OGH 2Ob511/93

OGH2Ob511/9315.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Unterbringungssache der am 9.Juli 1914 geborenen Maria K*****, infolge Revisionsrekurses der Michaela Mühlegger, Patientenanwältin, Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle Landesnervenklinik West, 3362 Mauer/Amstetten, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten vom 13. Jänner 1993, GZ R 941/92-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Amstetten vom 22.Dezember 1992, GZ Ub 428/92-9, ersatzlos aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Am 18.Dezember 1992 teilte die Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle Niederösterreichische Landesnervenklinik West, dem Bezirksgericht Amstetten mit, daß die 79-jährige Maria K*****, die seit dem 9.August 1992 in der Landesnervenklinik Mauer aufhältig sei, als untergebracht anzusehen sei und regte ein Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz an. Am 21.Dezember 1992 langte beim Bezirksgericht Amstetten eine Aufnahmeanzeige nach dem Unterbringungsgesetz ein. Als Aufnahmediagnose wurde senile Demenz und höhergradige CVI von psychotischem Ausmaß genannt.

In der Erstanhörung im Sinne des § 19 UbG am 22.Dezember 1992 verwies die Patientenanwältin auf die mittlerweile beigeschaffte Krankengeschichte, wonach Maria K***** wechselweise auf den Stationen 1 B, 1 A und zeitweise tagsüber auf der an und für sich gesperrten Abteilung 2 D aufhältig gewesen sei. Sie sei mehrmals zum Abendessen nicht angetroffen worden, habe öfter ihre Koffer gepackt, sich nach dem Bahnhof erkundigt und geäußert, zum Nachbarn fahren zu müssen, wo ihr Sohn arbeite. Da Maria K***** immer wieder in ihr Zimmer, wenn auch nicht direkt gewaltsam, zurückgebracht worden sei, werde die Feststellung begehrt, daß eine Unterbringung seit August 1992 vorliege.

Die der Erstanhörung beigezogenen Oberärzte der 2. und 4. psychiatrischen Abteilung führten aus, daß sich die Patientin freiwillig in Mauer aufhalte, es jedoch aufgrund der senilen Demenz immerwieder zu einem Drang nach außen käme. Zwangsmittel würden nicht angewandt, es genüge jeweils das gute Zureden des Pflegepersonals, um die Betroffene wieder in ihr Zimmer zu geleiten.

Im Rahmen der Erstanhörung erklärte das Bezirksgericht Amstetten die Unterbringung seit dem 18.Dezember 1992 vorläufig für zulässig und sprach - gesondert - mit Beschluß aus, daß bei ihr seit dem 17. Oktober 1992 eine "de facto" Unterbringung stattgefunden habe.

In der mündlichen Verhandlung vom 5.Jänner 1993 wurde die Unterbringung der Betroffenen seit dem 17.Oktober 1992 bis zum 17. Jänner 1993 für zulässig erklärt. Dieser Beschluß blieb unangefochten.

Gegen den Beschluß auf Feststellung einer "de facto" Unterbringung seit dem 17.Oktober 1992 erhoben die Abteilungsleiter der 2. und 4. psychiatrischen Abteilung Rekurs.

Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes auf und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das Gericht könne im Zuge der Erstanhörung zwei Arten von Sachentscheidungen treffen: Gelange das Gericht bei der Anhörung zum Ergebnis, daß die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, habe es die Unterbringung bis zur endgültigen Entscheidung vorläufig für zulässig zu erklären. Gelange es hingegen zum Ergebnis, daß die Voraussetzungen der Unterbringung nicht vorliegen, so habe es diese für unzulässig zu erklären. Gegen eine Zulässigkeitsentscheidung sei ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig. Das Erstgericht habe jedoch keine der im § 20 UbG genannten Entscheidungen getroffen, sondern in einer Sachentscheidung einen Zustand ex post beurteilt. Die dagegen erhobenen Rekurse der Abteilungsvorstände seien daher zulässig, aber auch berechtigt. Für die Frage, ob die Unterbringungsvoraussetzungen vorliegen, sei der Zeitpunkt des Endes der Anhörung maßgeblich. Das Gericht prüfe nicht ex post, ob die Unterbringung bis zur Anhörung rechtmäßig gewesen sei oder nicht. Obgleich dies im § 20 UbG nicht mehr so klar zum Ausdruck komme wie im § 12 Abs 3 der Regierungsvorlage, wonach ausdrücklich (pro futuro) über den Verbleib des Kranken zu entscheiden gewesen wäre, könne auch nach dem Unterbringungsgesetz nichts anderes gelten. Auch nach § 20 Abs 1 und 2 sei zu beurteilen, ob die Voraussetzungen vorliegen (und nicht "vorlagen"). Dies ergäbe sich auch daraus, daß eine Anhörung sowie eine Entscheidung nach § 20 nicht stattzufinden habe, wenn die Unterbringung zu diesem Zeitpunkt bereits aufgehoben oder der Kranke entlassen worden sei. In diesem Fall bestehe weder ein Rechtsschutzbedürfnis, noch eine fristgebundene Entscheidungspflicht. Ähnliches lasse sich auch aus den Bestimmungen des § 26 UbG ableiten. Die gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung unterscheide sich in ihrem rechtlichen Gehalt nicht wesentlich von der bisherigen Entscheidung über die Zulässigkeit der weiteren Anhaltung (§ 22 EntmündigungsO); obwohl dieser "pro futuro"-Aspekt in der Formulierung des § 26 UbG sprachlich nicht mehr zum Ausdruck komme, werde auch nach der neuen Rechtslage davon auszugehen sein, daß mit der gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich kein isolierter Ausspruch über die Zulässigkeit der vor dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt liegenden Unterbringung oder des Einweisungsgeschehens erfolgen solle; maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen sei der Schluß der mündlichen Verhandlung. Das Gericht entscheide also - jedenfalls, sofern der Betroffene noch untergebracht sei - genau genommen über die Fortsetzung der Unterbringung (vgl Kopetzky Rz 443). Die von Kopetzky an dieser Stelle geäußerten Bedenken gegen eine ex post-Kontrolle könnten vom Rekursgericht nicht geteilt werden, weil gerade die Anzeige des Krankenhauses an das zuständige Gericht das Unterbringungsverfahren einleite und jede andere Betrachtung der Rechtsunsicherheit Vorschub leiste. Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er die überlieferte Konzeption des Anhalterechtes in einem so grundlegenden Punkt verändern wollte. Daran ändere nichts, daß das Rekursgericht immer selbst in der Sache entscheiden müsse und daher auch zwangsläufig eine retrospektive Entscheidung über die Zulässigkeit einer nicht mehr andauernden Unterbringung fällen müsse. In diesen Fällen sei jedenfalls eine zumindest vorläufige Unterbringung beschlußmäßig bereits vorgelegen. Es bestehe daher keine Rechtsgrundlage für den vom Erstgericht gefaßten Beschluß auf die de facto-Feststellung einer Unterbringung vor dem 18.Dezember 1992. Der Beschluß des Erstgerichtes sei daher ersatzlos aufzuheben gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Patientenanwältin, die gemäß § 14 Abs 1 UbG kraft Gesetzes Vertreterin des Kranken für das im Unterbringungsgesetz vorgesehene gerichtliche Verfahren ist, erhobene - einseitige (§ 16 Abs 3 AußStrG) - Revisionsrekurs, auf den die Vorschriften der §§ 13 ff AußStrG anzuwenden sind, (RV 464 BlgNr 17 GP. 27) ist nicht berechtigt.

Allgemeine Zielsetzung des UbG ist die Gewährleistung eines verstärkten, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen im Einklang stehenden Schutzes der Persönlichkeitsrechte jener psychisch Kranken, die im Rahmen stationärer psychiatrischer Einrichtungen Beschränkungen ihrer Persönlichkeitsrechte unterworfen werden (vgl Kopetzky Unterbringungsgesetz Rz 10 unter Hinweis auf die RV 464 BlgNr 17. GP 14 f, JAB 1202 BlgNr 17. GP 2 f, Allgemeines Punkt 3 und 4). Da im Rahmen der Psychiatrie den Ärzten staatliche Zwangsbefugnisse übertragen werden, die in verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte der Patienten eingreifen (vgl RV 464 BlgNR 17. GP 19) kommt bei der Auslegung von der Bestimmung des UbG verfassungsrechtlichen Überlegungen besondere Bedeutung zu (2 Ob 512/92). Insbesondere ist daher zu berücksichtigen, daß nach Art 2 Abs 1 Z 5 des BVG vom 29.November 1988 BGBl 684 über den Schutz der persönlichen Freiheit, jemandem die persönliche Freiheit auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise nur dann entzogen werden darf, wenn ua Grund zur Annahme besteht, daß er wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährde. Nach Art 6 dieses Gesetzes hat daher jedermann, der festgenommen oder angehalten wurde, das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges abgesprochen wird. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte jede Freiheitsbeschränkung im Sinne dieser Grundrechtsgarantie überprüft werden können und insbesondere auch jene Fälle umfassen, in denen die (erstmalige) Verfügung der Anhaltung nicht durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde erfolgte (667 BlgNr 17. GP 2, 3).

