OGH 10ObS141/93

OGH10ObS141/937.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Wolf und Dr.Richard Warnung (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herta N*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Heinz Kallan, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.April 1993, GZ 7 Rs 139/92-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26. August 1992, GZ 31 Cgs 208/92-9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichtes einschließlich der Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 6.414,84 bestimmten Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.069,14 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezieht nach dem Tod ihres Gatten am 24.7.1978 seit 1.8.1978 eine Witwenpension. Ab 30.11.1987 wurde ihr auch der Hilflosenzuschuß gewährt. Mit Bescheid der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 16.3.1992 wurde der Klägerin für das Jahr 1991 die Ausgleichszulage in monatlich unterschiedlicher Höhe (zwischen 151,30 S und 194,30 S) zuerkannt. Weiters wurde der Ausgleichszulagen-Jahresausgleich durchgeführt und für das Kalenderjahr 1991 ein Erstattungsbetrag von S 3.034,80 ermittelt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitige Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer höheren Ausgleichszulage. Einkünfte aus der Vermietung einer Liegenschaft seien nämlich nicht mehr zu berücksichtigen, weil die Klägerin diese Liegenschaft ihrer Tochter geschenkt und ihr auch die Mieteinkünfte überlassen habe. Dies sollte eine Gegenleistung für die Instandhaltung eines der Klägerin zum Teil gehörenden und von ihr mitbenützten Wohnhauses darstellen. Die Tochter und deren Ehegatte hätten die Kosten der dringend notwendigen Sanierungsarbeiten für das gemeinsame Wohnhaus übernommen; die Klägerin hätte sich mangels Geldmittel nicht an diesen Kosten beteiligen können.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Grund der Schenkung sei rechtlich irrelevant. Der Verzicht auf realisierbare Einkünfte sei nur beachtlich, sofern er durch die Unzumutbarkeit bzw Unmöglichkeit der Erbringung begründet sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin eine Ausgleichszulage für das Jahr 1991 von S 1.389,60 monatlich zu zahlen, also ohne Anrechnung der der Tochter der Klägerin aufgrund des Schenkungsvertrages zufließenden Mieteinnahmen. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Mit Vertrag vom 29.8.1974 hatte die Klägerin die zu dieser Zeit in ihrem Alleineigentum stehende 194 m2 große Liegenschaft EZ 371 KG L***** (G*****, M*****gasse 25) zunächst für 10 Jahre an einen Malermeister in Graz vermietet. Als monatlicher Mietzins wurden 600 S wertgesichert nach dem Verbraucherpreisindex vereinbart. Dieses Mietverhältnis war in der Folge durch mündliche Vereinbarung zwischen den Vertragsteilen bis zur Übergabe der Liegenschaft an die Tochter fortgesetzt worden. Mit Notariatsakt vom 9.11.1988 schenkte die Klägerin diese Liegenschaft ihrer Tochter Renate K*****, die auch in den Mietvertrag mit dem Malermeister eintrat und der ab 1.11.1988 die Mietzinseinnahmen zukommen. In der Folge schloß die Tochter mit dem Malermeister einen schriftlichen Mietvertrag beginnend ab 1.1.1990 mit der Vereinbarung eines monatlichen wertgesicherten Mietzinses von

