OGH 10ObS13/93

OGH10ObS13/9318.2.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Prohaska (Arbeitgeber) und Gerhard Taucher (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H***** R*****, vertreten durch Dr.Otto Schuster, Referent der Kammer für Arbeiter und Angestellte, Buchmüllerplatz 2, 8701 Leoben, dieser vertreten durch Dr.Robert Obermann, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (Landesstelle Graz), Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1.Oktober 1992, GZ 8 Rs 88/92-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 26.Februar 1992, GZ 21 Cgs 262/90-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 30.März 1951 geborene Kläger leidet an Zuckerkrankheit, grenzwertigem Bluthochdruck, Zustand nach Kinderlähmung im Kindesalter, Periathritis des linken Schultergelenkes ohne Bewegungseinschränkung, Lumbalgien mit Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule, Abmagerung und Verkürzung des rechten Beines um 4 cm mit Spitzfußstellung, operativer Versteifung des unteren Sprunggelenkes, mäßiger Streckbehinderung des rechten Kniegelenkes mit Gangbehinderung und Verminderung der Belastungsfähigkeit des rechten Beines, pseudoradikulärer Schmerzsymptomatik im rechten Oberarm sowie an beiden Beinen und diabetischer Neuropathie. Die Zuckerkrankheit des Klägers wird mit Tabletten behandelt. Trotz der Behandlung sind die Blutzuckerwerte seit Juli 1991 im pathologischen Bereich. Es ist daher eine Insulintherapie erforderlich, die für die langfristige Gesundheitsprognose des Klägers von Bedeutung ist. Dem Kläger wurde bisher von seinem behandelnden Arzt keine Insulintherapie verordnet. Der Kläger würde Insulininjektionen nehmen, wenn ihm diese vom Arzt verordnet würden.

Der Kläger kann leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen verrichten, wobei Tätigkeiten, bei denen eine Feinmotorik erforderlich ist, ausscheiden. Arbeiten in stehender und gebückter Körperhaltung sind nicht möglich. Ein forciertes Arbeitstempo ist bis zu 50 % eines Arbeitstages zumutbar. Der Kläger ist verweisbar, es ist ihm auch ein Ortswechsel und Pendeln zumutbar. Lediglich das Aneignen völlig neuer spezifischer Kenntnisse kann ihm nicht zugemutet werden. Wenn eine Insulintherapie vorgenommen wird, ist dem Kläger die Verrichtung von Nachtdienst und von Tätigkeiten in exponierten Lagen nicht möglich. Es muß auch gewährleistet sein, daß der Kläger bei der Arbeit nicht alleine ist, sondern immer ein Arbeitskollege in der Nähe ist oder reger Kundenverkehr herrscht. Es besteht nämlich bei einer Insulintherapie die Gefahr von Unterzucker, wodurch Bewußtlosigkeitsanfälle mit Lebensgefahr auftreten können. Im Falle einer Insulintherapie wäre forciertes Arbeitstempo nicht mehr zumutbar und es müßte ausreichend Zeit gegeben sein, um fünf Mahlzeiten über den Tag verteilt von morgens bis sehr spät abends einnehmen zu können; wegen des Erfordernisses der Verabreichung von Insulininjektionen muß auch ein sauberer Waschraum oder ein sauberer Arbeitsplatz vorhanden sein.

Der Kläger hat von 1965 bis 1969 eine Schneiderlehre absolviert und ist seit 1.August 1978 als Webstuhlputzer beschäftigt. Es handelt sich dabei um eine Tätigkeit, die im Stehen und Gehen verrichtet wird, die mit einer leichten bis mittelschweren körperlichen Beanspruchung verbunden ist. Die Tätigkeiten sind in gebückter Körperhaltung zu verrichten, Tätigkeiten im Sitzen kommen nicht vor. Aufseher in Ausstellungen und Museen wie auch Wächter im Standpostendienst können ihre Arbeitszeit im Sitzen verbringen, wobei es nur zu einer leichten körperlichen Beanspruchung kommt. Tätigkeiten, bei denen Feinmotorik erforderlich ist, wie auch Akkordarbeiten kommen nicht vor; Tätigkeiten im Stehen und in gebückter Körperhaltung können vermieden werden. Arbeitsplätze in diesen Berufen stehen am Arbeitsmarkt zur Verfügung. Es ist jedoch nicht gewährleistet, daß bei Verrichtung dieser Tätigkeiten sich ständig andere Personen in der Umgebung aufhalten; es besteht die Möglichkeit, daß ein auftretender Bewußtlosigkeitsanfall nicht bemerkt wird.

