OGH 15Os120/93(15Os121/93)

OGH15Os120/93(15Os121/93)16.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.September 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Freyer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz M***** wegen des Vergehens nach § 63 Abs. 2 Z 1 LMG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Wels vom 12.Juni 1991, GZ 16 U 173/91-14, und des Kreis-(nunmehr Landes-)gerichtes Wels als Berufungsgericht vom 4.September 1991, AZ 22 Bl 196/91 (= GZ 16 U 173/91-19 des Bezirksgerichtes Wels), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr.Stöger, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Urteile

1. des Bezirksgerichtes Wels vom 12.Juni 1991, GZ 16 U 173/91-14, und

2. des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 4.September 1991, AZ 22 Bl 196/91 (= GZ 16 U 173/91-19 des Bezirksgerichtes Wels)

verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird das genannte Urteil des Kreisgerichtes Wels aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Der Berufung des Angeklagten Franz M***** wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben, es werden das angefochtene Urteil (des Bezirksgerichtes Wels) sowie demzufolge der zugleich damit ergangene Beschluß gemäß § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO aufgehoben;

Franz M***** wird von der Anklage, er habe am 17.August 1990 in Pö***** als verantwortlicher Fleischhauermeister Lebensmittel, und zwar von ihm im eigenen Betrieb erzeugte Bratwürste, die er mit einer zu langen Haltbarkeitsfrist (bis 26.August 1990) und solcherart wissentlich entgegen im Österreichischen Lebensmittelbuch darüber bestehenden Bestimmungen falsch bezeichnet hatte, durch Auslieferung an den Filialbetrieb in Pi***** in Verkehr gebracht und er habe hiedurch das Vergehen nach § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975 begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 12.Juni 1991, GZ 16 U 173/91-14, wurde der Fleischhauermeister Franz M***** des Vergehens nach § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975 schuldig erkannt (und zu einer teilbedingten Geldstrafe verurteilt), weil er am 17.August 1990 in Pö***** als verantwortlicher Fleischhauermeister wissentlich (entgegen im Österreichischen Lebensmittelbuch darüber bestehenden Bestimmungen) falsch bezeichnete Lebensmittel, nämlich von ihm im eigenen Betrieb erzeugte Bratwürste, die er mit einer zu langen Haltbarkeitsfrist bezeichnet hatte, durch Auslieferung an den Filialbetrieb in Pi***** in Verkehr gebracht hatte. Zugleich wurde (gemäß § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO) vom Widerruf der Franz M***** zu 16 U 673/88 des Bezirksgerichtes Wels gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf vier Jahre verlängert. Die vom Beschuldigten gegen diesen Schuldspruch eingebrachte Berufung wegen Nichtigkeit wurde vom Kreisgericht Wels mit Urteil vom 4. September 1991, AZ 22 Bl 196/81 (= ON 19 des U-Aktes) zurückgewiesen.

Nach den Feststellungen des Bezirksgerichtes Wels hatte Franz M***** als verantwortlicher Fleischhauermeister die verfahrensgegenständlichen Bratwürste in seinem Erzeugungsbetrieb in Pö***** am 16.August 1990 hergestellt, in einer Kunststoffolie vakuumverpackt und darauf als Ablauffrist den 26.August 1990 anbringen lassen, obwohl er wußte, daß die Haltbarkeitsdauer dieser Wurst maximal 8 Tage beträgt, und sie sodann am 17.August 1990 an seine (Verkaufs-)Filialen in L***** und Pi***** zum Weiterverkauf geliefert. In der Filiale in Pi***** wurde von diesen vakuumverpackten Bratwürsten am 23.August 1990 von einem Marktamtsbeamten der Bezirkshauptmannschaft Gmunden Proben entnommen. Eine Untersuchung durch die Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Linz ergab, daß diese Bratwürste bereits am 23.August 1990 (also drei Tage vor der angegebenen Ablauffrist) im Sinne der Begriffsbestimmung des § 8 lit. b LMG 1975 verdorben waren (vgl. S 63 iVm S 5).

