OGH 4Ob150/93

OGH4Ob150/932.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** Gesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Harald Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei "D*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Kammerlander & Piaty, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 480.000), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 27.Mai 1993, GZ 1 R 67/93-9, womit die einstweilige Verfügung des Handelsgerichtes Wien vom 19.Februar 1993, GZ 37 Cg 89/93d-3, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt, einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teiles, wie folgt zu lauten haben:

"Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des Anspruches der Klägerin auf Unterlassung wettbewerbswidriger Handlungen, worauf das Klagebegehren gerichtet ist, wird der Beklagten bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreites aufgetragen, ab sofort bis auf weiteres im geschäftlichen Verkehr mit Tageszeitungen Marktforschungsergebnisse über die Leserzahlen der Tageszeitung 'Die Presse' im Vergleich zu anderen Tageszeitungen zu unterlassen, wenn dabei Veränderungen der Leserzahlen behauptet werden, die in diesen Marktforschungsergebnissen keine Grundlage finden, insbesondere in Form der Ankündigung:

und jede diesem Verbot widerstreitende Ankündigung zu beseitigen, soweit ihr noch die Verfügung darüber oder ein diese ermöglichender Einfluß auf den unmittelbar Verfügungsberechtigten zusteht.

Das Mehrbegehren, der Beklagten die Ankündigung von Marktforschungsergebnissen über die Leserzahlen der Tageszeitung 'Die Presse' im Vergleich zu anderen Tageszeitungen zu untersagen, wenn dabei zahlenmäßige Zuwächse oder Verluste an Lesern ohne die absoluten Leserzahlen genannt werden, und ihr aufzutragen, jede diesem Verbot widerstreitende Ankündigung zu beseitigen, wird abgewiesen."

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 18.702 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 3.117,02 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Medieninhaberin der Tageszeitung "Der Standard"; die Beklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitung "Die Presse". In der Ausgabe der "Presse" vom 17.2.1993 ließ die Beklagte das im Spruch angeführte Inserat einschalten.

Die Optima-Analyse 1991/92 umfaßt den Zeitraum Juli 1991 bis Mai 1992. Für Tageszeitungen ergaben sich daraus folgende Reichweiten und "Leser pro Ausgabe"-Zahlen:

Reichweite Projektion

in % in 1.000

Wiener Zeitung 0,9 55

Der Standard 4,5 291

Die Presse 2,6 166

Kurier 14,1 909

Neue Kronen-Zeitung 42,8 2765

Kleine Zeitung 11,4 733

Neue Zeit 1,7 109

Kärntner Tageszeitung1,3 85

Neues Volksblatt 0,9 60

Oberösterr.Nachrichten

5,0 325

Salzburger Nachrichten

3,6 230

Salzburger Volkszeitung

0,5 32

Tiroler Tageszeitung 4,2 271

Neue Vorarlberger Tageszeitung

1,1 70

Vorarlberger Nachrichten

3,0 195

Die Optima-Analyse 1992 umfaßt den Zeitraum Jänner bis Dezember 1992.

Sie weist für Tageszeitungen folgende Werte aus:

Reichweite Projektion

in % in 1.000

Wiener Zeitung 0,8 51

Der Standard 4,5 292

Die Presse 2,8 180

Kurier 13,2 2.773

Neue Kronen-Zeitung

43,0 1.127

Kleine Zeitung 11,2 725

Neue Zeit 1,7 107

Kärntner Tageszeitung

1,3 81

Neues Volksblatt0,9 55

Oberösterr.Nachrichten

5,2 326

Salzburger Nachrichten

3,5 227

Salzburger Volkszeitung

0,5 30

Tiroler Tageszeitung

4,2 271

Neue Vorarlberger Tageszeitung

1,0 62

Vorarlberger Nachrichten

3,2 206

Die angegebenen Zahlen sind Durchschnittswerte; die Schwankungsbreite (das Fehler-Intervall) betrug für die "Presse" bei den absoluten Leserzahlen 19.000, für den "Standard" 26.000.

Die "Bedingungen für die Veröffentlichung von Optima-Resultaten" sehen als Regel unter anderem vor: "Wenn ein Vergleich mit früheren Untersuchungen vorgenommen wird, muß die Fehlerspanne berücksichtigt werden. Liegt der frühere Wert innerhalb dieses Fehlerintervalls, dann darf kein Unterschied zwischen den alten und neuen Werten interpretiert werden."

