OGH 4Ob94/93

OGH4Ob94/9329.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut W. K*****, vertreten durch Dr.Johannes Neumayer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ö*****druckerei, *****, vertreten durch Schuppich, Sporn und Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Widerruf (Streitwert im Provisorialverfahren S 95.000; Revisionsrekursinteresse S 47.500), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 24.März 1993, GZ 12 R 1/93-14, womit der Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 19. Oktober 1992, GZ 21 Cg 204/92-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig, die beklagte Partei die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Im Jahre 1992 erschien im Verlag der Beklagten das Buch "Einsteins falsche Erben - Die unheimliche Macht und Magie von Dianetik und Scientology" von Heinrich P.Steiden und Christine Hamernik.

In diesem Buch findet sich auf Seite 121 folgender Absatz:

"Kinder sind die Scientologen der Zukunft. Bei ihnen arbeiten Rons Pädagogen freilich mit weit subtileren Mitteln als mit Plastikkisten. Die Dianetikzentren bieten den Eltern nicht nur eigene Kinder-Dianetikkurse, sondern auch an die Mission angeschlossene Kindergärten. Und das "'Institut W*****' in der W*****straße, geleitet von Helmut K***** bringt unter dem Mäntelchen der Nachhilfe bereits schulpflichtigen Kindern scientologisches Gedankengut nahe."

Auf Seite 203 ist unter der Überschrift "Tarn- und Nebenorganisationen" von Scientology zu lesen:

"Scientology tritt seit Jahren in einer fast unübersehbaren Zahl von Organisationen, Vereinen, Pseudokirchen, Aktionsgemeinschaften und Firmen auf. Bei den Firmen handelt es sich um Unternehmen, die nach Hubbardschen Richtlinien arbeiten. Hier ein kleiner Auszug aus einer vom Sektenspezialisten Friedrich-Wilhelm Haack zusammengestellten Liste:"

Daran schließt eine längere Aufstellung, in welcher auch das "Institut W*****" genannt wird.

In Wahrheit hat der Kläger im Rahmen seines Institutes nie versucht, ihm anvertraute Kinder im Sinne der Scientology-Kirche zu beeinflussen.

Mit der Behauptung, daß die in dem Werk über ihn enthaltene Behauptung, er mißbrauche das Vertrauen ahnungsloser Eltern, die ihn mit der Nachhilfe ihrer Kinder beauftragten, und versuche im Rahmen des Unterrichtes unmündige Kinder in die Fänge einer Sekte, die im Buch als verbrecherisch, faschistisch und gesundheitsgefährdend beschrieben wird, zu treiben, unwahr, kreditschädigend und ehrenrührig sei, begehrt der Kläger zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, über ihn oder ein von ihm betriebenes oder ihm von der Beklagten zugeschriebenes Institut zu behaupten oder Behauptungen weiter zu verbreiten, daß er oder das Institut eine Tarn- oder Nebenorganisation der Scientology-Kirche sei.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Die in dem Buch enthaltenen Behauptungen stammten ausschließlich von den Autoren und seien nur diesen zuzurechnen; die Beklagte als Buchverlegerin sei für den Inhalt des Buches nicht verantwortlich. Im übrigen seien die beanstandeten Behauptungen wahr.

Der Erstrichter wies den Sicherungsantrag ab. Daß die beanstandeten Behauptungen geeignet sind, den Erwerb des Klägers zu gefährden, liege auf der Hand; der geltend gemachte Anspruch sei also bescheinigt. Die in dem Buch enthaltenen Äußerungen über den Kläger seien auch als Angriff auf seine Ehre zu werten; in einem solchen Fall bedürfte es keiner Gefahrenbescheinigung nach § 381 Z 2 EO. Die Beklagte sei aber nicht passiv legitimiert: Bei Druckwerken, deren Verfasser offen genannt sind, könnten die Geschädigten gegen die Autoren vorgehen, nicht aber gegen den Verleger. Da eine Rechtspflicht des Buchverlegers, vom Inhalt jeder zur Veröffentlichung vorgesehenen Mitteilung Kenntnis zu nehmen, um sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen und gegebenenfalls die Veröffentlichung zu verhindern, nicht bestehe und der Beklagten daher kein Verschuldensvorwurf gemacht werden könne, sei der Antrag abzuweisen.

