OGH 4Ob513/93(4Ob514/93)

OGH4Ob513/93(4Ob514/93)9.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Unterbringungssache des Willibald S*****, vertreten durch die Patientenanwältin Mag.Martina Wagner, Baumgartner Höhe 1/B-Gebäude, 1140 Wien, infolge Revisionsrekurses der Patientenanwältin gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 16.Dezember 1992, GZ 44 R 859, 860/92-22, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 23.Oktober 1992, GZ 11 Ub 439/92-14, bestätigt und der Rekurs gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 9.Oktober 1992, GZ 11 Ub 439/92-10, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluß ON 10 wird zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs gegen die Bestätigung des Beschlusses ON 14 wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden insoweit aufgehoben; dem Erstgericht wird die Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Willibald S***** kam am 14.9.1992 in Begleitung seiner Lebensgefährtin Dragica P***** ins Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien Baumgartner Höhe. Er wurde dort in einen offenen Bereich aufgenommen.

Willibald S***** war wegen massiven Alkoholmißbrauches desorientiert und verwirrt. Der Kranke fand sich auf der Station nicht zurecht und benötigte immer wieder Hilfe. Am 18.9.1992 um 22.00 Uhr wurde er in ein offenes Netzbett gelegt, weil er desorientiert im Schlafsaal herumging und den Schlafsaal verließ.

Am 21.9.1992 verließt er die Station in Anstaltskleidung und kehrte nach Hause zurück. Um 23.30 Uhr desselben Tages brachte ihn seine Lebensgefährtin in die Anstalt zurück. Die Anstalt hatte beim zuständigen Polizeikommissariat bereits eine Entweichungsmeldung gemacht und erklärt, Wert auf Wiedereinbringung zu legen. Auch am 22.9.1992 verließ der Kranke die Anstalt. Er wurde von Polizeibeamten aufgegriffen, ohne daß dies durch eine neuerliche Entweichungsmeldung der Anstaltsleitung veranlaßt worden wäre. Der Kranke wurde mit einem Krankentransportwagen in die Anstalt zurückgebracht. Er war desorientiert, nicht an die Realität angepaßt und hatte Halluzinationen. Am 23.9.1992 verließ die Kranke wiederholt die Station; an diesem Tag wurde er auf ein Zimmer beschränkt.

Am 23.9.1992 wurde dem Erstgericht die Unterbringung gemeldet. Das Erstgericht erklärte mit Beschluß vom 9.10.1992 die Unterbringung für zwei Monate, somit bis 23.11.1992, für zulässig. Bei dem Kranken bestehe ein massives organisches Psychosyndrom mit Realitätsunangepaßtheit und Kritiklosigkeit sowie Krankheitsuneinsichtigkeit. Der Kranke sei dadurch in seiner Gesundheit und in seinem Leben ernstlich und erheblich gefährdet; konkrete und ausreichende Betreuungs- und Behandlungsalternativen seien weder aufgezeigt worden, noch hätten sie sich ergeben (ON 10).

Die Patientenanwältin hatte schon am 25.9.1992 beantragt, die Unterbringung bereits ab dem 16.9.1992 auf ihre Zulässigkeit zu prüfen. Diesen Antrag wies das Erstgericht mit der Begründung zurück, daß das Gesetz eine gerichtliche Überprüfung jener Zeiträume nicht vorsehe, die vor einer Verständigung des Gerichtes gemäß § 17 UbG gelegen sind (ON 14).

Die Patientenanwältin bekämpfte beide Beschlüsse mit Rekurs. Den Rekurs gegen den Beschluß ON 10 wies das Rekursgericht zurück; dem Rekurs gegen den Beschluß ON 14 gab das Rekursgericht nicht Folge. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Der Rekurs gegen den Beschluß ON 10 sei verspätet. Der Beschluß sei sowohl dem Kranken als auch der Patientenanwältin am 14.10.1992 zugestellt worden. Der dagegen erhobene Rekurs sei am 6.11.1992 zur Post gegeben worden. Gemäß § 11 Abs 1 AußStrG dürfe auf verspätete Rekurse Bedacht genommen werden, wenn Dritte aus der angefochtenen Entscheidung noch keine Rechte erlangt haben. Aus der angefochtenen Entscheidung könne außer dem Kranken niemand Rechte erwerben. Dennoch sei der Rekurs zurückzuweisen:

Bei dem Kranken habe ein massives organisches Psychosyndrom mit Realitätsunangepaßtheit und Kritiklosigkeit sowie Krankheitsuneinsichtigkeit bestanden; er sei dadurch in seiner Gesundheit und seinem Leben ernstlich und erheblich gefährdet gewesen. Ausreichende Betreuungs- und Behandlungsalternativen habe das Erstgericht nicht erkannt. Daß die Lebensgefährtin im Zeitpunkt des Beginnes der Unterbringung nicht in der Lage war, den Kranken zu pflegen, ergebe sich daraus, daß sie den Kranken selbst in die Anstalt gebracht hatte, weil er immer hilflos herumgeirrt sei, sie ihn also offenbar nicht in der Wohnung halten habe können. Die Fluchttendenzen hätten offenbar unabhängig von der Anstaltsunterbringung bestanden und wären auch ohne Unterbringung nicht weggefallen. Es habe damit gerechnet werden müssen, daß Willibald S***** unter Verkennung der Realität und ohne Möglichkeit, die Folgen seines Handelns einzuschätzen, auf der Straße herumgeirrt wäre; er hätte sich dadurch im Straßenverkehr zweifellos einer erheblichen Selbstgefährdung ausgesetzt. Die ambulante Behandlung habe offenbar nicht ausgereicht, den akuten Zustand zu beheben; andernfalls hätte ihn die Lebensgefährtin nicht auch danach in die Anstalt zurückgebracht. Ihre Äußerung, sie könne den Kranken zu Hause pflegen, habe sich offenbar auf die Zeit nach der Behebung des akuten Zustandes bezogen. Die Selbstgefährdung und die mangelnde Realitätsanpassung ergebe sich auch daraus, daß der Patient versucht habe, sich am 7.10.1992 aus einem Zimmerfenster der Anstalt abzuseilen. Bei einem Sturz aus dem Fenster habe er sich das Fersenbein gebrochen. Die ernstliche und erhebliche Selbstgefährdung und die Unmöglichkeit, den Patienten daheim zu pflegen, ergäben sich somit aus dem Akt und der Krankengeschichte, auch wenn dies nicht mit dieser Deutlichkeit in das Gutachten des Sachverständigen Eingang gefunden habe. Bei dem hier gegeben gewesenen Krankheitsbild sei die Selbstgefährdung geradezu selbstverständlich; daher sei nur die Möglichkeit einer ambulanten oder häuslichen Betreuung zu erwägen gewesen. Daß diese Möglichkeit nicht war, ergebe sich aus dem Akt außerhalb des Gutachtens. Mangels Berechtigung könne daher auf den Rekurs gegen den Beschluß ON 10 nicht Bedacht genommen werden, so daß er als verspätet zurückgewiesen sei.

Der Rekurs gegen den Beschluß ON 14 sei nicht berechtigt. Der Kranke sei in der Zeit vom 14.9. bis 22.9.1991 nicht durch eine Anstaltsunterbringung in seiner Freiheit beschränkt gewesen. Seine Dispositionsfähigkeit sei zwar offenbar eingeschränkt gewesen, nicht aber seine Bewegungsfreiheit. Das ergebe sich schon daraus, daß er die Anstalt immerwieder habe verlassen können. Die Verlegung in ein Netzbett am 18.9.1992 sei keine freiheitsbeschränkende Maßnahme, sondern nur eine Sicherungsmaßnahme gewesen; der Kranke hätte dieses Bett verlassen können.

Am 21.9.1992 sei der Kranke ohne Zwangsmaßnahmen auf Initiative seiner Lebensgefährtin in die Anstalt zurückgekehrt. Auch die Rückkehr am 22.9.1992 sei nur zum Schutz des Kranken erfolgt. Seine Freiheit sei nach seiner Rückkehr am 22.9.1992 noch nicht beschränkt worden. Das ergebe sich schon daraus, daß er die Station auch am 23.9.1992 wieder verlassen habe. Erst an diesem Tag sei er auf ein Zimmer beschränkt worden. Ab diesem Zeitpunkt sei die Unterbringung auch überprüft worden. Für die Zeit davor liege keine Unterbringung vor. Wäre sie vorgelegen, dann hätte das Erstgericht die Rechtsmäßigkeit der Unterbringung trotz Fehlens einer Unterbringungsanzeige prüfen müssen.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Patientenanwältin wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Patientenanwältin beantragt,

1. den angefochtenen Beschluß hinsichtlich der Abweisung zu beheben und den Untergerichten die Sachentscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung für den Zeitraum vom 16.9. bis 23.9.1992 aufzutragen,

2. den angefochtenen Beschluß hinsichtlich der Zurückweisung zu beheben und den Untergerichten die Sachentscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung nach dem 23.9.1992 nach Verfahrensergänzung bzw Neudurchführung des Verfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluß ON 10 ist nicht zulässig, weil entgegen der Behauptung der Rechtsmittelwerberin die Rekursentscheidung, wie noch darzulegen ist, der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht widerspricht.

Der Revisionsrekurs gegen die Bestätigung des Beschlusses ON 14 ist zulässig. Zu der Frage, ob auch vor der Unterbringung liegende Zeiträume zu überprüfen sind, wenn das Vorliegen einer Unterbringung behauptet wird, besteht noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung.

1. Zur Überprüfung des Zeitraums 16.9. bis 23.9.1992:

Das Rekursgericht hat die Überprüfung dieses Zeitraums mit der Begründung abgelehnt, daß der Kranke keinen Beschränkungen seiner Bewegungsfreiheit unterworfen gewesen sei. Diese "Tatsachenfeststellung" bekämpft die Rekurswerberin als aktenwidrig. Dem Akt sei unzweifelhaft zu entnehmen, daß der Kranke im fraglichen Zeitraum wiederholt die Anstalt verlassen habe und ohne seinen Willen, einmal sogar mit polizeilichem Zwang, in die Anstalt zurückgebracht wurde. Die Entweichungsmeldung mit den Antrag auf Wiedereinbringung zeige, daß der Aufenthalt des Kranken in der Anstalt als unfreiwilliger Aufenthalt betrachtet wurde.

Ob die Maßnahmen der Anstalt Beschränkungen im Sinne des § 2 UbG sind, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung. Das Rekursgericht hat mit seinen von der Rechtsmittelwerberin bekämpften Ausführungen keine für die Entscheidung wesentliche Tatsache im Widerspruch zum Akteninhalt festgestellt, sondern es hat damit die von ihm richtig wiedergegebenen Tatsachen rechtlich beurteilt.

Zu prüfen ist, ob der Kranke schon vor dem 23.9.1992 Maßnahmen der Anstalt ausgesetzt war, die ihn in seiner Bewegungsfreiheit beschränkten, und ob einzelne Beschränkungen ausreichen, eine Unterbringung im Sinne des UbG anzunehmen.

Eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit setzt nicht unbedingt die Anwendung physischen Zwanges voraus. Ein Freiheitsentzug liegt schon dann vor, wenn der Betroffene aus dem Gesamtbild des Geschehens den Eindruck gewinnen muß, keine beliebigen Ortsveränderungen mehr durchführen zu können (Kopecki, UbG Rz 32; s. auch EvBl 1992/101). Willibald S***** wurde am 18.9.1992 in ein, wenn auch offenes, Netzbett gelegt; er wurde immer wieder auf die Station zurückgebracht, darunter zweimal von der Polizei, wobei einmal eine Entweichungsmeldung der Anstalt mit der Erklärung vorgelegen war, die Anstalt lege Wert auf die Wiedereinbringung des Kranken. Aus diesen Maßnahmen mußte der Kranke den Eindruck gewinnen, sich nicht mehr frei bewegen zu können. Das erfüllt aber den Tatbestand der Beschränkung, ohne daß es darauf ankäme, aus welchen Gründen diese Maßnahmen getroffen wurden. Auch Sicherungsmaßnahmen, Maßnahmen der Fürsorge etc. sind, wie § 33 Abs 1 UbG zeigt, Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, mögen sich auch dem Wohl des Kranken dienen. Nach der zitierten Bestimmung können Behandlungs- und Betreuungsfunkntion eine Maßnahme rechtfertigen; sie schließen aber nicht das Vorliegen einer Beschränkung aus.

§ 2 UbG stellt weder auf den räumlichen noch auf den zeitlichen Umfang der Beschränkung ab; eine Unterbringung liegt schon dann vor, sobald ein Patient auch nur einer einzigen Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit unterworfen wird (s. Kopecki aaO).

