European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0130OS00030.9300000.0310.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Das Abwesenheitsurteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 3.Oktober 1991, GZ 17 E Vr 300/91‑9, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 221, 427 iVm 489 Abs. 1 StPO und in Art 6 Abs. 3 lit b MRK.
Dieses Urteil wird aufgehoben und dem Landesgericht Feldkirch die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Gründe:
Mit dem im Spruch angeführten Abwesenheitsurteil wurden die deutschen Staatsangehörigen Gerhard G*, Peter H* und Jürgen V* des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach den §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB schuldig erkannt und zu Geldstrafen von je 240 Tagessätzen verurteilt, die gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB bei allen drei Verurteilten für Probezeiten von je zwei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Damit wurde ihnen angelastet, am 6.Jänner 1991 in Au als Mittäter dadurch, daß sie entlang der Bundesstraße 200, der Gemeindestraße und der Bundesstraße 193 eine unerhobene Anzahl von Schneestangen teils abbrachen, teils ausrissen, fremde Sachen, die der Sicherheit des öffentlichen Verkehrs dienten, beschädigt zu haben, wodurch ein Schaden des Landesstraßenbauamtes Feldkirch von 6.702 S und ein Schaden des Gemeindeamtes Au von 5.874 S herbeigeführt wurde.
Alle drei Verurteilten waren vor der Erhebung des Strafantrages zu dem gegen sie angezeigten Sachverhalt im Rechtshilfeweg durch das zuständige Gericht der Bundesrepublik Deutschland vernommen worden (ON 5). Strafantrag (ON 6) und Ladung zur Hauptverhandlung wurden ebenso im Rechtshilfeweg und zwar Gerhard G* am 6.November 1991, Peter H* am 19.November 1991 und Jürgen V* am 1.Oktober 1991 zu eigenen Handen zugestellt (unjournalisiertes Rechtshilfeersuchen samt Zustellnachweisen im Akt des Landesgerichtes Feldkirch).
Am 2.Oktober 1991, dem Tag vor der Hauptverhandlung, rief Jürgen V* den Einzelrichter an und erklärte, er habe die Ladung zur Hauptverhandlung erhalten, werde ihr aber ebenso wie die beiden anderen Beschuldigten nicht Folge leisten, zumal eine allenfalls in ihrer Abwesenheit über sie verhängte Geldstrafe ohnehin nicht bezahlt werde (AS 82). Zur Hauptverhandlung am 3.Oktober 1991 erschien keiner der drei Beschuldigten. Dazu protokollierte der Einzelrichter, die Ladung sei ausgewiesen (AS 93).
Nach Verlesung des Aktenvermerkes über das Telefonat mit Jürgen V* wurde die Verhandlung in Abwesenheit der Beschuldigten geschlossen, die Anzeige und die Beschuldigtenverantwortung dargetan, der Akteninhalt verlesen und ein Urteil gefällt, mit dem die Beschuldigten im Sinne des Strafantrages (mit der Modifikation, daß die Zahl der beschädigten Schneestangen als "unerhoben" bezeichnet wurde, ohne daß daraus für die Höhe des Schadens Konsequenzen gezogen worden wären) schuldig gesprochen wurden.
Das Urteil samt Rechtsmittelbelehrung wurde den Beschuldigten im Rechtshilfeweg über das Amtsgericht Ehingen persönlich zugestellt und von Gerhard G* am 6.November 1991, von Peter H* am 19.November 1991 und von Jürgen V* am 6.November 1991 übernommen. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft, weil die Beschuldigten die Rechtsmittelfrist ungenützt verstreichen ließen.
Rechtliche Beurteilung
Das Abwesenheitsurteil des Landesgerichtes Feldkirch verletzt, wie der Generalprokuratur zutreffend in seiner gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, das Gesetz.
Gemäß dem § 427 Abs. 1 (§ 489 Abs. 1) StPO kann in Abwesenheit des Angeklagten die Hauptverhandlung vorgenommen und das Urteil gefällt werden, wenn es sich um ein Vergehen handelt, der Angeklagte bereits vor Gericht vernommen und ihm die Vorladung zur Hauptverhandlung noch persönlich rechtzeitig im Sinne des § 221 Abs. 1 StPO zugestellt worden ist (vgl Mayerhofer‑Rieder, StPO3, ENr 10 zu § 427).
Der rechtzeitigen Zustellung der Ladung vor der Hauptverhandlung ermangelt es bezüglich aller drei Verurteilten, weil auch bei Jürgen V* die dem Angeklagten für die Hauptverhandlung zustehende Vorbereitungsfrist von drei Tagen nicht gewahrt wurde. Das Abwesenheitsurteil ist demnach mit dem Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs. 1 Z 3 (§ 489 Abs. 1) StPO behaftet und verstößt überdies gegen Art 6 Abs. 3 lit b MRK. Dieses Urteil kann daher auch nicht in das Strafregister aufgenommen werden (§ 2 Abs. 3 StRegG).
Da den Verurteilten die Möglichkeit zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung und Überprüfung der mit dem Nichterscheinen vor dem österreichischen Gericht verbundenen Nachteile genommen war, wirkte sich die Vorgangsweise des Landesgerichtes Feldkirch zu ihrem Nachteil aus.
Es war daher spruchgemäß zu erkennen.
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