OGH 9ObA12/93

OGH9ObA12/9317.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Othmar Roniger und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mirjana S***** Arbeiterin, , vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei T***** K*****Gesellschaft mbH„ vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen S 99.626,19 netto sA (im Revisionsverfahren S 99.204,80 netto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Oktober 1992, GZ 31 Ra 98/92-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.Februar 1992, GZ 10 Cga 30/90-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kägerin war bei der Beklagten vom 9.März 1978 bis 22.Februar 1990 als Arbeiterin in der Produktion beschäftigt. Sie beendete ihr Arbeitsverhältnis durch vorzeitigen Austritt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin letztlich S 99.626,19 netto sA. Die Beklagte habe ihr trotz Nachfristsetzung den Lohn für Jänner 1990 und eine kollektivvertragliche Einstufungsdifferenz vorenthalten. Sie sei nämlich "qualifizierte Arbeitnehmerin" im Sinne der Verwendungsgruppe 3 der Lohntafel für die österreichische Obst-, Gemüseverwertungs- und Tiefkühlindustrie (kurz Lohntafel) gewesen; die Beklagte habe sie aber lediglich als "sonstige Arbeitnehmerin" in die Verwendungsgruppe 4 eingestuft. Ihr stehe daher noch der offene Lohn bis zum Austritt, die Differenz zur Verwendungsgruppe 3 für die letzten drei Monate, die Kündigungsentschädigung samt Sonderzahlungen, die Urlaubsentschädigung und die Abfertigung zu.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie habe die Klägerin richtig eingestuft. Der Geschäftsführer der Beklagten habe die Klägerin aufgefordert,den Lohnrückstand am letzten Tag der Frist im Büro abzuholen. Die Klägerin habe den Betrieb verlassen, ohne das bereitgehaltene Entgelt abzuholen. Daraufhin habe ihr der Geschäftsführer den Betrag am nächsten Tag in ihrer Wohnung übergeben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 99.204,80 netto sA statt und wies das Mehrbegehren von S 421,39 netto sA ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die Klägerin arbeitete zwar unter der Aufsicht von Konditorgesellen, sie verrichtete jedoch eine Vielzahl von Produktionsarbeiten selbständig und so zufriedenstellend, daß die Endprodukte nicht mehr geprüft werden mußten. Die Klägerin kannte die Rezepte jener Teige und Massen, die sie zur Herstellung ihrer Produkte brauchte, auswendig. Sie war daher nicht auf das sogenannte "Rezeptbuch" angewiesen. Da die aufliegende Rezeptsammlung ohnehin nicht auf dem letzten Stand war, hatten es neu eintretende Gesellen schwer, diesen Rezepten die erforderlichen Zutaten zu entnehmen. So unterrichtete die Klägerin etwa einen neu eingetretenen Gesellen über die Rezepturen des Fritatten-und Palatschinkenteiges.

Die Klägerin mischte nicht nur den Teig verschiedener Backwaren wie Strudel, Mohr im Hemd, Pizzas, Torten, Palatschinken, Fritatten und Kaiserschmarrn allein, sondern stellte auch selbständig sämtliche Füllungen wie zB aus Topfen, Schoko, Nuß oder Mohn her. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung beschaffte sie sich die Zutaten selbst; sie bestimmte auch die Menge und die Mischung. Sie war neben den Gesellen die einzige Arbeitnehmerin der Beklagten, die Teige und Füllungen selbst herstellen konnte. Ihre Tätigkeit bedurfte keiner Kontrolle. Sie hatte den sogenannten "Griff" und wußte genau, welche Bestandteile in den jeweiligen Teig hineingehörten. "Insoferne war sie eine jener Ausnahmen, die ihre Arbeit allein durchführen konnten". Überdies arbeitete sie noch im weiteren Produktionsvorgang wie beim Füllen der Strudel und Palatschinken sowie beim Fritattenschneiden mit.

Mit Schreiben vom 8.Februar 1990 forderte die Klägerin ihren ausstehenden Lohn für Jänner 1990. Sie wies darauf hin, daß ihre Einstufung in die Verwendungsgruppe 4 der Lohntafel zu niedrig sei, da sie Arbeiten einer "qualifizierten Arbeitnehmerin" im Sinne der Verwendungsgruppe 3 der Lohntafel verrichte. Für die Nachzahlung ihres Lohns und der Einstufungsdifferenz setzte sie eine Nachfrist bis 22.Februar 1990. Sie legte ihrem Schreiben einen Zahlschein bei und drohte bei Nichtzahlung innerhalb der Nachfrist mit ihrem vorzeitigen Austritt. Der Geschäftsführer der Beklagten gab dieses Schreiben an die Lohnverrechnerin mit dem Bemerken weiter, daß diese sich den Sachverhalt ansehen und "das erledigen" solle; er selbst nahm keinen Kontakt zur Klägerin auf. Diese fragte in der Zeit vom 8. Februar bis 22.Februar 1990 wiederholt im Büro nach, wann sie ihr Geld erhalte. Sie erhielt aber stets die Antwort, daß kein Geld da sei. Auf ihre letzte Anfrage meinte die Lohnbuchhalterin, daß sich die Klägerin ihren Restlohn am 23.Februar 1990 holen solle. Sie wurde nicht aufgefordert, ihr Entgelt am 22.Februar 1990 im Büro abzuholen. Sie verließ demnach an diesem Tag nach Arbeitsschluß um 14,30 Uhr den Betrieb, ohne daß ihr bis dahin das restliche Entgelt zugekommen wäre.

