Spruch:
1. Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
2. Der Revision der Beklagten wird stattgegeben. Die Urteile beider Vorinstanzen werden insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil im klagsstattgebenden Sinne abänderte. In diesem Umfang wird die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz rückverwiesen.
Die Kosten der Revision der Beklagten sowie der Revisionsbeantwortung der Klägerin sind Kosten des zu ergänzenden Verfahrens.
Text
Begründung
Die damals 10 Jahre alte Klägerin erlitt am 4.September 1988 dadurch eine schwere Augenverletzung, daß sie eine 1 l-Limonadenglasflasche mit Aluminiumschraubverschluß durch Drehen des Flaschenverschlusses zu öffnen versuchte, nach kurzer Drehung aber ein sich im Flaschenhals gebildeter Gasdruck die Verschlußkappe unter lautem Knall abschleuderte und diese weggeschleuderte Verschlußkappe die über die Flasche gebeugte Klägerin im Gesicht traf.
Die Eltern des verletzten Kindes hatten die Limonadenflasche gemeinsam mit gleichartigen anderen Flaschen Mitte August in einem - in ein Verteilungssystem eingebundenen - Lebensmitteldetailgeschäft gekauft, in einen Flaschentragkorb gestellt, so im Kofferraum eines Personenkraftwagens nach Hause geführt und dort im Keller gelagert. Von dort hatte die Mutter des Kindes die Flasche etwa eine Stunde vor dem mittäglichen Unfall in die Küche geholt und so auf die Arbeitsfläche gestellt, daß die Flasche nicht in der Nähe des Küchenherdes stand.
Die Limonade war von der beklagten Handelsgesellschaft hergestellt, in Flaschen abgefüllt und ausgeliefert worden.
Mit ihrer Mitte April 1989 angebrachten Schadenersatzklage begehrte die Klägerin an Schmerzengeld 450.000 S, als Verunstaltungsentschädigung 200.000 S, als Pflegeaufwandersatz 20.800 S, als Ersatz der besonderen Pflegekosten aus der Mitaufnahme der Mutter in die stationäre Krankenhauspflege 8.172,92 S, als Ersatz der Krankenhausgebühren im Ausmaß eines Selbstbehaltes 1.791,48 S sowie als Fahrtkostenersatz 2.300 S, insgesamt daher 683.064,40 S; überdies stellte das Kind ein die Haftung der Beklagten für die künftigen unfallskausalen Schäden betreffendes Feststellungsbegehren.
Die Klägerin trug in erster Instanz zur Haftungsgrundlage im Hinblick auf den den Unfall auslösenden Überdruck in der Limonadenflasche unter anderem wörtlich vor:
"Die beklagte Partei brachte offensichtlich schuldhaft ein fehlerhaftes Produkt in den Verkehr..." (Seite 2 der Klage = AS 2).
"Der gegenständliche Unfall ist ausschließlich auf ein fehlerhaftes Produkt, welches von der beklagten Partei hergestellt und in Verkehr gebracht wurde, zurückzuführen. Damit haftet aber die beklagte Partei..." (Seite 3 des mit 7.6.1989 datierten Schriftsatzes = AS 17).
Es..."mußte zwangsläufig ein Fehler in dem von der beklagten Partei hergestellten und in Verkehr gebrachten Produkt gelegen gewesen sein." (Seite 2 des mit 27.9.1991 datierten Schriftsatzes = AS 84).
Die Klägerin behauptete also mehrfach, die Beklagte habe (als Handelsgesellschaft) ein von ihr erzeugtes fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht und durch diesen Produktfehler sei sie zu körperlichem Schaden gekommen; eine Behauptung über den Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch die Beklagte unterblieb.
Die Beklagte bestritt ausdrücklich Grund und Höhe der Ansprüche und behauptete, daß sie "kein wie immer geartetes Verschulden trifft und überdies die gegenständliche Limonade im Zeitpunkt des Inverkehrbringens fehlerfrei.... war".
Auch die Beklagte ihrerseits stellte keine Behauptung über einen etwa vor dem 1.Juli 1988 gelegenen Zeitpunkt der Flaschenauslieferung auf.
Das Prozeßgericht erster Intanz verneinte eine Haftung der Beklagten sowohl nach allgemeinem Schadenersatzrecht als auch nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG) und wies daher das Leistungs- und das Feststellungsbegehren ab.
Das Berufungsgericht bejahte die Haftung der Beklagten nach dem PHG und befand das Leistungsbegehren in Ansehung des Schmerzengeldes im Teilbetrag von 300.000 S, das Begehren auf Zahlung einer Verunstaltungsentschädigung im Teilbetrag von 100.000 S, den Anspruch auf Bezahlung von Pflegekosten im vollen Umfang von 20.800 S, den Anspruch auf Ersatz des besonderen Pflegeaufwandes im Teilbetrag von 7.572,92 S, den Anspruch auf Ersatz der Anstaltsgebühren im Teilbetrag von 1.254,04 S und den Anspruch auf Fahrtkostenersatz im vollen Ausmaß von 2.300 S als berechtigt. Es gab daher unter Abweisung des Mehrbegehrens von 251.137,44 S samt Zinsen dem Leistungsbegehren im Teilbetrag von 431.926,96 S samt 4 % Zinsen seit 10. Februar 1989 sowie dem Feststellungsbegehren statt. Dazu sprach das Berufungsgericht aus,daß eine Revisionszulässigkeitsvoraussetzung nach § 502 Abs 1 ZPO vorliege.
Die Beklagte ficht das Berufungsurteil im klagsstattgebenden Ausspruch wegen qualifiziert unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Haftungsfrage sowie der Schmerzengeldbemessung mit einem auf gänzliche Klagsabweisung zielenden Abänderungsantrag sowie einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.
Die Klägerin strebt die Bestätigung des Berufungsurteiles in dessen klagsstattgebenden Aussprüchen an. Sie ficht ihrerseits das Berufungsurteil in seinen klagsabweislichen Teilen wegen zu geringer Schmerzengeldbemessung und zu geringer Festsetzung der Verunstaltungsentschädigung mit einem auf Zuspruch eines weiteren Gesamtbetrages von 90.000 S samt Zinsen gerichteten Abänderungsantrag an.
Die Beklagte hat zur Revision der Klägerin keine Gegenschrift erstattet.
Die Revision der Klägerin vermag zur Bemessung des Schmerzengeldes (mit 300.000 S anstatt mit 360.000 S) sowie zur Festsetzung der Verunstaltungsentschädigung (mit 100.000 S statt mit 130.000 S) keine bei der Entscheidung unrichtig gelösten Fragen aufzuzeigen, die nach § 502 Abs 1 ZPO qualifiziert wären. Das Rechtsmittel ist daher unzulässig und aus diesem Grund zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel der Beklagten ist dagegen aus den darzulegenden Gründen zulässig und auch berechtigt:
Eine Haftung der beklagten Produktherstellerin für die Verletzungsfolgen der Klägerin nach allgemeinem Schadenersatzrecht scheitert nach dem Verfahrensstand daran, daß der Klägerin der ihr hiezu oblegene Beweis nicht gelungen ist, die Beklagte habe bei der Wahl der Produktbestandteile, dem Herstellungsvorgang und dessen gebotener Überwachung oder auch nur durch das Unterlassen einer Gebrauchsinstruktion ein unfallskausales Fehlverhalten gesetzt. Blieben nämlich die Ursachen für den beim Öffnen des Flaschenverschlusses im Flaschenhals bestandenen Überdruck unaufgeklärt, kann auch die adäquate Kausalität des Fehlens eines warnenden Hinweises nicht als Haftungsvoraussetzung angenommen werden.
Fehlt es damit an einer tragfähigen Haftungsgrundlage nach allgemeinem Schadenersatzrecht, ist die Anwendbarkeit des Produkthaftungsgesetzes entscheidend.
Nach dem wörtlich wiedergegebenen Parteienvorbringen der Klägerin unter Verwendung wesentlicher Begriffe des PHG (Hersteller, Produktfehler und vor allem Inverkehrbringen) ist ungeachtet des erhobenen Schuldvorwurfes entgegen dem Standpunkt der Revisionswerberin außer Zweifel, daß die Klägerin ihre Anspruchsableitung aus einem Tatbestand verschuldensunabhängiger Haftung nach dem PHG nicht ausgeschlossen wissen wollte, vielmehr die Anwendbarkeit dieses Gesetzes unterstellte.
Das PHG ist allerdings nach dessen § 19 auf Schäden durch Produkte nicht anzuwenden, die vor seinem Inkrafttreten (am 1.Juli 1988) in den Verkehr gebracht worden sind.
Diese Regelung über den zeitlichen Anwendungsbereich ist zwar nicht als Ausnahmevorschrift (so Welser PHG §§ 18, 19 Rz 5) zu qualifizieren; das Inverkehrbringen des Produktes im Sinn des § 6 PHG gehört aber unzweifelhaft zum anspruchsbegründenden Sachverhalt. Der Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch die Beklagte brauchte jedoch von der Klägerin im Hinblick auf den von ihr behaupteten Zeitpunkt des Erwerbes vom Händler (Mitte August 1988) nicht ausdrücklich behauptet zu werden, weil dem Anspruchswerber schon nach allgemeinen Beweislastregeln konkrete Behauptungen über anspruchsbegründende Umstände, die ihm mangels Einblick in die Geschehensabläufe in der ausschließlichen Sphäre des Anspruchsgegners nicht bekannt sein können, wenn sie nur nicht von vornherein als ausgeschlossen oder nach den bekannten Umständen als höchst unwahrscheinlich erscheinen müssen, nicht zugemutet werden können.
