OGH 9ObA309/93

OGH9ObA309/9313.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr.Walter Zeiler und Mag.Kurt Retzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*****gmbH, ***** vertreten durch Dr.Peter Primus, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Alois H*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Klaus Kocher, Rechtsanwalt in Graz, wegen Räumung (Streitwert 6.000 S), infolge der als ordentliche Revision zu behandelnden außerordentlichen Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.April 1993, GZ 7 Ra 145/92-15, womit infolge Berufung des Beklagten das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 22.Juli 1992, GZ 33 Cga 113/92-6, betätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte war bis zu seinem Ausscheiden zum 1.12.1989 bei der Klägerin beschäftigt. Mit schriftlicher Vereinbarung vom 18.6.1984 wurde dem Beklagten für die Dauer des aufrechten Bestandes seines Dienstverhältnisses ab 1.7.1984 eine aus einem Wohnraum, einem als Küche adaptierten Vorraum und einer Toilette bestehende Dienstwohnung in Graz gegen ein Benützungsentgelt von 550 S monatlich inklusive Umsatzsteuer zuzüglich der jeweils anfallenden Stromkosten zur Verfügung gestellt. Für den Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses verpflichtete sich der Beklagte, die Wohnung am letzten Arbeitstag bis 12 Uhr mittags zu räumen. Das Dienstverhältnis wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 31.10.1989 per 1.12.1989 aufgekündigt und der Beklagte aufgefordert, die Wohnung mit Beendigung des Dienstverhältnisses zu räumen und der Klägerin geräumt zu übergeben.

Die Klägerin begehrt, den Beklagten zur Räumung dieser Wohnung zu verpflichten und brachte vor, daß dem Beklagten auf sein Ersuchen die jederzeit widerrufliche Weiterbenützung der Wohnung zu den bisherigen Bedingungen gestattet worden sei. Mit Schreiben vom 3.9.1990 habe die Klägerin dieses Nutzungsrecht widerrufen und den Beklagten aufgefordert, die Wohnung bis spätestens 30.9.1990 zu räumen. Der Beklagte habe die Wohnung jedoch nicht geräumt und auch die weiteren Schreiben, mit denen die Räumungsfrist bis 21.4.1992 verlängert worden sei, ignoriert.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er sei für die gesamten Wohnungskosten aufgekommen; der Verbleib in der Wohnung sei ihm zugesichert worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte folgenden weiteren Sachverhalt fest:

Nach Beendigung des Dienstverhältnisses per 1.12.1989 wurde dem Beklagten auf sein Ersuchen mit Schreiben vom 12.3.1990 die Weiterbenutzung der Wohnung auf jederzeitigen Widerruf gestattet, wobei diese Genehmigung unter den in der seinerzeitigen Vereinbarung vom 18.6.1984 genannten Bedingungen erteilt wurde. Danach sollte die Wohnung auch weiterhin als Dienstwohnung überlassen werden und kein Mietverhältnis begründet werden. Im Falle des Widerrufes sollte der Beklagte die Wohnung binnen drei Tagen räumen und übergeben. Dieses Schreiben wurde vom Beklagten zum Zeichen seiner Zustimmung unterfertigt.

Mit Schreiben vom 3.9.1990 widerrief die Klägerin die weitere Nutzung und forderte den Beklagten auf, die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten bis längstens 30.9.1990 geräumt zu übergeben. Daraufhin bat der Beklagte den Betriebsleiter der Klägerin, ihn weiter, allenfalls als Mieter, in der Wohnung zu belassen; dieser versprach, das Ersuchen des Beklagten weiterzuleiten. Danach benützte der Beklagte die Räume mit Duldung der Klägerin weiter. Mit Schreiben vom 6.3.1992 forderte die Klägerin den Beklagten neuerlich zur Räumung bis spätestens 12.3.1992 auf. Danach wandte sich der Beklagte neuerlich an den Betriebsleiter der Klägerin und ersuchte ihn, sich über die Möglichkeit einer weiteren Überlassung der Wohnung zu erkundigen. Es kam darüber jedoch zu keiner Einigung zwischen den Streitteilen; der Räumungstermin wurde mehrmals erstreckt, zunächst bis 25.3., dann bis 15.4. und schließlich bis 21.4.1992.