Das Rekursgericht gab dem Sicherungsantrag insoweit statt, als es der Beklagten verbot, die Behauptung zu verbreiten, das vom Kläger betriebene Institut "W*****" sei eine Tarn- und Nebenorganisation der Scientology-Kirche; das Mehrbegehren, der Beklagten auch das Aufstellen einer solchen Behauptung zu verbieten und das Verbot auch auf das Behaupten oder Weiterverbreiten der Mitteilung zu erstrecken, irgendein vom Kläger betriebenes oder ihm zugeschriebenes Unternehmen sei eine Tarn- und Nebenorganisation der Scientology-Kirche, blieb abgewiesen. Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Ob die Beklagte für Schadenersatzforderungen auf Grund unrichtiger, in den von ihr vertriebenen Druckwerken enthaltener Tatsachenbehauptungen von jeglicher Verantwortung zu entlasten ist, könne dahingestellt bleiben; selbst wenn man nämlich eine Pflicht der Beklagten, das von ihr verlegte Werk einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen, verneinen wollte - obwohl das Rekursgericht nicht einsehen könne, warum es einem Verlag unzumutbar sein sollte, sich durch einen Vertrag mit Autoren eine Kontrolle des Werkes vorzubehalten und von diesem Kontrollrecht auch Gebrauch zu machen -, würde dies nicht zugleich auch schon bedeuten, daß der Unterlassungsanspruch des Klägers zu verneinen wäre. Zum Schutz des wirtschaftlichen Rufes und der Ehre stehe ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch offen. Da die beanstandete Behauptung unwahr, ehrenrührig und zugleich kreditschädigend sei, sei auch das Verbreiten dieser Behauptung durch die Beklagte rechtswidrig; ihr sei daher das Verbreiten der Behauptung zu untersagen. Soweit der Sicherungsantrag auch darauf gerichtet ist, der Beklagten das Aufstellen der Behauptung zu verbieten, und sich auf andere allenfalls dem Kläger zuzuordnende Unternehmen beziehe, habe es bei der Abweisung zu verbleiben.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Der Kläger beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig. Soweit der Kläger darauf hinweist, daß das Revisionsrekursinteresse nicht über S 50.000 liege und das Rechtsmittel daher jedenfalls unzulässig sei, übersieht er, daß es

1. seit der WGN 1989 nur auf den (gesamten) Entscheidungsgegenstand des Verfahrens zweiter Instanz ankommt (§ 500 Abs 2 Z 1, § 528 Abs 2 Z 1 ZPO) und

2. nicht die Streitwertbemessung des Klägers (§ 56 Abs 2, § 59 JN), sondern der Bewertungsausspruch des Gerichtes zweiter Instanz (§ 500 Abs 2 Z 1, § 526 Abs 3 ZPO) maßgebend ist.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist auch nach § 528 Abs 1 ZPO zulässig, weil zur Zeit der Erhebung des Rechtsmittels - soweit überblickbar - eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage, ob der Buchverleger Verbreiter der in den von ihm verlegten Werken enthaltenen Behauptungen im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB ist, nicht vorhanden war. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre bedeutet das "Verbreiten" einer Tatsache nach § 1330 Abs 2 ABGB das Mitteilen dieser Tatsache, und zwar sowohl das Äußern eigener Überzeugung als auch das Weitergeben der Behauptung eines Dritten, ohne sich mit dessen Äußerung zu identifizieren (SZ 34/159; SZ 50/86; ÖBl 1991, 161; Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 14 zu § 1330; Harrer in Schwimann, Praxiskommentar zum ABGB, Rz 16 zu § 1330; Korn - Neumayer, Persönlichkeitsschutz im Zivil- und Wettbewerbsrecht 53;

bei vergleichbarer Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland:

Staudinger - Schäfer Rz 28; Mertens im Müchener Kommentar2 Rz 26;

Soergel - Zeuner Rz 12, jeweils zu § 824 BGB). Im Hinblick auf den Schutzzweck des § 1330 Abs 2 ABGB (wie des § 824 BGB) ist allein auf die Störung abzustellen, an der jemand beteiligt ist. Eine intellektuelle Beziehung des Verbreiters zum weitergegebenen Gedankeninhalt wird daher nicht für erforderlich gehalten; vielmehr wird schon das "technische Verbreiten" - etwa durch Zeitung, Rundfunk oder Fernsehen - grundsätzlich von § 1330 ABGB erfaßt (ÖBl 1991, 161 mit Nachweisen aus dem Schrifttum; Korn - Neumayer aaO 53 f). Nach § 1330 Abs 2 ABGB haftet demnach, wer verursacht, daß die Tatsache einem größeren Kreis von Menschen bekannt wird (Wolff in Klang2, 162 f). Wie weit man die Haftung des bloß technischen Verbreiters - etwa eines Zeitungsboten - im Gegensatz zu derjenigen des intellektuellen Verbreiters - also desjenigen, der zu der Äußerung eine individuelle geistige Beziehung hat - unter Gesichtspunkten des Rechtsschutzbedürfnisses und der Zumutbarkeit begrenzen müßte (in diesem Sinne Mertens aaO), bedarf hier keiner Untersuchung, ist doch der Verleger von Büchern zweifellos ein "intellektueller Verbreiter" (so auch Mertens aaO), welchem der Inhalt des von ihm verlegten und damit verbreiteten Werkes sehr wohl bekannt ist.

Soweit die Beklagte meint, der im (bundesdeutschen) BGB verwendete Begriff des "Verbreitens" unterscheide sich inhaltlich von dem gleichen im ABGB verwendeten Ausdruck, kann dem nicht gefolgt werden:

Gerade dieses Gesetz umschreibt - in § 1172 ABGB - die Pflichten des Verlegers auf Grund des Verlagsvertrages dahin, daß er das Werk des Verlaggebers (Urhebers) zu vervielfältigen und die Vervielfältigungsstücke zu verbreiten habe. Daß der Verleger damit auch alle in dem verlegten Werk enthaltenen Äußerungen verbreitet, also den Lesern des Werkes weitergibt, bedarf keiner näheren Begründung (so schon 4 Ob 59/93). Ob die Leser den Inhalt des Werkes nur den Autoren oder den von diesen zitierten Quellen, nicht aber auch dem Verleger zuordnen, ist rechtlich unerheblich. Der Oberste Gerichtshof hat daher auch schon ausgesprochen, daß der Verleger einer periodischen Druckschrift (§ 1 Z 8 MedienG) die in der Druckschrift veröffentlichten Behauptungen verbreitet hat (MR 1991, 20), habe doch der Medieninhaber an dem Vertrieb (und damit an der Verbreitung) der periodischen Druckschrift mitgewirkt.

Diese Auffassung steht nicht im Gegensatz zu § 21 UrhG. Danach sind jedenfalls einvernehmliche Änderungen, insbesondere auch Kürzungen des Werkes - wie das ja auch der Verlagsvertrag der Beklagten mit den Autoren des Werkes "Einsteins falsche Erben" in Punkt 10.2 vorsieht (Beilage ./UU = Beilage ./3) - zulässig (Krejci in Rummel, ABGB2, Rz 47 zu §§ 1172, 1173). Ob die Beklagte schon nach § 21 Abs 1, letzter Satz, UrhG "nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen" berechtigt gewesen wäre, die beanstandeten Äußerungen über den Kläger zu entfernen, kann auf sich beruhen; auch wenn man diese Frage verneinen wollte, könnte das an der Haftung der Beklagten nichts ändern. Die Beklagte kann sich zur Rechtfertigung ihres Verhaltens nicht mit Erfolg auf den Verlagsvertrag mit den Autoren stützen, weil sie, soweit der Inhalt eines Werkes (teilweise) gesetzwidrig ist, gegenüber den Verlaggebern nicht verpflichtet ist, das Werk zu verbreiten; in diesem Fall ist der Verlagsvertrag nichtig nach § 879 Abs 1 ABGB (Adler - Höller in Klang2 V 433 und 436 mwN aus dem Schrifttum; 4 Ob 59/93).

Daß es dem beklagten Verleger unmöglich ist, die einzelnen in den von ihm verlegten Werken enthaltenen Tatsachenbehauptungen auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen, mag zutreffen, ändert aber nichts daran, daß der Verleger, der für die Verbreitung des Werkes sorgt, das damit verbundene Risiko zu tragen hat.

Die von der Beklagten geltend gemachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1330 Abs 2 ABGB (in der hier vertretenen Auslegung) sind nicht berechtigt. Die sachliche Rechtfertigung der hier anzuwendenden Norm liegt in der Notwendigkeit, den wirtschaftlichen Ruf des einzelnen zu schützen (ÖBl 1991, 26; ÖBl 1991, 87; ÖBl 1991, 161 mwN; MR 1993, 14); diesem Schutz muß der Vorrang vor dem Interesse von Verlegern zuerkannt werden, ihre Haftung möglichst gering zu halten. Damit wird den Verlegern entgegen der Meinung der Beklagten keinesfalls die Möglichkeit genommen, ihren Erwerb durch das Verlegen von Büchern nachzugehen; daß ein Werk allenfalls nicht oder nur nach Änderungen vertrieben werden kann, gehört eben zu den wirtschaftlichen Risiken, die mit dem Gewerbe des Verlegers verbunden sind (4 Ob 59/93).

Auch ein Verstoß gegen das Zensurverbot liegt nicht vor. Art 13 Abs 2 StGG, Art 10 EMRK und der Beschluß der Provisorischen Nationalversammlung vom 30.Oktober 1918 StGBl Nr. 3 wenden sich an den Staat, verbieten aber nicht dem Verleger, Änderungsvorschläge zu machen, allenfalls selbst Änderungen am Text vorzunehmen oder die Verbreitung des Werkes im Hinblick auf dessen vereinbarungs- oder gesetzwidrigen Text zu verweigern.

Daß die beanstandete unrichtige Tatsachenmitteilung über den Kläger im Hinblick auf die durchaus negative Charakterisierung der Scientology Kirche in dem von der Beklagten verlegten Buch im höchsten Maß geeignet ist, Leute davon abzuhalten, ihre Kinder in das Institut des Klägers zu schicken, liegt auf der Hand und wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Die beanstandete Behauptung ist daher kreditschädigend im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB, so daß der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu bejahen ist.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekurses gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO, §§ 40, 50, 52 ZPO, jene über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung auf § 393 Abs 1 EO.

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