Mit Bescheid vom 21.September 1990 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung der Invaliditätspension mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 255 ASVG ab.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger die vorliegende Klage, mit der er vorerst begehrte, die beklagte Partei zu verpflichten, ihm die Invaliditätspension ab 1.Juli 1990 zu gewähren. Wegen der bestehenden Leidenszustände sei er nicht in der Lage, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Unmittelbar vor Schluß der Verhandlung erster Instanz modifizierte der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt noch in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis stand, seine Klage dahin, daß er die Feststellung der Invalidität und die Gewährung der Invaliditätspension ab dem gesetzlichen Stichtag begehre.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger sei imstande, alle leichten und mittelschweren Arbeiten im Sitzen zu verrichten. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens seien daher nicht erfüllt.

Das Erstgericht stellte fest, daß der Kläger invalid sei; eine Entscheidung über den restlichen Teil des Begehrens unterblieb. Der Kläger, dessen Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sei, wäre bei Fortführung der bisherigen und für eine längerfristige Prognose ungünstigen Therapie in der Lage, die Verweisungstätigkeiten eines Wächters im Standpostendienst oder eines Aufsehers bei einer Ausstellung oder in einem Museum zu verrichten. Es könne von ihm allerdings nicht verlangt werden, daß er die bisherige unzureichende Medikation im Zusammenhang mit dem bestehenden Diabetes beibehalte, um die Verweisungstätigkeiten fortsetzen zu können. Auszugehen sei vielmehr von der Situation bei Durchführung der erforderlichen Insulintherapie. Da in diesem Fall Unterzucker und damit verbundene lebensgefährliche Bewußtlosigkeitsanfälle auftreten könnten, sei dem Kläger nur mehr eine Tätigkeit zumutbar, bei der stets Arbeitskollegen oder Kunden in der Nähe seien. Solche Tätigkeiten stünden nicht zur Verfügung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Begehren auf Feststellung, daß der Kläger invalid sei, ab. Die Erhebung des Feststellungsbegehrens sei im Sinne der Bestimmung des § 255 a ASVG iVm § 65 Abs 2 ASGG zulässig, weil die beklagte Partei das Vorliegen der Invalidität bestritten habe und das Gesetz gerade für diesen Fall, ungeachtet des Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen des Anspruches auf Versicherungsleistung, wie Erfüllung der Wartezeit oder Fehlen eines Pflichtversicherungsverhältnisses die Möglichkeit der Feststellungsklage einräume. Zu Unrecht wende sich die beklagte Partei dagegen, daß das Erstgericht den Zeitpunkt des Eintrittes der Invalidität nicht festgestellt habe. Die Feststellung beziehe sich auf den Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung. Nur an einer solchen Feststellung bestehe ein Interesse des Klägers. Für ein Begehren auf Feststellung des Eintrittes der Invalidität zu einem vor Schluß der Verhandlung gelegenen Zeitpunkt hätte es einer besonderen Begründung für das Bestehen eines entsprechenden Interesses des Klägers bedurft. Der Kläger habe ein solches Begehren auch gar nicht erhoben. Inhaltlich habe das Erstgericht jedoch das Vorliegen der Invalidität unrichtig beurteilt. Sei ein rechtserheblicher Tatsachenzustand, wie die Invalidität eines Pflichtversicherten festzustellen, so sei diese Entscheidung auf der Grundlage der Tatsachensituation im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz zu treffen. Künftig allenfalls eintretende Ereignisse könnten bei einer solchen Feststellung nicht vorweggenommen werden; auf künftige Entwicklungen sei nicht Bedacht zu nehmen. Das Erstgericht, das der aus gesundheitlichen Gründen notwendigen Insulintherapie Bedeutung beigemessen habe, übersehe, daß der Kläger zur Inanspruchnahme seiner derzeitigen, medizinisch offenbar nicht ausreichenden Behandlung nicht gezwungen werden, sondern diese aus freien Stücken gewählt habe. Würde man die vom Erstgericht herangezogene Fiktion der Vornahme einer gesundheitsdienlichen Behandlung ab Juli 1991 akzeptieren, so führte dies zum Ergebnis, daß der derzeit effektiv arbeitsfähige Kläger fiktiv als invalid anzusehen wäre, obwohl er gar nicht beabsichtige, sich einer zweckmäßigeren Behandlung zu unterziehen. Auch der Hinweis auf die Judikatur zu den Duldungs- und Mitwirkungspflichten überzeuge nicht. Der Umstand, daß ein Versicherter nach der Rechtsprechung zur Inanspruchnahme einer zweckmäßigen, weil seine Arbeitsfähigkeit erhaltenden oder wiederherstellenden Behandlung verpflichtet sei, berühre nicht die Feststellung der Invalidität, sondern die Pflicht zur Erbringung einer Versicherungsleistung. Auch der Versicherte, der eine zumutbare, die Arbeitsfähigkeit erhaltende Behandlung nicht vornehmen lasse, und deshalb invalid im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG sei, könne die Feststellung der Invalidität begehren. Er werde nur keine Leistung erhalten, weil er seine der Versichertengemeinschaft gegenüber bestehende Pflicht zur Beseitigung der Invalidität verletzt habe. Da der Kläger aufgrund der tatsächlichen Situation im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in der Lage gewesen sei, die Verweisungstätigkeiten eines Wächters im Standpostendienst oder eines Museumsaufsehers zu verrichten, habe zu diesem Zeitpunkt Invalidität nicht bestanden, so daß die Voraussetzungen für die begehrte Feststellung schon aus diesem Grund nicht gegeben seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

§ 254 Abs 1 ASVG wurde durch das SozRÄG 1991, BGBl 1991/157, geändert. Während vor Inkrafttreten dieser Novelle das aufrechte Bestehen einer Pflichtversicherung auf den Anspruch auf Invaliditätspension ohne Einfluß war, ist seither als zusätzliche Voraussetzung für den Anspruch auf diese Leistung statuiert, daß der Versicherte am Stichtag weder nach dem ASVG noch in der Pensionsversicherung nach dem GSVG noch in der Pensionsversicherung nach dem BSVG pflichtversichert ist und er auch keinen Anspruch auf einen der im § 23 Abs 2 Bezügegesetz bezeichneten Bezüge hat. Die Gesetzesmaterialien (AB 85 BlgNR 18. GP, 3) führen dazu aus, daß durch die Neuregelung im Zusammenhang mit dem Entfall der Ruhensbestimmungen ausschließlich verhindert werden solle, daß bei Invalidität (Berufs-, Erwerbsunfähigkeit) neben dem vollen Entgelt aus derselben Erwerbstätigkeit, für die der Versicherte invalid (beruf-, erwerbsunfähig) erklärt werde, zugleich Pension bezogen werde. Im Zusammenhang damit wurde die Bestimmung des § 255 a neu in das Gesetz aufgenommen. Nach dieser Norm ist der Versicherte, insoweit in einem Verfahren auf Zuerkennung einer Invaliditätspension nicht entschieden worden ist, weil er am Stichtag nach einem der genannten Sozialversicherungsgesetze pflichtversichert ist, oder Anspruch auf einen der im § 23 Abs 2 Bezügegesetz bezeichneten Bezüge hat, berechtigt, einen Antrag auf Feststellung der Invalidität zu stellen, über den der Versicherungsträger in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden hat. Durch diese Regelung wurde die Möglichkeit eröffnet, die Invalidität verbindlich auch dann feststellen zu lassen, wenn der Antrag auf eine entsprechende Pensionsleistung wegen aufrechten Bestehens einer Pflichtversicherung am Stichtag abgelehnt werden muß (Peterka-Pettliczek-Koller, SozSi 1991, 232 ff [234]). Auch der Katalog der Leistungssachen in § 354 ASVG wurde entsprechend erweitert. Vergleichbare Bestimmungen waren bereits zuvor in § 133 a GSVG und § 124 a BSVG vorgesehen. Ein nach dem GSVG bzw dem BSVG Versicherter konnte aufgrund dieser Bestimmungen außerhalb eines Leistungsfeststellungsverfahrens einen Antrag auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit stellen. Der Oberste Gerichtshof hat dazu bereits ausgesprochen, daß eine auf Gewährung oder Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension gerichtete Klage auf das Begehren auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit eingeschränkt werden kann. Eine solche Prozeßerklärung sei nämlich nach § 235 Abs 4 ZPO als Klagseinschränkung von einem Leistungsbegehren in ein Begehren auf Feststellung eines für die vorher begehrte Leistung präjudiziellen, durch das Gesetz ausdrücklich als feststellungsfähig bezeichneten Umstandes zulässig (SSV-NF 3/50); dieses Feststellungsbegehren sei als minus im ursprünglichen Leistungsbegehren enthalten gewesen (SSV-NF 5/26 mwN). Diese Grundsätze müssen auch für den Fall des § 255 a ASVG gelten. Der Umstand, daß die beklagte Partei mit dem angefochtenen Bescheid über einen Leistungsantrag des Klägers absprach und der Kläger gegen diesen Bescheid vorerst eine Leistungsklage erhob, steht der späteren Geltendmachung des Feststellungsbegehrens nicht entgegen. Da das Erstgericht über das vom Kläger darüber hinaus erhobene Begehren nicht entschieden hat und dies im Berufungsverfahren ungerügt blieb, ist davon auszugehen, daß dieser Teil des Begehrens aus dem Verfahren ausgeschieden ist (SSV-NF 5/93 mwN). Dieses Begehren ist daher nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens, so daß sich Ausführungen hiezu erübrigen.