Das war bei Willibald S***** schon vor dem 23.9.1992 unabhängig davon der Fall, ob er das Netzbett, wie das Rekursgericht meint, hätte verlassen können. Das Erstgericht hätte daher auch den vor der Unterbringungsmeldung liegenden Zeitraum in seine Prüfung einbeziehen müssen. Daß dieser Zeitraum schon verstrichen war, hinderte die Prüfung nicht. Ebenso wie nach der Verlegung eines Patienten in den offenen Bereich ein rechtliches Interesse an der Feststellung besteht, ob die Unterbringung zu Recht erfolgte (RZ 1991/85 mwN), und ebenso wie Zwangsmaßnahmen auch noch nach der Beendigung der Beschränkung oder Behandlung der gerichtlichen Kontrolle unterliegen (NRsp 1992/280), muß auch nach der Einleitung eines Unterbringungsverfahrens ein rechtliches Interesse des Kranken an der Feststellung bejaht werden, ob die Unterbringung bereits zu einem früheren Zeitpunkt begonnen hatte und zulässig gewesen war. Nur unter dieser Voraussetzung kann das Unterbringungsverfahren seine Aufgabe erfüllen, die Persönlichkeitsrechte jener psychisch Kranken zu schützen, die in stationären psychiatrischen Einrichtungen Beschränkungen ihrer Persönlichkeitsrechte unterworfen werden (s. Erl Bem RV 464 Beil sten Prot 17. GP 14 f).

2. Zur Zulässigkeit der Unterbringung ab 23.9.1992:

Die Rechtsmittelwerberin ist der Auffassung, daß das Rekursgericht mit seiner Entscheidung von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen sei; dies trifft aber nicht zu:

Nach § 3 UbG darf eine Person nur dann in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden, wenn sie an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit ihr Leben oder ihre Gesundheit oder Leben oder Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet; weiters ist voausgesetzt, daß sie nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend behandelt oder betreut werden kann. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (464 BlgNR 17. GP 20) muß die Gefährdung eine "ernstliche" sein. Darunter ist eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verstehen. Die Schädigung hat direkt aus der Krankheit zu drohen. Die bloß vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdschädigung reicht nicht aus. Die mit dem Aufenthalt im geschlossenen Bereich verbundenen Beschränkungen dürfen im Verhältnis zu der mit der Krankheit verbundenen Gefahr nicht unangemessen sein. Nach dem Ausschußbericht (1202 der BlgNR 17. GP 5) umfaßt der Begriff "Gefährdung der Gesundheit" auch die Gefährdung die Sicherheit einer Person im Sinne der Beeinträchtigung ihrer körperlichen Unversehrtheit. Das Wort "ausreichend" drückt aus, daß die vom Kranken ausgehende Gefahr für sich oder andere nicht anders als durch eine Unterbringung abgewendet werden kann. Die Unterbringung auf Grund einer bloßen "Behandlungsdürftigkeit" ist ebensowenig zulässig wie eine Anhaltung als "Maßnahme der Fürsorge". Da nicht jede psychische Erkrankung regelmäßig zu einer Gefährdung des Kranken oder seiner Umwelt führt, kommt es auf den im Einzelfall gegebenen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der damit versuchten Gefahr an (7 Ob 610/91).

Nach der Auffassung des Rekursgerichtes habe damit gerechnet werden müssen, daß der Kranke unter Verkennung der Realität und ohne Möglichkeit, die Folgen seines Handelns einzuschätzen, auf der Straße herumgeiirt wäre, wobei er sich im Straßenverkehr einer erheblichen Selbstgefährdung ausgesetzt hätte; eine solche Selbstgefährdung ergebe sich auch daraus, daß der Kranke versucht hatte, sich aus dem Zimmerfenster der Anstalt abzuseilen, und dabei aus dem Fenster gestürzt war. Bei dem hier gegeben gewesenen Krankheitsbild sei eine Selbstgefährdung geradezu selbstverständlich.

Dem hält die Rechtsmittelwerberin entgegen, daß es für eine derartige Gefährdung im Straßenverkehr keine Anhaltspunkte gegeben habe. Die Gefährdung durch den Abseilversuch sei nicht durch die psychische Krankheit, sondern infolge eines Fluchtversuches eingetreten. Die Begründung, daß die Selbstgefährdung geradezu selbstverständlich sei, sei der eingestandene Verzicht auf jede Gefährdungsbegründung überhaupt.