1.200 S. Die Klägerin hat aus dem genannten Grundstück keine Mieteinnahmen mehr. Aufgrund eines Leibrentenvertrages erhält sie allerdings von ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn monatlich 300 S (nicht wertgesichert). Die Klägerin ist zu einem Drittel Miteigentümerin des Objektes (Hauses) in G*****, B*****weg 7; 5/12tel gehören ihrer Tochter und 3/12tel ihrem Schwiegersohn. Dieses Haus dient der Klägerin, ihrer Tochter, deren Ehemann und drei Kindern zu Wohnzwecken; es steht mit der vermieteten Liegenschaft nicht in Zusammenhang. Da die hinsichtlich des Hauses B*****weg 7 erforderlichen Instandhaltungskosten überwiegend und in den letzten Jahren ausschließlich von der Tochter der Klägerin und deren Ehegatten getragen wurden und die Klägerin aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht in der Lage war, einen - ihrem Miteigentumsanteil entsprechenden - Kostenbeitrag zu leisten, entschloß sie sich auch im Hinblick auf zukünftig notwendige Reparaturarbeiten und Kosten, die vermietete Liegenschaft EZ 371 KG L***** ihrer Tochter zu schenken, sodaß dieser seit 1.11.1988 die entsprechenden Mieteinkünfte zufließen sollten. Beispielsweise wurden am Wohnhaus ua der Wasserleitungs- und Kanalanschluß vorgenommen, das Abwassersystem und die Zentralheizung erneuert und regelmäßig notwendige Ausbesserungsarbeiten (Kamin, Dach, Putz, Zaun usw) durchgeführt. Die angefallenen Kosten wurden seit 1970 überwiegend durch die Tochter der Klägerin und deren Ehegatten getragen und betrugen seit dieser Zeit ungefähr 300.000 S. Die Klägerin als Dritteleigentümerin dieses Objektes konnte aufgrund ihrer geringen finanziellen Mittel keinen wesentlichen Beitrag zu diesen Instandhaltungskosten leisten.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß der Klägerin der Beweis gelungen sei, daß ihr Verzicht auf realisierbare Mieteinkünfte durch den Schenkungsvertrag nicht in rechtsmißbräuchlicher Absicht erfolgt sei, um damit die Voraussetzungen für die Erhöhung der Ausgleichszulage um genau diejenigen Beträge zu schaffen, auf die sie verzichtet habe. Das Motiv für den Verzicht sei vielmehr der Umstand gewesen, daß sie aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihren sie als Miteigentümerin des Wohnhauses treffenden finanziellen Verpflichtungen in Anbetracht der notwendigen Instandsetzungskosten nachzukommen. Der Vorwurf einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme öffentlicher Gelder könne dementsprechend gegen die Klägerin nicht erhoben werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es sprach der Klägerin die dem Bescheid entsprechenden Ausgleichszulagenbeträge zu und wies das Mehrbegehren auf Zahlung einer höheren Ausgleichszulage hinsichtlich der jeweiligen Differenzbeträge auf S 1.389,60 monatlich ab. Die Aufgabe des Ertragsobjektes als Gegenleistung für Renovierungskosten am Wohnhaus stelle keinen gerechtfertigten Verzicht dar, weil nicht subjektive Motive ausschlaggebend seien, sondern objektiv beurteilt werden müsse, ob die Aufgabe des Ertragsobjektes nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt gewesen sei. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes liege Rechtsmißbrauch vor. Die Klägerin hätte weiterhin die Miete in Empfang nehmen und damit zu den Aufwendungen an der Liegenschaft in gleicher Weise beitragen können. Dies hätte allerdings eine entsprechende Kürzung der Ausgleichszulage zur Folge gehabt, was offenbar verhindert werden sollte. Der Verzicht auf die Mieterträgnisse habe offenbar den Zweck gehabt, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen (§ 1295 Abs 2 ABGB); ein solcher Verzicht sei bei Feststellung der Ausgleichszulage unbeachtlich. Der Klägerin stehe die Ausgleichszulage daher nur in Höhe des bekämpften Bescheides zu.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt werde. Hilfsweise wird die Aufhebung zur Rückverweisung beantragt.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in jüngster Zeit ausführlich mit dem Problem des Verzichtes auf realisierbare Einkünfte im Ausgleichszulagenrecht auseinandergesetzt und ist in seinen Entscheidungen 10 ObS 152/91, 10 ObS 161/91, 10 ObS 233/92 und 10 ObS 36/93 zu folgenden Ergebnissen gelangt:

Ein Ausgleichszulagenbezieher darf sein Recht, auf Einkünfte in Geld oder Geldeswert zu verzichten, zwar immer ausüben; ein solcher Verzicht ist aber bei der Feststellung seines Anspruches auf Ausgleichszulage dann nicht zu berücksichtigen, wenn er offenbar den Zweck hatte, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen. Es geht darum, ob der Ausgleichszulagenwerber das ihm von der Rechtsordnung (§ 1444 ABGB) eingeräumte Recht auf Verzicht offenbar zu dem Zweck ausgeübt hat, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen, ob ihm also Rechtsmißbrauch vorzuwerfen ist. Ein solcher liegt nicht erst dann vor, wenn die Absicht des Ausgleichszulagenwerbers, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen, der einzige Grund des Verzichtes ist, sondern schon dann, wenn das unlautere Motiv des Verzichtes die lauteren Motive eindeutig überwiegt, also so augenscheinlich im Vordergrund steht, daß andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, demnach zwischen den vom Verzichtenden (vorsätzlich) verfolgten und den beeinträchtigten Interessen des Trägers der Ausgleichszulage ein krasses und zu mißbilligendes Mißverhältnis besteht. Ob Rechtsmißbrauch vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalles zu klärende Rechtsfrage. Diese Grundsätze gelten nicht nur für einen unmittelbaren Verzicht auf Ansprüche mit Einkommenscharakter, sondern auch für einen sich erst aus der Verfügung über ein dingliches Recht (Eigentum) ergebenden mittelbaren Verzicht auf solche Einkünfte. Da aber ein rechtsmißbräuchlicher Verzicht des Versicherten oder Pensionisten auf Ansprüche mit Einkommenscharakter den Anspruch auf Ausgleichszulage ganz oder teilweise vernichtet, liegt die objektive Beweislast für die Umstände, aus denen sich ein eindeutiges Überwiegen der unlauteren Motive des Verzichtenden ergibt, bei dem Versicherungsträger, der sich auf einen solchen Rechtsmißbrauch beruft. Der in der Regel nicht strittige Verzicht ergibt nämlich noch keinen Beweis des ersten Anscheins für ein unlauteres Motiv des Verzichtes oder für ein eindeutiges Überwiegen solcher Motive, weil die typische formelhafte Verknüpfung fehlt. Rechtsmißbrauch wird jedenfalls nicht vermutet, sondern ist von dem darzutun und zu beweisen, der sich darauf beruft.