Aus welchen Gründen die Diktion des § 255 a ASVG von der der zuvor zitierten Bestimmungen der §§ 133 a GSVG bzw 124 a BSVG doch bedeutend abweicht, ist unerklärlich. Die Gesetzesmaterialien geben darüber keinen Aufschluß; sie enthalten zu der neu geschaffenen Bestimmung des § 255 a ASVG überhaupt keine Aussage. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß die im ASVG getroffene Regelung offenbar denselben Zweck verfolgt, wie die entsprechenden Bestimmungen in diesen anderen Sozialversicherungsgesetzen. Durch diese sollte erreicht werden, daß ein Pensionswerber, ehe er die schwerwiegende Entscheidung der Betriebsaufgabe trifft, mit ausreichender Sicherheit weiß, daß er die Anspruchsvoraussetzung der Erwerbsunfähigkeit erfüllt (SSV-NF 5/26 mwN). Da zufolge der Änderung des § 254 Abs 1 ASVG durch das SozRÄG 1991 die Aufgabe der versicherungspflichtigen Beschäftigung als weitere Anspruchsvoraussetzung für die Invaliditätspension normiert wurde, müßte der Versicherte, der die Gewährung einer solchen Pensionsleistung anstrebt, im Falle einer Antragstellung vor dem Stichtag das versicherungspflichtige Dienstverhältnis lösen, weil anderenfalls sein Antrag auf die Leistung schon aus diesem Grund abgewiesen werden müßte. § 255 a ASVG schafft nun die Möglichkeit, daß durch eine entsprechende Antragstellung vor Auflösung des Dienstverhältnisses eine Klärung der Frage der Anspruchsvoraussetzung der Invalidität herbeigeführt wird. Damit wird das Ergebnis vermieden, daß der Versicherte im Falle der Abweisung seines Antrages weder eine Pensionsleistung noch Bezüge aus dem Dienstverhältnis erhält, weil er im Falle eines Leistungsantrages gezwungen wäre, dieses aufzulösen. Diesem vom Gesetz mit der Regelung verfolgten Zweck wird aber nur entsprochen, wenn die Frage der Invalidität in diesem Verfahren abschließend geklärt wird. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß dabei nur punktuell auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz abzustellen und dabei etwa die Frage einer Duldungs- oder Mitwirkungspflicht, außer Betracht zu lassen sei, ist verfehlt. Ist der Versicherte wohl im Hinblick auf seinen derzeitigen Zustand nicht in der Lage, eine zumutbare Verweisungstätigkeit zu verrichten, wäre er aber nach einer entsprechenden ärztlichen Behandlung hiezu imstande, ist er nicht invalid im Sinne des Gesetzes. Diese Frage ist daher bereits im Verfahren über den Feststellungsanspruch zu prüfen. Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht hätte zur Folge, daß wohl für den Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung im Feststellungsprozeß die Invalidität festgestellt würde, dem Versicherten schließlich aber die Leistung dann mit der Begründung verweigert werden könnte, daß die besondere Anspruchsvoraussetzung der Invalidität nicht erfüllt sei. Dies wäre ein Ergebnis, das dem Zweck des Gesetzes zuwider liefe.

In gleicher Weise ist aber im vorliegenden Fall zu prüfen, ob der Kläger derzeit nur deshalb verweisbar ist, weil er eine bei seinem Leidenszustand notwendige Behandlung unterläßt und er damit seine derzeitige Tätigkeit nur auf Kosten seiner Gesundheit ausübt. Vorerst ist darauf hinzuwisen, daß die angefochtene Entscheidung von dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, soweit das Berufungsgericht davon ausgeht, daß der Kläger gar nicht beabsichtige, sich der nach den Feststellungen erforderlichen Insulintherapie zu unterziehen. Hiefür bieten die Feststellungen keinen Anhaltspunkt. Der Kläger hat vielmehr in seiner Aussage erklärt, daß ihm eine derartige Therapie bisher nicht verordnet worden sei, daß er sich ihr aber im Falle der ärztlichen Verordnung unterziehen werde. Fest steht, daß die Insulintherapie für den Kläger insbesondere im Hinblick auf die Langzeitprognose erforderlich und zur Hintanhaltung einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes in der Zukunft notwendig ist. Daß der Kläger derzeit nicht unter Insulintherapie steht, ist ebenso unbeachtlich wie der Umstand, daß er in diesem Zustand in der Lage ist eine Verweisungstätigkeit auszuüben. Ebenso wie ein Versicherter nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden kann, die er nur auf Kosten seiner Gesundheit ausführen kann (dazu Brackmann, Handbuch IV, 28. Nachtrag 668 d IV, 682 g), scheiden bei Beurteilung der Möglichkeit, Verweisungstätigkeiten zu verrichten, solche aus, die der Versicherte nur deshalb verrichten kann, weil er sich einer medizinisch notwendigen Behandlung nicht unterzieht. Hindert ihn eine objektiv notwendige Dauertherapie an der Ausübung bestimmter Arbeiten, dann ist er objektiv gesehen nicht in der Lage, diese Tätigkeiten zu verrichten, selbst wenn diese erforderliche Therapie vorerst nicht zur Anwendung kommt. Für die Prüfung der Verweisbarkeit ist das unter Berücksichtigung einer zumutbaren, im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Versicherten notwendigen medizinischen Therapie sich ergebende Leistungskalkül zugrunde zu legen.

