OGH 7Ob575/93

OGH7Ob575/9315.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Ebner und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter G*****, vertreten durch Dr.Rudolf Griss und Dr.Gunther Griss, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Raiffeisenbank G***** reg.GenmbH *****, vertreten durch Dr.Peter Steinbauer, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 356.734 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 12.Oktober 1992, GZ 6 R 229/91-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 18.Juli 1991, GZ 9 Cg 354/90-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die beklagte Partei kaufte als Kommissionär für den Kläger, der ihr Kunde war, bei der Österreichischen Termin- und Optionenbörse (ÖTOB) am 2.August 1990 4.780 Put Optionsscheine "Erste Put OS 89-8/90 A.1 EKA-ST.A" um 10 S/Stück und am 6.August 1990 weitere 13.220 Stück zu einem Kurs von 40 S. Dieser Kauf führte letztlich zu einem Verlust von S 431.996.

Mit der Behauptung, sich nicht an den Auftrag des Klägers, der das Einsatzkapital mit 150.000 S begrenzt wissen wollte, gehalten bzw den diesbezüglichen Irrtum des Klägers schuldhaft nicht aufgeklärt zu haben, begehrt der Kläger die Rückabwicklung des Einkaufskommissionsgeschäftes in dem den Betrag von 150.000 S samt Provision übersteigenden Umfang, in eventu den ihm durch den Beratungsfehler der beklagten Partei entstandenen, mit 356.734 S bezifferten Vermögensschaden.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Seinen wesentlichen, zusammengefaßt wiedergegebenen Feststellungen zufolge beabsichtigte der Kläger, der bei der beklagten Partei ein Wertpapierdepot unterhielt, den Kauf von Put-Optionsscheinen der obgenannten Art um den Betrag von S 300.000. Über Anraten des Wertpapierberaters der beklagten Partei, P***** E*****, der den Kläger auf die Risikoträchtigkeit der geplanten Investition hinwies, beauftragte der Kläger E***** am 2.August 1990 mit dem Erwerb von "Union Baumaterial"-Aktien um etwa 150.000 S, beharrte aber auf dem Ankauf der erwähnten Put-Optionsscheine um nunmehr etwa 150.000 S. Auf Basis einer Kurserwartung von 8 S pro Optionsschein, der der Kurs vom Vortag unter Berücksichtigung einer ansteigenden Tendenz zugrunde lag, errechnete E*****, daß um S 150.000 18.000 Stück Optionsscheine angekauft werden könnten und füllte einen entsprechenden schriftlichen Kaufauftrag mit der Order aus, daß der Kauf von 18.000 Optionsscheinen "bestens" - das heißt somit unlimitiert - bis zum 10. August 1990 zu erfolgen habe. Die Setzung eines Kurslimits hielt der Kläger nicht für erforderlich, da bei Annahme eines Kurses von 8 S pro Stück und dem Vortageskurs von 6,75 S ein "Risikopolster" ohnehin miteinkalkuliert sei.

Der Kaufauftrag konnte am 2.August nur zum Teil (4.780 Stück von Kurs zum 10 S) durchgeführt werden, worüber E***** den Kläger am 3.August telefonisch informierte und frug, ob der Auftrag hinsichtlich der restlichen Optionsscheine durchgeführt werden sollte. Dies bejahte der Kläger, worauf es am 6.August 1990 zum Kauf der restlichen 13.220 Stück - allerdings zum Kurs von 40 S - kam. Der Kläger, der den Kursanstieg aus der Zeitung entnommen hatte, erteilte nach Rücksprache mit E***** einen Verkaufsauftrag über 5.000 Stück zum Kurslimit von 60 S, der jedoch wegen des zwischenzeitig eingetretenen Kursverfalls unter dieses Limit nicht durchgeführt wurde, so daß es erst aufgrund weiterer Verkaufsaufträge des Klägers unter Verzicht auf ein Limit zum Verkauf sämtlicher Optionsscheine kam, wodurch ein Erlös von 151.812 S erzielt wurde. Es ergab sich - unter Berücksichtigung der Spesen - ein Verlust von S 431.996, mit dem die beklagte Partei den Kläger belastete.

