OGH 10ObS107/93

OGH10ObS107/9330.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Norbert Schweitzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Bock (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag.E***** T*****, vertreten durch Dr.Alfred Strommer ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeiststraße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Alterspension (Pensionshöhe), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Feber 1993, GZ 32 Rs 17/93-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14.Oktober 1992, GZ 27 Cgs 509/92-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1.) den

Beschluß

gefaßt:

Der Antrag der Klägerin, gemäß § 140 Abs 1 B-VG beim Verfassungsgerichthof einen Antrag auf Aufhebung des § 227 Abs 3 ASVG idF der 44. ASVG-Novelle zu stellen wird zurückgewiesen.

2.) zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über ihren Antrag wurde der Klägerin auf Grund Art VII der 32. ASVGNov mit Bescheid der beklagten Partei vom 20.1.1982 der Einkauf von 118 Versicherungsmonaten für nicht durch Versicherungsmonate gedeckte Zeiträume ab Feber 1956 bewilligt. Die Klägerin hat die entsprechenden Beiträge entrichtet. Mit Bescheid vom 7.4.1992 anerkannte die beklagte Partei den Anspruch der Klägerin auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Dabei berücksichtigte die beklagte Partei 406 Versicherungsmonate als leistungssteigernd, und zwar 278 Monate an Pflichtversicherungszeiten, 10 Monate an Ersatzzeiten für Schulbesuch und 118 Monate an eingekauften Versicherungszeiten. Unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von 13.165 S und eines Steigerungsbetrages für 406 Versicherungsmonate von 62,750 % der Bemessungsgrundlage wurde die Pension in einer Höhe von 8.261 S zuerkannt.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt die Klägerin, die beklagte Partei zu verpflichten, die Pension in der gesetzlichen Höhe unter Zugrundelegung von 452 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigenden Versicherungsmonaten zu erbringen. Zu berücksichtigen seien weitere Ersatzzeiten für den Besuch der höheren Schule und für das Hochschulstudium im Ausmaß von 46 Monaten. Dabei gestand die Klägerin zu, daß die von der beklagten Partei vorgenommene Pensionberechnung der geltenden Gesetzeslage entspreche, vertrat jedoch die Ansicht, daß die durch die 44. ASVGNov erfolgte Neufassung des § 227 Abs 2 ASVG und der dazu ergangenen Übergangsbestimmungen verfassungswidrig sei. Anstelle von 56 Monaten an Ersatzzeiten für Schul- und Hochschulbesuch würden der Klägerin im Hinblick auf ihren Geburtsjahrgang nur 10 Monate als leistungssteigernd angerechnet, was zu einer Verminderung der Steigerungsbeträge um 5,75 % führe und zur Folge habe, daß die Pensionsleistung gegenüber einer Berücksichtigung dieser Zeiten um 757 S niedriger sei. Durch Art VII Abs 1 der 32. ASVGNov sei allen Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen der Einkauf fehlender Versicherungszeiten ermöglicht worden. Damit sei bei den Versicherten dier Erwartung geweckt worden, daß bei Inanspruchnahme der Möglichkeit des Einkaufes die aufgrund der damals bestehenden Gesetzeslage zu berücksichtigenden Versicherungsmonate später bei Bemessung der Leistung berücksichtigt würden. Die Klägerin habe durch den Einkauf eine Anwartschaft auf die Anerkennung sämtlicher Versicherungsmonate ab 1952 (Besuch der Schule) bis zum Ende des zum Zeitpunkt des Einkaufes bestehenden Beschäftigungsverhältnisses erworben. Nur im Vertrauen auf die bestehende Gesetzeslage und in der sicheren Erwartung, daß der Gesetzgeber die Grundlagen des an die Versicherte gestellten Anbotes zum Einkauf nicht innerhalb absehbarer Zeit zu Lasten der Einkaufsberechtigten verändern werde, habe sich die Klägerin zum Einkauf entschlossen und beträchtliche finanzielle Belastungen auf sich genommen. Die später folgende Änderung dieser Grundlagen bedeute einen durch nichts zu rechtfertigenden Vertrauensbruch. Der Nachkauf sei zudem gleichheitswidrig und völlig unsozial gestaltet, weil der Gesetzgeber in jedem Fall und unabhängig von der Höhe der Bemessungsgrundlage die Beitragsnachentrichtung auf der Basis der Höchstbeitragsgrundlage fordere; obwohl die Bemessungsgrundlage der Klägerin nur 13.165 S betrage, könnte sie die Berücksichtigung der restlichen Schul- und Hochschulzeiten nur durch Beitragsentrichtung auf der Basis der Höchstbeitragsgrundlage erreichen. Dies bedeute einen grundlegenden Verstoß gegen das Prinzip des sozialen Ausgleiches. Die Regelung sei sach- und damit verfassungswidrig.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Die Mitteilung über Versicherungs- und neutrale Zeiten enthalte ausdrücklich die Einschränkung, daß die Anzahl der Versicherungsmonate nach den gesetzlichen Bestimmungen zur Zeit des Ermittlungsverfahrens festgestellt worden sei und die Frage, ob und in welchem Ausmaß die Berücksichtigung für den Leistungsanspruch möglich sei, erst im Leistungsverfahren entschieden werde. Auf Grund dieser Mitteilung könne nicht davon ausgegangen werden, daß Versicherungsmonate "anerkannt" oder "erworben" worden seien. Die Klägerin habe durch den Einkauf keineswegs eine Anwartschaft auf eine Leistung unter Zugrundelegung aller Zeiten ab 1952 erworben. Die in Frage stehenden 46 Versicherungsmonate seien auch lediglich für die Bemessung der Leistung außer Acht gelassen, für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen jedoch berücksichtigt worden, zumal die Klägerin andernfalls die Voraussetzungen des § 253 b ASVG gar nicht erfüllt hätte. Es erscheine nicht verständlich, aus welchen Gründen sich die Klägerin in der Frage des Einkaufes hätte anders entscheiden sollen, wenn sie von der Novellierung des § 227 Abs 2 und 3 bereits damals Kenntnis gehabt hätte. Wäre der Einkauf nicht erfolgt, so wären die Voraussetzungen für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension nicht erfüllt; die Klägerin hätte zum Stichtag gar keinen Anspruch auf die Leistung gehabt. Der Verfassungsgerichtshof habe die von der Klägerin in Frage gestellte Bestimmung nicht für gleichheitswidrig erachtet.

Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Die Nichtberücksichtigung der von der Klägerin monierten 46 Versicherungsmonate für die Bemessung der Leistung entspreche der geltenden Gesetzeslage. Bei Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen seien sie berücksichtigt worden und auf dieser Grundlage habe die Klägerin auch den Pensionsanspruch erworben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, daß es die beklagte Partei verpflichtete, der Klägerin die vorzeitige Alterspension in der bescheidmäßigen Höhe zu zahlen. Die Berufungsausführungen seien nicht geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 227 Abs 3 ASVG zu erwecken. Der Verfassungsgerichtshof habe sich mit dieser Frage bereits auseinandergesetzt und die entsprechende Bestimmung des GSVG für unbedenklich erachtet. Es mögen die Erwartungen der Klägerin in eine höhere Pensionsleistung im Zusammenhang mit dem Nachkauf nicht erfüllt worden sein, doch stehe dem die vom Gesetzgeber eingelöste Erwartung eines früheren Pensionsanfalles gegenüber. Die Klägerin habe dadurch einen größeren Vorteil erreicht als bei Unterlassung des Einkaufes, in welchem Fall die Pension erst einige Jahre später angefallen wäre, wodurch der Klägerin die bis dahin anfallenden Pensionsbeträge entgangen wären. Auch daß die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 227 Abs 3 ASVG in jedem Fall auf der Basis der Höchstbemessungsgrundlage zu erfolgen habe, mache die Regelung nicht verfassungswidrig, weil sich dies an den Normaleinkommen von Akademikern orientiere. Dem Gesetzgeber sei es gestattet, eine Durchschnittsbetrachtung anzustellen; es entspreche keineswegs dem Regelfall, daß eine Akademikerin durch eine ihrer Qualifikation nicht entsprechende Teilzeitbeschäftigung ein so geringes Einkommen beziehe, daß sich eine Bemessungsgrundlage von nur rund 13.000 S ergebe. Da der Bescheid durch die Klage zur Gänze außer Kraft getreten sei, habe an dessen Stelle ein urteilsmäßiger Titel zu treten, mit dem der Klägerin die Leistung im unstrittigen Ausmaß zuzuerkennen gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Verfahren zu unterbrechen, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, § 227 Abs 3 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben und nach Aufhebung dieser Bestimmung die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Ein Recht vom Obersten Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, steht einem Revisionswerber nicht zu, weshalb der primär darauf abzielende Antrag zurückzuweisen war (SSV-NF 4/153 mwN).

Der Oberste Gerichtshof kann jedoch einen solchen Antrag an den Verfassungsgerichtshof stellen, wenn er Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes hat. Die Ausführungen der Revisionswerberin zur angeblichen Verfassungswidrigkeit des § 227 Abs 3 ASVG (inhaltlich wird auch § 227 Abs 2 ASVG idF der 44. ASVGNov angesprochen) wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sind jedoch nicht geeignet, solche Bedenken zu erwecken.