Der Geschädigte, der die Haftung eines unternehmerischen Warenherstellers aufgrund des Inverkehrbringens seiner Erzeugnisse in einem fehlerhaften Zustand stützt, unterstellt auch ohne ausdrücklicher Erklärung ein haftungserhebliches Inverkehrbringen, im zeitlichen Bereich des Anwendungsstichtages daher ein solches nach dem Stichtag.
Entscheidend ist daher die Beweislast für das Inverkehrbringen vor oder nach dem Stichtag.
Diese trifft aus der positiven Wertung des § 7 Abs 1 PHG, wie Welser aaO zutreffend ausführt, den Unternehmer.
Nur diesem ist auch in vielen Fällen möglich, anhand von Warenkennzeichnungen auf der Verpackung oder dem Produkt selbst Aussagen über das Herstellungsdatum und damit oft auch für den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts im Sinne des § 6 PHG zu machen.
Im konkreten Fall ist dabei auf die im Zuge der strafgerichtlichen Erhebungen sichergestellte und als Beilage zu ON 4 der Strafakten erliegende Originaletikette des schadensstiftenden Produktes hinzuweisen, die einen zwar nur schwach sichtbaren, aber doch lesbaren roten Aufdruck über die Haltbarkeitsdauer und offenbar in der Zeile darüber über das Abfülldatum enthält.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Beklagte aufgrund dieser Etikette zu beweisen vermöchte, daß das Produkt schon vor dem 1.Juli 1988 im Sinne des § 6 PHG in Verkehr gebracht wurde.
Dazu wäre wieder auf den im Zug der strafgerichtlichen Erhebungen aufgenommenen Amtsvermerk vom 22.9.1988 (AS 7 der Strafakte) über die Auslieferungswege hinzuweisen.
Die Beweislast zu § 19 PHG wurde im Verfahren erster Instanz in keiner Weise erörtert. Der Beklagten ist aufgrund der hier dargelegten, in erster Instanz völlig unerörtert gebliebenen Beweislastverteilung - die zwar mit jener des Berufungsgerichtes übereinstimmt, aus der das Gericht zweiter Instanz aber nicht die erforderlichen verfahrensrechtlichen Folgerungen gezogen hat - Gelegenheit zu geben, den ihr obliegenden Entlastungsbeweis zu führen.
Dieser ist deshalb erheblich, weil ein Produktfehler anzunehmen ist.
Die Klägerin hat einen im Zeitpunkt des Öffnens der Flasche im Flaschenhals bestandenen Überdruck behauptet und bewiesen, der von solcher Intensität war, daß nennenswerte Teile des für den Erzeuger vorhersehbaren Verbraucherkreises mit ihm nicht zu rechnen brauchten, so daß der Erzeuger nicht voraussetzen durfte, jeder Öffner der Flasche würde die Möglichkeit so starken Druckes beim Öffnen der Flasche entsprehend berücksichtigen.
Daß ein solcher Druck beim Inverkehrbringen der Flasche durch die Beklagte noch nicht bestanden haben mag, bewiese die Fehlerhaftigkeit des Produktes so lange nicht, als der Warenhersteller nicht beweist, daß in der Flasche bei der von ihm als Erzeuger einzukalkulierenden Möglichkeit physikalischer und sonstiger Einwirkungen von außen während des Transportes und der Lagerung bis zum Endverbrauch (innerhalb einer für den Verbraucher erkennbaren Ablauffrist) ein solcher Druck, wie er am 4.September 1988 bei der von der Klägerin geöffneten Flasche tatsächlich aufgetreten ist, nicht entstehen und erhalten bleiben könne.
Sollte der bestandene Überdruck in der Flasche nur auf eine unglückliche Verkettung mehrerer Umstände zurückzuführen sein, wie es der Ansicht des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten (ON 26 aE) entspricht, wäre zwar die Unterlassung eines Gefahrenhinweises auf der Flasche nicht als fehlerhafte Warnpflicht der Unterlassung zu werten; am Produktfehler als solchen wäre aber nicht zu zweifeln, wenn das Entstehen und das Verbleiben des erwähnten überhohen Druckes in der Flasche unter den erwähnten äußeren Bedingungen nicht von vornherein auszuschließen gewesen wäre.
Die Ausmittlung des mit 450.000 S eingeklagten Schmerzengeldes mit 300.000 S anstatt mit 200.000 S ist eine Einzelfalleinschätzung ohne aufgezeigte Verletzung der Ausmittelungsgrundsätze und deshalb mangels Vorliegens einer nach § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Frage einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht entrückt.
Das Verfahren ist aber in der Hinsicht ergänzungsbedürftig, daß der Beklagten Gelegenheit zum Beweis zu bieten ist, daß sie die von der Klägerin geöffnete Flasche bereits vor dem 1.Juli 1988 im Sinne des § 6 PHG in den Verkehr gebracht habe. Diese Verfahrensergänzung erfolgt zweckmäßigerweise in erster Instanz.
In Stattgebung der Revision der Beklagten waren daher die Urteile beider Vorinstanzen in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Rechtssache in diesem Umfang zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz rückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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