Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache zu Recht erkannt, daß das klageabweisende erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.
Die Klägerin hat den Beklagten binnen vierzehn Tagen auch die einschließlich 1.815,66 S Umsatzsteuer mit 10.893,96 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die einschließlich 933,90 S Umsatzsteuer und 6.000 S sonstige Barauslagen mit 11.603,40 S bestimmten Rekurskosten zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit notariellem Übergabsvertrag vom 20.Februar 1990 übergab die damals im 75.Lebensjahr stehende Klägerin den (mit ihr nicht verwandten oder verschwägerten) Beklagten je zur Hälfte ihre 1015 m**2 große Liegenschaft im Einheitswert von 79.000 S samt Zubehör, den Baulichkeiten (Einfamilienhaus) und Inventar. Als Gegenleistung räumten ihr die Beklagten im übergebenen Haus ein Wohnungsrecht auf Lebensdauer (Alleinbenützung des Schlafzimmers im ersten Stock und Mitbenützung aller übrigen Räumlichkeiten) ein, übernahmen die Betriebskosten und verpflichteten sich zur Reinigung und Instandhaltung der Wohnung, Einrichtung, Kleider, Wäsche, Bettwäsche und Schuhe, zur Beistellung und Zubereitung der dem jeweiligen Gesundheitszustand entsprechenden Speisen und Getränke unter Tragung der Kosten der Nahrungsmittel, zur Betreuung der Übernehmerin bei Krankheit und Gebrechlichkeit, zur Herbeiholung eines erforderlichen Arztes, zur Beischaffung der von ihm verordneten Medikamente und zur Besorgung und Bezahlung eines standesgemäßen und ortsüblichen Begräbnisses. Für Steuerbemessungszwecke wurden das Wohnungsrecht und die Betreuungsverpflichtung, die in der Folge als Dienstbarkeit und Reallast verbüchert wurden, mit 2.000 S monatlich bewertet. Im Punkt 9. des Übergabsvertrages erklärten die Parteien, daß der Errichtung des schriftlichen Übergabsvertrages mündliche Besprechungen und Verhandlungen über den Wert der Leistung und Gegenleistung vorausgingen, den Abschluß des Vertrages wohl bedacht zu haben, nicht benachteiligt zu sein und keinen Grund zur Anfechtung des Vertrages, insbesondere wegen Verletzung um oder über die Hälfte des wahren Wertes zu besitzen.
Trotz dieser Erklärung begehrt die Klägerin die Aufhebung des Vertrages und die Rückübertragung der Liegenschaft. Dabei stützte sie sich auf bewußte Täuschung (List), Irrtum, Sittenwidrigkeit, Wucher und Verkürzung über die Hälfte.
Die Beklagten bestritten diese Aufhebungsgründe, wendeten ein, daß die Klägerin auf die Anfechtung des Vertrages wegen laesio enormis ausdrücklich verzichtet habe und beantragten die Abweisung der Klagebegehren.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.
Es bejahte die Vertragsfähigkeit der Klägerin am 20.Februar 1990 und fand keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagten den Übergabsvertrag listig erschlichen oder die Klägerin in Irrtum geführt hätten. Wegen des Punktes 9. des Übergabsvertrages könne die Klägerin den Vertrag auch nicht wegen Verletzung über die Hälfte anfechten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung auf. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Das Gericht zweiter Instanz erachtete zwar die Tatsachen- und Beweisrüge für nicht gerechtfertigt, wohl aber die nur hinsichtlich der laesio enormis entsprechend ausgeführte Rechtsrüge.
Nach § 395 (1. HS) ABGB könne die Anwendung des § 934 leg cit grundsätzlich vertraglich nicht ausgeschlossen werden. § 934 sei jedoch in den in den weiteren HS der erstgenannten Gesetzesstelle aufgezählten Fällen nicht anzuwenden. Die Beklagten hätten sich darauf berufen, daß Punkt 9. des Übergabsvertrages einen solchen Ausnahmsfall enthalte. Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes lasse sich aus dem Vertragswortlaut noch nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, ob die Klägerin beim Abschluß des Vertrages den tatsächlichen Wert der Leistung und Gegenleistung tatsächlich erkannt hatte. Dies sei unerörtert geblieben, beweismäßig nicht näher behandelt worden und stehe auch nicht zweifelsfrei fest. Daher werde das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren die zur Formulierung des genannten Vertragspunktes führenden Umstände zu ergründen und die tatsächlichen Wertkenntnisse der Klägerin festzustellen haben. Erst dann lasse sich abschließend beurteilen, ob ihr grundsätzlich ein Vertragsaufhebungsrecht nach § 934 ABGB zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und in der Sache selbst im klageabweisenden Sinn zu entscheiden, allenfalls die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 ZPO zulässig. Die Entscheidung hängt nämlich von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts ab, der zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit deshalb erhebliche Bedeutung zukommt, weil das Berufungsgericht von der einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht.
Der Rekurs ist auch berechtigt.