Die Klägerin nimmt in ihren Ausführungen wiederholt darauf Bezug, daß sie durch die Neufassung des § 227 Abs 2 und 3 ASVG durch die 44. ASVGNov in ihren Erwartungen bezüglich der künftigen Pensionsleistung im Zusammenhang mit dem Einkauf von Versicherungszeiten aufgrund des Bescheides vom 20.1.1982 getäuscht worden sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß die durch die 44. ASVGNov getroffenen Änderungen auf den dem Einkauf zugrunde liegenden Sachverhalt keine Auswirkung haben. Alle Zeiten, die die Klägerin durch den Einkauf erworben hat, wurden bei der Bemessung der Leistung berücksichtigt. Die Anspruchsvoraussetzung für die vorzeitige Alterspension der Klägerin waren im übrigen nur im Hinblick auf diesen Einkauf erfüllt, weil deren Pflichtversicherungszeiten und Ersatzzeiten die maßgebliche Mindestzahl von 420 Versicherungsmonaten (§ 253 b ASVG) nicht erreichten.

Die wesentlichen Einwände der Klägerin betreffen den Umstand, daß die Schul- bzw Hochschulzeiten nicht wie nach der Rechtslage vor der 44. ASVGNov ohne weiteres leistungssteigernd berücksichtigt werden, sowie daß die Nachentrichtung von Beiträgen für diese Zeiten, um deren Heranziehung für die Bemessung der Leistung zu erreichen, in jedem Fall auf der Basis der Höchstbemessungsgrundlage zu erfolgen hat. Zu einer Antragstellung gemäß Art 140 Abs 1 B-VG sieht der erkennende Senat keinen Anlaß. Wie bereits vom Berufungsgericht ausgeführt, hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.6.1991, B 1933/88 (VfSlg 12732) die dem § 227 Abs 2 entsprechende Bestimmung des § 116 Abs 8 GSVG geprüft und sie nicht als verfassungswidrig erachtet. Daß eine ohne Beitragsentrichtung gewährte Begünstigung erheblich, nämlich zu einer nur gegen Beitragszahlung gewährten vermindert worden sei, bedeute im Hinblick auf die geschaffene Übergangsregelung keinen schwerwiegenden, plötzlich eintretenden Eingriff. Der Übergangszeitraum von fünf Jahren, welcher im wesentlichen potentzielle Bezieher einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer berücksichtige, mindere das Gewicht des Eingriffes innerhalb dieses Zeitraumes fühlbar und schließe es wegen der vorgesehenen stufenweisen Abfolge aus, daß jene Versicherten, welche ihrem Lebensalter nach dem Übertritt in den Ruhestand nahe seien, von einer plötzlichen und bedeutsamen Schlechterstellung betroffen würden. Was jene Versicherten betreffe, bei denen die Beitragsfreiheit der Begünstigung zur Gänze wegfalle, reiche der ihnen zur Verfügung stehende Zeitraum aus, um adäquate Dispositionen zu treffen. Daß die Klägerin ihre Beitragszeiten teilweise durch Einkauf erwarb, unterscheidet den Fall nicht so wesentlich von dem dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zugrunde liegenden, daß eine andere Betrachtungsweise gerechtfertigt wäre.

Ob es mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, daß gemäß § 227 Abs 3 ASVG die Beiträge in jedem Fall auf der Grundlage der Höchstbemessungsgrundlage zu entrichten sind, ist für das vorliegende Verfahren nicht präjudiziell. Abgesehen davon, daß die Frage der Höhe der zu entrichtenden Beiträge den Verwaltungssachen zuzuordnen ist (§ 355 Z 3 ASVG), kommt der von der Klägerin als verfassungswidrig monierten Regelung des § 227 Abs 3 ASVG hier nur mehr theoretische Bedeutung zu. Gemäß § 227 Abs 4 kann die Beitragsentrichtung nach Abs 3 bei jedem Versicherungsträger, bei dem mindestens ein Versicherungsmonat erworben wurde, für alle oder einzelne Versicherungsmonate jederzeit bis zum Stichtag erfolgen. Nur wenn die Berechtigung zur Beitragsentrichtung erst nach dem Stichtag in einem vor dem Stichtag eingeleiteten Verfahren festgestellt wird, können die Beiträge auch nach dem Stichtag innerhalb von sechs Monaten nach der Feststellung der Berechtigung entrichtet werden. Die Klägerin hat bis zum Stichtag keine Beiträge gemäß § 227 Abs 3 ASVG gezahlt. Ein Verfahren über die Berechtigung zur Beitragsentrichtung wurde vor dem Stichtag nicht eingeleitet. Da es ausgeschlossen ist, daß die Klägerin durch Beitragsleistung die leistungswirksame Berücksichtigung der Schul- und Hochschulzeiten erreicht, ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Regelung über die unbedingte Beitragsentrichtung auf der Basis der Höchstbemessungsgrundlage verfassungskonform ist, entbehrlich. Selbst eine Aufhebung dieser Regelung durch den Verfassungsgerichtshof könnte die Rechtsposition der Klägerin nicht verändern.

Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

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