Die Gefährdung von Gesundheit oder Leben kann nur bejaht werden, wenn der Schadenseintritt auf Grund objektiver und konkreter Anhaltspunkte wahrscheinlich ist (JUS extra 1992, 1142). Das trifft nicht nur dann zu, wenn sich die Gefährdung bereits realisiert hat, sondern auch dann, wenn nach der Lebenserfahrung zu schließen ist, daß krankheitsbedingte Verhaltensweisen zu schweren Gesundheitsschäden führen. Bei einem desorientiert Herumirrenden muß konkret mit Unfällen im Straßenverkehr gerechnet werden (s. 7 Ob 610/91). Das Rekursgericht hat daher insofern zu Recht eine erhebliche und ernstliche Gefährdung des Kranken angenommen; in diesem Sinn ist auch die Ausführung des Rekursgerichtes zu verstehen, daß bei einem durch Alkoholmißbrauch psychisch Erkrankten, der an Halluzinose leidet, die Selbstgefährdung geradezu selbstverständlich sei.

Der Rechtsmittelwerberin ist zuzustimmen, daß die Schädigung direkt aus der Krankheit drohen muß. Verletzt sich der Kranke bei einem Fluchtversuch, dann kann das aber dennoch ein Indiz für eine Gefährdung durch die psychische Krankheit sein. Wurde der Fluchtversuch von einem Kranken unternommen, der desorientiert ist und herumirrt, und ist die Art des Fluchtversuches nur durch die psychische Krankheit zu erklären, dann kann auch daraus auf eine Gefährdung im Sinne des § Z 1 UbG geschlossen werden. Ob dies für den Versuch zutrifft, sich aus dem Anstaltsfenster abzuseilen, hängt von den konkreten Umständen ab. Im vorliegenden Fall ist diese Frage nicht erheblich, weil die Gefährdung bereits auf Grund der dem Kranken im Straßenverkehr konkret drohenden Unfallgefahr bejaht werden muß.

Die Gefährdung im Sinne des § 3 Z 1 UbG ist nur dann ein Unterbringungsgrund, wenn keine ausreichenden ärztlichen Behandlungs- oder Betreuungsalternativen bestehen. Die Rechtsmittelwerberin verweist in diesem Zusammenhang auf die Aussage der Lebensgefährtin des Kranken, sie könne den Kranken zu Hause pflegen. Das Rekursgericht hat diese Aussage dahin eingeschränkt, daß es sie auf die Zeit nach Behebung des akuten Zustandes bezog. Dem hält die Rechtsmittelwerberin entgegen, daß das Rekursgericht damit eine eindeutige Zeugenaussage umgedeutet habe, ohne irgendwelche weiteren Erhebungen durchzuzführen. Was die Lebensgefährtin "offenbar" tatsächlich gemeint habe, wäre einer Beweisaufnahme zugänglich gewesen.

Eine Beweisaufnahme ist dann notwendig, wenn nicht auf Grund der Lebenserfahrung aus feststehenden Tatsachen eindeutige Schlüsse gezogen werden können. Dragica P***** hat zwar erklärt, sie könne den Kranken zu Hause pflegen; sie hat ihn aber am 21.9.1992, als er die Station verlassen hatte und nach Hause gekommen war, auf die Station zurückgebracht. Auch am 14.9.1992 hat sie den verwirrten und desorientierten Kranken auf die Station begleitet. Dieses Verhalten ist nur dann verständlich, wenn sie sich außerstande sah, Willibald S***** in seinem akuten Krankheitszustand zu Hause zu betreuen. Es macht das Verfahren daher nicht mangelhaft, wenn das Rekursgericht davon abgesehen hat, das Verfahren in diesem Punkt zu ergänzen, wozu es bei unzureichender Tatsachengrundlage verpflichtet gewesen wäre (s. 7 Ob 585/91).

Ist damit aber der verspätete Rekurs sachlich nicht gerechtfertigt, dann kommt seine Berücksichtigung nach § 11 Abs 2 AußStrG nicht in Frage (EvBl 1958/105; RZ 1966, 149; EFSlg 37.270).

Die Entscheidung des Rekursgerichtes steht mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang; der dagegen erhobene Revisionsrekurs war als unzulässig zurückzuweisen. Dem zulässigen Revisionsrekurs gegen die Bestätigung des Beschlusses ON 14 war hingegen Folge zu geben.

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