OGH 10ObS99/93

OGH10ObS99/9325.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Michael Manhard (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Klaus Hajek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gabriele S*****, vertreten durch Dr.Heinrich Keller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1020 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Dezember 1992, GZ 31 Rs 157/92-54, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 25. Juni 1992, GZ 33 Cgs 182/88-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 16.September 1986 wies die Beklagte den Antrag der am 27.Jänner 1932 geborenen Klägerin vom 20.Juni 1986 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.

Das Erstgericht wies das auf die genannte Leistung im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab.

Nach den wesentlichen Feststellungen kann die bis 1958 als Buchhalterin, seither im Haushalt tätige Klägerin wegen ihres herabgesetzten Gesundheitszustandes (seit der Antragstellung) leichte Arbeiten im Sitzen mit weiteren Einschränkungen leisten und "im Rahmen des bisherigen Leistungsprofils" umgestellt, umgeschult und angelernt werden. Diese Arbeitsfähigkeit reicht für die Tätigkeit als Buchhalterin aus. "Insgesamt (in allen medizinischen Fachgebieten) sind Krankenstände im Ausmaß von rund 3 mal 14 Tagen bis 3 Wochen pro Jahr zu erwarten".

Wegen der weiteren Berufsfähigkeit als Buchhalterin erachtete das Erstgericht die Klägerin nicht als berufsunfähig iS des § 273 (Abs 1)

ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, in der diese Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht hatte, nicht Folge.

Es verneinte den behaupteten Verfahrensmangel und nahm als unzweifelhaft an, daß es in Österreich mindestens 100 Arbeitsplätze für Buchhalter ohne Computertätigkeit gibt. Wegen der prognostizierten Krankenstände sei kein Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben. Diesbezüglich verwies das Berufungsgericht auf SSV-NF 3/45 und 152.

Rechtliche Beurteilung

In der Revision wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Klägerin, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder allenfalls aufzuheben.

Die nichtbeantwortete Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig; sie ist auch iS des Eventualantrages berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt allerdings nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit; SSV-NF 5/116 uva).

Die Rechtsrüge ist, soweit sie ausführt, die Klägerin könne den Beruf einer Buchhalterin deshalb nicht mehr ausüben, weil sie nicht mehr auf Computerarbeiten umgestellt oder angelernt werden könne, nicht gesetzgemäß ausgeführt. Zur Verweisbarkeit einer seit Jahrzehnten nicht mehr als Buchhalterin tätigen Versicherten wird auf SSV-NF 6/135 hingewiesen.

Es besteht jedoch die Möglichkeit, daß die Klägerin wegen zu erwartender leidensbedingter Krankenstände vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senates wäre dies schon bei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Krankenständen von sieben Wochen jährlich der Fall (SSV-NF 6/70 und 82). Ob bei der Klägerin seit der Antragtellung leidensbedingte Krankenstände von mindestens solcher Dauer mit der nötigen hohen Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren und sind, ist bisher nicht ausreichend geklärt. Die diesbezüglichen erstgerichtlichen Feststellungen lassen nicht klar erkennen, in welcher Dauer und mit welchem Maß der Wahrscheinlichkeit solche zu erwarten waren und sind. Drei Krankenstände von je 14 Tagen würden noch nicht ausreichen (SSV-NF 3/45), drei Krankenstände von jeweils drei Wochen jedoch schon.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß nach den ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen für Orthopädie in der Tagsatzung vom 5.Dezember 1989 ON 24 AS 90 "aus orthopädischer Sicht mit etwa 3 x pro Jahr je 14 Tage bis 3 Wochen Krankenstand zu rechnen ist", daß nach dem urologischen Zusatzgutachten ON 35 AS 137 "geringfügige Krankenstände zu erwarten sind, diese jedoch in der Regel bei banalen Harnwegsinfekten nicht mehr als 3 Tage betragen", und daß nach den ergänzenden Ausführungen des neurologischen Sachverständigen in der Tagsatzung vom 29.September 1989 ON 23 AS 83 Krankenstände von "insgesamt vielleicht 14 Tagen pro Jahr" zu erwarten sind. Diese werden nach den Ausführungen dieses Sachverständigen in der Tagsatzung vom 22.November 1991 ON 44 AS 173 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten und sich "mit den vom orthopädischen Sachverständigen genannten Krankenständen decken".

Die zusammenfassende Wiedergabe der aufeinander unbezogen gebliebenen Sachverständigen-Ausführungen weist deutlich auf die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage hin, weshalb wegen wesentlicher Feststellungsmängel (vgl. auch SSV-NF 6/3, 70 und 82) die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben waren und die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen war (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Revision beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

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