OGH 12Os48/93(12Os49/93, 12Os50/93, 12Os51/93)

OGH12Os48/93(12Os49/93, 12Os50/93, 12Os51/93)6.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.Mai 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Markel, Mag.Strieder und Dr.Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kobler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann B***** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck vom 11.Februar 1992, AZ 20 BE 43/92, vom 20.Oktober 1992, AZ 25 Vr 1684/92, vom 17.November 1992, AZ 25 Vr 2877/92, sowie den Vorgang, daß es das Bezirksgericht Kufstein im Verfahren U 309/90 unterließ, trotz Bezahlung der Geldstrafe die Strafvollzugsanordnung zu widerrufen, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Kodek, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In den nachgenannten Strafverfahren gegen Johann B***** wurde das Gesetz verletzt:

1. Im Verfahren zum AZ U 309/90 des Bezirksgerichtes Kufstein durch das Unterbleiben des Widerrufs der Strafvollzugsanordnung trotz Bezahlung der Geldstrafe in der Bestimmung des § 409 Abs. 3 StPO;

2. im Verfahren zum AZ 20 BE 43/92 des Landesgerichtes Innsbruck durch die bedingte Entlassung auch aus der zum AZ U 309/90 des Bezirksgerichtes Kufstein zu Unrecht vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafe, durch den infolgedessen falsch bestimmten Zeitpunkt der bedingten Entlassung und durch die Angabe des bedingt nachgesehenen Strafrestes in der Bestimmung des § 46 StGB;

3. im Verfahren zum AZ 25 Vr 1684/92 des Landesgerichtes Innsbruck durch den Beschluß vom 20.Oktober 1992, womit bei gleichzeitigem Absehen vom Widerruf der bedingten Entlassung zu 20 BE 611/91 die nach § 47 StGB bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, in der Bestimmung des § 54 StGB;

4. im Verfahren zum AZ 25 Vr 2877/92 des Landesgerichtes Innsbruck durch den auf einen Teil des zu 20 BE 626/91 desselben Gerichts bedingt nachgesehenen Strafrestes beschränkten Widerruf der bedingten Entlassung in der Bestimmung des § 53 StGB sowie durch das Unterbleiben einer Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung aus der Maßnahme gemäß § 54 StGB in der Vorschrift des § 494 a StPO.

Der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 11.Feber 1992, GZ 20 BE 43/92-19, sowie der Ausspruch über die Verlängerung der Probezeit zum AZ 20 BE 611/91 auf fünf Jahre im Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 20.Oktober 1992, AZ 25 Vr 1684/92, werden aufgehoben.

Dem Bezirksgericht Kufstein wird zum AZ U 309/90 der sofortige Widerruf der Strafvollzugsanordnung und dem Landesgericht Innsbruck zum AZ 25 Vr 2877/92 die Berichtigung der erlassenen Verständigung über den Widerruf der bedingten Entlassung dahin aufgetragen, daß eine weitere Probezeit hinsichtlich AZ U 309/90 des Bezirksgerichtes Kufstein nicht besteht.

Text

Gründe:

Der am 14.Oktober 1954 geborene Johann B***** wurde vom Bezirksgericht Kufstein mit rechtskräftiger Strafverfügung vom 19. Juli 1990, GZ U 309/90-3, wegen Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 50 S, im Nichteinbringungsfall zu 40 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Wegen erfolgloser Eintreibung der Geldstrafe wurde der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet, dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus Innsbruck eine Strafvollzugsanordnung übermittelt und der Verurteilte zum Strafantritt aufgefordert. Da er die Ersatzfreiheitsstrafe nicht antrat, ersuchte das Bezirksgericht das zuständige Gendarmeriepostenkommando um seine Vorführung zum Strafantritt, wobei es auf die befreiende Wirkung nachträglicher Bezahlung der Geldstrafe hinwies. Nach dem Bericht der Gendarmerie vom 9.Juni 1991 unterblieb die Vorführung jedoch, weil der Verurteilte die Geldstrafe nachweislich bezahlt hatte. Es wurde deshalb die Verständigung des Strafregisters vom Beginn der Tilgungsfrist verfügt; die Rückforderung der Strafvollzugsanordnung vom Gefangenenhaus Innsbruck unterblieb jedoch.

