OGH 10ObS201/93

OGH10ObS201/9314.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Fritz Stejskal (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Peter Fischer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dkfm.Günter M*****, vertreten durch Dr.J***** F***** und Dr.C***** K*****, Rechtsanwälte in *****, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17.Juni 1993, GZ 8 Rs 41/93-9, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 8.April 1993, GZ 32 Cgs 30/93-6, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Bescheid der Beklagten vom 13.1.1993, mit dem die Gewährung einer Rente aus Anlaß des Arbeitsunfalles, den der Kläger am 29.8.1991 im Betrieb der E. u. M. M***** Gesellschaft mbH in ***** erlitt, abgelehnt wurde, wurde dem Kläger am 14.1.1993, einem Donnerstag, durch Ersatzzustellung zugestellt. Der Bescheid enthält folgende Belehrung über das Klagerecht: "Dieser Bescheid wird gemäß § 67 Abs 2 des Arbeits- und Sozialgerichsgesetzes (ASGG) rechtskräftig, wenn Sie nicht innerhalb von vier Wochen nach Zustellung Klage erheben bei dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- uns Sozialgericht in Graz, Nelkengasse 2. Nähere Angaben zum Klagerecht enthält das diesem Bescheid angeschlossenen Informationsblatt."

Die Klage des von einem Rechtsanwalt vertretenen Klägers wurde am 15.2.1993 (Montag) verfaßt und an das Erstgericht zur Post gegeben.

Die Beklagte wies in der Klagebeantwortung darauf hin, daß der Bescheid vom Kläger am 14.1.1993 übernommen worden sei. Die nicht innerhalb der Frist von vier Wochen ab Zustellung des Bescheides erhobene Klage sei daher zurückzuweisen.

Das Erstgericht wies die verspätete Klage nach § 73 ASGG zurück. Dieser Beschluß wurde dem Klagevertreter am 5.3.1993 zugestellt.

In einem am 12.3.1993 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte der Kläger die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Klagefrist. Zur Begründung führte er an, der Bescheid sei am 14.1.1993 nicht von ihm persönlich, sondern von einem Angestellten der E. u. M. M***** GesmbH übernommen worden. Da es sich nicht um Geschäftspost gehandelt habe, sei das Schriftstück nicht mit einem Posteingangsstempel versehen und dem Kläger mit der Geschäftspost von seinem Büro am 18.1.1993 (Montag) vorgelegt worden. Der Kläger sei davon ausgegangen, daß der Bescheid am letztgenannten Tag zugestellt worden sei. Am 29.1.1993 (Freitag) habe er den Bescheid dem Klagevertreter in dessen Kanzlei übergeben und mitgeteilt, daß die Zustellung seiner Erinnerung nach am 18.1.1993, jedenfalls "vergangene Woche" erfolgt sei. Darauf sei im Fristenvormerk der Kanzlei des Klagevertreters der 15.2.1993 als letzter Tag für die Einbringung der Klage eingetragen worden. An diesem Tag sei die Klage auch zur Post gegeben worden. Daraus ergebe sich, daß der Kläger infolge seiner irrigen Annahme eines späteren Beginnes des Fristenlaufes, also durch ein unvorhergesehenes Ereignis, an der rechtzeigigen Einbringung der Klage gehindert gewesen sei.

Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag ohne mündliche Verhandlung ab.

Der Kläger hätte als Akademiker die Bedeutung des Fristenlaufes erkennen und sich wenigstens über das tatsächliche Einlangen des Bescheides informieren müssen, zumal dieser keinen Eingangsstempel aufgewiesen habe. Deshalb sei ihm ein grobes Verschulden an der Versäumung anzulasten, das der Bewilligung der Wiedereinsetzung eintgegenstehe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Dem Kläger als Diplomkaufmann und Unternehmer hätte die Bedeutung des Zustelltages für den Fristenlauf, über den er im Bescheid belehrt worden sei, klar sein müssen. Zur Beseitigung allfälliger Unklarheiten wäre ihm sein Rechtsanwalt zur Verfügung gestanden. Ein diesem unterlaufener Fehler stünde einem Fehler des Klägers gleich. Nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages habe der Kläger entgegen den Gepflogenheiten bei der Geschäftspost über keinen Nachweis des Zustelltages verfügt. Er sei daher diesbezüglich auf seine Erinnerung angewiesen gewesen, als er dem Klagevertreter den Zustelltag mitteilte. Daß dieser besonders dann für die Rechtzeitigkeit der Klageeinbringung von entscheidender Bedeutung sei, wenn diese erst am letzten Tag der Frist eingebracht werde, hätten die Beteiligten wissen müssen. Es könne daher nicht mehr als bloß leichte Fahrlässigkeit des bereits anwaltlich vertretenen Klägers angesehen werden, wenn er sich hinsichtlich des entscheidenden Zustelltages auf seine Erinnerung verlassen habe, obwohl ihm am 29.1.1993 noch ausreichend Zeit für Nachforschungen über den wahren Zustellzeitpunkt zur Verfügung gestanden wäre.

Im Revisionsrekurs macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, den angefochtenen Beschluß durch Bewilligung der Wiedereinsetzung abzuändern.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rekursbeschränkungen des § 528 Abs 1 und Abs 2 Z ... 2 ZPO nach § 47 Abs 1 ASGG nicht anzuwenden sind und an deren Stelle die Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG sinngemäß gelten. Da es sich um ein Verfahren über wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen handelt, ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nach § 47 Abs 2 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 leg cit zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt (§ 146 Abs 1 letzter Satz ZPO). Da das Gesetz diesbezüglich nicht unterscheidet, ist die zit Bestimmung über die Parteien auch auf deren Bevollmächtigte zu beziehen (§ 39 leg cit). Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfen also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, also die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderlichen und ihnen nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht extrem außer acht gelassen und etwas unbeachtet gelassen haben, was im konkreten Fall jedem leicht einleuchten mußte; wenn also einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden. Dabei ist an rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. War die Versäumung voraussehbar udn hätte sie durch ein der Partei zumutbares Verhalten abgewendet werden können, dann ist die Wiedereinsetzung zu verweigern (Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 580; EvBl 1987/94; RZ 1989/69, jeweils mwN; RZ 1991/54 und 60).

Ob im vorliegenden Fall der Kläger selbst auffallend sorglos gehandelt hat, kann dahingestellt bleiben, weil seinem Vertreter an der Versäumung ein Verschulden zur Last liegt, das über den die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht hindernden minderen Grad des Versehens erheblich hinausgeht.

Nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages befragte der Klagevertreter seinen Mandaten bei der Übergabe des keinen Eingangsvermerk aufweisenden Bescheides am 29.1.1993 zwar darüber, wann ihm dieser zugestellt worden sei. Er begnügte sich aber mit der Antwort, die Zustellung sei seiner (des Klienten) Erinnerung nach am 18.1.1993, jedenfalls "vergangene Woche" erfolgt, ließ ohne weitere Überprüfung im Fristenvormerk den 15.2.1993 als letzten Tag der Klageerhebung eintragen und gab die an diesem Tag verfaßte Klage erst an diesem Tag an das Erstgericht zur Post.

In einem solchen Fall darf sich ein sorgfältiger Rechtsanwalt nicht auf die unbestimmten Angaben des Klienten über das die Klagefrist auslösende Zustelldatum des Bescheides verlassen und die Klage nicht erst am letzten Tag der nach dem nicht sicheren Zustelltag berechneten Frist erheben. Er ist vielmehr verpflichtet, entweder das richtige Zustelldatum zB durch eine telefonische Anfrage beim Versicherungsträger zu ermitteln oder - wenn schon aus dem Bescheiddatum zu erkennen ist, daß die Klagefrist bis zu einem bestimmten Tag jedenfalls offen sein muß,- die Klage in dieser Frist zu erheben.

Daß der Klagevertreter diese erforderliche und ihm ohne weiteres zumutbare, ja geradezu als selbstverständlich zu bezeichnende Sorgfalt nicht aufgewendet hat, stellt eine auffallende Sorglosigkeit dar, die der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegensteht. Es war daher nicht mehr zu prüfen, ob auch dem Kläger selbst ein grobes Verschulden zur Last liegt.

Dem Revisionsrekurs war daher somit nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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