OGH 15Os163/92

OGH15Os163/9211.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.März 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kirschbichler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hermann S***** wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreis- (nunmehr Landes-)gerichtes Leoben als Schöffengericht vom 13.Oktober 1992, GZ 11 Vr 233/90-53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hermann S***** (im zweiten Rechtsgang erneut) des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er als Gendarmeriebeamter und Kommandant des Gendarmeriepostenkommandos K*****, somit als Beamter, mit dem Vorsatz, den Staat an seinem Recht auf verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung Nachgenannter zu schädigen, seine Befugnis als Gendarmeriebeamter und Kommandant des erwähnten Gendarmeriepostens, somit als mit der Strafverfolgung betrautes Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich dadurch mißbraucht, daß er es unterließ, in der Zeit von 26.Februar 1989 bis 1.April 1989 gegen die Lenker der Kraftfahrzeuge mit den Kennzeichen St*****, St*****, St*****, St*****, St*****, St***** und W***** gemäß § 49 a VStG an die Bezirkshauptmannschaft M***** Anzeige wegen Geschwindigkeitsüberschreitung im Ortsgebiet von K***** am 26.Februar 1989 zu erstatten.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf § 281 Abs. 1 Z 5, 5 a und 9 lit a, nominell auch Z 10, StPO gestützt wird.

Nach den Urteilsfeststellungen verrichtete der Angeklagte am 26. Februar 1989 auf der Landesstraße 135 im Ortsgebiet von K***** beim Straßenkilometer 0,7 Außendienst zur Verkehrsüberwachung. Dabei stellte er bei den Lenkern von sieben PKWs mit den im Spruch angeführten polizeilichen Kennzeichen eine deutliche Überschreitung der für das Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 20 km/h fest. Seinen Gepflogenheiten entsprechend notierte er die Wahrnehmungen in seinem mitgeführten Notizbuch. Nach dem Einrücken vom Außendienst trug er gemäß der Kanzleiordnung für die Bundesgendarmerie die Anzeige in der Erledigung der Dienstvorschreibung aus, wobei er vemerkte, daß die Lenker der angeführten Kraftfahrzeuge nach der StVO angezeigt werden, und nahm auch im Protokollbuch des Gendarmeriepostenkommandos K***** unter Grundzahl 274-280/89 die entsprechenden Eintragungen, nämlich Kennzeichen der PKWs, Dienstvorschreibungsnummer, Ablagevermerk und Paraffe zur Erlassung einer Anonymverfügung vor, womit er zum Ausdruck brachte, Anzeige erstatten zu wollen. Er erstattete aber in den darauffolgenden Tagen aus Bequemlichkeit und mangelndem Pflichtbewußtsein keine ordnungsgemäßen Anzeigen.

Da für den 12.April 1989 die jährliche Visitierung der Dienststelle durch das Bezirksgendarmeriekommando angesagt war, überprüfte der Angeklagte kurz davor das Protokollbuch. Dabei fielen ihm die noch unerledigten Eintragungen auf und er mußte die Aufdeckung der noch nicht durchgeführten Anzeigen befürchten. Er nahm daher von seinem Vorhaben, die noch nicht durchgeführten Anzeigen zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, Abstand und trug am 1.April 1989 in der Erledigungsspalte des Protokollbuches bei den erwähnten Grundzahlnummern die Eintragung "BH-M*****" ein, um den Eindruck der erfolgten Anzeigeerstattung zu erwecken. Diese Eintragungen bedeuten in der Praxis, daß die gegenständlichen Anzeigen an diesem Tag erstattet wurden. Zusätzlich machte der Angeklagte die Erledigung auch im Postzustellbuch des Gendarmeriepostenkommandos K***** mit Datum 1.April ersichtlich. Tatsächlich wurde aber die Anzeigeerstattung vom Angeklagten nicht durchgeführt. Der Verantwortung des Angeklagten, er habe die Geschwindigkeitsüberschreitungen letztlich als geringfügig beurteilt und daher von dem ihm zustehenden Ermessensspielraum im Sinne des § 21 Abs. 2 VStG Gebrauch gemacht, schenkte das Gericht keinen Glauben.

