OGH 4Ob92/93

OGH4Ob92/9327.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alpenländischer Kreditorenverband für Kreditschutz und Betriebswirtschaft, Schutzgemeinschaft für Handel, Gewerbe und Industrie, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Waldeck und Dr.Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Kreditschutzverband von 1870, ***** vertreten durch Schönherr, Barfuß, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 300.000) infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 22.Jänner 1993, GZ 5 R 246/92-8, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 20.Oktober 1992, GZ 38 Cg 412/92-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.247,20 bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin S 2.041,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Begründung

Beide Parteien sind Gläubigerschutzverbände. Der Forschungsförderungsfonds für die gewerbliche Wirtschaft (im folgenden kurz: FFF) ist seit 11.September 1981 Mitglied des Beklagten.

§ 20 der Satzung des Beklagten lautet:

"Beteiligungsanmeldung

Jedes Mitglied verpflichtet sich, sofort nach der durch das Verbandsbüro erfolgten Anzeige einer Insolvenz (§ 18) seine Forderungen unter Beischluß eines Buchauszuges in dreifacher Ausführung, Wechsel usw. sowie unter Anschluß einer Vollmacht beim Verband anzumelden und seine allfällig erworbenen Absonderungs- und Aussonderungsrechte (Pfandrechte, Eigentumsvorbehalte, Zessionen, Hypotheken usw.) oder sonstigen Sicherstellungen und eingegangenen Einzelkreditversicherungen zwecks Anmeldung der Forderung durch den Verband bei Gericht bekanntzugeben."

Am 21.8.1992 schrieb der Beklagte dem FFF wie folgt:

"Asphaltgesellschaft Richard F*****

Richard *****

Sehr geehrter Herr Dr.R*****

Wir verweisen auf unsere Rundschreiben vom 10.8. und 12.8.1992, mit welchem wir Sie von der Eröffnung der Ausgleichsverfahren informiert haben. Über den letzten Stand unterrichtet Sie der beigeschlossene Bericht vom 20.8.1992.

In diesen Insolvenzverfahren vertritt der KSV bereits ein bedeutendes Gläubigerkonsortium und hat auch den Forschungsförderungsfonds eingeladen, sich der von uns geführten Gläubigergruppe anzuschließen. Der Forschungsförderungsfonds ist seit 1981 Mitglied unseres Verbandes und wie wir glauben, besteht eine enge und freundschaftliche Zusammenarbeit. Umsomehr sind wir davon betroffen, daß gerade in diesem Fall, wo eine sehr beachtliche Forderung besteht, der Forschungsförderungsfonds das Vertretungsmandat an den Alpenländischen Kreditorenverband vergeben hat.

Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns mitteilen könnten, welche Beweggründe den Forschungsförderungsfonds dazu veranlaßt haben, seine Interessen anderweitig vertreten zu lassen und ob ein Grund zur Unzufriedenheit vorliegt.

Da wir gerade in diesem Fall Wert auf die Vertretung des Forschungsförderungsfonds legen, um die bestmöglichen Interessen durchsetzen zu können, würden wir Sie bitten, die Vollmacht beim Alpenländischen Kreditorenverband zu kündigen und unserem Verband die angeschlossene Vollmacht gefertigt einzusenden. Wir sind selbstverständlich bereit, für die bisher aufgelaufenen Spesen voll aufzukommen.

Wir ersuchen um Ihre baldige Stellungnahme und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

KREDITSCHUTZVERBAND VON 1870

(Klaus H*****)

Vollmacht

PS: Zu Ihrer Kenntnis legen wir in der Anlage zum Vergleich die Statuten des Alpenländischen Kreditorenverbandes und des KSV vor.

Wir möchten hervorheben, daß unser Verband alle ordentlichen und außerordentlichen Mitglieder jährlich in seinen wöchentlichen Mitteilungen zu einer Generalversammlung einlädt, um dort Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen. Durch die Generalversammlung werden auch die Funktionäre des KSV gewählt. Die Liste dieser Funktionäre bitten wir Sie, den angeschlossenen 'Mitteilungen extra' Seite 3, zu entnehmen."

Mit der Behauptung, daß der Beklagte mit diesem Schreiben in sittenwidriger Weise einen Kunden des Klägers geradezu aufgefordert habe, seine Geschäftsbeziehung mit dem Kläger zu beenden und an dessen Stelle den Beklagten zu beauftragen, begehrt der Kläger zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, Aufforderungen nachfolgenden oder solche ähnlichen Inhaltes, welcher Form auch immer, zu unterlassen, nämlich Vollmachten beim Kläger zu kündigen und dem Beklagten stattdessen Vollmachten zu erteilen.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Er habe keineswegs die guten Sitten im Wettbewerb verletzt. Der FFF sei sein Mitglied und habe durch die Erteilung der Vollmacht an den Kläger im Insolvenzverfahren F***** gegen die Statuten des Beklagten verstoßen. Da der FFF jederzeit berechtigt sei, die dem Kläger erteilte Vollmacht zu widerrufen, liege keine Aufforderung zum Vertragsbruch vor; die vom Beklagten geäußerte Bitte ziele auf eine ordnungsgemäße Vertragsauflösung hin. Das Verhalten des Beklagten entspreche den üblichen Gepflogenheiten des lauteren Geschäftsverkehrs.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Der Beklagte habe nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Er habe den FFF nicht zum Vertragsbruch verleiten wollen, könne doch eine Vollmacht nach Belieben widerrufen werden. Es sei auch nicht wettbewerbswidrig, den Abgeworbenen bei der ordnungsgemäßen Auflösung des Vertragsverhältnisses zu unterstützen. Der Beklagte habe sich primär nicht an einen Kunden des Klägers, sondern an ein eigenes Mitglied gewandt.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei. Nicht nur die Vollmacht, sondern auch der Auftrag könne jederzeit durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung mit sofortiger Wirkung beendet werden, ohne daß dadurch eine Vertragspflicht verletzt würde. Der Beklagte habe also den FFF nicht zum Vertragsbruch zu verleiten versucht, sondern um Vertragsauflösung ersucht. Ein solches Verhalten sei grundsätzlich zulässig, soweit Werbung nicht überhaupt - weil etwa standeswidrig - unzulässig ist. Besondere Umstände, die das Abwerben sittenwidrig machten, lägen hier nicht vor. Der Beklagte sei mit seinem Ersuchen nicht in einen fremden Kundenkreis eingedrungen - daß der FFF auch Mitglied des Klägers sei, müsse als Neuerung unbeachtet bleiben -, sondern habe sich an sein Mitglied gewandt. Als Mitglied des Beklagten sei der FFF verpflichtet, dem Beklagten Vollmacht zu erteilen und sich von diesem in einem Insolvenzverfahren vertreten zu lassen. Seinem Inhalt nach sei das beanstandete Schreiben nichts anderes als eine Erinnerung an die Mitgliedschaft des FFF beim Beklagten und die daraus entstehende Verpflichtung des FFF; eine solche Erinnerung sei nicht wettbewerbswidrig. Der Beklagte habe allerdings dem FFF auch angeboten, die bisher aufgelaufenen Spesen zu ersetzen. Ob dieses Angebot geeignet war, Hemmschwellen beim Kunden abzubauen, könne dahingestellt bleiben, habe sich doch - anders als im Fall der E ÖBl 1986, 153 - Abonnementabwerbung - der Beklagte an sein eigenes Mitglied und damit an seinen Kunden gewandt. Sein Kostenersatzangebot könne daher die Wettbewerbswidrigkeit nicht begründen; es sei vielmehr nur als Entgegenkommen zu verstehen, das es dem FFF offenbar erleichtern sollte, sich statutenkonform zu verhalten. Selbst eine - hier in erster Instanz nicht behauptete - Doppelmitgliedschaft des FFF (bei beiden Streitteilen) könnte an seinen Pflichten gegenüber dem Beklagten nichts ändern.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Revisionsrekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß die einstweilige Verfügung erlassen wird.

Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zwar zulässig, weil ein gleichartiger Sachverhalt noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes war; er ist aber nicht berechtigt.

Wie schon die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, ist das Ausspannen von Kunden eines Mitbewerbers an sich nicht wettbewerbswidrig; da sich der Geschäftsumfang gewöhnlich nur auf Kosten der Mitbewerber vergrößern läßt, gehört es zum Wesen des Wettbewerbes, daß der Gewerbetreibende in den fremden Kundenkreis einzudringen versucht und daß sich dabei das attraktivere Angebot durchsetzt. Der zu einem Unternehmen gehörende Kundenkreis ist zwar ein Vermögenswert (good will), doch besteht im freien Wettbewerb kein Recht auf Erhaltung dieser Beziehungen (SZ 60/48; WBl 1993, 162 mwN):

Auch zielbewußtes und systematisches (planmäßiges) Abwerben fremder Kunden ist für sich allein noch nicht wettbewerbswidrig. Wettbewerbswidrig wird das Ausspannen fremder Kunden erst durch Hinzutreten besonderer Umstände, die den Wettbewerb verfälschen (Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht17, 625 f Rz 597, 598; Hohenecker-Friedl, Wettbewerbsrecht 82 f; Koppensteiner, Wettbewersbrecht2, 214 f; ÖBl 1986, 153; SZ 60/48; WBl 1993, 162 ua). Das ist insbesondere der Fall, wenn beim Eindringen in den fremden Kundenkreis verwerfliche Mittel - wie etwa Verleitung zum Vertragsbruch, Anschwärzung eines Mitbewerbers bei einem Kunden, irreführende Praktiken odgl. (Baumbach-Hefermehl aaO 626 Rz 598) - angewendet oder damit verwerfliche Ziele verfolgt werden, also etwa allein die Schädigung des Mitbewerbers bezweckt wird (WBl 1993, 162 ua). Das Verleiten zur ordnungsgemäßen Vertragsauflösung ist hingegen - anders als das Verleiten oder die Beihilfe zum Vertragsbruch (SZ 32/79; SZ 33/64 ua) - für sich allein nicht sittenwidrig (ÖBl 1986, 153; MR 1986 H 4, 26; RdW 1987, 168; Baumbach-Hefermehl aaO 626 f Rz 600).

Der FFF war, da er dem Kläger den Auftrag (und die Vollmacht), erteilt hatte, für ihn in einem Insolvenzverfahren einzuschreiten, "Kunde" des Klägers geworden. (Daß er schon früher Mitglied des Klägers gewesen sei, wurde in erster Instanz nicht behauptet und ist daher der rechtlichen Beurteilung nicht zugrunde zu legen.) Soweit der Beklagte den FFF ersucht hat, "die Vollmacht" beim Kläger "zu kündigen", hat er also zu einer durchaus zulässigen Vertragsauflösung, nicht aber zu einem rechtswidrigen Vertragsbruch aufgefordert. Wie schon das Rekursgericht zutreffend dargelegt hat, können ja Vollmacht und Auftrag - soferne nichts anderes vereinbart ist - jederzeit widerrufen werden (§ 1020 ABGB; Strasser in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu §§ 1020 bis 1026). Daß zwischen dem Kläger und dem FFF Unwiderruflichkeit des Auftrages vereinbart worden (und dies dem Beklagten bekannt gewesen) wäre, ist weder (konkret) behauptet noch festgestellt worden. Die Aufforderung an den FFF, dem Kläger die Vollmacht zu kündigen, verstieße daher nicht einmal dann gegen die guten Sitten, wenn der FFF nicht Mitglied des Beklagten wäre. Umso weniger kann daher dem Beklagten zum Vorwurf gemacht werden, daß er sich an sein Mitglied - welches sich nach § 20 der Statuten dazu verpflichtet hatte, sich in einem Insolvenzverfahren durch den Beklagten vertreten zu lassen - mit der entsprechenden Bitte oder Aufforderung gewandt hat. Der im Revisionsrekurs behandelten Frage, ob das beanstandete Schreiben bloß als Bitte oder zwingend als Aufforderung zu verstehen war, die Geschäftsbeziehung mit dem Kläger zu beenden, macht hier rechtlich keinen Unterschied. Ob - wie das Rekursgericht meint - dem Beklagten auf Grund des § 20 seiner Statuten ein klagbarer Anspruch gegen jedes seiner Mitglieder darauf zusteht, daß es sich im Insolvenzverfahren durch ihn vertreten läßt, bedarf diesmal keiner Untersuchung, weil dies für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Beklagten ohne Bedeutung ist. Bemerkt sei nur, daß die Rechtsansicht, daß Vollmacht und Auftrag nach § 1020 ABGB grundsätzlich jederzeit widerruflich sind, mit der Annahme, jemand sei zur Vollmachtserteilung verpflichtet (und könne die Vollmacht auch nicht widerrufen) entgegen den Revisionsrekursausführungen nicht im Widerspruch steht, weil ja § 1020 ABGB dispositives Recht ist (Strasser aaO).

Der Oberste Gerichtshof hat allerdings auch schon ausgesprochen, daß gegen die guten Sitten verstößt, wer dem Kunden eines Konkurrenten bei der Auflösung seiner vertraglichen Bindung zu diesem Mitbewerber dadurch behilflich ist, daß er ihm ein vorbereitetes Kündigungsschreiben vorlegt, welches der Kunde nur noch - unter Beisetzung des Kündigungstermins - zu unterschreiben braucht, und dieses Kündigungsschreiben dann auf eigene Kosten zur Post befördert (ÖBl 1986, 153). Mag auch im allgemeinen das Angebot eines Unternehmers, dem umworbenen Kunden im Fall der Auflösung seines Vertrages zu einem Mitbewerber die aufgelaufenen Spesen zu ersetzen, einem solchen Verhalten gleichzusetzen und als sittenwidrig zu beurteilen sein (vgl Baumbach-Hefermehl aaO 626 Rz 598 mit Hinweis auf OLG Celle in GRUR 1962, 528 ua), so muß doch hier die Vorgangsweise des Beklagten in einem anderen Licht gesehen werden. Er ist mit dem beanstandeten Schreiben nicht in einen fremden Kundenkreis eingedrungen, um erstmals einen bestimmten Kunden eines Mitbewerbers auf seine Seite zu ziehen; vielmehr hat er sich an eine Institution gewandt, die seit mehr als zehn Jahren sein Mitglied war. Daß er im Hinblick auf die von ihm beschworene "enge und freundschaftliche Zusammenarbeit" dem FFF die erbetene (oder geforderte) Auflösung des Vollmachts- und Auftragsverhältnisses zum Kläger schmackhaft machen wollte, kann im Hinblick auf die durch die Mitgliedschaft des FFF begründete Rechtsposition des Beklagten nicht als sittenwidrig gewertet werden. Daß die Spesen des FFF (für die Erteilung des Auftrages zur Forderungsanmeldung) schon so stark ins Gewicht gefallen wären, daß das Versprechen ihres Ersatzes als "Kundenbestechung" (Baumbach-Hefermehl aaO 626 Rz 598 im Zusammenhang mit 406 Rz 85) gewertet werden könnte, hat der Kläger nicht einmal behauptet. Aus diesen Erwägungen kommt daher auch ein in dem Sinne eingeschränktes Unterlassungsgebot, daß dem Beklagten die beanstandete Aufforderung dann untersagt werde, wenn er sie mit dem Versprechen eines Aufwandersatzes verbindet, nicht in Frage.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO, §§ 41, 50, 52 ZPO.

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