Geht man von diesen Grundsätzen aus, dann hat die Beklagte den ihr obliegenden Beweis des eindeutigen Überwiegens der unlauteren Motive für den Verzicht der Klägerin auf realisierbare Mieteinnahmen nicht erbracht. Konkrete Anhaltspunkte für einen offenbaren Rechtsmißbrauch könnten etwa der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Verzicht und der beabsichtigten Inanspruchnahme der Ausgleichszulage oder der Umstand sein, daß für den Verzicht anscheinend keine allgemein verständlichen lauteren Motive vorlagen.

Im Fall der Klägerin besteht zwar der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Verzicht auf die Mieteinnahmen (Notariatsakt vom 9.11.1988) und der beabsichtigten Inanspruchnahme der Ausgleichszulage (Antrag der Kläger vom 3.2.1989), doch hat die Klägerin durchaus lautere Motive für den Verzicht ins Treffen führen können. Als 70jährige Witwenpensionistin und Hilflosenzuschußempfängerin war es ihr nach den Feststellungen mangels ausreichender Barmittel (die erzielten Mieteinnahmen waren für ihren Lebensunterhalt erforderlich) unmöglich, einen ihrem Miteigentumsanteil entsprechenden Kostenbeitrag zu den dringend notwendigen Erhaltungs- und Reparaturarbeiten am gemeinsamen Wohnhaus zu leisten. Diese Kosten trugen überwiegend - zuletzt sogar zur Gänze - ihre Tochter, eine Hausfrau ohne eigenes Einkommen, und deren Ehegatte, ein Postbeamter in Pension. Daß die Klägerin unter diesen Umständen die relativ bescheidene Mieteinnahmen abwerfende Liegenschaft der Tochter als Gegenleistung für den Erhaltungs- und Sanierungsaufwand am Wohnhaus schenkte, ist ein durchaus allgemein verständliches lauteres Motiv; es ist daher nicht anzunehmen, daß die Klägerin eindeutig in Schädigungsabsicht gehandelt hätte. Dem steht in keiner Weise entgegen, daß das gemeinsame Wohnhaus auch der Deckung des Wohnbedarfes der Klägerin dient und ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem vermieteten Grundstück nicht besteht. Der Meinung des Berufungsgerichtes, die Klägerin hätte ihrer Tochter wohl das Grundstück schenken können, ihr aber nicht die laufenden Erträgnisse aus der Vermietung überlassen dürfen, ist entgegenzuhalten, daß die Klägerin dadurch keinen Beitrag an den Erhaltungs- und Sanierungskosten des Wohnhauses geleistet hätte, aber auch aus den ihr zufließenden Mieteinnahmen nicht hätte leisten können, weil sie diese angesichts der niedrigen Pensionshöhe zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfes hätte verwenden müssen. Es ist zu bedenken, daß die Pension der Klägerin im Jahr 1991 nur 4.310,40 S betrug und damit weit unter dem Existenzminimum lag. Es liegen also ausreichende, den Rechtsverzicht rechtfertigende Motive vor, ohne daß von einem eindeutigen Überwiegen unlauterer Motive gesprochen werden könnte. Dies wurde vom Erstgericht zutreffend erkannt.

In Stattgebung der Revision der Klägerin war daher in Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteils die Entscheidung der ersten Instanz voll wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte