OGH 3Ob571/92

OGH3Ob571/9214.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Angelika M*****, vertreten durch Dr.Norbert Kohler, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagten Parteien 1. Maria Theresia S*****, und 2. Elisabeth F*****, und den auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten Mag. Dietmar F*****, alle vertreten durch Dr.Norbert Margreiter, Rechtsanwalt in Bezau, wegen Feststellung des Verlaufes der Grundstücksgrenze (Streitwert S 65.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 3. September 1992, GZ 1 c R 133/92-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bezau vom 15. April 1992, GZ 2 C 6/92k-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur Ergänzung des Berufungsverfahrens und zur neuen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Text

Begründung

Der gemeinsame Großvater der Klägerin und der beiden Beklagten Alois K***** verkaufte am 16.Jänner 1926 aus seinem Liegenschaftseigentum der Molkereigenossenschaft ein Grundstück als Bau- und Vorplatz für das Sennereigebäude. Am 13.Feber 1975 kaufte ein Onkel der Parteien Josef K***** das Grundsrtück von der Molkereigenossenschaft zurück. Damals befand sich auf dem südlich des Sennhauses gelegenen Vorplatz ein Holzschuppen, dessen Südwand die Grundstücksgrenze bildete. Die Molkereigenossenschaft verpflichtete sich im Kaufvertrag, den Stadel auf dem Vorplatz bis Ende 1975 abzutragen. Das Sennhaus war damals an türkische Gastarbeiter vermietet. Nach der Abtragung des Holzschuppens entfernte der Käufer die Fundamente. Er planierte und begrünte die Teilfläche und errichtete zwischen seinem Grundstück 514 Hofstatt und dem Baugrundstück 21 Sennhaus aus Holzpfählen und Draht einen Zaun, um eine Vergrößerung seiner Hofstatt zu erreichen, den türkischen Mietern den ihnen zur Verfügung stehenden Platz einzuengen und das auf der Hofstatt weidende Vieh davon abzuhalten, über den damals noch auf der Süd- und Westseite des Sennhauses vorbeiführenden Weg auf die Straße zu laufen. Der Eigentümer errichtete den Zaun nicht an der Mappengrenze der Grundstücke 514 und 21 sondern rückte näher an das Sennhaus heran. Dadurch wurde in der Natur das Grundstück 514 größer und das Grundstück 21 kleiner. Der Zaun blieb bis zum Ableben des Josef K***** am 9.Jänner 1985.

Da Josef K***** keine letztwillige Anordnung traf, waren die Erben nach dem Gesetz die Mutter der Beklagten Frieda A*****, Armin K***** und der Vater der Klägerin Wilhelm K*****. Dessen Teilungsvorschläge wurden von den Miterben abgelehnt.

Am 18.April 1985 schlossen die Erben eine Vereinbarung, nach der die Mutter der Beklagten den ersten Teil (Hofstatt mit dem Haus Nr 10 und angehörige Grundstücke sowie Sennhausweg), den zweiten Teil (Sennhaus usw) der Vater der Klägerin und den dritten Teil der dritte Miterbe übernehmen. Das Erbteilungsübereinkommen wurde entsprechend dieser Vereinbarung vor dem Gerichtskommissär festgehalten. Von einer Neuvermessung der Grenze zwischen den Grundstücken 514 und 21 ist in keiner der Vereinbarungen die Rede gewesen. Zur Zeit des Erbübereinkommens verlief an der Mappengrenze kein Zaun, der vom Erblasser errichtete Zaun verlief weiter südlich näher zum Sennhaus als die Mappengrenze.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 7.Jänner 1992 erhobenen Klage gegenüber den Beklagten die Feststellung, daß die Grenze zwischen den Grundstücken 21 Baufläche in der EZ ***** der Klägerin und dem Grundstück 514 in der EZ ***** der Beklagten so verlaufe, wie sie in der Planurkunde des Dipl.Ing.Walter B***** vom 7.Oktober 1991 als Linie zwischen bestimmten Planpunkten dargestellt sei. Bis 1977 sei das Grundstück 21 im Eigentum der Molkereigenossenschaft gestanden. Ihr Onkel habe dieses Baugrundstück mit dem Flächenausmaß von 534 m**2 gekauft und übernommen. Der Käufer habe mit dem Holzzaun keine neue Grenze zu dem schon bisher in seinem Eigentum gestandenen Grundstück 514 schaffen, sondern nur eine größere zsuammenhängende Grundfläche zur Verfügung haben wollen. Im Rahmen des Erbübereinkommens habe ihr Vater das Grundstück 21 übernommen. Den Vertragsparteien sei damals bekannt gewesen, daß der vom Erblasser aufgerichtete Holzzaun nicht die Grenze des Grundstückes war. Deshalb habe ihr Vater mit der Mutter der Beklagten, der aus der Erbschaft das Grundstück 514 zufiel, im Jahr 1985 vereinbart, daß ein Geometer die Grenze neu vermesse. Die im Jahr 1987 ermittelte Grenze wollten die Beklagten nicht anerkennen.

