OGH 9ObA119/93

OGH9ObA119/9311.8.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Martin Duhan und Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Peter Kisler und DDr.Karl Pistotnik, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Kurt A*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Zandl und Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 339.537,18 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.November 1992, GZ 31 Ra 122/92-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2.Juni 1992, GZ 21 Cga 11/92-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, der Klägerin S 339.537,18 netto sA binnen 14 Tagen zu zahlen, abgewiesen wird.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 18.169,60 (darin S 3.021,60 Umsatzsteuer und S 40,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 32.330,80 (darin S 3.781,80 Umsatzsteuer und S 9.640,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 25.611,60 (darin S 2.268,60 Umsatzsteuer und S 12.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten den der Höhe nach nicht strittigen Betrag von S 339.537,18 netto sA als Rückersatz zu Unrecht ausgezahlter Bezüge. Sie habe den Beklagten nach Durchführung des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens im Sinne des § 105 ArbVG am 15.11.1988 zum nächstmöglichen Kündigungstermin, den 31.3.1989, ordnungsgemäß gekündigt und ihn vom Dienst freigestellt. Der Beklagte habe zwar rückwirkend noch die Stellung eines begünstigten Behinderten im Sinne des BEinstG erlangt und der Behindertenausschuß dem Begehren auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung nicht Folge gegeben, doch habe der Verfassungsgerichtshof § 8 Abs 2 BEinstG im Anlaßfall als verfassungswidrig aufgehoben. Dadurch sei das Zustimmungserfordernis weggefallen und die Kündigung des Beklagten zum 31.3.1989 rechtswirksam geworden, so daß dieser die unter Vorbehalt und gleichsam vorschußweise weitergezahlten Bezüge zurückerstatten müsse.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes komme keine "ex tunc"-Wirkung zu, so daß die Klägerin lediglich bis zur Aufhebung der Gesetzesbestimmung (30.6.1992) neuerlich habe kündigen können. Das habe die Klägerin auch getan. Der Schutz des Beklagten durch die alte Rechtslage sei dadurch nicht weggefallen und das Arbeitsverhältnis sei nicht rückwirkend ins Auflösungsstadium getreten. Eine an sich unwirksame Kündigung könne nicht rückwirkend rechtswirksam werden. Abgesehen davon habe die Klägerin den Beklagten zwar dienstfrei gestellt, ihn aber aufgefordert, auf Abruf zur Verrichtung von Dienstleistungen bereitzustehen. Sie habe die Bezüge vorbehaltlos weitergezahlt. Der Beklagte habe damit, da er keine andere Beschäftigung hätte annehmen dürfen, seinen Lebensunterhalt bestritten und das ihm zugekommene Entgelt gutgläubig verbraucht. Mit einer Aufhebung der Bestimmung des § 8 Abs 2 BEinstG durch den Verfassungsgerichtshof habe er nicht rechnen können. Er habe von einer allfälligen "Anlaßwirkung" mangels anderer Verständigungen erst durch die Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.2.1992 am 31.3.1992 erfahren.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Beklagte war seit 1.8.1967 beim Bankhaus S***** und seit 31.12.1974 bei der Klägerin beschäftigt. Da er aus nicht näher festzustellenden Gründen als Arbeitnehmer unzumutbar geworden war, verständigte die Klägerin am 21.9.1988 den Betriebsrat im Sinne des § 105 Abs 1 ArbVG von der beabsichtigten Kündigung. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung innerhalb der gesetzten Frist ausdrücklich zu.

Da für den Beklagten zufolge dieser Zustimmung keine Möglichkeit bestand, die Kündigung wirksam anzufechten, beantragte er am 3.10.1988 beim Landesinvalidenamt, daß ihm eine Invalidität von 50 % zuerkannt werde. Am 15.11.1988 kündigte die Klägerin den Beklagten zum 31.3.1989. Mit Bescheid vom 15.2.1989 stellte das Landesinvalidenamt fest, daß der Beklagte ab 1.10.1988 mit einem Behinderungsgrad von 50 % dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre. Dieser Bescheid wurde der Klägerin am 16.2.1989 zugestellt. Diese beantragte daraufhin am 29.3.1989 beim Behindertenausschuß, daß der Kündigung des Beklagten vom 15.11.1988 nachträglich zugestimmt werde. Der Antrag blieb jedoch sowohl in erster als auch in zweiter Instanz erfolglos. Der Beklagte bezog weiterhin sein Entgelt.