Als der Geschäftsführer der Beklagten am 23.Februar 1990 erfuhr, daß die Klägerin ihren (ohnehin nur auf der Grundlage der Verwendungsgruppe 4 ermittelten) Restlohn nicht erhalten hatte, brachte er ihr den Betrag von S 5.912,-- netto in ihre Wohnung nach.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin wegen ihrer weitgehend selbständigen Tätigkeit in die Verwendungsgruppe 3 der Lohntafel einzustufen sei. Ihr stehe daher die begehrte Lohndifferenz zu. Sie sei auch gerechtfertigt vorzeitig ausgetreten, da ihr diese Differenz und der restliche Lohn für Jänner 1990 nicht innerhalb der gesetzten Nachfrist nachgezahlt worden sei, so daß ihre Ansprüche, abgesehen von einem geringfügigen Mehrbegehren, insgesamt berechtigt seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Da die Beklagte in ihrer Beweisrüge lediglich Gegenbehauptungen aufgestellt habe, sei der Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung nicht entsprechend ausgeführt, so daß sich dazu eine Stellungnahme erübrige. Im übrigen billigte die zweite Instanz die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Feststellungen über die Modalitäten der Lohnzahlung und zur Frage, ob die Klägerin verpflichtet gewesen sei, ihren Restlohn am 22.Februar 1990 im Büro abzuholen, seien schon deshalb ohne Bedeutung, da die Beklagte jedenfalls mit der Zahlung des aus der falschen Einstufung resultierenden Differenzbetrages im Verzug geblieben sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Revision ist in ihrer Mängelrüge berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Vorinstanzen richtig erkannten, wäre die Klägerin aufgrund ihrer vom Erstgericht festgestellten Tätigkeit von der Beklagten als "qualifizierte Arbeitnehmerin" im Sinne der Verwendungsgruppe 3 der Lohntafel einzustufen gewesen. Da die Verwendungsgruppen keine ausbildungsabhängigen Einstufungsvoraussetzungen enthalten, richtet sich die Einstufung der Arbeitnehmer in eine bestimmte Verwendungsgruppe nach der Art der von ihnen tatsächlich ausgeübten Tätigkeit. Es ist daher ein Vergleich der Berufsbilder vorzunehmen. In die Verwendungsgruppe 2 fallen Professionisten, aber auch Einleger, Chauffeure, Hilfskocher und Hilfskonservierer. Partieführer, Mitfahrer (Ausführer), Portiere, Wächter sowie "qualifizierte Arbeitnehmer" sind in die Verwendungsgruppe 3 einzustufen. Die Verwendungsgrupe 4 umfaßt pauschal die "sonstigen Arbeitnehmer", die keine der genannten Qualifikationen aufweisen. Gemessen an der Tätigkeit von Mitfahrern, Portieren und Wächtern ist die selbständige Arbeit der Klägerin in der Produktion von Mehlspeisen nicht geringer zu werten, zumal sie damit im wesentlichen auch Gesellentätigkeit verrichtete. Darauf, ob sie eine "gelernte Gesellin" war, kommt es für ihre Einreihung als "qualifizierte Arbeitnehmerin" entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht an. Der Beklagten ist demnach das Vorenthalten gebührender Bezüge im Sinne des § 82a lit d GewO 1859 anzulasten. Ob diese Schmälerung ungebührlich erfolgte (vgl Arb 9082), ist vorerst nicht weiter zu prüfen, da die Klägerin nach den Feststellungen des Erstgerichtes auch ihren (auf der Grundlage der Verwendungsgruppe 4 ermittelten) Restlohn für Jänner 1990 nicht innerhalb der Nachfrist erhalten hat (vgl Arb 10.147, 10.605, 10.726 uva). Sie wurde nach den Feststellungen des Erstgerichtes von der Lohnbuchhalterin nach wiederholten ergebnislosen Urgenzen vielmehr darauf verwiesen, daß sie sich ihren Restlohn am 23.Februar 1990 - sohin nach Ablauf der Nachfrist - im Büro holen könne.

Die Arbeitsrechtssache ist jedoch noch nicht spruchreif, da das Berufungsgericht seiner Aufgabe als (letzte) Tatsacheninstanz nicht nachgekommen und auf die Beweisrüge der Beklagten überhaupt nicht eingegangen ist. Die Beklagte führte in ihrer Berufung hinreichend deutlich aus, welche Feststellungen sie bekämpft und welche anderen Feststellungen sie begehrt. Sie verwies dazu auf die ihrer Ansicht nach glaubwürdigeren Aussagen des Geschäftsführers der Beklagten, denen aufgrund der gegebenen Situation mehr Beachtlichkeit zukommen müsse. Durch die Nichterledigung der Berufung ist das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben, so daß derzeit noch keine gesicherten Feststellungen vorliegen, die zu einer rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts führen können.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

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