Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 15.November 1990 lehnte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern die Gewährung einer Leistung aus der Unfallversicherung für die Folgen des Ereignisses vom 17. Jänner 1989 gemäß §§ 175 ff ASVG ab, weil die festgestellten Gesundheitsschäden aus anlagebedingten Leiden resultierten, für die das angezeigte Ereignis eine Gelegenheitsursache darstelle.
Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren ab.
Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Der Kläger führte am 17.Jänner 1989 eine Kuh an einem Strick als Zaum aus dem Stall. Die Kuh ging einige Meter mit, dann stockte sie. Der Kläger zog am Strick. Plötzlich versuchte die Kuh mit vollem Schwung an ihm vorbeizulaufen. Der Kläger riß sie und hielt sie mit dem Strick zurück, in erster Linie mit der rechten und zweiter Linie mit der linken Hand. Es gelang ihm, die Kuh festzuhalten. Sogleich verspürte er ein Brennen im rechten Oberarm. Im Krankenhaus wurde der Abriß des langen Kopfes der Bicepssehne des rechten Armes festgestellt. Diese war am 17.Jänner 1989 bereits mittelschwer bis höhergradig degeneriert bzw degenerativ vorgeschädigt. Auch in den Schultergelenken, den Schultergelenkspfannen, und zwar rechts mehr als links, waren deutliche degenerative arthrotische Veränderungen vorhanden. Eine mittelschwer bis schwer degenerativ vorgeschädigte Sehne kann schon beim Heben und Tragen einer Last zwischen 10 und 20 kg reißen. Das heißt, daß die Einwirkung eines Gewichtes von 10 bis 20 kg auf eine Sehne im vergleichbaren Zustand zu jener des Klägers geeignet war, sie zum Reißen zu bringen.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, daß das Anreißen und Davonlaufen der Kuh, die vom Kläger am Strick gehalten wurde, am Eintritt des dabei aufgetretenen Sehnenrisses nur unwesentlich, zufällig mitgewirkt habe, weil der Sehnenriß wegen der Vorschädigung der Sehne zu gleicher Zeit auch bei einer sonstigen unbedeutenden Verrichtung, etwa beim Heben und Tragen eines Gewichtes von 10 bis 20 kg mit gleicher Wahrscheinlichkeit eintreten hätte können. Das Ereignis sei somit nur Gelegenheitsursache gewesen.
In der mündlichen Berufungsverhandlung schränkte der Kläger das Klagebegehren auf die Leistung eines Selbstbehaltes aus der notwendigen Unfallheilbehandlung sowie der Leistung einer 20 %igen Versehrtenrente ab 17.März 1989 ein.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge, bestätigte die Abweisung des Begehrens auf Gewährung einer 20 %igen Versehrtenrente, wies das Begehren, die Unfallheilbehandlung betreffend, rechtskräftig zurück und änderte das Urteil dahingehend ab, daß es im Sinne des im Leistungsbegehren inkludierten Feststellungsbegehrens feststellte, daß der Riß der langen Bicepssehne des rechten Schultergelenks vom 17.Jänner 1989 Folge eines Arbeitsunfalles sei.
Der Kläger habe nur beweisen müssen, daß die Körperschädigung eine typische Folge eines als Unfall verstandenen Ereignisses sei, das im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Verrichtung begründenden Beschäftigung stand und daher ein Arbeitsunfall war. Er habe aber nicht nachweisen müssen, daß der Arbeitsunfall gegenüber den anderen Ursachen nicht erheblich in den Hintergrund trat. Der Anscheinsbeweis genüge nur dann nicht, wenn es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß eine andere Ursache die Körperschädigung im selben Ausmaß etwa zur selben Zeit herbeigeführt hätte. Es komme nicht darauf an, ob wegen der krankhaften Veranlagung jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis dieselbe Schädigung hätte herbeiführen können, sondern darauf, ob es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß ein solches Ereignis in naher Zukunft tatsächlich vorgekommen wäre und die selbe Schädigung herbeigeführt hätte. Im konkreten Fall stehe nur fest, daß es auch außerhalb der unfallgeschädigten Tätigkeit bei einer Bagatellursache zur gleichen Sehnenverletzung kommen könne, es sei aber nicht erwiesen, noch nach der allgemeinen Lebenserfahrung für einen bestimmten Zeitpunkt erweislich, daß der Kläger etwa zur selben Zeit bei einer nicht mit dem landwirtschaftlichen Betrieb zusammenhängenden Verrichtung eine Last zwischen 10 und 20 kg getragen hätte, oder sich bei einer sonstigen alltäglichen Bewegung die Sehne abgerissen hätte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei, inhaltlich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache, mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig. Sie ist auch berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen (SSV-NF 2/65, 4/85, 4/150), daß in einem Verfahren über den Anspruch aus Arbeitsunfällen die in der Rechtsprechung entwickelten Regeln des Anscheinsbeweises (modifiziert) anzuwenden seien.