Auf Antrag des von der Klägerin angerufenen Verwaltungsgerichtshofes hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11.12.1991 § 8 Abs 2 BEinstG zur Gänze auf und verfügte, daß die Aufhebung mit 30.6.1992 in Kraft trete. Hinsichtlich des Anlaßfalles sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß die aufgehobene Vorschrift auf den gegenständlichen Sachverhalt nicht mehr anzuwenden sei. In Entsprechung dieses Erkenntnisses hob sodann der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid am 20.2.1992 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf, da so vorzugehen sei, als ob § 8 Abs 2 BEinstG schon bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Daraufhin stellte die Klägerin ihre Entgeltzahlungen ein.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß § 8 Abs 2 BEinstG zufolge der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof weggedacht werden müsse. Dies habe zur Folge, daß die Kündigung des Beklagten nur den Anfechtungsregeln des § 105 ArbVG unterliege. Der Kläger könne aber die Kündigung nicht anfechten, weil diese ordnungsgemäß und mit Zustimmung des Betriebsrats ausgesprochen worden sei. Die Zustimmung des Landesinvalidenamtes sei nicht mehr erforderlich gewesen. Zur Umsetzung der Aufhebung habe es auch keines weiteren Verfahrens vor dem Landesinvalidenamt oder der Berufungsbehörde (Ersatzbescheid) mehr bedurft.

Der Beklagte könne sich weiters nicht auf den gutgläubigen Verbrauch des erhaltenen Entgelts berufen, da die Klägerin nicht irrtümlich eine Nichtschuld, sondern eine gesetzlich begründete Schuld gezahlt habe. Ihre Zahlungspflicht sei erst durch den Wegfall des Erfordernisses einer Zustimmung zur Kündigung beseitigt worden. Damit habe der Beklagte aber rechnen müssen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Feststellungen des Erstgerichtes über die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung und die Frage des zeitlichen und sachlichen Zusammenhanges zwischen der Verständigung des Betriebsrats und dem Ausspruch der Kündigung könnten als unerheblich dahingestellt bleiben, da die Kündigung des Beklagten mangels Anfechtung innerhalb der im § 105 Abs 4 ArbVG gesetzten Frist jedenfalls rechtswirksam geworden sei. Zufolge der Aufhebung des § 8 Abs 2 BEinstG durch den Verfassungsgerichtshof seien auch die Bestimmungen des § 105 Abs 2 bis 6 ArbVG anzuwenden. Eine neuerliche Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung sei demgemäß entbehrlich.

Der für die Beurteilung der Anwendbarkeit des Jud 33 erforderliche Sachverhalt sei hinreichend geklärt. Danach dürften lediglich zu Unrecht, sohin irrtümlich ausgezahlte Dienstbezüge nicht mehr zurückgefordert werden, die der Arbeitnehmer im guten Glauben empfangen und verbraucht habe. Die Klägerin habe die Bezüge aber weder zu Unrecht noch irrtümlich geleistet. Dies habe dem Beklagten klar sein müssen; er hätte zumindest mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß die Verwaltungsbehörden der Kündigung nachträglich zustimmen. Es sei ihm daher verwehrt, der Klägerin den Einwand des gutgläubigen Verbrauchs entgegenzusetzen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung in eine Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Es trifft zwar zu, daß das Berufungsgericht ein Eingehen auf die Frage der Wirksamkeit der Kündigung im Hinblick auf den allgemeinen Bestandschutz gemäß § 105 ArbVG ablehnte, mangels entscheidender Bedeutung dieser Frage für dieses Verfahren liegt jedoch darin keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 510 Abs 3 ZPO).

Es ist nämlich der Rechtsrüge des Revisionswerbers darin beizupflichten, daß der Rückzahlungsanspruch der Klägerin unabhängig davon zu verneinen ist, ob das Arbeitsverhältnis letztlich weiterbestand oder nicht. Bei Dauerschuldverhältnissen, die bereits in das Erfüllungsstadium getreten sind, bestehen schon allgemein gewisse Schwierigkeiten in der Rückabwicklung bei Anfechtung oder etwa im Fall der Nichtigkeit, so daß diesbezüglich auch die These von der bloßen "ex nunc"-Wirkung von Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgründen vertreten wird (vgl Rummel in Rummel, ABGB2 § 859 Rz 27 mwH; vor § 1431 Rz 27; § 1435 Rz 2). Im Arbeitsrecht kommen noch spezifische Arbeitnehmerschutzgedanken dazu. Der Kläger hätte diesfalls nicht nur das ihm aufgrund der schwebenden Unwirksamkeit der Kündigung (vgl Eypeltauer, Die rückwirkende Geltung des besonderen Kündigungsschutzes begünstigter Behinderter, DRdA 1989, 185 ff; Arb 10.382; ZAS 1986/3 [Steinbauer]; DRdA 1989/15 = Arb 10.584; Arb 10.884 ua) für die Zeit vom 1.4.1989 bis 29.2.1992 zu Recht weitergeleistete Entgelt zurückzuerstatten, sondern müßte auch noch andere Nachteile, etwa sozialversicherungsrechtlicher Art, hinnehmen. Dazu kommt, daß die Zahlungen in einer Höhe (im Jahre 1989 betrug das Gehalt des Klägers S 17.500,-- brutto 15 mal jährlich) erfolgten, die schon dem "Unterhaltsstandard" nach den Unterhaltscharakter indizieren (zu diesem Begriff Zemen, Der Schutz des Empfängers von rechtsgrundlosen, jedoch gutgläubig verbrauchten Leistungen, ZAS 1979, 163 ff; Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, ArbR3 I 202). Bei solchen Zahlungen mit Unterhaltscharakter ist der Einwand des gutgläubigen Verbrauchs zulässig (Rummel aaO § 1437 Rz 12 uva).

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen sind die im Jud 33 (SZ 11/86 = Arb 3893) entwickelten Grundsätze auch dann anzuwenden, wenn - wie hier - der Rechtsgrund für die zunächst gesetzmäßige Auszahlung von Arbeitsentgelt nachträglich weggefallen ist (Arb 10.476; DRdA 1993/24 [Trost] ua). Für das Vorliegen einer Rückzahlungspflicht ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer sowohl im Zeitpunkt des Empfanges als auch des Verbrauches der Bezüge im guten Glauben gewesen ist und gewesen sein durfte, wobei es für den Ausschluß der Redlichkeit schon genügt, wenn der Arbeitnehmer bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit der ihm ausgezahlten Beträge auch nur zweifeln mußte (Arb 8645 ua). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der Klägerin die nachträgliche Bewilligung zur Kündigung des Beklagten nicht erteilt. Damit, daß der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 8 Abs 2 BEinstG aufheben werde, mußte der Beklagte nicht rechnen (vgl Spielbüchler aaO 202).

Ob der Beklagte im vorliegenden Fall nicht dennoch gewisse Zweifel am Ausgang des verwaltungsbehördlichen Zustimmungsverfahrens und somit an der Endgültigkeit des Anspruchs auf die erhaltenen Bezüge hätte haben müssen, kann dahingestellt bleiben, da zur Frage der Veranlassung des Verbrauches auch das Erklärungsverhalten der Klägerin zu berücksichtigen ist. Diese hatte das Arbeitsverhältnis des Beklagten am 15.11.1988 zum 31.3.1989 schriftlich aufgekündigt. Mit dem als echt und richtig anerkannten (S 49) Schreiben vom 29.3.1989 (Beilage 2) nahm sie aber zur Kenntnis, daß der Beklagte dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre und teilte ihm darin mit, daß sie beim Landesinvalidenamt um die Zustimmung zur Kündigung einkomme. Zugleich erklärte sie in diesem Schreiben, daß sie den Beklagten "vorerst gegen jederzeitigen Widerruf dienstfrei" stelle. Der Beklagte sei daher "verpflichtet, sich, solange das Dienstverhältnis noch aufrecht bestehe, auf Abruf zur Verrichtung von Dienstleistungen bereitzuhalten".

Dieses Schreiben durfte der Beklagte entgegen der Ansicht der Klägerin, die selbst einräumt, daß der Beklagte nach Verständigung seinen Dienst "zu gegebener Zeit" wieder hätte antreten müssen, objektiv dahin verstehen, daß er sich auch während des durch das Verwaltungsverfahren verursachten Schwebezustandes arbeitsbereit zu halten hatte, weshalb ihm schon aus diesem Grunde die Aufnahme einer anderen Beschäftigung verwehrt gewesen wäre. Der Beklagte, der an seiner weiteren Arbeitsleistung sohin lediglich aus Gründen, die auf Seiten der Klägerin lagen (Dienstfreistellung), verhindert wurde, ist demgemäß im Ergebnis so zu behandeln, als ob er während des fraglichen Zeitraums gearbeitet hätte. Daraus folgt nicht nur das begründete Vertrauen des Beklagten auf die Rechtmäßigkeit seiner Bezüge, sondern auch die Unzulässigkeit einer einseitigen Rückabwicklung aufgrund einer nunmehr allenfalls "ex tunc" wirkenden Kündigung.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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