Im Lichte dieser Auslegungsgrundsätze hat daher der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt entschieden, daß in Fällen, in denen mit Gerichtsbeschluß das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit berührt wurde, der in seinen Rechten Beeinträchtigte auch nach Aufhebung der freiheitseinschränkenden Maßnahmen weiterhin ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, ob diese rechtsmäßig erfolgte oder nicht (RZ 1992/85, 282; 7 Ob 585/91, 7 Ob 590/91, 6 Ob 614/91, 2 Ob 550/91, 2 Ob 512/92). Die von Kopetzky (Unterbringungsgesetzt, Rz 383) vertretene Rechtsansicht, wonach eine Entscheidung über die Zulässigkeit der "weiteren" Unterbringung dann zu entfallen habe, wenn die Unterbringung zwischenzeitig aufgehoben oder der Kranke bereits entlassen worden sei und eine Überprüfung "ex post" über die Zulässigkeit der bisher erfolgten Unterbringung nicht zu erfolgen habe, wurde daher von der Rechtsprechung nicht geteilt.

Aus diesen Überlegungen ist aber für die Rekurswerberin aus folgenden Erwägungen nichts gewonnen.

Nach § 19 Abs 1 UbG hat sich das Gericht binnen vier Tagen ab Kenntnis der Unterbringung einen persönlichen Eindruck vom Kranken in der Anstalt zu verschaffen. Das Verfahren zur Überprüfung der Zulässigkeit der Unterbringung soll daher von Amts wegen eingeleitet werden, sobald das Gericht, von wem auch immer, von der Aufnahme des Kranken erfährt. Gelangt das Gericht bei der Erstanhörung des Kranken zum Ergebnis, daß die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, so hat es sie vorläufig bis zur Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG für zulässig zu erklären und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. In dieser hat es über die Zulässigkeit der Unterbringung zu entscheiden und, falls es die Unterbringung für zulässig erklärt, gleichzeitig eine drei Monate nicht übersteigende Frist ab Unterbringung festzusetzen. Bei dieser Fristsetzung kommt es daher nicht auf die tatsächliche Verständigung des Gerichtes über die erfolgte Unterbringung, sondern auf die tatsächliche Dauer der Unterbringung an (vgl auch Kopetzky aaO Rz 443). Mit dieser Entscheidung wird daher auch im Sinne des Bundesverfassungsgesetzes vom 29.November 1988, BGBl 684, über den Schutz der persönlichen Freiheit darüber abgesprochen, ob die Voraussetzungen der Unterbringung eines Kranken ab einem bestimmten Zeitpunkt vorlagen.

Der dagegen vom Erstgericht gesondert ausgefertigte Beschluß über das Vorliegen einer "de facto" Unterbringung ab einem bestimmten Zeitraum ist aber durch das Gesetz nicht gedeckt, weil damit nicht über die Zulässigkeit einer Unterbringung abgesprochen, sondern lediglich festgehalten wird, daß allenfalls die Verständigungspflicht im Sinn des § 17 UbG durch die Anstalt verletzt wurde. Für einen bloß feststellenden Beschluß, es habe sich um eine "de facto" Unterbringung gehandelt, ohne auch über die Zulässigkeit der Unterbringung abzusprechen, bietet das Gesetz keine Grundlage. Das Rekursgericht hat daher mangels Rechtsgrundlage den angefochtenen Beschluß zu Recht ersatzlos aufgehoben.

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