem Österreich eine zwischenstaatliche Vereinbarung über Pensions(Renten)versicherung abgeschlossen habe, die strittigen 70 Versicherungsmonate berücksichtigt habe, komme eine Berücksichtigung dieser Zeiten in der österreichischen Pensionsversicherung nicht in Betracht.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte - in Wiederholung des durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheides - schuldig, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension in der Höhe von 18.216,40 S brutto ab 1. November 1992 zu zahlen und wies das auf eine höhere monatliche Pensionsleistung gerichtete Mehrbegehren ab. Gemäß § 1 Abs 2 ARÜG seien Rentenansprüche und Zeiten nach Abs 1 Z 1 dieses Gesetzes in der österreichischen Pensions(Renten)versicherung nur insofern zu berücksichtigen, als sie nicht von Versicherungsträgern in der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen seien. Auch gemäß § 6 Abs 4 lit b ARÜG seien Zeiten nach Abs 1 bis 3 in der österreichischen Pensions(Renten)versicherung so weit nicht zu berücksichtigen, als sie von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle eines Staates berücksichtigt werden, mit dem die Republik Österreich eine zwischenstaatliche Vereinbarung über Pensions(Renten)versicherung abgeschlossen habe. Im vorliegenden Fall habe die Landesversicherungsanstalt Oberbayern die streitgegenständlichen 70 Monate berücksichtigt. Der Kläger habe damit eine Anwartschaft erworben, die bei Eintritt eines Versicherungsfalles zu einem Leistungsanspruch führen würde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Da der Kläger derzeit noch keinen Anspruch auf eine Leistung aus der deutschen Rentenversicherung habe und bei ihm auch kein Ausnahmefall vorliege, werde nach den Bestimmungen des AbkSozSi-BRD die Bemessungsgrundlage für seinen in Österreich bestehenden Pensionsanspruch nur aus den Versicherungszeiten gebildet, die nach den für den österreichischen Versicherungsträger geltenden österreichischen Pensionsversicherungsvorschriften zu berücksichtigen seien. Auch das ARÜG bilde keine taugliche Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers, weil ein deutscher Sozialversicherungsträger die strittigen 70 Versicherungsmonate berücksichtigt und der Kläger damit eine Anwartschaft erworben habe, die bei Eintritt des Versicherungsfalles auch in einen entsprechenden Leistungsanspruch gegenüber der deutschen Rentenversicherung umgesetzt werden könne. Gegen diese gesetzlichen Bestimmungen bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil im Ergebnis lediglich die doppelte Berücksichtigung von Versicherungszeiten verhindert werden solle, so daß diese Regelung entgegen der Ansicht des Berufungswerbers nicht als gleichheitswidrig zu betrachten sei.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung.

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionswerber vertritt weiterhin die Auffassung, daß in seinem Fall weder von einer Übernahme der strittigen Versicherungszeiten noch von einer Berücksichtigung derselben durch einen deutschen Sozialversicherungsträger die Rede sein könne, weil ihm bisher eine Pensions- oder Rentenleistung aus der deutschen Sozialversicherung verweigert worden sei. Diese Auffassung ist verfehlt:

Auszugehen ist zunächst von den Bestimmungen des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit vom 22. Dezember 1966, BGBl 1969/382 in der geltenden Fassung (in Hinkunft kurz Abkommen). Besteht nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates auch ohne Berücksichtigung des Art 26 Abs 1 des Abkommens ein Leistungsanspruch, so gewährt nach Art 30 Abs 1 des Abkommens der zuständige Träger die ohne Anwendung dieses Kapitels (nämlich des die Pensionsversicherungen und Rentenversicherungen regelnden Kapitels 3) zustehende Leistung, solange ein entsprechender Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates nicht besteht. Eine nach Abs 1 festgestellte Leistung wird gemäß Abs 2 nach diesem Kapitel neu festgestellt, wenn ein entsprechender Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates entsteht. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SSV-NF 3/126 ausgesprochen hat, sind die in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten - abgesehen von den hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen der Art 26 Abs 4 und 27 Abs 2 lit b - für die Ermittlung der Höhe der Pension nur dann zusammenzurechnen, wenn in beiden Vertragsstaaten ein Leistungsanspruch besteht. Solange kein Anspruch auf eine Leistung aus der deutschen Rentenversicherung besteht, sind, sofern nicht einer der genannten Ausnahmefälle vorliegt, für die Höhe der Pension ausschließlich die nach österreichischen Rechtsvorschriften zurückgelegten Zeiten zu berücksichtigen. An dieser Rechtsauffassung hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung SSV-NF 4/35 ausdrücklich festgehalten und überdies darauf verwiesen, daß dieser Grundsatz der bei Anwendbarkeit des Kapitels 3 des Abkommens geltenden Bestimmung des Art 27 Abs 6 des Abkommens entspricht, wonach Bemessungsgrundlagen nur aus den Versicherungszeiten gebildet werden, die nach den für den zuständigen Träger geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu berücksichtigen sind, und daß dieser Grundsatz dort als Ausnahme von der für Zusammenrechnungsfälle grundsätzlich vereinbarten Berücksichtigung und Gleichbehandlung der nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten einer ausdrücklichen Regelung bedurfte, während es hier wegen der Nichtberücksichtigung der im anderen Vertragsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten selbstverständlich ist. Da beim Kläger kein Ausnahmefall vorliegt, wird die Bemessungsgrundlage für seine Berufsunfähigkeitspension nur aus den Versicherungszeiten gebildet, die nach den für den österreichischen Versicherungsträger geltenden österreichischen Pensionsversicherungsvorschriften zu berücksichtigen sind.