Eine der beklagten Partei zurechenbare Verletzung von Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten verneinte das Erstgericht im Hinblick auf die ihm gesichert erscheinende Sachkenntnis des Klägers, die es aus dessen Vertrautheit mit den Fachausdrücken "Limit" und "bestens" sowie dem Umstand, daß er im Kreise seiner Familie (!) öfters Fachgespräche über Wertpapiere führe, regelmäßig die Wertpapierkurse in den Tageszeitungen verfolge und bereits Aktienkäufe getätigt habe, ableitete, und wies aus diesem Grunde das Klagebegehren zur Gänze ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Tatsachenrüge, mit der der Kläger sowohl die Feststellung des Erstgerichtes, um etwa einen Betrag von 150.000 S die gewünschten Optionsscheine erworben zu haben, bekämpft wie auch die im Rahmen der Beweiswürdigung gezogene - Feststellungscharakter aufweisende - Schlußfolgerung, daß 18.000 Stück Optionsscheine bestens mit Befristung 10.August 1990 jedenfalls angekauft werden sollten, gab das Berufungsgericht nur insoweit Folge, als es die erstgenannte Konstatierung "mit dem Verständnis übernahm, daß der Kläger beabsichtigte, um einen Betrag von S 150.000 die gewünschten EKA-Put-Optionsscheine...... anzukaufen." In seiner rechtlichen Beurteilung ging es allerdings von der Erteilung eines Kaufauftrages über 18.000 Stück aus und trat der Rechtsauffassung des Erstgerichtes bei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne des darin gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Die Entscheidung dieses Rechtsstreites hängt zunächst davon ab, welche Absicht der Kläger bei Inanspruchnahme der Dienste der beklagten Partei verfolgte, insbesondere, ob er um einen bestimmten Betrag eine letztlich variable Stückzahl der von ihm genannten Optionsscheine oder aber eine bestimmte Anzahl dieser Wertpapiere ohne Rücksicht auf deren Kurs kaufen wollte.

Trifft ersteres zu, dann konnte die Erreichung des Vertragszweckes durch den Kaufauftrag ./1 (18.000 Stück bestens bis 10.8.1990) nicht ausreichend sichergestellt werden. Dies wäre angesichts der fixierten Stückzahl von 18.000 nur dann der Fall gewesen, wenn sich der Kurswert während der vereinbarten Frist nicht verändert hätte. Um sicher zu gehen, daß nicht mehr als das vorgesehene Kapital von 150.000 S in Anspruch genommen wird, hätte es aber keinesfalls eines Limits, das sich nur auf den Kurswert beziehen konnte, bedurft, zumal der Kläger ersichtlich auch Interesse am Kauf von in ihrem Wert steigenden Optionsscheinen bekundet hatte, sofern nur die Wahrung des für den Kauf vorgesehenen Ausgabenrahmens gewährleistet blieb. Da die ÖTOP eine elektronische Börse ist, werden die Aufträge der Börsenteilnehmer und deren Kunden über Terminals direkt in das ÖTOP-Computersystem eingegeben. Ebenso sind die aktuellen Kurse für die Börseteilnehmer abrufbar. Die beklagte Partei hätte daher den ihr vom Kläger erteilten Auftrag der jeweils gegebenen Kurssituation unmittelbar anpassen können.

War daher die Absicht des Klägers nur auf den Einsatz eines Kapitals von 150.000 S gerichtet, dann hätte die beklagte Bank, die diesen Effektenkommissionskauf (§ 1 Abs 2 Z 5 KWG iVm § 383 HGB) mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns durchzuführen gehabt hätte (§ 347 HGB), ihre Vertragspflichten durch die Konzeption eines diesen Zwecken nicht genügenden Kaufauftrages und durch die Außerachtlassung der Beobachtung der Kursentwicklung sowie der Anpassung des an der Börse plazierten Kaufauftrages an den Kurs einerseits und das zur Verfügung stehende Kapital andererseits eindeutig verletzt und wäre bereits nach den §§ 1295, 1313a ABGB ersatzpflichtig geworden.

Wollte der Kläger dagegen von vornherein eine bestimmte Anzahl, nämlich 18.000 Stück der in Rede stehenden Optionsscheine unter den im Kaufauftrag ./1 genannten Bedingungen kaufen, dann wäre zu prüfen, inwieweit die beklagte Partei ihren (vorvertraglichen) Aufklärungspflichten nachgekommen ist.

Die vom Berufungsgericht - in teilweiser Stattgebung der Tatsachenrüge des Klägers - "mit dem Verständnis" übernommene Feststellung, daß Put-Optionsscheine um einen Betrag von 150.000 S gekauft werden sollten - hinzuweisen ist darauf, daß eine modifizierte Übernahme von Tatsachenfeststellungen ohne Wiederholung oder Ergänzung der Beweise dem Unmittelbarkeitsgrundsatz widerspricht - steht nun aber in einem unlösbaren Widerspruch zur übernommenen Feststellung des Erstgerichtes, daß 18.000 Stück Optionsscheine innerhalb einer bis zum 10.August 1990 vereinbarten Frist bestens angekauft werden sollten.

Diese miteinander in dieser Form nicht zu vereinenden Feststellungen - vom Revisionswerber unter Punkt III 2 gerügt - lassen eine Sachentscheidung nicht zu. Damit liegt aber ein Feststellungsmangel vor, der die außerordentliche Revision als zulässig erscheinen läßt und zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt.

Im zweiten Rechtsgang wird aber nicht nur der Inhalt der vom Kläger dem Sachbearbeiter der beklagten Partei (E*****) erteilte Kaufauftrag unmißverständlich festzustellen, sondern auch zu klären sein, inwieweit die beklagte Partei (durch E***** als Vertragsgehilfen, für den sie gemäß § 1313a ABGB haftet) ihren Sorgfalts-, Aufklärungs- und Warnpflichten nachgekommen ist.