Rechtlich beurteilte das Schöffengericht diesen Sachverhalt als Verbrechen des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB. Den Schädigungsvorsatz erblickte es darin, daß der Angeklagte, nachdem er von der Erheblichkeit des Verschuldens der Fahrzeughalter und der Bedeutung der Folgen der jeweiligen Übertretung überzeugt war und somit von der Erstattung der Anzeigen nicht absehen durfte, in keinem der angeführten Fälle Anzeige gemäß § 49 a VStG erstattete und somit den Staat an seinem konkreten Recht auf Strafverfolgung schädigen wollte. Daß der Angeklagte seine Befugnis wissentlich mißbrauchte, nahmen die Tatrichter deshalb als erwiesen an, weil ihm auf Grund seiner Position und seiner Diensterfahrung gewiß war, daß er durch die nicht ordnungsgemäße Weiterleitung dieser "erheblichen Überschreitungen" seine dienstlichen Befugnisse mißbrauchte.

In der Mängelrüge (Z 5) behauptet der Beschwerdeführer zunächst eine Fehlerhaftigkeit der Urteilsbegründung in Ansehung der Konstatierung, er habe wegen der Erheblichkeit des Verschuldens der Lenker der im Spruch genannten Kraftfahrzeuge und weil er die gegenständlichen Übertretungen als erheblich qualifizierte gewußt, daß er Anzeigen erstatten müßte; diese Begründung sei wegen ihrer rechtlichen Unrichtigkeit nicht tragfähig, jede andere Begründung zur subjektiven Tatseite aber fehle.

Dem ist zu erwidern, daß die Tatrichter die von der Nichtigkeitsbeschwerde relevierten Feststellungen mit den Hinweisen auf die ursprüngliche Verantwortung des Angeklagten, er hätte Anzeige erstatten wollen, im Verein mit seinem Vorbringen, die Geschwindigkeitsüberschreitungen seien deutlich gewesen, der Eintragung der Amtshandlungen sowie der am 1.April 1989 erfolgten Falscheintragungen in der Erledigungsspalte des Protokollbuches formal mängelfrei begründet haben und auch ohne Verstoß gegen Denkgesetze zur Überzeugung gelangen konnten, daß der Beschwerdeführer die Erheblichkeit des Verschuldens der Fahrzeughalter (richtig: der Fahrzeuglenker) erkannt hat und er demnach von der Erstattung der Anzeigen nicht absehen durfte.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die Antwort des Beschwerdeführers: "Wahrscheinlich aus Bequemlichkeit" auf die Frage, warum er im Protokollbuch die Eintragung, aus Geringfügigkeit die Anzeigeerstattung unterlassen zu haben, nicht gemacht habe, im Zusammenhang mit der in der Hauptverhandlung vom 8.September 1992 geänderten Verantwortung des Angeklagten durchaus geeignet, die Urteilsannahme, er habe die gebotene Anzeigeerstattung aus Bequemlichkeit und mangelndem Pflichtbewußtsein unterlassen, zu begründen. Daß dadurch der Staat an seinem konkreten Hoheitsrecht auf Bestrafung der Lenker der im Spruch genannten Fahrzeuge wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit geschädigt werden sollte, ergibt sich zwangsläufig aus dem festgestellen Geschehnisablauf und bedurfte demnach keiner gesonderten Begründung.

Daß der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung am 5.April 1991 vorbrachte, die von den Kraftfahrzeuglenkern begangenen Übertretungen seien ihm eher geringfügig erschienen, und daß diese Verantwortung im - der Aufhebung verfallenen - Urteil im ersten Rechtsgang als Feststellung ihren Niederschlag gefunden hatte (S 271), hinderte die Tatrichter im zweiten Rechtsgang nicht, dieses Vorbringen des Angeklagten als nicht glaubhaft zu würdigen. Sofern der Beschwerdeführer sich dagegen wendet, bekämpft er lediglich in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes.

Der Beschwerdeeinwand, das Ersturteil sei hinsichtlich der Frage, ob der Angeklagte sein Notizbuch verloren habe (was ihn nach seiner Verantwortung gehindert hat, die Anzeigen zu erstatten) undeutlich, betrifft insoweit keine entscheidende Tatsache, weil der Beschwerdeführer ja nach Aufdeckung seiner Malversation auch ohne dieses Notizbuch die Anzeigen bezüglich der Lenker der im Spruch genannten Fahrzeuge an die Bezirkshauptmannschaft M***** - über Auftrag von Oberstleutnant K***** - erstattet hat.