Im nunmehrigen Verfahrensabschnitt ist nur mehr strittig, ob der Übergabsvertrag vom 20.Februar 1990 wegen Verkürzung über die Hälfte nach § 934 ABGB aufgehoben werden kann.
Das Berufungsgericht ging zutreffend davon aus, daß die Anwendung dieser Gesetzesstelle nach § 935 erster HS ABGB in der seit 1.Oktober 1979 geltenden Fassung des § 33 Z 6 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) BGBl 1979/140 - anders als nach der früheren Fassung dieser Bestimmung - vertraglich nicht mehr ausgeschlossen werden kann (Welser, Anmerkungen zum Konsumentenschutzgesetz JBl 1979, 449 [453]; Stölzle, Die Neuregelung der laesio enormis durch das Konsumentenschutzgesetz AnwBl 1980, 472; Koziol-Welser, Grundriß9 I 272 mwN; Reischauer in Rummel**2 I § 935 Rz 1; Binder in Schwimann 4/1 § 935 Rz 1).
Stölzle weist jedoch aaO zutreffend darauf hin, daß u.a. § 1268 ABGB, nach dem "das Rechtsmittel wegen Verkürzung über die Hälfte des Wertes bei Glücksverträgen nicht stattfindet", durch das KSchG nicht geändert wurde. Die Weitergeltung dieser Gesetzesstelle wird von der gesamten Lehre nicht bezweifelt (Binder in Schwimann 4/2 § 1268 Rz 1 f; Koziol-Welser, Grundriß9 I 272; Krejci in Rummel**2 II §§ 1267-1274 Rz 85 f; Mayerhofer, Schuldrecht AT 178; Reischauer in Rummel**2 I § 934 Rz 1).
Nach ständiger Rechtsprechung sind Leibrenten-, Ausgedings- und Unterhaltsverträge Glücksverträge, die gemäß § 1268 ABGB ebensowenig wegen Verkürzung über die Hälfte angefochten werden können (SZ 24/306; EvBl 1961/20; 22.1.1987, 8 Ob 604/86; SZ 60/140) wie einem Glücksvertrag ähnliche Verträge (SZ 50/144). Das entspricht auch der überwiegenden Lehre (Ehrenzweig, System II/1**2 238; Mayer-Maly in Klang**2 IV/2, 701; Wolff in Klang**2 V 983; Piegler, ÖJZ 1956, 565;
Koziol-Welser, Grundriß9 I 272, 408). Daß derartige Verträge als wucherisch oder sittenwidrig angefochten werden können (SZ 24/306;
EvBl 1957/198; EvBl 1958/94), was eine durchschnittliche Bewertung der unbestimmten Leistung unter Heranziehung von Wahrscheinlichkeitsregeln voraussetzt (Binder in Schwimann 4/2 § 1268 Rz 1-3; Krejci in Rummel**2 II §§ 1267-1274 Rz 87 f), ändert nichts daran, daß sie als Glücksverträge zu qualifizieren sind, weil sie Leistungen eines Vertragsteiles zum Gegenstand haben, deren Ausmaß von der Lebensdauer (in der Regel) des anderen abhängt. Sie können daher nicht wegen laesio enormis angefochten werden (8 Ob 604/86).
Ob es sich bei dem als "Übergabsvertrag" bezeichneten Vertrag der Streitteile vom 20.Februar 1990 um eine "bäuerliche Gutsübergabe" handelt, wie die Klägerin in der Rekursbeantwortung meint, oder eher um einen Ausgedingsvertrag oder Pfründenvertrag, kann iS der schon zit E SZ 24/306 dahingestellt bleiben. Die Beklagten verpflichteten sich nämlich, der Klägerin als Gegenleistung auf Lebensdauer zur Befriedigung eines Großteils ihrer Unterhaltsbedürfnisse Sach- und Dienstleistungen zu erbringen, deren Ausmaß einerseits vom Gesundheitszustand der Klägerin und anderseits von deren Lebensdauer abhängt. Deshalb handelt es sich bei dem genannten Vertrag - unabhängig von seiner sonstigen rechtlichen Einordnung - jedenfalls um einen Glücksvertrag im weiteren Sinn (vgl. SZ 24/306; EvBl 1961/20; Krejci in Rummel**2 II §§ 1267-1274 Rz 6, 39 f), bei dem nach § 1268 ABGB das "Rechtsmittel" der Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes ausgeschlossen ist.
Den Rekurswerbern ist daher darin beizupflichten, daß - entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes - nicht mehr geprüft werden muß, ob § 934 ABGB auch aus einem im § 935 leg cit genannten Grund nicht anzuwenden wäre.
Die Streitsache ist vielmehr im klageabweisenden Sinn zur Entscheidung reif. Deshalb war dem Rekurs Folge zu geben, der angefochtene Beschluß aufzuheben und nach § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO in der Sache selbst auf Wiederherstellung des klageabweisenden erstgerichtlichen Urteils zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)