OGH 6Ob629/92

OGH6Ob629/9225.2.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.John Edward M*****, vertreten durch Dr.Rudolf Tobler sen. und andere Rechtsanwälte in Neusiedl am See, wider die beklagte Partei Dr.Wolfgang K*****, vertreten durch Dr.Martin Binder und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen S 139.074,60 samt Anhang und Feststellung (Streitwert S 30.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6. Oktober 1992, GZ 11 R 152/92-51, womit infolge Berufung der beklagten Partei das (Teil-) Zwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 28.Februar 1992, GZ 22 Cg 62/89-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt S 139.074,60 an Schmerzengeld, gezahltem Arzthonorar und Krankenhauskosten mit dem Vorbringen, der Beklagte habe ihm am 18.Februar 1986 in einer Operation Gallenblase und Blinddarm entfernt. Wegen mangelnder Beachtung von Hygienevorschriften sei es zu einer Wundinfektion gekommen. Der Beklagte habe das Ausmaß dieser Infektion nicht erkannt und falsch behandelt. Erst nach Konsultation eines Internisten und eines Chirurgen sei durch eine Operation die Wundinfektion behoben worden. Überdies habe der Beklagte den Kläger nicht darüber aufgeklärt, daß bei einer gleichzeitigen Gallenblasen- und Blinddarmentfernung ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe und der vorgenommene Eingriff unüblich und riskant sei. Weiters begehrt der Kläger die Feststellung der Haftung des Klägers für künftige aus der falschen Behandlung resultierende Schäden.

Der Beklagte wandte ein, die gesamte Behandlung des Klägers sei lege artis erfolgt. Dieser sei auch hinreichend über die Operationsrisken aufgeklärt worden.

Das Erstgericht fällte ein (Teil-) Zwischenurteil dahin, daß das Leistungsbegehren des Klägers dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es traf folgende Feststellungen:

Der Kläger konsultierte am 30.Jänner 1986 wegen eines bereits vier Jahre andauernden Gallenleidens den Beklagten. Er wünschte eine Behandlung als Klassepatient. Die private Zusatzkrankenversicherung des Klägers hätte die Kosten einer Gallenoperation nicht übernommen, weil das Gallenleiden bereits zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses bestanden hatte. Über Vorschlag des Beklagten kamen die Parteien überein, daß der Beklagte in einer Operation den allenfalls chronisch entzündeten Blinddarm des Klägers zugleich mit den Gallensteinen entfernen werde. Am 18.Februar 1986 entfernte der Beklagte in einer Operation im Herz-Jesu-Krankenhaus die chronisch entzündete Gallenblase und den ebenfalls chronisch entzündeten Blinddarm. Am sechsten postoperativen Tag hatte der Kläger höheres Fieber und aus der Operationswunde trat eine eitrige Flüssigkeit aus. Der Beklagte nahm eine Wundspülung mit einem Antiseptikum vor. Am 1.März 1986 wurde der Kläger aus der Spitalspflege entlassen. Da die Wunde sich noch nicht geschlossen hatte und eiterte, begab sich der Kläger bis zum 14.März 1986 siebenmal in ambulante Behandlung des Beklagten, der jeweils Wundspülungen vornahm und den Verband wechselte. Am äußeren Wundwinkel verblieb ein in die Körpertiefe auslaufendes Loch in einer Breite von etwa 2 bis 3 cm und einer Tiefe von etwa 10 bis 15 cm. Am 14. März 1986 klagte der Kläger, er fühle sich schlecht und verspüre eine halbseitige Gefühllosigkeit und Übelkeit sowie Schmerzen im Bereich der vom Wundloch eine handbreit entfernten Drainstelle. Der Beklagte injizierte in die Unterhaut der Schmerzstelle ein Lokalanästhetikum. Eine Fiebermessung erfolgte nicht. Da sich der Kläger an diesem Tag zu Hause weiterhin schlecht fühlte und durch Messung Fieber feststellte wandte er sich an einen Internisten, dem er mitteilte, Fieber, Schweißausbrüche, Schmerzen im Oberbauch und ein lebensbedrohendes Gefühl zu haben. Der Internist stellte beim Abdrücken des Oberbauches Verspannungen fest, so als hätte der Kläger in diesem Bereich eine flüssigkeitsbedingte Infiltration. Die Operationswunde war nicht geschlossen; es trat ein eitriges Sekret aus. Der Wundverband war mit eitriger Flüssigkeit durchtränkt. Der Internist nahm dem Kläger Blut ab, stellte eine deutlich erhöhte Senkung - ein deutlicher Hinweis für einen entzündlichen Prozeß im Körper des Klägers - fest und überwies ihn an einen im Goldenen Kreuz tätigen Chirurgen. Dieser diagnostizierte eine Wundinfektion, allenfalls einen Leberabszeß und stellte eine akute Operationsnotwendigkeit fest. In einem chirurgischen Eingriff am nächsten Tag entfernte er einen unterhalb der Leber liegenden Abszeß mit reichlich Eitersekret. Am 28.März 1986 wurde der Kläger in häusliche Pflege entlassen.