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bildet auch das ARÜG keine taugliche Rechtsgrundlage für das Klagebegehren. Bereits die Einschränkung "unbeschadet zwischenstaatlicher Vereinbarungen" im § 1 Abs 1 stellt klar, daß solche Vereinbarungen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie früher oder später als das vorliegende Gesetz zustandegekommen sind bzw. zustandekommen, den Bestimmungen des ARÜG derogieren (Teschner, ASVG 50. ErgLfg N 4, 103 FN 1 zu § 1 ARÜG mit weiteren Nachweisen). Nach § 1 Abs 2 ARÜG sind Rentenansprüche und Zeiten nach Abs 1 Z 1 sowie Leistungsansprüche aus Arbeitsunfällen nach Abs 1 Z 2 in der österreichischen Pensions(Renten)versicherung bzw. in der österreichischen Unfallversicherung nur insoweit zu berücksichtigen, als sie nicht von Versicherungsträgern in der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen sind. Durch diesen Absatz sollte überdies klargestellt werden, daß das ARÜG im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nur subsidiären Charakter hat (2. AB 498 BlgNR 9. GP, 2). Die von Versicherungsträgern in der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmenden Ansprüche und Anwartschaften sollen von der Übernahme in die österreichische Versicherungs- oder Leistungslast ausgenommen sein. Das ARÜG hat nicht die Absicht, mit seinen Begünstigungsbestimmungen auch in solchen Fällen einzugreifen, in denen schon anderweitig die aus dem Ausland stammenden Ansprüche oder Anwartschaften berücksichtigt werden (Rodler, Das ARÜG, SozSi 1962, 345 ff, 349; SSV-NF 4/55). Auch die von den Vorinstanzen herangezogene Bestimmung des § 6 Abs 4 lit b ARÜG nimmt Rücksicht auf den subsidiären Charakter dieses Gesetzes, im Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Hinblick auf den österreichischen-italienischen Sozialversicherungsvertrag (2. AB 498 BlgNR 9. GP, 2; für die in die deutsche Versicherungslast fallenden Zeiten gilt ja bereits § 1 Abs 2 ARÜG). Geht man aber vom subsidiären Charakter des ARÜG und von dessen Derogation durch das hier primär anzuwendende Abkommen aus, besteht für den Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung deutscher Versicherungszeiten für die Höhe seiner österreichischen Berufsunfähigkeitspension keine Rechtsgrundlage.

Zu Unrecht verweist der Kläger auch auf das Erfordernis der Erfüllung einer Wartezeit von 60 Versicherungsmonaten in der Bundesrepublik Deutschland: Würde er dort weniger als 60 Versicherungsmonate zurückgelegt haben, könnte er trotz Anerkennung dieser Zeiten niemals einen Leistungsanspruch in Deutschland erhalten. Dabei verwechselt er offensichtlich die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten nur für den Erwerb eines Leistungsanspruches (Art 26 Abs 1 des Abkommens) und die Zusammenrechnung von Zeiten für die Ermittlung der Höhe einer Pension (vgl bereits SSV-NF 3/126). Da im vorliegenden Fall die Pensionshöhe und nicht die Erfüllung der Wartezeit strittig ist, geht die Argumentation des Revisionswerbers ins Leere.

Da durch die oben dargelegte Rechtslage lediglich eine doppelte Berücksichtigung von Versicherungszeiten verhindert werden soll, bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Sachgemäßheit dieser Rechtslage unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes (so bereits SSV-NF 4/55). Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher auch diesmal nicht veranlaßt, einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu richten. Da dem Revisionswerber ein Recht, vom Obersten Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, nicht zusteht (SSV-NF 6/51 mwH), ist der diesbezügliche Antrag der Revision zurückzuweisen. Im übrigen war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger aus Billigkeit sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht dargetan. Der Fall bot insbesondere weder tatsächliche noch - mit Rücksicht auf die veröffentlichte und oben zitierte Judikatur - rechtliche Schwierigkeiten.

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