Das globale Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund der Z 5 a: "Darüber hinaus ergeben sich meines Erachtens aus den Akten, nämlich meinen früheren Aussagen betreffend die Geringfügigkeit in Verbindung mit der unrichtigen Rechtsauffassung des Erstgerichtes sowohl betreffend § 21 VStG wie betreffend die Möglichkeit einer sinnvollen Anzeigeerstattung ohne die im Notizbuch vermerkten Tatsachen im Sinne der Z 5 a leg.cit. erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen, sodaß das Ersturteil auch mit dem Nichtigkeitsgrund nach dieser Gesetzesstelle behaftet ist." ist nicht geeignet, im Vergleich mit der Gesamtheit der Verfahrensergebnisse nach allgemein menschlicher Erfahrung, also intersubjektiv, jene schwerwiegenden Zweifel an der Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen zu lassen, auf welche der geltendgemachte Nichtigkeitsgrund abstellt.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), mit welcher der Angeklagte die Auffassung des Erstgerichts bekämpft, er hätte wegen des Fehlens der Voraussetzungen für die Anwendung des § 21 Abs. 1 VStG im Falle der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsüberschreitungen von der Erstattung der Anzeige nicht Abstand nehmen dürfen, gelangt nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung, weil sie nicht den Urteilssachverhalt mit dem darauf angewendeten Strafgesetz vergleicht.

Gemäß § 21 Abs. 1 VStG kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Unter diesen Voraussetzungen können nach Absatz 2 dieser Gesetzesstelle auch Organe der öffentlichen Aufsicht von der Verhängung einer Organstrafverfügung oder von der Erstattung einer Anzeige absehen.

Voraussetzung für die Anwendung dieser Gesetzesstelle ist demnach u. a., daß das Verschulden des Täters einer Verwaltungsübertretung gering ist. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Beschwerdeführer bei den Lenkern der im Spruch genannten Fahrzeuge eine Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 20 km/h festgestellt und darin eine derart erhebliche Verletzung der StVO erblickt, die ein Absehen von einer Strafe innerhalb seines Ermessensspielraumes nicht rechtfertigen würde.

Eben jene Feststellung übergeht die Beschwerde, wenn sie im gegenständlichen Fall die Anwendbarkeit des § 21 VStG trotz der erwähnten Geschwindigkeitsüberschreitungen behauptet. Gelangt das Organ der öffentlichen Aufsicht im Zuge einer Amtshandlung zur Ansicht, daß eine derart erhebliche Verletzung der StVO vorliegt, die ein Absehen von einer Strafe nicht rechtfertigt, so ist § 21 VStG eben nicht anwendbar. Gerade das aber haben die Tatrichter mit der vom Angeklagten negierten Konstatierung, ihm sei im konkreten Fall bewußt gewesen, daß er wegen der "deutlichen" Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, seiner Überzeugung von der Erheblichkeit des Verschuldens der Lenker sowie der Bedeutung der Folgen der Übertretung von der Erstattung der Anzeigen nicht absehen durfte, festgestellt (vgl US 7, 11).

Auch mit der Behauptung von Feststellungsmängeln zur subjektiven Tatseite in bezug auf den Schädigungsvorsatz und die Wissentlichkeit in Ansehung des Befugnismißbrauchs weicht der Beschwerdeführer vom tatsächlichen Urteilsinhalt ab. Die eingangs wiedergegebenen Feststellungen zum Schädigungsvorsatz finden sich auf US 11, jene in bezug auf die Wissentlichkeit hinwieder auf US 12.

Sofern der Angeklagte letztlich als Feststellungsmangel ins Treffen führt, das Erstgericht habe eine deutliche Aussage zur Tatsachenfrage des Vorhandenseins des Notizbuches unterlassen, genügt zum einen der Hinweis auf die Erwiderung zu der auch diesen Umstand relevierenden Mängelrüge, zum andern läßt die Rechtsrüge diesbezüglich jegliche Ausführungen zur Relevanz dieses Einwandes vermissen und gelangt solcherart gleichfalls nicht zu gesetzmäßiger Ausführung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher teils als nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt gemäß § 285 d Abs. 1 Z 1 StPO iVm § 285 a Z 2 StPO, teils als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - schon in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung gründet sich auf § 285 i StPO.

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