OGH 8Ob569/92

OGH8Ob569/9230.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.E.Huber, Dr.Niederreiter, Dr.Rohrer und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Hermann M*****, und 2.) Elfriede M*****, beide vertreten durch Dr.Josef Lechner und Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, wider die beklagte Partei Anna L*****, vertreten durch den Sachwalter Dr.Johannes Riedl, Rechtsanwalt in der Stadt Haag, wegen Auflösung eines Dienstbarkeitsvertrages, Einwilligung zur grundbücherlichen Löschung des Wohnungsrechtes und Räumung infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Berufungsgerichtes vom 14.Jänner 1992, GZ R 819/91-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Haag vom 2.Oktober 1991, GZ C 425/90 -16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung der angefochtenen Entscheidung wird das erstgerichtliche Urteil wieder hergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, den Klägern die mit S 22.497,36 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (einschließlich S 2.749,56 Umsatzsteuer und S 6.000,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Übergabsvertrag vom 29.4.1978 übergab Wilhelm L***** seinem Neffen Franz Xaver L***** die Liegenschaft EZ 33 KG W*****. Als Gegenleistung ließ er sich und seiner Tochter Anna L*****, der nunmehrigen Beklagten, das lebenslängliche und unentgeltliche Wohnungsrecht im Hause W***** Nr. 36 einräumen. Das Wohnungsrecht für die nunmehrige Beklagte ist verbüchert. Mit gerichtlichem Vergleich vom 13.4.1987 wurde zwischen Franz Xaver L***** und der nunmehrigen Beklagten festgehalten, daß deren Wohnungsrecht aus dem Übergabevertrag nur die im Erdgeschoß des Hauses liegenden Räume (Küche und zwei Zimmer) sowie die Mitbenützung des Kellers umfaßt; der Vergleich wurde pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Mit Kaufvertrag vom 10.8.1988 veräußerte Franz Xaver L***** die Liegenschaft an die Kläger. In Vertragspunkt V wurde darauf hingewiesen, daß im Grundbuch zugunsten der nunmehrigen Beklagten die Dienstbarkeit des Wohnungsrechtes gemäß Übergabsvertrag haftet und daß diese Dienstbarkeit im Umfang des vorgenannten gerichtlichen Vergleiches "zusteht". Die Käufer erklärten, diesen gerichtlichen Vergleich zu kennen und übernahmen die Dienstbarkeit des Wohnungsrechtes in ihre weitere Duldungs- und Vertretungspflicht. Der Verkäufer übernahm die Haftung dafür, daß außer dieser Dienstbarkeit für die nunmehrige Beklagte keine weiteren Rechte derselben an der Vertragsliegenschaft bestehen. Mit gerichtlichem Vergleich vom 18.1.1989 verpflichtete sich die nunmehrige Beklagte gegenüber den Klägern, den Gebrauch und die Benutzung aller Räume des Hauses W***** 36 und aller Liegenschaftsteile der EZ 33 KG W***** zu unterlassen, ausgenommen die zu ebener Erde gelegene Küche und zwei Zimmer sowie die Mitbenützung des Kellers und den ungehinderten Zugang der Kläger zum Hause zu dulden. Auch dieser Vergleich wurde pflegschaftsgerichtlich genehmigt.

In der am 17.4.1990 eingebrachten Klage stellen die Kläger folgende Begehren:

1.) Es werde festgestellt, daß die mit Übergabsvertrag vom 29.4.1978 und Vergleich des Bezirksgerichtes H***** vom 13.4.1987 zu C 1/86 begründete Dienstbarkeit der Wohnung zugunsten der beklagten Partei an den im Erdgeschoß des Hauses W***** 36, B*****, liegenden Räumen (Küche und zwei Zimmer) sowie Mitbenützung des Kellers aufgelöst sei;

2.) die beklagte Partei sei schuldig, in die Einverleibung der Löschung des Rechtes der lebenslangen und unentgeltlichen Wohnung gemäß Punkt III. des Übergabsvertrages vom 29.4.1978 einzuwilligen, sodaß das in der EZ 33 Grundbuch 03139 W***** in COZ 2 a einverleibte Wohnungsrecht für Anna L*****, geboren am 19.6.1946, gelöscht werden könne;

3.) Die beklagte Partei sei schuldig, die im Hause W***** 36, B***** im Erdgeschoß liegenden Räume, und zwar Küche und zwei Zimmer zu räumen und den klagenden Parteien in geräumtem Zustand zu übergeben."

Hiezu brachten die Kläger im einzelnen vor: Bei der Besichtigung des Kaufobjektes vor Vertragsabschluß in Anwesenheit des Verkäufers habe es mit der Beklagten keinen Anstand gegeben. Nach Abschluß des Kaufvertrages sei es sodann mit ihr zu den verschiedensten Schwierigkeiten gekommen. Sie habe ihnen bislang mit Erfolg die Nutzung des Hauses verwehrt. Da auf Grund ihres unzumutbaren Verhaltens ein gedeihliches Zusammenleben nicht möglich sei, werde die Dienstbarkeit der Wohnung - wie ein Dauerschuldverhältnis - einseitig aus wichtigen Gründen aufgelöst.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren und führte zur Begründung aus: Ihr "ungewöhnliches Verhalten" gegenüber den Klägern sei darauf zurückzuführen, daß diese ihr bereits bei den ersten Besuchen Angst eingeflößt hätten, sodaß sie sich im Hinblick auf ihre schwere psychische Belastung mehr oder weniger verbarrikadiert habe. Sie befinde sich in einem derartigen geistigen Zustand, daß sie die Tragweite ihrer Handlungen nicht im entferntesten abschätzen könne. Nach ihrer Auffassung habe sie alleine das Wohnrecht im Hause. Ihre Verhaltensweisen seien ausschließlich krankheitsbedingt. Ihr Geisteszustand sei den Klägern im Zeitpunkt des Kaufabschlusses erkennbar gewesen. Diese hätten trotz Kenntnis dieses Zustandes den Kaufvertrag abgeschlossen und solcherart toleriert, daß sie auf Grund ihrer Geisteskrankenheit die nunmehrige Haltung an den Tag legen werde. Zufolge dieser Kenntnis ihrer Geisteskrankheit und der sich daraus ergebenden möglichen Folgen seien die Kläger nicht berechtigt, die Räumung der Liegenschaft zu begehren.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt. Es stellte fest:

Die Kläger hatten vor Abschluß des Kaufvertrages die Liegenschaft unter Führung des Verkäufers Franz Xaver L***** in Abwesenheit der Beklagten besichtigt. Der Verkäufer sagte den Klägern damals, die Beklagte sei etwas zerstreut, aber sonst gebe es mit ihr nichts. Die Kläger hatten mit ihr vor Abschluß des Kaufvertrages keinen persönlichen Kontakt und daher auch keinen persönlichen Eindruck von ihr. Der Verkäufer sagte ihnen nicht, woran sie leide. Ihre Frage, ob es mit der Beklagten nachher Schwierigkeiten geben könnte, verneinte er, beschrieb sie als ein wenig zerstreut, sie "spinne" ein bißchen, aber wenn er hineingehe, gäbe es überhaupt nichts. Mit dieser Information gaben sich die Kläger zufrieden und stellten hinsichtlich der Beklagten keine weiteren Nachforschungen an. Von ihrer Schizophrenie erfuhren sie erst durch ihre späteren Kontakte mit ihrem Sachwalter. Am 10.8.1988 schloßen die Kläger den notariellen Kaufvertrag über die gegenständliche Liegenschaft mit einem Kaufpreis von S 400.000,-. Nach Vertragsabschluß und Schlüsselübergabe fuhr der Verkäufer mit den Klägern zur Kaufliegenschaft. Der Verkäufer klopfte an und die Beklagte sagte gleich zu ihm: "Schleich dich!" und schlug die Türe zu. Er versuchte es dann noch einmal und fragte sie: "Anni, was hast du denn heute?", doch sie gab ihm keine Antwort. Er meinte hierauf zu den Klägern: "Heute spinnt sie offenbar, so kenne ich sie gar nicht", und empfahl ihnen, es am nächsten Tag wieder zu probieren. Dies taten die Kläger, doch die Beklagte sperrte überhaupt nicht auf. In der Folge erfuhren sie, daß die Beklagte den Beklagtenvertreter als Sachwalter habe. Der Erstkläger versuchte sodann noch mehrfach, in das Haus hineinzugelangen. Er konnte jedoch vom Schlüssel keinen Gebrauch machen, weil die Beklagte ihren Schlüssel innen an der Türe stecken ließ und auch noch ein Holz an diese anspreizte. Wegen der Verspreizung nützte auch die Auswechslung des Schlosses durch den Schlüsseldienst nichts. Die Beklagte schrie den Klägern stets zu, daß sie sich schleichen sollten. Als die Kläger die Wiese mähten, ohne dabei zu versuchen, ins Haus einzudringen, kam die Beklagte sofort mit einem Holzprügel heraus und forderte sie auf, zu verschwinden. Ein anderes Mal, als die Kläger auf der Liegenschaft Holz räumten, lief die Beklagte wie "wahnsinnig" umher und sagte:

"Schleicht's euch, es passiert etwas". Dann erhob sie einen Stecken gegen Franz K*****, den Bruder der Zweitbeklagten, worauf dieser gleich zum Erstkläger ging und erklärte, hier mache er nicht mehr weiter mit. Diese Vorfälle wiederholten sich, als K***** noch zweimal zum Haus kam, um die Wiese fertig zu heuen. Er traute sich deswegen nicht mehr, unmittelbar um das Haus herum auszumähen. Mit Beschluß vom 17.1.1990, E 2246/89 des BG H*****, wurde den Klägern als betreibenden Parteien die Exekution zur Erwirkung der Unterlassung aller Handlungen, durch die die verpflichtete Partei dem Vergleich zuwiderhandeln würde, bewilligt. Die betreibenden Parteien wurden ermächtigt, auf Kosten der verpflichteten Partei das Haus W***** 36 zu öffnen bzw. fachmännisch öffnen zu lassen. In der Tagsatzung vom 19.2.1990 zog der Vertreter der betreibenden Parteien im Hinblick auf die Geisteskrankheit und damit verbundene Deliktsunfähigkeit der Verpflichteten und nunmehr beklagten Partei den weiteren Antrag auf Exekution durch Geldstrafen oder Haft zurück. Bei einem Vollzugsversuch zu E 2246/89 fand der Vollstrecker, der gemeinsam mit den Klägern und deren Rechtsvertreter erschienen war, das Haus versperrt vor, sah aber durch das Fenster, daß die Beklagte daheim war. Er klopfte an und rief ihr durch das geschlossene Fenster zu, sie müsse aufmachen, ansonsten würden sie aufsperren. Ein Aufsperrversuch mißlang aber, weil die Eingangstüre von innen verriegelt war. Hierauf schlug der Erstkläger ein Fenster ein, sodaß man mit der Hand hineingreifen und den Riegel öffnen konnte. Die Beklagte beschimpfte nun die Zweitklägerin, wurde aber nicht tätlich und es hatte auch nicht den Anschein, daß sie tätlich werden würde. Der Vollstrecker beruhigte sie und die Zweitklägerin sagte zu ihr, die Kläger hätten das Haus gekauft, es gehöre jetzt ihnen; die Beklagte beharrte aber auf ihrer Meinung, es gehöre zur Gänze ihr und stieß gegen die Zweitklägerin Beschimpfungen wie "Blunzen, Trampel" aus. Die Kläger ihrerseits beschimpften die Beklagte nicht. Sie stellten der Beklagten auch nicht in Aussicht, Türken ins Haus zu nehmen, wenn sie sie nicht hineinlasse. Die Rechtslage wird von der Beklagten entweder gar nicht erkannt oder geleugnet. Sie befindet sich seit sieben Jahren wegen einer schizophrenen Psychose in medizinischer Behandlung. Zwar ist sie in der Lage, ihre alltäglichen Angelegenheiten selbst zu verrichten, sie kann sich aber mit akuten Fragen und Problemen nicht auseinandersetzen. Bereits im Jahre 1987 war sie in einem Erregungszustand in die Ordination des Nervenarztes Dr.B***** gekommen und hatte diesem mitgeteilt, ihr Cousin (Franz Xaver L*****) habe ein Schild aufgestellt, wonach das Haus zu verkaufen sei. Nach Abschluß des Kaufvertrages im August 1988 kam die Zweitklägerin zu Dr.B***** und dieser versuchte hierauf, mit ihr die "Umstellung" zu erörtern und auch über ihren Hausarzt eine diesbezügliche Motivierung zu erreichen, doch gelang dies nicht. Letztlich blieb sie darauf fixiert, selbst die Eigentümerin des Hauses zu sein. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird sie bei dieser Fixierung bleiben. Ärztlicherseits könnte es bestenfalls als erreichbar angesehen werden, daß sie die Eigentümer als Mitbewohner, die "nichts mit ihr zu tun haben" akzeptierte. Ihr psychotisches Residualzustandsbild wird mit ziemlicher Sicherheit so bleiben wie es jetzt besteht. Würden die Eigentümer im Haus einziehen, so würde sich die Klägerin sicher immer wieder einsperren und versuchen, den Klägern den Zutritt ins Haus zu verwehren. Zwar ist nicht anzunehmen, daß es zu einer Fremdgefährdung und Gewalthandlung von ihr gegen die Kläger kommen könnte, aus der Sicht des behandelnden Nervenarztes erscheint es für die Kläger aber nicht empfehlenswert, ihre noch nicht schulpflichtigen Kinder allein im Hause zurückzulassen. Eine exekutive Erzwingung des Verlassens des Hauses durch die Beklagte würde sich auf sie negativ auswirken und ihr Krankheitsbild verschlimmern; sie wird handlungsmäßig abstumpfen und keine Eigenaktivitäten mehr setzen. Nach ihrem Krankheitsbild war ihre Reaktion, nämlich die Fixierung darauf, daß ihr das Haus gehört und die Kläger dort nichts zu suchen hätten, zu erwarten.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht den Standpunkt, die Dienstbarkeit der Wohnung könne wie ein Dauerschuldverhältnis einseitig aus wichtigem Grund aufgelöst werden. Im vorliegenden Fall bestehe kein Zweifel daran, daß ein gedeihliches Zusammenleben der Vertragspartner von Anfang an nicht möglich gewesen und für das Auftreten der Mißhelligkeiten "die Kläger nicht bzw. nicht überwiegend verantwortlich" seien. Demgemäß erscheine für sie die Fortsetzung des Rechtsverhältnisses aus schwerwiegenden Gründen unzumutbar. Es könne von ihnen nicht verlangt werden, auf das Ableben der erst 45-jährigen Beklagten zu warten. Ein Wiederverkauf der Liegenschaft sei nicht möglich. Die Kläger könnten den von ihnen aufgewendeten Betrag von S 700.000,- als Kleinverdiener auch nicht verschmerzen.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten Folge und wies in Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles die Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteigt und daß die Revision zulässig sei.