Die im Inserat der Beklagten genannten Zahlen sind die Differenz zwischen den Projektionszahlen aus der Optima-Analyse 1992 und den Projektionszahlen aus der Optima-Analyse 1991/92. Mit Ausnahme der Tageszeitung "Kurier" liegen alle Projektionszahlen aus der Opitma-Analyse 1992 in der Schwankungsbreite der Projektionszahlen aus der Optima-Analyse 1991/92.

Die Klägerin begehrt zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr mit Tageszeitungen Marktforschungsergebnisse über die Leserzahlen der Tageszeitung "Die Presse" im Vergleich zu anderen Tageszeitungen anzukündigen, wenn dabei

Die Darstellung in dem beanstandeten Inserat sei grob irreführend, weil die absoluten Leserzahlen nicht angegeben seien und dadurch der Eindruck erweckt werde, daß auf dem Zeitungsmarkt eine entscheidende Veränderung eingetreten sei. Dieser Eindruck sei irreführend, weil die relativen Gewinne anderer Tageszeitungen gleich hoch seien wie jener der als "führend" herausgestellten "Presse" und alle Gewinne innerhalb der statistischen Schwankungsbreite lägen. In der Opitma-Analyse sei die Fehlerbandbreite der Erhebungsergebnisse ausführlich beschrieben. Sie erlaube den Vergleich früherer Durchschnittswerte mit den aktuellen Werten so lange nicht, als diese innerhalb des Fehlerintervalles liegen; in diesem Fall wäre es denkbar, daß in Wahrheit überhaupt keine Veränderungen in den Leserzahlen eingetreten sind. Darüber hinaus dürften die Erhebungsergebnisse zweier einander überlappender Ganzjahres-Analysen nicht in der Form verglichen werden, daß daraus Schlüsse (nur) auf das zweite Halbjahr der jüngeren Analyse gezogen werden.

Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung, ohne den Sicherungsantrag der Beklagten zur Äußerung zuzustellen. Das Inserat der Beklagten sei eine zur Irreführung geeignete Angabe über den Leserzuwachs. Die "Presse" werde nach dem Gesamteindruck des Inserates als nach der Optima-Analyse 1992 erfolgreichste Zeitung dargestellt. Flüchtige oder über die Größenverhältnisse der verglichenen Medien nicht ausreichend informierte Leser könnten mangels Angabe der absoluten Leserzahlen annehmen, daß eine entscheidende Veränderung auf dem Tageszeitungsmarkt eingetreten sei. Dieser Eindruck sei irreführend, weil alle "Gewinne" innerhalb der statistischen Schwankungsbreite der Optima-Analyse 1991/92 lägen, so daß in Wahrheit möglicherweise überhaupt keine Veränderungen in den Leserzahlen eingetreten seien. Die Beklagte habe mit ihrem Inserat gegen § 2 UWG verstoßen, weil sie nicht auch die absoluten Leserzahlen genannt und mit angeblichen Veränderungen geworben habe, die in den bezogenen Marktforschungsergebnissen - weil innerhalb der Fehlerbandbreite gelegen - keine Grundlage fänden.

Das Rekursgericht gab dem gegen den ersten Punkt der einstweiligen Verfügung erhobenen Rekurs der Beklagten nicht Folge; der zweite Punkt der einstweiligen Verfügung ist in Rechtskraft erwachsen. Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Durch die Angabe der Leserzuwächse und Leserverluste in der beanstandeten Graphik ohne Angabe der jeweiligen absoluten Leserzahl würden die angegebenen Daten grob verzerrt; für den flüchtigen Durchschnittsleser könne der Eindruck entstehen, daß sich die Verhältnisse und Reichweiten auf dem Zeitungsmarkt insgesamt nachhaltig zugunsten der Beklagten verändert hätten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten. Die Rechtsmittelwerberin beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgewiesen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil ein gleichgelagerter Sachverhalt bisher nicht Gegenstand einer höchstgerichtlichen Entscheidung war; er ist auch berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin verweist darauf, daß der Werbende nicht zur Vollständigkeit verpflichtet ist; er braucht solche Umstände nicht mitzuteilen, die beim Käufer möglicherweise Bedenken oder Vorurteile gegen die Ware auslösen (Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht17 § 3 dUWG Rz 47; ÖBl 1981,21; ÖBl 1985,101; WBl 1990,82; WBl 1993,164).

