OGH 6Ob634/93

OGH6Ob634/937.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz S*****, vertreten durch Dr.Michael Schneditz-Bolfras, Rechtsanwalt in Gmunden, wider die beklagte Partei Martha S*****, vertreten durch ihren Sachwalter Dr.Josef Raffl, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wegen Ehescheidung, infolge Revision des Klägers gegen das zum Urteil des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 24.März 1993, GZ 1 C 7/93-5, ergangene Berufungsurteil des Landesgerichtes Wels vom 9.Juni 1993, AZ R 541/93(ON 9), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 4.348,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 724,80 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben im September 1966 die Ehe geschlossen. Sie waren damals beide 22 Jahre alt. Der Ehe entstammt eine inzwischen volljährige Tochter.

Die Frau erlitt Ende Mai 1988 einen Schlaganfall. Nach vergeblichen Behandlungen in mehreren Anstalten wurde sie zur Weihnachtszeit 1988 nach Hause entlassen. Nach etwa einem halben Jahr stellte sich die häusliche Betreuung durch eine Pflegeperson als unzureichend heraus. Seit Juni 1989 ist die Frau Pflegling in einem Pflegeheim.

Die Frau ist ein Dauerpflegefall. Sprechkontakte mit ihr sind kaum möglich. Für sie ist gemäß § 273 ABGB ein Sachwalter bestellt.

Der Mann, zunächst Sachwalter seiner schwerst behinderten Frau, besuchte diese im Pflegeheim in unregelmäßigen Abständen. Er hatte aufgrund der Erkenntnis des nicht besserungsfähigen Zustandes seiner Frau seinerseits den Willen verloren, die Ehe fortzusetzen. Er wartete lediglich die Zeit für die Erhebung einer (aussichtsreichen) Scheidungsklage ab.

Anfang Februar 1993 erklärte er eine Scheidungsklage zu gerichtlichem Protokoll. Als Scheidungsgrund machte er geltend, daß sich seine Frau nach dem im Frühjahr 1988 erlittenen Schlaganfall seit Juni 1989 in einem Pflegeheim befände und eine Besserung ihres Zustandes, damit auch eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei. Daraus folgerte der Kläger eine mehr als drei Jahre währende Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft und eine unheilbare Zerrüttung der Ehe. Er begehrte ausdrücklich die Scheidung der Ehe aus dem Grund des § 55 EheG.

Die Frau war als Beklagte durch einen anstelle des Klägers zum Sachwalter bestellten Rechtsanwalt vertreten. Sie erklärte, dem Scheidungsbegehren entgegenzutreten, weil nur der Kläger seinerseits die Ehe als zerrüttet erachte, sie selbst aber gerade ihres Zustandes wegen die Betreuung durch den Ehegatten bräuchte; die begehrte Scheidung würde für sie eine besondere Härte bedeuten. Sie begehrte daher die Abweisung des Scheidungsbegehrens; hilfsweise stellte sie den Antrag, das alleinige Verschulden des Mannes an der Ehezerrüttung auszusprechen, weil nur er die häusliche und geistige Gemeinschaft aufgegeben habe.

Der im Verfahren erster Instanz unvertretene Kläger erklärte, (das Vorbringen seiner Frau) zu bestreiten, dem Verschuldenseinwand aber nicht entgegenzutreten.

Die Beklagte deutete beim Versuch ihrer Vernehmung als Partei an, mit einer Scheidung nicht einverstanden zu sein und begründete dies mit pekuniären Erwägungen ("wegen dem Geld").

Das Prozeßgericht erster Instanz sprach die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs 1 EheG aus und traf dazu im Sinne des § 61 Abs 3 EheG den weiteren Ausspruch, daß den Kläger das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe.

Die Beklagte ließ dieses Scheidungsurteil unangefochten.

Text

Der Kläger strebte mit seiner Berufung die Scheidung der Ehe gemäß § 50 EheG sowie die Abweisung des Verschuldensantrages der Beklagten an. Er rügte als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, daß er nicht angeleitet worden sei, sein Scheidungsbegehren insbesondere auch auf § 50 EheG zu stützen und daß er nicht über die Rechtsfolgen eines Ausspruches nach § 61 Abs 3 EheG belehrt worden sei. Eine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickte der Berufungswerber darin, daß das Gericht erster Instanz der infolge ihrer Pflegebedürftigkeit seit Juni 1989 in einem Pflegeheim untergebrachten Beklagten ihre nun als Dauerzustand anzunehmende Unfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen nach § 90 ABGB nicht als "objektiv vorwerfbare" Pflichtverletzungen zugerechnet habe, was ihr nur wegen ihrer geistigen Störung nicht als Verschulden angelastet werden könnte, aber eben deshalb den Tatbestand nach § 50 EheG erfülle. Was aber das Zerrüttungsverschulden anlange, sei ein solches der Beklagten anzulasten, "zumal sie den gemeinsamen Haushalt verlassen hat und sohin ihrer Beistandspflicht nicht nachgekommen ist". Ein etwa als ehewidrig zu wertendes Verhalten des Mannes habe aber die Frau in ihrem nunmehrigen Zustand nicht als ehezerstörend empfinden können.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil erster Instanz und sprach dazu aus, daß eine Revisionszulässigkeitsvoraussetzung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