Die Beklagten beantragten, das Klagebegehren abzuweisen. Es sei nie vereinbart worden, eine Grenzvermessung vornehmen zu lassen, weil gar nie bezweifelt wurde, daß der Zaun die Grenze zwischen den beiden Liegenschaften bilde.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab. Es lasse sich nicht feststellen, ob Wilhelm K***** und Frieda A***** vereinbart hätten, die bis zum Jahre 1975 bestandene Grenze (zwischen den Grundstücken 21 und 514) auszumessen. Rechtlich führte es aus, zur Zeit der Erbteilung habe der vom Eigentümer aufgestellte Zaun die Grenze zwischen den beiden von den Miterben zu übernehmenden Grundstücken gebildet. Etwas anderes sei nicht bewiesen. Ob den Erben bei Abschluß des Erbteilungsübereinkommens bekannt war, daß der in der Natur vorhandene Zaun nicht die Grenze zwischen den Grundstücken bildete, stellte das Erstgericht nicht fest.

Das Berufungsgericht bestätigte und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und meinte, aus dem Verlauf der Grenze nach der Mappe lasse sich nichts gewinnen, weil in diesem Bereich der Grenzkataster (noch) nicht bestehe. Die optische Grenze zwischen beiden Grundstücken habe der von ihrem Eigentümer errichtete Holzzaun gebildet. Die Miterben seien bei Abschluß des Erbenübereinkommens offenbar von dem in der Natur ersichtlichen Grenzverlauf (Zaun) ausgegangen, weil andere Grenzzeichen nicht vorhanden waren. Über Grenzen sei bei der Erbteilung nicht gesprochen worden. Daß eine Neuvermessung der Grenze vereinbart worden sei, sei nicht bewiesen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Miterben die Erbteilung auf der Grundlage der alten Grundstücksgrenze des Jahres 1975 vornehmen wollten oder daß das Grundstück 21 ein Flächenausmaß von 607 m**2 haben sollte. Im handschriftlichen Erbenübereinkommen sei der Wille der Parteien festgehalten. Der Notar als Gerichtskommissär habe im Abhandlungsprotokoll die Grundstücke in verbücherungsfähiger Form mit Flächenangaben angeführt. Da die Klägerin ihr besseres Recht nachzuweisen hätte und nichts darauf hindeute, daß die Miterben die Grundaufteilung nach der Mappengrenze beabsichtigten, sei der bestehende Zaun als in der Natur vorhandenes Grenzzeichen anzusehen.

Die Revision sei zuzulassen, weil eine gesicherte Rechtsprechung zu den angeschnittenen Rechtsfragen fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig und auch berechtigt.

Da der von der strittigen Grenze eingefaßte Grundstücksteil keinen Einheitswert besitzt, kann § 60 Abs 2 JN nicht angewendet werden (2 Ob 673/86; 1 Ob 667/90). Es kommt nicht auf den allfälligen Einheitswert des Grundstückes 514 an. Wenn die Beklagten behaupten, der Einheitswert der Liegenschaft EZ 10, zu deren Gutsbestand das Grundstück 514 gehört, betrage nur S 11.000,--, so ist daran festzuhalten, daß beim Streit um das Flächenausmaß des Grundstücks 21 Baufläche jedenfalls der Einheitswert der angrenzenden Liegenschaft nicht für die Beurteilung der Rechtsmittelzulässigkeit maßgebend ist. Die Bewertung durch das Berufungsgericht verstößt damit nicht gegen eine zwingende Vorschrift und ist bindend.