Etwas anderes gilt aber dann, wenn für den Werbenden eine

Aufklärungspflicht besteht und infolgedessen im Verschweigen einer

Tatsache eine irreführende Angabe liegt (Baumbach-Hefermehl aaO Rz

48; Hohenecker-Friedl, Wettbewerbsrecht 23; ÖBl 1980, 73 ua). Eine

Pflicht zur Aufklärung besteht ua dann, wenn durch das Verschweigen

wesentlicher Umstände ein falscher Gesamteindruck hervorgerufen wird

(Baumbach-Hefermehl aaO Rz 49 a; ÖBl 1982, 126; ÖBl 185, 71; ÖBl

1985, 101; SZ 57/117; WBl 1989, 123; WBl 1990, 82).

Die Beklagte hat sich in ihrem Inserat darauf beschränkt, die

Veränderungen der Leserzahlen in absoluten Zahlen anzugeben. Wer das

Inserat betrachtet, erfährt daher nur, wieviele Leser die einzelnen

Zeitungen dazugewonnen (verloren) haben. Als größter "Gewinner"

erscheint die "Presse", hat sie doch 14.000 Leser dazugewonnen,

während die ihr nachfolgenden "Oberösterreichischen Nachrichten" und

"Vorarlberger Nachrichten" einen Gewinn von je 11.000 Lesern, die

"Neue Kronen-Zeitung" einen Gewinn von 8.000 Lesern und der

"Standard" einen Gewinn von 1.000 Lesern aufweisen.

Ob diese Zahlen tatsächliche Veränderungen ausdrücken oder, weil

innerhalb der statistischen Schwankungsbreite gelegen, nur etwas über

möglicherweise gegebene, nicht aber feststehende Zuwächse und

Verluste aussagen, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung:

zu entscheiden ist hier nur noch über das Begehren der Klägerin, der

Beklagten das Werben mit Veränderungen von Leserzahlen ohne

gleichzeitige Angabe der absoluten (Gesamt-)Leserzahlen zu verbieten,

während ihr das Werben mit innerhalb der statistischen

Schwankungsbreite liegenden Daten bereits rechtskräftig verboten ist.

Das Werben mit der Veränderung der Leserzahlen ohne Angabe der

absoluten (Gesamt-)Leserzahl ist im Sinne der obigen Ausführungen

unzulässig, wenn ein irreführender Eindruck über die Größenverhältnisse auf dem österreichischen Tageszeitungsmarkt entsteht. Das muß aber - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - hier verneint werden:

Auch der flüchtigste Durchschnittsleser erkennt, daß sich das Inserat

mit der Veränderungen der Leserzahlen nach der Optima-Analyse 1992

befaßt. Jeder Leser, zumindest aber jeder durch das Inserat

angesprochene "Presse"-Leser, ist zumindest oberflächlich darüber

informiert, welche Tageszeitungen am meisten gelesen werden und daß

die "Presse" nicht dazu gehört. Es kann daher ausgeschlossen werden,

daß ein ins Gewicht fallender Teil der angesprochenen Vekehrskreise

annimmt, die Verhältnisse am Zeitungsmarkt hätten sich grundlegend

geändert, weil die "Presse" mehr Leser als (zB) die

"Oberösterreichischen Nachrichten" und die "Neue Kronen-Zeitung"

dazugewonnen habe. Die Darstellung nur der Veränderungen in den

Leserzahlen ist daher im vorliegenden Fall nicht geeignet, einen

irreführenden Gesamteindruck hervorzurufen, so daß im Sinne der oben

dargelegten Rechtsprechung und Literatur keine Pflicht zur Aufklärung

besteht. Mangels einer solchen Aufklärungspflicht ist aber das

Verschweigen der absoluten (Gesamt-)Leserzahlen keine irreführende

Angabe; ein Verstoß gegen § 2 UWG liegt daher nicht vor.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben und die Entscheidungen der

Vorinstanzen waren dahin abzuändern, daß der erste Punkt des Antrages

auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 402, 78 EO; §§ 41, 50, 52 ZPO.

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