Das Berufungsgericht legte eingehend dar, warum es die gerügten Unterlassungen nicht als Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht wertete, hob hervor, daß dem ausdrücklich auf § 55 EheG gestützten Scheidungsbegehren nicht aus dem Grunde des § 50 EheG stattgegeben hätte werden dürfen und daß die erstrichterliche Annahme eines den Kläger treffenden Zerrüttungsverschuldens zutreffe, zumal entgegen den Rechtsmittelausführungen eine (hier im schwer beeinträchtigten Geisteszustand gelegene) Behinderung, die es dem einen Ehegatten unmöglich mache, das Verhalten des anderen als ehezerstörend zu empfinden, die Berücksichtigung dieses Verhaltens bei der Beurteilung des Zerrüttungsverschuldens keineswegs ausschlösse.

Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Scheidung der Ehe gemäß § 50 EheG und Abweisung des Verschuldensantrages abzielenden Abänderungsantrag sowie mit einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Die Beklagte strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht hat in den in der Berufung genannten Unterlassungen richterlicher Anleitung keinen wesentlichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens erkannt und deshalb auch keinen Anlaß zu einer Erneuerung des erstinstanzlichen Verfahrens unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteiles und Rückverweisung der Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz gefunden. Der Rechtsmittelwerber rügt als wesentlichen Mangel des Berufungsverfahrens, daß das Berufungsgericht keine Verfahrensergänzung angeordnet habe.

Bei Verneinung eines Verfahrensmangels hatte das Berufungsgericht keine Verfahrensergänzung zu beschließen. Die nachvollziehbar begründete Verneinung des gerügten Verfahrensmangels erster Instanz durch das Berufungsgericht bleibt aber nach dem Größenschluß unüberprüfbar, daß selbst die Verneinung eines mit Nichtigkeit bedrohten Verfahrensmangels unüberprüfbar bliebe (weil die Verwerfung einer auf Nichtigkeit gegründeten Berufung beschlußmäßig zu erfolgen hätte und ein diesbezüglicher berufungsgerichtlicher Beschluß unanfechtbar wäre). Dieser Grundsatz hat seit der Änderung der besonderen Bestimmungen für das Verfahren in Ehesachen durch das Bundesgesetz vom 11.November 1983, BGBl Nr.566, auch für das Eheverfahren uneingeschränkte Geltung.

Das Berufungsgericht hat die Prozeßerklärung des Klägers, er trete dem Verschuldenseinwand (genauer dem Antrag der Beklagten, sein Zerrüttungsverschulden auszusprechen) nicht entgegen (was die Beklagte damit begründet hatte, daß es der Kläger und nicht sie gewesen wäre, der die häusliche und geistige Gemeinschaft aufgegeben habe), als verfahrensrechtlich beachtliches Geständnis gewertet. Das Berufungsgericht ist aber darüber hinaus davon ausgegangen, daß gröblichste Vernachlässigungen des vom Kläger seiner schwerst behinderten Frau gegenüber geschuldeten Beistandes auch im Berufungsverfahren nicht strittig geworden wären. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß die auf die Geltendmachung eines Sachverhaltes, der zum Scheidungsbegehren wegen Verschuldens berechtigen würde, abgestimmte Regelung des § 56 EheG bei der Beurteilung des Zerrüttungsverschuldens im Sinne des § 61 Abs 3 EheG nicht anwendbar ist (RZ 1983/15).

Wäre es im übrigen erheblich, daß der eine Eheteil das Verhalten des anderen nicht als "zerrüttungsfördernd" empfunden habe, träte die Rechtsfolge der Unbeachtlichkeit einer solchen Ehezerrüttung bei einer auf geistiger Behinderung beruhenden Unfähigkeit des anderen Eheteils, die Zerrüttungsträchtigkeit des Partnerverhaltens zu erfassen, ebensowenig ein wie die Unbeachtlichkeit einer Eheverfehlung gemäß § 56 EheG, wenn dem anderen Eheteil infolge einer geistigen Behinderung die Fähigkeit fehlte, die Verfehlungen des anderen als solche zu erkennen und als ehestörend zu empfinden (JBl 1964, 37 = EvBl 1963/203).

Durch die Stattgebung seines auf § 55 Abs 1 EheG gegründeten Scheidungsbegehrens kann sich der Revisionswerber nicht beschwert erachten. Im Ausspruch gemäß § 61 Abs 3 EheG ist keine unrichtige rechtliche Beurteilung zu erkennen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den 3§ 41 und 50 ZPO.

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