Darauf, ob der Erblasser mit seiner Zaunziehung eine vom früher bestehenden Verlauf abweichende Grenze ziehen wollte oder aus anderen Erwägungen den Zaun nicht im Verlauf der Mappengrenze zwischen den beiden in seinem Eigentum stehenden Grundstücken errichtete, kommt es nicht an. Maßgebend ist allein, in welchem Umfang an dem Liegenschaftsbesitz des Erblassers den mehreren Miterben, die sich schließlich auf eine Realteilung einigten, Eigentum des einen und des anderen Miterben eintreten sollte. Daß die Grundbuchsmappe aber auch die Katastralmappe der Vermesssungsbehörden keinen Beweis über die Richtigkeit der eingezeichneten Grenzen machen, entspricht der Lehre und der ständigen Rechtsprechung (vgl. SZ 58/177; SZ 60/2; RZ 1990/65; NZ 1990, 263 uva). Erst der in Kraft getretene Grenzkataster schafft umfassenden Vertrauensschutz (SZ 62/59).

Für den Eigentumserwerb sind die tatsächlichen Grundstücksgrenzen, also der Grenzverlauf maßgebend, der in der Natur erkennbar ist. In welchen Naturmaßen die einzelnen Erben zufolge der Erbteilung Alleineigentum an den Nachlaßliegenschaften erwerben sollten, hängt von der zwischen ihnen zustande gekommenen Vereinbarung ab. Die Klägerin hat in der Klage ausdrücklich behauptet, den am Erbteilungsübereinkommen beteiligten drei Mitererben sei bekannt gewesen, daß der vom Erblasser gesetzte Holzzaun nicht die Grenze des Grundstückes, also für die Eigentumsabgrenzung nicht maßgebend war. Sollte sich diese Tatsachenbehauptung als richtig erweisen, müßte angenommen werden, daß die Miterben den Zaun nicht die Bedeutung einer natürlichen Grenzziehung beimaßen, sondern bei der Aufteilung der Grundflächen aus dem Nachlaß von den ursprünglichen Grenzen ausgegangen wurde, wie sie beim Erwerb des Grundstücks 21 Baufläche durch den Erblasser bestanden hatten. Das Erstgericht hat zu den widerstreitenden Behauptungen der Parteien keine Feststellungen getroffen, sondern sich darauf beschränkt, die behauptete Vereinbarung einer Grenzvermessung nicht feststellen zu können. Wenn das Berufungsgericht ohne Beweisergänzung annahm, die Miterben seien bei der Realteilung vom Holzzaun als Grenze ausgegangen, obwohl die Klägerin behauptet hatte, den Miterben sei damals bekannt gewesen, daß der Zaun nicht die Grenze bilde, ist ihm ein Verfahrensmangel unterlaufen, dem wegen der Bedeutung für die Rechtssicherheit das Gewicht einer erheblichen Rechtsfrage des Verfahrensrechts iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt. Es liegt nämlich eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vor, wenn das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung von Feststellungen des Erstgerichtes abgeht oder wenn es Feststellungen ohne Beweiswiederholung ergänzt (vgl. SZ 57/121 ua). Die Entscheidung hängt von der vom Erstgericht unterlassenen und vom Berufungsgericht ohne Beweisergänzung unterstellten Feststellung ab, ob die Miterben bei der Erbteilung davon ausgingen, daß der vom Erblasser nicht an der Grenze gesetzte Zaun für die Abgrenzung der nach dem Übereinkommen an verschiedene Erben fallenden Grundstücke 21 und 514 nicht bestimmend sein sollte, ob also den Miterben bekannt war, daß der Zaun keine Grenze bildete. Insoweit fehlt es an einer für die Enscheidung wesentlichen Tatsachenfeststellung. Die Rechtssache ist deshalb unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf dem § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.

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