Die gleichzeitige Durchführung einer Gallenblasen- und Blinddarmentfernung ist in der medizinischen Wissenschaft nicht üblich. Die beiden Organe liegen nicht nebeneinander, weshalb eine solche Operation meist mit technischen Schwierigkeiten verbunden ist. Obwohl grundsätzlich bei jedem operativen Eingriff eine Wundinfektion nicht ausgeschlossen werden kann, ist ein solcher Doppeleingriff mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Die vom Beklagten aufgrund der aufgetretenen Wundinfektion vorgenommene Wundbehandlung erfolgte zunächst lege artis. Wenn die Wundheilungsstörung, wie im vorliegenden Fall, längere Zeit anhält und sich die Operationswunde nicht reaktionslos schließt, müssen dafür andere Ursachen, so auch eine in die Tiefe reichende subhepathische Fistel, angenommen werden. Die beim Kläger am 14.März 1986 vorgelegene 15 cm große Infiltration bedeutet die Indikation für einen operativen Eingriff, wie er vom zweiten am 14.März 1986 beigezogenen Chirurgen auch am nächsten Tag vorgenommen wurde. Die Nichtdurchführung eines operativen Eingriffes durch den Beklagten ist ein ärztlicher Fehler.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, der Beklagte habe den vorgenommenen zweifachen Eingriff nicht als solchen mit erhöhtem Risiko eingestuft und daher eine entsprechende Aufklärung des Klägers unterlassen. Bei unterbliebener Aufklärung hafte der Arzt auch für die Folgen eines kunstgerechten Eingriffes. Ungeachtet des erhöhten Risikos sei die Operation ohne Komplikationen verlaufen; diese seien erst im Zuge der postoperativen Behandlung aufgetreten. Dabei sei dem Beklagten zweifellos ein Behandlungsfehler unterlaufen, weil er die sich herausbildende untypische Fistel nicht erkannt und den Kläger auf herkömmliche Weise weiterbehandelt habe, anstatt sich für einen notwendigen weiteren operativen Eingriff zu entscheiden. Diese Fehlbehandlung sei als ärztlicher Kunstfehler einzustufen und dem Beklagten als Verschulden anzulasten. Das Klagebegehren sei daher dem Grunde nach berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge. Es führte aus, an der Feststellung, daß die gleichzeitige Vornahme einer Gallenblasenoperation und Blinddarmentfernung mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden sei, ändere auch der Umstand nichts, daß der Sachverständige die Ursache der Wundinfektion nicht habe feststellen können und eine solche Infektion auch bei Vornahme der Operation nur eines Organes hätte eintreten können. Der Beklagte habe nicht einmal selbst behauptet, den Kläger über ein solches erhöhtes Infektionsrisiko ausgeklärt zu haben. Diese Feststellungen seien daher ebenso zu übernehmen, wie jene über die unrichtige Infektionsbehandlung am 14.März 1986. Dieser letzteren Frage komme aber keine entscheidungswesentliche Relevanz zu, weil der Beklagte schon wegen Verletzung seiner Aufklärungspflicht über das erhöhte Risiko einer Wundinfektion bei der von ihm vorgeschlagenen gleichzeitigen Operation von zwei Organen hafte.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage des Umfanges der ärztlichen Aufklärungspflicht keine einheitliche Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist nicht aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund, aber deshalb zulässig, weil dieses bei seiner rechtlichen Beurteilung im Zusammenhang mit der ärztlichen Aufklärungspflicht die Frage der Kausalität außer Acht gelassen hat und hiezu, vom Beklagten bereits in der Berufung gerügt, aus den Verfahrensergebnissen ohne weiteres mögliche entscheidungswesentliche Feststellungen fehlen.