Für die Verdorbenheit hielt das Bezirksgericht Wels allerdings nicht den Beschuldigten, sondern dessen Filialleiter verantwortlich (US 7 f). Hingegen stützte es seine Ansicht, daß die in der Angabe einer zu langen Haltbarkeitsfrist gelegene wissentliche Falschbezeichnung dieser Bratwürste vom Beschuldigten entgegen im Österreichischen Lebensmittelbuch darüber bestehenden Bestimmungen vorgenommen wurde, auf den allgemeine Beurteilungsgrundsätze enthaltenden Allgemeinen Teil des ÖLMB3 Kapitel A 3 Abs. 40, wonach ein Lebensmittel nicht nur dann als falsch bezeichnet zu beurteilen ist, wenn es unter einer falschen Benennung in den Verkehr gebracht wurde, sondern auch dann, wenn zwar seine Benennung richtig war, aber seine Feilhaltung unter falschen Angaben über für die Verbrauchererwartung wesentliche Umstände, zum Beispiel über seine Herkunft, seine Verwendbarkeit u. dgl. erfolgte. Ein für die Verbrauchererwartung wesentlicher Umstand sei nach Meinung des Bezirksgerichtes Wels jedenfalls auch in der Haltbarkeitsdauer gelegen (vgl. Ersturteil, S 66). Weiters verwies das Bezirksgericht Wels (vgl. US 6) auf den Erlaß des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz vom 10.Juli 1981, Zl. III-51.902/3-5a/81, betreffend die Haltbarkeitsfristen von vorverpackten Fleischwaren (wonach die Haltbarkeit bei gebrühten Bratwürstel bloß mit 8 Tagen anzunehmen ist; vgl. S 41 f).

In der den erstgerichtlichen Schuldspruch bestätigenden Berufungsentscheidung des Kreisgerichtes Wels vom 4.September 1991 schloß sich das Berufungsgericht diesen rechtlichen Erwägungen des Bezirksgerichtes Wels an. Es vertrat gleichfalls die Auffassung, daß schon (das vorerwähnte) Kapitel A 3 Abs. 40 des ÖLMB3 eine Vorschrift darstelle, welcher der Angeklagte im Sinne des § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975 zuwider gehandelt habe, und meinte, daß darüber hinaus auch die Besonderen Bestimmungen des ÖLMB3 über Fleisch und Fleischwaren, Kapitel B 14 Abschnitt D Abs. 5 lit. h, eine in diesem Zusammenhang anwendbare Bestimmung enthalte. Darnach seien nämlich Fleisch und Fleischwaren als falsch bezeichnet zu beurteilen, die durch Abbildungen, Texte oder ihrer sonstigen Aufmachung nach Vorstellungen hinsichtlich Beschaffenheit, Aussehen, Zahl, Gewicht und dergleichen erwecken, die das Lebensmittel selbst nicht erfülle. Durch das Anbringen einer unrichtigen (weil zu langen) Haltbarkeitsfrist werde nach Auffassung des Berufungsgerichtes beim Konsumenten eine Vorstellung über die Beschaffenheit der Fleischware erweckt, die das Lebensmittel infolge seiner kürzeren Haltbarkeit nicht erfülle. Somit sei dem Angeklagten auch ein Zuwiderhandeln gegen diese Codexbestimmung anzulasten, sodaß auch das hier aktuelle Tatbestandserfordernis des § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975 (Handeln "entgegen im Österreichischen Lebensmittelbuch darüber bestehenden Bestimmungen") erfüllt sei (S 86).

Rechtliche Beurteilung

Das Franz M***** wegen des Vergehens nach § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975 schuldig sprechende Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 12.Juni 1991 und das diesen Schuldspruch bestätigende Berufungsurteil des Kreisgerichtes Wels vom 4.September 1991 stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Lebensmittel sind unter anderem dann falsch bezeichnet, wenn sie mit zur Irreführung geeigneten Angaben über die Haltbarkeit in Verkehr gebracht werden (§ 8 lit. f LMG 1975). Die Voraussetzungen für die gerichtliche Strafbarkeit einer solchen Falschbezeichnung normiert § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975: Darnach ist (mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen) zu bestrafen, wer entgegen im ÖLMB darüber bestehenden Bestimmungen Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe wissentlich falsch bezeichnet oder Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr bringt, von denen er weiß (§ 5 Abs. 3 StGB), daß sie falsch bezeichnet sind, sofern darüber im ÖLMB Bestimmungen bestehen. Eine gerichtliche Bestrafung wegen Falschbezeichnung im Sinne des § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975 kommt demnach nur dann in Betracht, wenn die Falschbezeichnung einer fallbezogen im ÖLMB konkret getroffenen Bestimmung widerspricht (12 Os 111/89, 13 Os 142,143/92; vgl. auch Leukauf-Steininger, Nebengesetze2, § 63 LMG 1975 Anm. C); sie setzt somit voraus, daß der Codex im konkreten Beanstandungspunkt Aussagen über die richtige Bezeichnung trifft (vgl. Ernährung 1986, 257; Barfuß-Smolka-Onder LMR2 I A Komm. z. § 63 LMG; Brustbauer-Jesionek-Petuely-Wrabetz LMG 1975 S 285).

Durch die dem Verurteilten als Falschbezeichnung angelasteten Angaben über die Haltbarkeit müßten demnach Bestimmungen des ÖLMB verletzt worden sein, die speziell die Haltbarkeitsfristen für vorverpacktes Fleisch betreffen. Solche Bestimmungen waren aber in dem hier in Betracht kommenden Tatzeitraum (August 1990) darin nicht enthalten. Insbesondere finden sich im Kapitel B 14 Abschnitt D Abs. 5 des ÖLMB3, in dem die Falschbezeichnung von Fleisch und Fleischwaren behandelt wird, keine konkret die Haltbarkeitsfrist von Fleisch oder Fleischwaren regelnden Richtlinien. Dies gilt insbesondere auch für die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang herangezogene Bestimmung des Kapitels B 14 Abschnitt D, Abs. 5 lit. h des ÖLMB.

Aber auch auf die Bestimmung des Absatzes 40 des Kapitels A 3 des Österreichischen Lebensmittelbuches über die Allgemeinen Beurteilungsgrundsätze kann, da auch dort Hinweise über bestimmte Haltbarkeitsfristen für Fleisch und Fleischwaren fehlen, zur Begründung der gerichtlichen Strafbarkeit der hier in Rede stehenden Falschbezeichnung nicht zurückgegriffen werden.

Der Schuldspruch des Franz M***** wegen Vergehens nach § 63 Abs. 2 Z 1 LMG 1975 ist somit schon mangels vollständiger Erfüllung der objektiven Tatseite dieses Deliktes gesetzwidrig (so auch in einem gleich gelagerten Fall jüngst 13 Os 142,143/92).

Diese vom Generalprokurator zutreffend aufgezeigte Gesetzwidrigkeit war festzustellen. Weil sie dem Verurteilten zum Nachteil gereicht, war (zuerst) das Urteil des Berufungsgerichtes und (sodann) in der Sache selbst erkennend jenes des Bezirksgerichtes Wels sowie der damit in untrennbarem Zusammenhang stehende Beschluß aufzuheben und der Angeklagte sogleich von dem wider ihn erhobenen Strafantrag gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen.

Der im Gerichtstag vorgetragenen Anregung des Vertreters des Generalprokurators, der Oberste Gerichtshof möge gemäß Art. 89 Abs. 2 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung der Bestimmung des § 63 Abs. 2 Z 1 LMG stellen, vermag der Oberste Gerichtshof - wie bereits im Verfahren AZ 13 Os 142,143/92 - nicht beizutreten.

Voraussetzung dafür wäre eine Präjudizialität der anzuwendenden Bestimmung dergestalt, daß sie wegen ihres (gegebenenfalls) verfassungswidrigen Inhaltes zu einer zwar durch das (einfache) Gesetz gedeckten, jedoch verfassungswidrigen Entscheidung des antragstellenden Gerichtes führen könnte (vgl. VfGH-Slg 10701/1985 uam).

Da aber vorliegend bereits aus anderen als verfassungsgesetzlichen Erwägungen ein Freispruch zu fällen war und dieses Ergebnis auch nach einer allfälligen Feststellung der Verfassungswidrigkeit des in Rede stehenden Gesetzes nicht anders sein könnte, mithin zwischen der behaupteten Verfassungswidrigkeit des Gesetzes und der konkreten Gerichtsentscheidung kein Zusammenhang besteht (Klecatsky-Morscher, Das österr. Bundesverfassungsrecht3 Art. 89 B-VG E 28), liegen mangels Präjudizialität die Voraussetzungen für die angestrebte Antragstellung des Obersten Gerichtshofes nicht vor.

Der Oberste Gerichtshof hätte in weitere Überlegungen zu einer derartigen Antragstellung nur dann einzutreten gehabt, wenn er eine Verwerfung der Nichtigkeitsbeschwerde in Erwägung gezogen hätte.

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