Voraussetzung für den Anspruch auf eine Leistung aus einem Arbeitsunfall ist, daß die Körperschädigung hiedurch "wesentlich" verursacht wurde. Kommen auch andere Ursachen in Betracht, so ist dies dann der Fall, wenn der Arbeitsunfall gegenüber den anderen Ursachen nicht erheblich in den Hintergrund tritt (SSV-NF 3/95 mwN). Es besteht also dann kein Anspruch auf eine Leistung, wenn einer krankhaften Veranlagung gegenüber dem Unfall die überragende Bedeutung zukommt, wenn also wegen der Veranlagung jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis etwa zur selben Zeit die Schädigung ausgelöst hätte (SSV-NF 3/95; SSV-NF 4/85 u.a.). Die Möglichkeit des Anscheinsbeweises bringt nun eine Verschiebung des Beweisthemas dahin, daß auch dann, wenn noch andere Ursachen in Betracht kommen, nur feststehen muß, daß die Körperschädigung eine typische Folge eines als Unfall zu wertenden Ereignisses (vgl. SSV-NF 4/85) ist, das im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stand (§ 175 Abs 1 ASVG) und daher ein Arbeitsunfall war (vgl SSV-NF 4/150; SSV-NF 5/140). Es muß hingegen nicht noch erwiesen sein, daß der Arbeitsunfall gegenüber den anderen Ursachen nicht erheblich in den Hintergrund trat. Steht der Arbeitsunfall als Ursache der Körperschädigung fest, so genügt der Anscheinsbeweis nur dann nicht, wenn es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß eine andere Ursache die Körperschädigung im selben Ausmaß und etwa zur selben Zeit herbeigeführt hätte. Die Modifizierung bei der Anwendung des Anscheinsbeweises in Sozialrechtssachen besteht gegenüber jenem Teil des Schrifttums und der Rechtsprechung, der schon jede ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als zur Entkräftung des Anscheinsbeweises ausreichend ansieht (Gschnitzer, Anm zu JBl 1953, 18; Rechberger in ÖJZ 1972, 427; Fasching, Kommentar III, 236 und ZPR2 Rz 895; Koziol, Haftpflichtrecht2 I 325; EvBl 1983/120; RZ 1990/57 u.a.; hingegen so wie hier schon Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 4 zu § 1296; JBl 1960, 188; SZ 50/136, JBl 1972, 569), darin, daß im Sinne der gebotenen sozialen Rechtsanwendung der Anscheinsbeweis nur dann entkräftet ist, wenn dieser Möglichkeit zumindest die gleiche Wahrscheinlichkeit wie dem Arbeitsunfall zukommt (SSV-NF 5/140).
Es muß beurteilt werden können, ob es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß die krankhafte Veranlagung des Klägers die wesentliche Ursache für die Körperschädigung war. Hiebei kommt es nicht darauf an, ob wegen dieser Veranlagung jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis dieselbe Schädigung hätte herbeiführen können, sondern darauf, ob es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß ein solches Ereignis in naher Zukunft tatsächlich vorgekommen wäre und dieselbe Schädigung ausgelöst hätte (SSV-NF 5/140).
Der Anscheinsbeweis wird daher dann entkräftet, wenn Tatsachen bewiesen werden, aus denen die andere konkrete Möglichkeit des Geschehensablaufes erschlossen werden kann. Das bloße Aufzählen anderer abstrakter Möglichkeiten (Einwirkung eines Gewichtes beim Heben und Tragen einer Last zwischen 10 und 20 kg) reicht nicht aus (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 1296; RZ 1990/57).
In dem hier zu entscheidenden Fall hat der Kläger den Anschein für sich, daß die geltend gemachte Körperschädigung durch einen Arbeitsunfall wesentlich verursacht wurde, weil sie auf ein als Unfall zu wertendes Ereignis zurückgeht, das sich während der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignete.
Die vom Erstgericht für das Reißen einer Sehne im vergleichbaren Zustand festgestellte notwendige Einwirkung eines Gewichtes von 10 bis 20 kg beim Heben und Tragen ist nur eine theoretische Möglichkeit und keine erwiesene Tatsache, die den Schadenseintritt als mindestens ebenfalls wahrscheinlich erscheinen läßt. Die Beweisführungslast für diese dem Tatsachenbereich zugehörenden Umstände trifft aber nicht eine einzelne Partei; die Beweise sind vielmehr vom Gericht von Amts wegen aufzunehmen (SSV-NF 5/140).
Ohne Feststellung, welche konkreten anderen Ereignisse dieselbe Schädigung ausgelöst hätten, bzw daß keine konkreten anderen Ereignisse in Frage gekommen wären, läßt sich jedoch nicht verläßlich beurteilen, ob es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß die degenerative Veränderung der Bicepssehne die wesentliche Ursache der Körperschädigung war.
Es wird festzustellen sein, ob irgend ein alltägliches, nicht als Arbeitsunfall zu qualifizierendes Ereignis, das sich im Rahmen des festgestellten Belastungskalküls bewegt, wie beispielsweise ein von der Revision ins Treffen geführtes Heben und Tragen einer Mineralwasserkiste, in naher Zukunft tatsächlich vorgekommen wäre und dieselbe Schädigung ausgelöst hätte.
Es waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).
Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 2 Abs 1 ASGG und 52 Abs 1 ZPO.
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