Gleich dem Erstgericht hielt das Berufungsgericht eine einseitige Auflösung des dinglichen Dienstbarkeitsrechtes der Wohnung als eines Dauerschuldverhältnisses aus besonders gewichtigen, überdurchschnittlich schweren Gründen im Sinne eines "äußersten Notventiles" zwar grundsätzlich für zulässig, es erklärte aber, daß die diesbezüglichen Voraussetzungen hier nicht vorlägen. Sowohl unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung der Beklagten und der "Verantwortlichkeit" für die gegebene Lage als auch im Hinblick auf einen fehlenden Verstoß gegen Treu und Glauben seitens der Beklagten müsse die Auflösbarkeit der Dienstbarkeit verneint werden. Der Gesetzgeber habe diesbezüglich nicht, wie zB im § 1118 ABGB, eine vorzeitige Auflösung der persönlichen Dienstbarkeit vorgesehen, und damit zum Ausdruck gebracht, daß er sie als Mittel der Versorgung bis zum Lebensende betrachte. Bei ähnlichen Rechtsverhältnissen habe der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits zugrundegelegt, daß der rechtliche Zweck die Sicherung der Existenz der Berechtigten gewesen sei. Hier gehe dieser Fürsorgezweck aus dem relativ geringen Alter der Beklagten und dem familienrechtlichen Ursprung - Bestellung der Dienstbarkeit durch den Vater - hervor. Die Kläger seien beim Kauf sehr nachlässig vorgegangen und müßten sich diesen Umstand bei der Beurteilung der Auflösbarkeit anrechnen lassen. Sie hätten sich keinesfalls mit dem Hinweis des Verkäufers, die Beklagte "spinne ein wenig ..........", zufriedengeben dürfen, sondern persönliche Kontakte mit ihr suchen und Erkundigungen über sie einholen müssen. Dies insbesondere auch deswegen, weil sie die Liegenschaft als Wohnmöglichkeit für die gesamte Familie nutzen wollten und die Verträglichkeit der Dienstbarkeitsberechtigten somit vonnöten gewesen sei. Da den Klägern der pflegschaftsbehördlich genehmigte Vergleich bekannt und die diesem zugrundeliegende zivilgerichtliche Auseinandersetzung über den Umfang des Wohnrechtes der Beklagten sowie das Bestehen einer Sachwalterschaft erkennbar gewesen sei, handle es sich um ein sorgloses Verhalten, das die Berufung auf die Unleidlichkeit der Beklagten verwehre. Ganz allgemein könnten wichtige Gründe, die zur Auflösung berechtigten, auch in Verstößen gegen Treu und Glauben liegen. Auch ein solcher Verstoß könne der Beklagten jedenfalls subjektiv nicht zur Last gelegt werden; es erscheine unbillig, den Klägern, die ein überwiegendes "Mitverschulden" an der gegebenen Situation treffe, die Möglichkeit zu eröffnen, sich der Servitutsbelastung und damit der Beklagten zu entledigen. Dem Feststellungsbegehren mangle im übrigen das rechtliche Interesse gemäß § 228 ZPO, denn die gleichzeitig erhobenen Leistungsbegehren stünden ihm deswegen entgegen, weil das Rechtsverhältnis bloß die Dienstbarkeit des Wohnungsrechtes zum Gegenstand habe und somit neben der Löschung und der Räumung kein weiteres Rechtsschutzbedürfnis verbleibe.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erheben die Kläger Revision mit dem Abänderungsantrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die Revisionswerber bringen vor, der Übergabevertrag, dessen Inhalt das Berufungsgericht einen Fürsorgezweck zugunsten der Beklagten entnommen habe, sei in erster Instanz nicht erörtert worden, sodaß insoweit ein Verfahrensmangel vorliege. Rechtlich könne ihnen kein "Mitverschulden" an der Situation angelastet werden, denn nach den erstgerichtlichen Feststellungen habe ihnen der Verkäufer über die Beklagte nur berichtet, daß sie "etwas zerstreut sei, aber sonst gebe es mit ihr nichts". Die weitere Frage, ob es mit ihr Schwierigkeiten geben werde, habe er verneint, sodaß für sie keine Verpflichtung bestanden habe, durch den Datenschutz und die ärztliche Verschwiegenheitspflicht erschwerte Erkundigungen über den Zustand der Klägerin einzuholen. Die Unbenützbarkeit der Liegenschaft für die Kläger folge auch nicht aus ihrer Sphäre, sondern die Beklagte mache ihnen das Bewohnen unmöglich. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen könnten sie als Kleinverdiener den aufgewendeten Kaufpreis von S 700.000,- nicht verschmerzen. Im Übergabevertrag zwischen dem Vater der Beklagten und deren Cousin, dem späteren Verkäufer Franz Xaver L*****, sei auch mit keinem Wort von einer Existenzsicherung für die Beklagte die Rede. Bei Auflösung der Dienstbarkeit könne sie die Vergütung des Geldwertes des Wohnrechtes verlangen und anderswo unterkommen. Rechtlich entscheidend sei nur, ob die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses den Klägern zumutbar sei. Nach der Entscheidung 4 Ob 532/91 könne auch eine verbücherte Dienstbarkeit vorzeitig aufgelöst werden. Da den Klägern die Nutzung der Liegenschaft trotz Exekutionsführung nicht möglich sei, stelle die Auflösung der Dienstbarkeit das letzte Notventil dar. Der Umstand, daß das Verhalten der Beklagten auf ihrer Geisteskrankheit beruhe, sei unerheblich, weil durch ihr objektives Verhalten eine Koexistenz verhindert werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig und sie ist auch gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht hat gleich dem Erstgericht die nach Lehre und Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen für eine ausnahmsweise vorzeitige Auflösung eines auf einem verbücherten lebenslänglichen Wohnrecht beruhenden und einem Dauerschuldverhältnis ähnlichen Rechtsverhältnisses aus besonders wichtigen Gründen grundsätzlich zutreffend dargestellt. Seiner rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes kann jedoch nicht gefolgt werden:

Nachdem der Oberste Gerichtshof bereits in der unveröffentlichten Entscheidung 2 Ob 187/66 vom 6.10.1966 ein auf Lebensdauer eingeräumtes Wohnungsrecht mit der knappen Begründung, es mangle "an der Voraussetzung eines gedeihlichen Zusammenlebens", als vorzeitig auflösbar erklärt hatte, legte er in der ebenfalls ein Wohnrecht, verbunden mit einer Verpflichtung zur Pflege im Krankheitsfalle, betreffenden Entscheidung 3 Ob 127/73 = JBl 1974, 618 unter Hinweis auf die Lehre und Rechtsprechung, wonach auch bei solchen Dauerschuldverhältnissen, bei denen im Gesetz ein Erlöschen aus wichtigen Gründen nicht ausdrücklich vorgesehen, im Wege der Analogie eine vorzeitige Auflösung aus wichtigen Gründen aber möglich sei, neuerlich und eingehender dar, daß dies auch für persönliche Dienstbarkeiten betreffende Vertragsverhältnisse gelte und daß ein solcher wichtiger Grund eben auch darin liegen könne, daß ein gedeihliche Zusammenleben der Vertragspartner nicht mehr besteht. Zur Auflösung des Vertrages sei jedoch nur derjenige berechtigt, der für das Auftreten der Mißhelligkeiten nicht allein oder überwiegend verantwortlich und dem daher die Fortsetzung des Rechtsverhältnisses aus schwerwiegenden Gründen unzumutbar sei. Im gegebenen Fall hielt der Oberste Gerichtshof den Sachverhalt hinsichtlich der zwischen den Vertragsparteien aufgetretenen Mißhelligkeiten und ihre Verantwortbarkeit nicht hinreichend geklärt. Mayrhofer verwies in seiner hiezu ergangenen, bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungsbesprechung JBl 1974, 593, unter rechtshistorischer und rechtsvergleichender Betrachtung und auf die in einigen Entscheidungen vertretene Ansicht, daß Grunddienstbarkeiten wegen ihres streng dinglichen Charakters keinesfalls, wohl aber allenfalls persönliche Dienstbarkeiten vorzeitig aufgelöst werden könnten, ua auf die Lehre Gschnitzers über die grundsätzliche Auflösbarkeit von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigen Gründen (Iher JB 76, 349 u. 77, 72) "als Notventil zur Beseitigung einer untragbar gewordenen Lage, weil der Umstand, daß die Zukunft auf längere Zeit nicht vorhersehbar sei, berücksichtigt werden müsse", sowie auch auf die Lehre Steinwenters (JBl 1950, 525), daß es "unbillig wäre, den Vertragspartner weiter in einem Vertragsverhältnis festzuhalten, das für ihn persönlich oder wirtschaftlich dauernd schwere Opfer bedeuten müßte". Mayrhofer schloß sich im Ergebnis der Meinung an, daß die außerordentliche Aufkündigung derartiger Verhältnisse ausnahmsweise aus sehr schwerwiegenden Gründen möglich sei.

Die Rechtsansicht, daß bei Dienstbarkeiten oder ähnlichen Verhältnissen das Abstehen vom Vertrag aus wichtigen Gründen nur als äußerstes Notventil gelten könne, wurde sodann in der folgenden Rechtsprechung ebenso aufrecht erhalten (1 Ob 24/79; 5 Ob 51/83; 1 Ob 548/88; 6 Ob 580/91, 508/92; 4 Ob 532/91 = NZ 1992, 112; vgl Petrasch in Rummel ABGB2 Rz 2 zu § 524) wie die Ansicht, daß bei einem Wohnrecht nur derjenige zur Vertragsauflösung berechtigt sei, der für das Auftreten der Mißhelligkeiten nicht allein oder überwiegend verantwortlich ist (MietSlg 26.039; 3 Ob 501/81 und 2 Ob 560/82 ua). Des weiteren wurde ausgesprochen, es komme insbesondere auch darauf an, wer durch sein Verhalten die ernstlichen Differenzen eingeleitet und die Grundsätze und Erfordernisse eines gedeihlichen Zusammenlebens besonders schwer verletzt habe (5 Ob 574/81; RZ 1982/53 S.198). Nach der vom erkennenden Senat bereits in der Entscheidung SZ 61/281 vertretenen Ansicht ist bei der Lösung der Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes für die vorzeitige Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses eine umfassende Abwägung des Bestandsinteresses der einen Seite und des Auflösungsinteresses der anderen Seite vorzunehmen.

