OGH 9ObA98/93

OGH9ObA98/9319.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Vera Kremslehner und Mag.Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Martin S*****, Seidenblumendekorateur, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wider den Beklagten Josef G*****, Inhaber der Firma R*****-G*****, vertreten durch Dr.Herbert Grass, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, wegen S 67.730,04 brutto s.A. (Streitwert im Revisions-[Rekurs-]verfahren S 53.213), infolge Revision des Klägers gegen das Teilurteil und Rekurs des Beklagten gegen den Teilaufhebungsbeschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 1992, GZ 8 Ra 48/92-29, womit infolge Berufung beider Streitteile das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 18.Februar 1992, GZ 32 Cga 99/91-22, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 3.623,04 (darin S 603,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

2. den

Beschluß

gefaßt:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob dem Kläger ab September 1990 die Qualifikation eines Angestellten (§ 1 Abs 1 AngG) zukam, zutreffend bejaht. Es reicht daher insofern aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen der Rechtsmittelwerber entgegenzuhalten:

Zum Rekurs des Beklagten:

Die Qualifikation eines Arbeitnehmers als Angestellter wegen überwiegender Verrichtung kaufmännischer Dienste (§ 1 Abs 1 AngG) erfordert solche Dienstleistungen, die ihrer Art nach zu den typischen Tätigkeiten eines Kaufmannes gehören und für die Führung des Betriebes eine nicht bloß untergeordnete Bedeutung haben. Es muß sich demnach um einen Ausschnitt aus dem typischen Tätigkeitsbereich eines Kaufmannes handeln; an dieses Erfordernis ist jedoch kein all

zu strenger Maßstab anzulegen (Arb 9090; 9749 = ZAS 1979/25

[Andexlinger], Arb 10.045 = DRdA 1984/3 [Löschnigg]; Arb 10.932;

SSV-NF 4/90). Haben für den Dienstgeber die höher qualifizierten Tätigkeiten die wesentliche Bedeutung, dann ist das zeitliche Überwiegen nicht entscheidend (Martinek-M.Schwarz-W.Schwarz AngG7, 65 mwH; Arb 9.090). Nicht der Parteiwille sondern die tatsächlich geleistete Tätigkeit des Arbeitnehmers sind maßgeblich (SozM I A/e 1155) und in ihrer Gesamtheit (also nicht zerlegt in Teiltätigkeiten) zu beurteilen (Arb 7569, 7976, 8749; Arb 9749 = ZAS 1979/25 [Andexlinger]; SozM I A/e 1148).

Zu den typischen kaufmännischen Diensten gehören insbesondere alle

mit dem Ein- und Verkauf zusammenhängenden Tätigkeiten, die eine

selbständige Anpassung an eine konkrete (Markt-)Situation zur Hebung

des Umsatzes erfordern, wie insbesondere Kundenwerbung,

Kundenberatung, Einfluß auf die Preisbildung, Sorge um die

Lagerergänzung, Einkauf und Bestellung; ferner Buchführung,

Geldgebarung und Warenprüfung (Arb 9749 = ZAS 1979/25 [Andexlinger];

Arb 10.045 = DRdA 1984/3 [Löschnigg];, 10.932).

Wendet man diese Kriterien auf den vorliegenden Sachverhalt an, so ergibt sich, daß der Kläger vorwiegend kaufmännische Tätigkeiten verrichtete. Der Kläger hat in der Filiale S***** in etwas weniger als der Hälfte seiner Arbeitszeit während der Abwesenheit des Beklagten nicht nur Mehrwertsteuerformulare ausgefüllt, Rechnungen geschrieben und differenziert nach Kunden Prozente errechnet, kassiert und entsprechende Eintragungen gemacht, sondern auch Kunden beraten, in Ausübung eines ihm übertragenen Weisungsrechtes die Arbeiter eingeteilt und fehlende Reifen in der Hauptgeschäftsstelle oder bei einem nahegelegenen Reifenhändler bestellt. Daneben hat der Kläger allerdings auch in der Zeit, in der der Beklagte nicht anwesend war, Reifen montiert.

Da der Beklagte nahezu täglich, wenn auch nur stundenweise in der Filiale anwesend war, organisierte und koordinierte er die Geschäfte der Filiale überwiegend selbst. Die Tätigkeit des Klägers kam daher nicht an die eines allein tätigen Filialleiters (vgl Arb 9749 = ZAS 1979/25 [Andexlinger]) heran.

Dennoch waren die Tätigkeiten des Klägers in ihrer Gesamtbedeutung nicht so einfach und anspruchslos, daß sie von jedem Durchschnittsmenschen ohne weiters erbracht werden konnten (Arb 9749 = ZAS 1979/25 [Andexlinger]). Er vertrat nämlich bei Abwesenheit des Beklagten zumindest in Teilbereichen den Dienstgeber und war, worauf die Vorinstanzen zutreffend hinwiesen, die "rechte Hand des Chefs" mit der damit verbundenen Vertrauensposition. Gerade in einem Kleinstbetrieb haben die Tätigkeiten als Vertreter des Dienstgebers, wenn sie auch nur Teilgebiete der kaufmännischen Betriebsführung betreffen, wesentliche Bedeutung. Durch die Vertrauensposition des Klägers und sein Weisungsrecht gegenüber den Arbeitern, sowie das Verrichten der für die Aufrechterhaltung des Betriebes maßgeblichen kaufmännischen Arbeiten (wie Kundenberatung, Ausstellen der Rechnungen, Kassieren, Vornehmen der erforderlichen Eintragungen sowie fallweise auch der Bestellungen) wurde während der häufigen Abwesenheit des Dienstgebers der reibungslose Ablauf des Betriebes garantiert.

Unter diesen Umständen kommt es daher nicht auf das zeitliche Überwiegen der nicht qualifizierten Tätigkeit (Montieren von Reifen) an, weil die anderen Arbeiten des Klägers für den Dienstgeber die wesentliche Bedeutung hatten.

Zur Revision des Klägers:

Da der Kläger erst ab September 1990 Angestelltentätigkeiten verrichtete, kann die Angestelltenqualifikation nicht auf vorher liegende Zeiträume ausgedehnt werden. Für die Beurteilung, ob Angestelltentätigkeit vorliegt, darf zwar die geleistete Arbeit nicht in Teiltätigkeiten zerlegt werden; sie muß vielmehr in ihrer Gesamtheit bewertet werden (SozM I A/e 1148). Bei einer wesentlichen Änderung der Tätigkeit sind aber die vorher und nachher liegenden Zeiträume getrennt zu beurteilen.

Damit sind die vom Kläger bis September 1990 als Arbeiter geleisteten Überstunden nach Abschnitt XIV des Kollektivvertrages für die Handelsarbeiter Österreichs verfallen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 und 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte