OGH 10ObS171/93

OGH10ObS171/9321.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Ilona Gälzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Riepl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anna S*****, diplomierte Krankenschwester, derzeit ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.April 1993, GZ 7 Rs 105/92-62, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27.Mai 1992, GZ 33 Cgs 112/91-54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.623,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 603,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 7.9.1988 wurde der Antrag der Klägerin vom 11.7.1988 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage im dritten Rechtsgang teilweise statt. Es sprach aus, daß das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe zu gewähren, ab dem 1.12.1991 dem Grunde nach zu Recht besteht. Es trug der Beklagten auf, der Klägerin ab dem 1.12.1991 bis zur Erlassung des die Höhe dieser Leistung festsetzenden Bescheides vorläufige monatliche Zahlungen von S 6.000,- zu erbringen. Das Mehrbegehren auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension für den Zeitraum vom 1.8.1988 bis einschließlich November 1991 wurde abgewiesen. Das Erstgericht stellte fest, daß die am 16.7.1939 geborene Klägerin den Beruf einer diplomierten Krankenschwester von 1962 bis 1986, zuletzt neun Jahre lang in einem Seniorenheim, ausgeübt hat. Es sah die Klägerin als ab 1.12.1991 berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG an, weil sie mit den ihr noch zur Verfügung stehenden körperlichen und geistigen Kräften nicht nur die bisher ausgeübte, sondern die in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten nicht mehr ausüben könne und auch wegen der zu erwartenden langen Krankenstandszeiten vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei.

Das Berufungsgericht gab der nur von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge. Es gelangte nach teilweiser Beweiswiederholung (Beweisergänzung) zu dem Ergebnis, daß die Klägerin in ihrem Beruf als diplomierte Krankenschwester nicht verweisbar sei, insbesondere nicht auf die Tätigkeiten einer Ambulanzschwester oder einer Schwester im Verwaltungsdienst.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern, hilfsweise aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht oder an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Die Frage, ob ein Sachverständigengutachten die getroffenen Feststellungen rechtfertigt, gehört ebenso in das Gebiet der irrevisiblen Beweiswürdigung wie die Frage, ob außer dem bereits vorliegenden ein weiteres Gutachten oder noch andere Kontrollbeweise zu demselben Beweisthema aufzunehmen gewesen wären (SSV-NF 6/28 mwN). Es ist auch dem Berufungsgericht als Tatsacheninstanz nicht verwehrt, nach Beweiswiederholung oder Beweisergänzung in freier Beweiswürdigung einem Sachverständigengutachten nach eingehender Erörterung keinen Glauben zu schenken und von der Einholung eines weiteren Gutachtens Abstand zu nehmen (vgl SSV-NF 2/59). Die Revision, die dies in Frage stellt, unternimmt den unzulässigen Versuch, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes zu bekämpfen. Ob das vom Berufungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrundegelegte Leistungskalkül von den Ausführungen eines medizinischen Sachverständigengutachtens abweicht, ist vom Revisionsgericht, das keine Tatsacheninstanz ist, nicht zu überprüfen.

Richtig ist zwar, daß die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überrascht werden dürfen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie nicht aufmerksam gemacht wurden (SSV-NF 5/134 mwN). Das freie Würdigen von Beweismitteln, auch von Sachverständigengutachten, ist aber entgegen der Ansicht der Revisionswerberin kein solches Überraschen mit einer Rechtsansicht.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, wonach die am 16.7.1939 geborene Klägerin, die Berufsschutz als diplomierte Krankenschwester genießt, die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension gemäß § 273 Abs 1 ZPO ab 1.12.1991 erfüllt, ist zutreffend. Nach den Feststellungen reicht die Kontaktfähigkeit der Klägerin für ihre Verweisbarkeit auf die Tätigkeit einer Krankenschwester im Ambulanzbereich, aber auch im Verwaltungsbereich nicht aus. Die Revisionsausführungen gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt, sondern von einzelnen Äußerungen des medizinischen Sachverständigen aus und verkennen dabei offenbar, daß Feststellungen von den Gerichten als Tatsacheninstanz, nicht aber von einem Sachverständigen getroffen werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG.

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