Im Sinne all dieser Rechtsgrundsätze war im vorliegenden Fall zu erwägen:

Unzweifelhaft ist der Beklagten hinsichtlich des von ihrem Vater für sie zu Lasten des Übernehmers begründeten und ganz offenbar ihrer Existenzsicherung dienenden lebenslänglichen Wohnrechtes unter Bedachtnahme auch auf ihren gesundheitlich beeinträchtigten Zustand ein erhebliches Interesse am Weiterbestand dieses verdinglichten Rechtes zuzuerkennen.

Dem steht gegenüber, daß die von ihr gesetzten, auf ihrer Geisteskrankheit beruhenden Verhaltensweisen objektiv einen unerträglichen Eingriff in die Rechte der Kläger als Liegenschaftseigentümer darstellen. Diese haben als Ausfluß ihres im Kaufwege erworbenen Eigentumsrechtes - ebenso wie bereits vor ihnen der Verkäufer als seinerzeitiger Übernehmer - den uneingeschränkt zu schützenden Anspruch auf ungehinderte Nutzung der unbelasteten Teile der Liegenschaft. Auf ihrer Seite liegt nach dem festgestellten Sachverhalt keinerlei vertragswidriges Verhalten vor. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, sie hätten sich bei Abschluß des Kaufvertrages über die Person der nunmehrigen Beklagten als lebenslänglich Wohnungsberechtigter und über ihre Unleidlichkeit Kenntnis verschaffen müssen, weshalb ihnen zufolge eines in dieser Unterlassung gelegenen Sorgfaltsverstosses "ein überwiegendes Mitverschulden" an der Situation zuzurechnen und eine Berufung auf das unleidliche Verhalten der Beklagten verwehrt sei, ist verfehlt. Selbst die Kenntnis der Unleidlichkeit eines Wohnungsberechtigten kann dem Erwerber nicht schaden, denn er hat grundsätzlich auch gegenüber einer solchen Person Anspruch auf ungestörte Nutzung seines Eigentums und kann diesen Anspruch nötigenfalls auch mit allen gesetzlichen Mitteln durchsetzen. Demgemäß hätten die Kläger auch bei Kenntnis der Persönlichkeit der Beklagten keinesfalls, wie offenbar das Berufungsgericht meint, vom Erwerb der Liegenschaft mangels Nutzbarkeit allenfalls Abstand nehmen müssen. Die wegen Geisteskrankheit fehlende Vorwerfbarkeit der Verhaltensweisen der Beklagten allein schließt - vgl auch die zum Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG bzw. § 19 Abs 2 Z 3 MG ergangene Rechtsprechung - eine auf unerträgliches und deshalb unzumutbares Verhalten gegründete Aufkündigung grundsätzlich nicht aus.

Nach den Feststellungen wird die Beklagte wegen ihres psychotischen Zustandbildes auch in Zukunft immer wieder versuchen, den Klägern den Zutritt in das Haus zu verwehren. Es ist daher zugrundezulegen, daß die Kläger, solange die Beklagte im Hause ist, ihr Eigentum nicht oder zumindest nur äußerst erschwert nutzen könnten. Eine solche Einschränkung auf Dauer hinzunehmen, ist den Klägern aber jedenfalls unzumutbar.

Die außerordentliche Kündigung des Rechtsverhältnisses zur Beklagten wegen deren besonders schweren Verletzung der Grundsätze und Erfordernisse eines gedeihlichen Zusammenlebens - siehe die diesbezüglichen umfangreichen Sachverhaltsfeststellungen - ist daher nach Abwägung der Interessenlage beider Seiten im Sinne eines eine untragbar und unzumutbar gewordene Lage beseitigenden Notventiles als gerechtfertigt anzusehen. Sie hat die Verpflichtung der Beklagten zur Einwilligung in die Löschung ihres bücherlich einverleibten Wohnrechtes und zur Räumung der Liegenschaft - ungeachtet ihres von den Revisionswerbern ausdrücklich zugestandenen Anspruches auf "Vergütung des Geldwertes des Wohnrechtes" - zur Folge. Auch dem Feststellungsbegehren war es stattzugeben, weil der Feststellung der mit verschiedenen Rechtswirkungen verbundenen Auflösung eines derartigen Dauerschuldverhältnisses ein rechtliches Interesse zuzuerkennen ist.

Der Revision war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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