Auszugehen ist daher hier von dem Leistungskalkül, das beim Kläger im Falle einer Insulintherapie besteht. Diesbezüglich ist der Entscheidung des Erstgerichtes beizutreten. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Das Erstgericht hat nur die Verweisungsberufe eines Wächters im Standpostendienst, sowie eines Aufsehers in Ausstellungen und Museen geprüft und ist zum Ergebnis gelangt, daß der Kläger diese Tätigkeiten, ausgehend von einer Insulintherapie, nicht mehr ausüben könne. Soweit es im Rahmen der rechtlichen Beurteilung davon ausging, daß der Kläger auch andere Berufe nicht mehr ausüben könne, fehlt hiefür eine Feststellungsgrundlage. Ein solches Ergebnis ist auch keineswegs überzeugend. Nach den Feststellungen kann der Kläger leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen verrichten, soweit hiefür keine Feinmotorik erforderlich ist; auch forciertes Arbeitstempo ist zu 50 % eines Arbeitstages zumutbar, er ist verweisbar und auch Pendelverkehr ist zumutbar. Er kann nicht in exponierten Lagen tätig sein und keinen Nachtdienst verrichten. Bedacht zu nehmen ist darauf, daß der Kläger bei der Arbeit nicht alleine ist. Ausgehend von diesem Leistungskalkül liegt es keineswegs auf der Hand, daß, abgesehen von der letztgenannten Einschränkung für den Kläger nur die vom Erstgericht herangezogenen Berufe in Frage kommen. Es wird daher zu prüfen sein, welche anderen, im Sitzen zu verrichtenden, den weiteren Einschränkungen Rechnung tragenden Verweisungsberufe auf dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehen. Soweit der Kläger allerdings die Ansicht vertritt, daß er auch ohne Berücksichtigung des Diabetes nicht in der Lage sei, zumutbare Verweisungstätigkeiten zu verrichten und dabei Einschränkungen zugrunde legt, die über den von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt hinausgehen, läßt er die für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen außer acht. In diesem Umfang ist das Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Die Einschränkung, daß der Kläger nur einer Arbeit nachgehen könne, wenn immer eine andere Person in seiner Nähe sei, wurde im übrigen damit begründet, daß bei Durchführung der Insulintherapie die Gefahr eines Unterzuckers und im Zusammenhang damit lebensbedrohende Bewußtlosigkeit auftreten könne. In diesem Zusammenhang wird zu klären sein, ob die Gefahr eines Unterzuckers nicht durch ein entsprechendes Verhalten des Klägers insbesondere durch Einhaltung strenger Diät hintangehalten werden könnte. Den Entscheidungen SSV-NF 4/10 und 4/15 lagen etwa jeweils Fälle zugrunde, in denen der Versicherte mehrmals täglich eine Blutzuckerbestimmung zur Überprüfung der Werte und Einrichtung seines Verhaltens auf diese (Nahrungsaufnahme, Insulingabe) vornahm. Sollte im Fall des Klägers eine Kontrolle in dieser Form möglich und die Unterzuckergefahr damit beherrschbar sein, so wäre der Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht gehalten, sich dementsprechend zu verhalten. Auf die sich ansonst aus der Gefahr eines Unterzuckers ergebenden Einschränkungen wäre diesfalls nicht Bedacht zu nehmen.

Zu begründen wäre auch, aus welchen Gründen der Kläger bei Anwendung der Insulintherapie nur gleichsam unter ständiger Aufsicht tätig sein könnte. Dies könnte nur in den speziellen Verhältnissen des Klägers begründet sein. Daß nämlich im allgemeinen ein unter Insulintherapie stehender Diabetiker ständiger Beobachtung durch eine andere Person bedürfte, widerspräche nicht nur den Erfahrungen des erkennenden Senates in anderen Fällen, sondern auch der Lebenserfahrung, sind doch Diabetiker, die diese Therapie anwenden, allgemein in den verschiedensten Berufen tätig.

Da sohin für die Entscheidung wesentliche Feststellungen fehlen, erweist sich das Verfahren als mangelhaft.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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