Das Erstgericht qualifizierte die Wohnung als Dienstwohnung. Die Weiterbenützung sei nur auf Ersuchen des Beklagten erfolgt; ein Mietverhältnis sei daher nicht zustandegekommen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S nicht übersteige und daß die Revision nicht zulässig sei. Wohnungen, die aufgrund eines Dienstverhältnisses als Dienst-, Natural- oder Werkswohnungen überlassen würden, fielen nach § 1 Abs 2 Z 2 MRG nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses sei es zu keinem konkludenten Abschluß eines Mietverhältnisses gekommen, sondern nur zu einer Gestattung der Weiterbenützung zu den bisherigen Bedingungen bis auf Widerruf. Werde dem Dienstnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses die weitere Benützung der Dienstwohnung gestattet, entstehe auch bei Vereinbarung eines Nutzungsentgeltes kein Mietverhältnis; ein solches Nutzungsverhältnis sei ohne Kündigung lösbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 1 Z 2 iVm § 45 Abs 2 ASGG jedenfalls zulässig.

Gemäß § 45 Abs 2 Satz 3 ASGG sind die in § 49 Abs 2 Z 5 JN genannten Streitigkeiten jedenfalls mit einem 50.000 S übersteigenden Betrag zu bewerten. Diese Bestimmung verhindert ebenso wie der durch § 502 Abs 3 Z 2 ZPO ersetzte § 500 Abs 2 letzter Satz ZPO (idF vor der WGN 1989) die Beschränkung des Zuganges zum Obersten Gerichtshof durch entsprechend niedrige Bewertung des Entscheidungsgegenstandes für Streitigkeiten, in denen es um Bestandrechte an einer Wohnung und damit in der Regel um existentielle Bedürfnisse des betroffenen Nutzungsberechtigten geht. Mit der Einschränkung des Anwendungsbereiches des § 45 Abs 2 Satz 3 ASGG auf reine Bestandstreitigkeiten würde der - insbesondere aus § 502 Abs 3 Z 2 ZPO idF der WGN 1989 klar erkennbaren - Absicht des Gesetzgebers, diesen erhöhten Schutz immer dann zu gewähren, wenn es um die Nutzung einer Wohnung geht, nicht Rechnung getragen, da bei Dienst- und Naturalwohnungen das Rechtsverhältnis insgesamt dem Vertragstyp Arbeitsvertrag zuzuordnen ist (siehe Wachter, Rechtsprobleme der Dienst-, Natural-, Werks- und Mietwohnungen von Arbeitnehmern2, 18 f sowie 24). In analoger Anwendung des § 45 Abs 2 Satz 3 ASGG sind daher Streitigkeiten in Arbeitsrechtssachen, bei denen es (auch) um das Nutzungsrecht an einer dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber überlassenen Wohnung geht, auch dann mit einem 50.000 S übersteigenden Betrag zu bewerten, wenn es sich nicht um reine Bestandstreitigkeiten handelt.

Die Bewertung des Entscheidungsgegenstandes durch das Berufungsgericht mit weniger als 50.000 S verstößt daher gegen das Gesetz. Diese unrichtige Bewertung sowie der bei einer Bewertung mit einem 50.000 S übersteigenden Betrag gemäß § 45 Abs 1 ASGG nicht vorgesehene Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG gelten als nicht beigesetzt (siehe Kuderna ASGG § 45 Erläuterung 13; RZ 1992/1; 9 Ob A 29/93; 9 Ob A 1005/93; 9 Ob A 1016/93). Die Revision des Beklagten ist daher als ordentliche Revision zu behandeln.

Da die Klägerin mit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung ihr Recht zur Erstattung einer Gegenschrift bereits erschöpft hat (siehe 4 Ob 508/87, im hier nicht maßgeblichen Teil veröffentlicht in JBl 1987, 447), konnte der erkennende Senat sofort über das als ordentliche Revision zu behandelnde Rechtsmittel des Beklagten entscheiden.

Die Revision ist berechtigt.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt vor.

Da der Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht vertreten war, waren gemäß § 63 Abs 1 ASGG die Bestimmungen über das Neuerungsverbot nach § 482 ZPO im Berufungsverfahren nicht anzuwenden. Beim Vorbringen des Beklagten in der Berufung, daß nach Beendigung des Dienstverhältnisses konkludent ein Mietvertrag zustande gekommen sei und dem hiezu erstatteten Beweisanbot handelte es sich daher um zulässige Neuerungen, die vom Berufungsgericht auch dann zu beachten waren, wenn das Erstgericht seine Anleitungspflicht nicht verletzt hatte.

Das Urteil des Berufungsgerichtes war daher im Sinne des Eventualantrages des Revisionswerbers aufzuheben und die Sache zur Behandlung des vom Beklagten in der Berufung erstatteten relevanten (vgl aber 9 Ob A 336/89, wonach aus der Weiterbelassung des Arbeitnehmers in der Dienstwohnung nicht ohne weiteres auf den Willen des Arbeitgebers geschlossen werden kann, nunmehr mit dem Arbeitnehmer einen nach dem MRG geschützten Mietvertrag abzuschließen) und zulässigen Vorbringens und Beweisanbotes an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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