Es trifft zu, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes der Arzt bei Abschluß eines Behandlungsvertrages verpflichtet ist, den Patienten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles über die möglichen Risken einer vorzunehmenden Operation oder einer beabsichtigten Heilbehandlung sorgfältig aufzuklären, um diesem die Möglichkeit zu geben, das Für und Wider einer beabsichtigten Heilbehandlung abzuwägen und eine freie Entscheidung treffen zu können. Verletzt der Arzt seine Aufklärungspflicht, so hat er für die nachteiligen Folgen auch einer nach den anerkannten Regeln der Heilkunde vorgenommenen Behandlung einzustehen, weil die erteilte Einwilligung des Patienten in diesem Fall als unwirksam anzusehen ist. Voraussetzung der Haftung des Arztes ist es aber, daß der Patient bei pflichtgemäßer Aufklärung sich der Operation oder Heilbehandlung nicht unterzogen hätte. Dem in Anspruch genommenen Arzt steht der Beweis des mangelnden Kausalzusammenhanges offen, wobei Zweifel zu seinen Lasten gehen. Vorliegend ist nicht strittig, daß die Gallenblasenoperation notwendig und vom Kläger gewollt war; nur hinsichtlich der gleichzeitigen Entfernung auch des Blinddarmes wurde in Wahrheit eine Verletzung der Aufklärungspflicht behauptet und festgestellt. Nach den hier vorliegenden Verfahrensergebnissen reicht die bloße Feststellung, daß die gleichzeitige operative Entfernung einer Gallenblase und eines Blinddarmes (abstrakt) mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden ist, ohne weitere Feststellung, daß die beim Kläger aufgetretene Wundinfektion - zumindest im Zweifel - eine Ursache oder Mitursache in dem unüblichen Doppeleingriff haben kann und inwieweit eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers seinen Entschluß zur Operation beeinflußt hätte, nicht aus. Die Aussage des Berufungsgerichtes, "daß der Sachverständige die Ursache der Wundinfektion nicht feststellen konnte und diese auch lediglich bei Vornahme der Operation nur eines Organes hätten auftreten können", ist in dieser Form aktenwidrig: Der Sachverständige hat ausgeführt, daß ein Doppeleingriff wie der vorliegende deshalb nicht durchgeführt werden sollte, weil durch die Entfernung des Wurmfortsatzes der Darm eröffnet wird und daher eine Infektion mit Keimen des Dickdarmes erfolgen könnte und diese Infektionen nach Blinddarmoperationen ungleich häufiger seien als nach Gallenoperationen, im vorliegenden Fall die Infektion aber durch bakteriologisch nachgewiesene normale Infektionserreger, Keime, die praktisch überall vorkommen, entstanden sei (Ergänzungsgutachten ON 38). Der Sachverständige schloß damit eindeutig aus, daß im vorliegenden Fall durch die Mitentfernung des Blinddarms konkret ein erhöhtes Infektionsrisiko geschaffen worden (mündliche Gutachtenserörterung ON 23) und der Doppeleingriff die auslösende Ursache für die Wundinfektion gewesen sei (Ergänzungsgutachten ON 38). Gegenteilige Beweisergebnisse liegen nicht vor. Der Beklagte hat daher bereits in seiner Berufung zutreffend gerügt, daß bei diesen Verfahrensergebnissen Feststellungen über die Kausalität einer allfälligen Verletzung der Aufklärungspflicht über ein erhöhtes Wundinfektionsrisiko vor dem Doppeleingriff und der dann tatsächlich aufgetretenen Wundinfektion fehlen. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren daher herausstellen, daß es an der Kausalität mangelt, käme eine Haftung des Beklagten wegen Verletzung der Aufklärungspflicht nicht in Betracht. Ein Ersatzanspruch könnte dann nur aus der allenfalls nicht rechtzeitigen Einleitung der zweiten Operation zur Beseitigung der Wundinfektion abgeleitet werden; er müßte in diesem Fall auf jene Schäden beschränkt bleiben, die dem Kläger aus einer Verzögerung dieses notwendigen Eingriffes entstanden sind. Das Berufungsgericht hat wegen seiner unrichtigen Rechtsansicht zu diesem in der Berufung ebenfalls gerügten Fragenkomplex nicht abschließend Stellung genommen, weil es der Frage, ob die Behandlung des Beklagten am 14. März 1986 der ärztlichen Kunst entsprochen habe, keine Entscheidungswesentlichkeit beigemessen hat. Da es jedoch auch hier einer Ergänzung der Feststellungen bedarf - es muß jedenfalls festgestellt werden, wann der Beklagte sich zum Abbruch der zunächst kunstgerechten konservativen Wundbehandlung und zu der am 15.(!)März 1986 tatsächlich durchgeführten Nachoperation nach den Regeln der ärztlichen Kunst hätte entschließen können und müssen - , waren die Vorentscheidungen zur Gänze aufzuheben.

Der Revision des Beklagten war daher im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages stattzugeben.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

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