Zutreffend wies das Berufungsgericht darauf hin, daß Schutz- und Sorgfaltspflichten nicht nur im Schuldverhältnis, sondern bereits im vorvertraglichen Verhältnis zwischen den Parteien in Lehre und Rechtsprechung anerkannt sind (Koziol-Welser, Grundriß9 I S 195 f, 205 f). In der Regel besteht eine Aufklärungspflicht - insbesondere über Leistungsgegenstand und - Umfang oder Hindernisse, die einem Vertragsabschluß entgegenstehen - allerdings nur dann, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erwarten durfte.

Am geringsten sind solche Aufklärungspflichten nach herrschender Auffassung bei wirtschaftlichen Umsatzgeschäften ohne besondere Treue und Vertrauensbande (JBl 1982, 87). Mit dem Maß des Vertrauensverhältnisses, das einer vertraglichen Bindung zugrunde liegt, erhöhen sich auch die Anforderungen, die an die Sorgfaltspflichten zu stellen sind. Sie finden ihre Grenze an der objektiven Voraussehbarkeit einer Gefährdung der Interessen des Gegners (vgl auch SZ 52/22).

Die Anschaffung, Veräußerung, Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere zählt nach § 1 Abs 2 Z 5 Kreditwesengesetz zu den Bankgeschäften, deren Durchführung schon nach § 347 HGB die Aufwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes erfordert. Bei Abschluß dieser Effektengeschäfte prävaliert - etwa im Gegensatz zu Kreditgeschäften - das Interesse des Bankkunden, der grundsätzlich das gesamte Risiko zu tragen hat, gegenüber jenem des Bankinstituts eindeutig. Ein entsprechend strengerer Maßstab ist demnach auch an die Sorgfalt anzulegen, die die Bank bei solchen Geschäften gegenüber dem Kunden anzuwenden hat, darf doch der Kunde darauf vertrauen, daß die Bank über spezifisches Fachwissen im Wertpapierhandel verfügt, aber auch darauf, daß sie ihn bei Abschluß und Durchführung solcher Geschäfte umfassend berät. Daß er selbst sachkundig ist, schließt seine Schutzbedürftigkeit keinesfalls aus (vgl SZ 54/179, SZ 45/75 uva). Entscheidend ist, ob nach Lage des Falles eine Aufklärungs- oder Warnnotwendigkeit besteht.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so wird deutlich, daß die beklagte Partei ihrer Sorgfaltspflicht nicht schon dadurch nachgekommen ist, daß ihr Sachbearbeiter den Kläger auf die Risikoträchtigkeit des beabsichtigten Optionsscheinkaufes hingewiesen hat. Denn darüber wußte der Kläger nach dem insoweit unstrittigen Sachverhalt ohnedies Bescheid, beabsichtigte er doch den Kauf dieser Wertpapiere aus spekulativen Gründen.

Klärungsbedürftig ist hingegen, ob die Frage der Möglichkeit der - vom Kläger angestrebten - Risikobegrenzung zwischen den Parteien erörtert wurde, ob ferner der Kläger ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht wurde, daß nach dem Inhalt des schriftlichen Kaufauftrages (Beilage ./1) eine Beschränkung auf einen Kapitaleinsatz von 150.000 S nicht gewährleistet ist, und ob der Kläger anläßlich des dem Kauf der restlichen 13.220 Optionsscheine vorausgegangenen Telefongespräches vom 3.August 1990 unzweideutig darauf hingewiesen wurde, daß bei Aufrechterhaltung des schriftlichen Kaufauftrages (Beilage ./1) bereits unter Annahme des Kurses vom Vortag (2.August: 10 S) das Kapital von 150.000 S nicht unbeträchtlich (nämlich um 20 %) und bei weiterem - angesichts der Kursentwicklung der Vortage zu erwartenden - Kursanstieg beträchtlich überschritten würde.

Die Feststellungen der Untergerichte lassen eine abschließende Beurteilung dieser entscheidungswesentlichen Frage nicht zu, zumal der Argumentation des Berufungsgerichtes, es hätte angesichts der durch die Verwendung der Fachausdrücke "bestens" und "Limit" offenkundigen Sachkenntnis des Klägers keinerlei weiteren Aufklärung bedurft, nicht gefolgt werden kann: Selbst wenn feststünde - was nicht der Fall ist - daß sich der Kläger über die Bedeutung dieser Termini vollständig im klaren war, wäre E***** verpflichtet gewesen, sich - etwa durch entsprechende Kontrollfragen - darüber Gewißheit zu verschaffen, ob dem Kläger auch die Tragweite der von E***** formulierten (vom Kläger aber nicht unterschriebenen) Kauforder (Beilage ./1) bzw des telefonischen Kaufauftrages vom 3.August 1990 bewußt und ein Irrtum hierüber auszuschließen war.

Der Revision des Klägers war somit aus den dargelegten Gründen Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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