Dies führte dazu, daß die Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen trotz Bezahlung der Geldstrafe (in Gestalt eines Anschlußvollzuges) in Vollzug gesetzt wurde. Am 19.März 1992 langte beim Bezirksgericht Kufstein eine Ausfertigung der Entscheidung über die bedingte Entlassung des Verurteilten zum AZ 20 BE 43/92 auch aus der in Rede stehenden Ersatzfreiheitsstrafe ein, wozu aber lediglich "Ges., U-Reg. Akt ab" verfügt wurde (ON 10).

Zwischenzeitig war nämlich Johann B***** vom Bezirksgericht Kufstein zur GZ U 143/91-3 neuerlich wegen §§ 15, 127 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 S (im Nichteinbringungsfall 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) und zum AZ U 157/91 (mit Urteil vom 20.August 1991) wegen § 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Wochen sowie vom Landesgericht Innsbruck als Schöffengericht (mit Urteil vom 2., in der Ausfertigung irrig 4.,September 1991, GZ 25 Vr 1054/91-36) wegen Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 130, zweiter Fall, 15 StGB zu zwölf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 22 StGB in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher eingewiesen worden. Auch das letztangeführte Urteil war sogleich in Rechtkraft erwachsen (S 324) und die Strafe am 2. September 1991 im Anschluß an eine Untersuchungshaft in Vollzug gesetzt worden (ON 40, 41).

Der Angehaltene wurde in weiterer Folge mit Beschluß vom 24.Jänner 1992, GZ 20 BE 611/91-13, des Landesgerichtes Innsbruck unter Erteilung einer Weisung aus der Maßnahme gemäß § 47 Abs. 2 StGB bedingt mit dreijähriger Probezeit und Wirkung vom 17.Feber 1992 entlassen. Zur vikariierend vollzogenen Freiheitsstrafe zum AZ 25 Vr 1054/91 wurde auf den Beschluß desselben Gerichtes zu 20 BE 626/91 verwiesen.

In diesem Verfahren wurde am selben Tag die bedingte Entlassung aus den drei zuletzt angeführten Freiheits-(bzw. Ersatzfreiheits-)strafen mit einem Strafrest von sieben Monaten und zwei Tagen mit Wirkung vom 17. Feber 1992 gemäß § 46 Abs. 1 StGB bewilligt.

Am 29.Jänner 1992, nach Beschlußfassung, jedoch noch vor dem Zeitpunkt des Vollzuges der bedingten Entlassung, teilte das Gefangenenhaus dem Vollzugsgericht mit, der Stichtag für die bedingte Entlassung verschiebe sich infolge Vollzuges der Freiheitsstrafe von 40 Tagen zum AZ U 309/90 des Bezirksgerichtes Kufstein auf 8.März 1992. Der weitere Bericht des Gefangenenhauses, die Strafvollzugsanordnung sei erst an diesem Tag (29.Jänner 1992) eingelangt, ist offenbar unrichtig, weil diese Anordnung dort vielmehr schon am 29.März 1991 eingelangt war (RSb S 25 in U 309/90 des Bezirksgerichtes Kufstein).

Es wurde daraufhin zum AZ 20 BE 43/92 ein neuer Vollzugsakt angelegt und an das Gefangenenhaus zur Neueingabe des Johann B***** zur bedingten Entlassung mit geändertem Stichtag übermittelt. Der Beschluß vom 24.Jänner 1992 wurde nicht in Vollzug gesetzt.

Mit Beschluß vom 11.Feber 1992, GZ 20 BE 43/92-19, wurde in weiterer Folge die bedingte Entlassung aus sämtlichen vorangeführten Freiheitsstrafen mit einem Strafrest von 7 Monaten und 21 Tagen unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit und Wirkung vom 8.März 1992 bewilligt. Durch die Einbeziehung der (wegen Bezahlung der Geldstrafe zum AZ U 309/90 nicht zu vollziehenden) Ersatzfreiheitsstrafe des Bezirksgerichtes Kufstein verschob sich der Entlassungszeitpunkt für Johann B***** um 20 Tage.

Am 20.Oktober 1992 wurde Johann B***** vom Landesgericht Innsbruck (GZ 25 Vr 1684/92-15) wegen §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Zugleich wurde gemäß (irrig) § 409 a (gemeint § 494 a) Abs. 1 Z 2, Abs. 7 StPO "vom Widerruf der zu 20 BE 611/91 des Landesgerichtes Innsbruck gewährten bedingten Strafnachsicht" abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Mit weiterem Urteil dieses Gerichtes vom 17.November 1992 (GZ 25 Vr 2877/92-17) wurde er wegen §§ 127, 129 Z 1, 130, zweiter Fall, und 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde in diesem Verfahren mit Beschluß gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO die bedingte Entlassung "aus der Freiheitsstrafe zum Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 2.September 1992, 25 Hv 54/91, widerrufen" und der Vollzug eines Strafrestes von fünf Monaten und fünfzehn Tagen angeordnet.

Dieser Widerruf beruht auf dem in der Anklageschrift gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft (S 170), der in der Hauptverhandlung auf Widerruf der "zu 20 BE 611/91 des Landesgerichtes Innsbruck gewährten bedingten Strafnachsicht" (richtig: Entlassung) ergänzt wurde (S 180).

Der Beschluß, auf den sich der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung bezog, betraf allerdings lediglich die bedingte Entlassung aus der Maßnahme nach § 22 StGB, nicht aber jene aus der zugleich verhängten Freiheitsstrafe. Eine Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug gemäß § 54 StGB erfolgte nicht. Urteil und Beschluß erwuchsen sogleich in Rechtskraft. In den Verständigungen vom Widerrufsbeschluß wurde ausdrücklich bemerkt, daß nur die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe zu 25 Vr 1054/91 des Landesgerichtes Innsbruck widerrufen wurde und der noch offene Strafrest zu den Urteilen U 157/91, U 143/91 sowie U 309/90 des Bezirksgerichtes Kufstein zwei Monate und sechs Tage betrage (S 197, 201).

Rechtliche Beurteilung

In den Verfahren U 309/90 des Bezirksgerichtes Kufstein sowie 20 BE 43/92, 25 Vr 1684/92 und 25 Vr 2877/92 des Landesgerichtes Innsbruck wurde in mehrfacher Weise das Gesetz verletzt.

Zur Verhinderung des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe zu U 309/90 des Bezirksgerichtes Kufstein wäre dieses verpflichtet gewesen, gemäß § 409 Abs. 3 StPO die Vollzugsanordnung nach Bezahlung der Geldstrafe unverzüglich zu widerrufen.

Die bedingte Entlassung zu 20 BE 43/92 des Landesgerichtes Innsbruck schließt auch diese nicht zu vollstreckende Ersatzfreiheitsstrafe ein, obwohl aus der Aktenlage die Bezahlung der Geldstrafe erkennbar war (Strafregisterauskunft ON 2 mit handschriftlichem Zusatz "bezahlt" zu dieser Verurteilung). Dies hatte die unrichtige Berechnung der Strafzeit und damit der zeitlichen Voraussetzungen für die bedingte Entlassung zur Folge.

Der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 20.Oktober 1992, GZ 25 Vr 1684/92-15, bezog sich auf die Vollzugsentscheidung zum AZ 20 BE 611/91, die jedoch die bedingte Entlassung aus der Maßnahme nach § 22 StGB zum Gegenstand hatte. Ob sich das Urteilsgericht damit allenfalls auf die bedingte Entlassung zu 20 BE 626/91 beziehen wollte, ist nicht erkennbar. Nach dem Wortlaut des Beschlusses verletzt dieser das Gesetz in der Bestimmung des § 54 StGB, weil beim Absehen vom Widerruf der bedingten Entlassung aus einer Maßnahme eine Verlängerung der Probezeit nicht in Betracht kommt.

Die Zeit, die der Verurteilte auf Grund eines Strafurteils oder mehrerer unmittelbar nacheinander zu vollziehender Strafurteile in Strafhaft zuzubringen hat, ist die Strafzeit (§ 1 Z 5 StVG). Die auf Grund der einzelnen Urteile zu verbüßenden Strafen sind zusammenzurechnen und es ist sodann (etwa bei Bestimmung der zuständigen Strafvollzugsanstalt nach § 9 StVG) so vorzugehen, als ob eine einzige Freiheitsstrafe zu vollstrecken wäre (Kunst, StVG, Anm. 7 zu § 1).

Für die zeitlichen Voraussetzungen der bedingten Entlassung nach § 46 StGB ist, wenn ein Gefangener unmittelbar nacheinander mehrere Freiheitsstrafen verbüßt, ihre Gesamtdauer maßgebend (Kunst in WK Rz 12; Steininger StGB3 RN 15; Foregger-Kodek StGB5, Erl. IV; jeweils zu § 46). Der bedingt nachgelassene Strafrest ist somit von der Gesamtstrafzeit ausgehend und nicht für jede einzelne Strafe gesondert zu ermitteln, zumal für einzelne von ihnen unter Umständen - wie im vorliegenden Fall - eine bedingte Entlassung wegen ihrer Kürze gar nicht in Betracht gekommen wäre.

Für den Widerruf der bedingten Entlassung nach § 53 Abs. 1 StGB ist somit der zu vollziehende Strafrest jener, der sich aus dem die seinerzeitige bedingte Entlassung bewilligenden Beschluß ergibt. Nicht das seinerzeitige Strafurteil ist Gegenstand der Widerrufsentscheidung, sondern der Beschluß des Vollzugsgerichtes über die bedingte Entlassung. Dem entspricht, daß über den Widerruf der bedingten Entlassung, sofern die Entscheidung nicht im neuen Strafverfahren gemäß § 494 a StPO getroffen wird, abermals das Vollzugsgericht zu entscheiden hat (§ 16 Abs. 2 Z 12 StVG).

Das Landesgericht Innsbruck als Schöffengericht hat daher das Gesetz verletzt, indem es den Widerruf der bedingten Entlassung nur hinsichtlich eines Teiles des Strafrestes aussprach. Mit dieser willkürlichen Verringerung des Strafrestes überschritt es seine Strafbefugnis, die auf die Bejahung oder Verneinung des Widerrufs der bedingten Entlassung und somit den gesamten Strafrest beschränkt war. Die damit bewirkte Teilung des bedingt nachgelassenen Strafrestes von insgesamt sieben Monaten und zwei Tagen in einen widerrufenen Teil von fünf Monaten und fünfzehn Tagen sowie einen weiterhin in Schwebe bleibenden von einem Monat und sechzehn Tagen ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Da die Entscheidung aber im Ergebnis dem Verurteilten nicht zum Nachteil gereicht, war ihr Kassierung im Sinne des § 292 StPO nicht möglich. Der rechtskräftig widerrufene Strafrest wird deshalb zu vollziehen, der weiterhin bedingt nachgelassene im Verfahren zu 20 BE 626/91 des Landesgerichtes Innsbruck zwecks Überwachung der weiterlaufenden Probezeit in Evidenz zu halten sein.

Nicht zum Nachteil des Verurteilten wurde ferner das Gesetz im § 494 a StPO durch das Unterbleiben einer Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung aus der Maßnahme gemäß § 54 StGB verletzt. Ein Widerruf aus dem Grund der strafbaren Handlungen, die Gegenstand dieses Urteils waren, ist somit ausgeschlossen (§ 494 b StPO).

Somit war spruchgemäß zu erkennen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte