Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Johann M*****, der bereits wiederholt in der NÖ Landesnervenklinik Mauer in Behandlung stand (chronische suizidale Gefährdung), war am 28.10.1992 seit 13.00 Uhr abgängig. Gegen 20.00 Uhr erschien er wieder gemeinsam mit einem am Vortag entlassenen Patienten, randalierte im Bereich der Eingangstür eines Pavillons und erklärte, sich nur dann wieder aufnehmen zu lassen, wenn auch sein Freund mitaufgenommen werde. Unmittelbar nach der Verständigung der Ärzte eskalierte der Vorfall so weit, daß der Patient, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, den Glasverbau eines Telefons zerschlug und sich dabei an der rechten Hand leicht verletzte. Der schwer alkoholisierte Patient konnte soweit beruhigt werden, daß kein fremdaggressives Verhalten auftrat. Er kündigte aber laufend weitere Selbstbeschädigungen an. Insbesondere kam es auch zu deutlichen Selbstmordankündigungen wie: mit dem Kopf durch die Glasscheibe, sich erhängen bzw. strangulieren, vor den Zug gehen, von der Ybbsbrücke hinunterspringen. Es erfolgte daraufhin eine Unterbringung mit der Diagnose, daß bei offensichtlich psychotischem Zustandsbild in Verbindung mit akuter Alkoholisierung eine deutlich erhöhte Selbstmordgefährdung bestehe.
Bei der Erstkontaktierung am 30.10.1992 wirkte der Patient ansprechbar sowie zumindest örtlich orientiert und vermochte auch zu erkennen, daß er mit einem Richter sprach. Fraglich erschien, ob er den Sinn und Zweck der Verhandlung auffassen konnte; dies, obwohl ihm durch den Richter eine ausführliche Erklärung gegeben wurde.
Die Abteilungsleiterin führte aus, es handle sich um Psychopathie mit überaus geringer Frustrationstoleranz. Der Patient neige zu Alkoholexzessen und während der betreffenden Zeiträume zu Aggressionshandlungen (Raufereien, Selbstbeschädigungen). Er setze auch Aggressionshandlungen gegen andere Personen. Die Aggressionen gingen nicht so weit, daß man von suizidalen Gedankengängen sprechen könne, allerdings handle es sich um weitgehende Tendenzen zur Selbstaggression auch in Phasen, in denen der Patient nicht unter Alkoholeinfluß stehe. Die Handlungsweisen und Ankündigungen vom 28.10.1992 zeichneten sich deutlich durch herabgesetzte Kritikfähigkeit aus. Bedauerlicherweise gebe es außerhalb der Anstalt niemanden, der sich um den Patienten kümmern würde. Es bestehe auch die Gefahr, daß er bei Entlassung sofort wieder dem nächsten Alkoholexzeß unterliege. Eine freiwillige Behandlung erscheine nicht möglich, weil sich der Patient einer solchen nicht unterziehen würde. Die freiwillige Behandlung, der sich der Patient habe unterziehen wollen, habe nur kurzfristig angedauert. Eine medikamentöse Behandlung habe zumindest kurzzeitig Erfolge gebracht.
Die Patientenanwältin sprach sich gegen eine Unterbringung des Johann M***** aus. Sie glaubte weder, daß das Krankheitsbild für eine Unterbringung ausreichend sei, noch daß die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen.
Mit Beschluß vom 30.10.1992 erklärte das Erstgericht die Unterbringung des Johann M***** für nicht zulässig. Es verkündete den Beschluß mündlich; im Protokoll iSd § 19 des UbG scheint keine Begründung auf. Dem sogleich angemeldeten Rekurs des Abteilungsleiters hat das Erstgericht aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Die zweite Instanz erklärte die vorläufige Unterbringung des Johann M***** bis zur Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG für zulässig. Im vorliegenden Fall biete der Akteninhalt eine erschöpfende Entscheidungsbasis, wobei insbesondere auch von dem vom Erstgericht protokollierten persönlichen Eindruck ausgegangen werde. Zufolge der ärztlichen Zeugnisse (§ 10 Abs 1 UbG), der Krankengeschichte und der Stellungnahme der Abteilungsleiterin vom 30.10.1992 bestehe beim Patienten ein psychotisches Zustandsbild (eine Psychopathie) verbunden mit einem erhöhten Suizidrisiko, sodaß die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UbG erfüllt seien; nach der Aktenlage sei weiters die Versorgung des Patienten außerhalb der Anstalt nicht gewährleistet. Die bloß pauschal vorgetragenen Einwände der Patientenanwältin seien nicht geeignet, diese Beurteilung zu erschüttern. Gleiches gelte für das protokollierte Erscheinungsbild sowie die Erklärungen des Patienten.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der "aufgeschobene ordentliche Revisionsrekurs" nicht zulässig sei. Es vertrat unter Ablehnung der Meinung Kopecki's (UbG, Rz 394 Punkt 4.) die Ansicht, daß die in § 20 Abs 3 UbG statuierte Unzulässigkeit eines abgesonderten Rechtsmittels einem generellen Rechtsmittelausschluß nicht gleichzusetzen sei. Die Voraussetzungen für die Zulassung eines ordentlichen Revisionsrekurses iSd § 14 Abs 1 AußStrG lägen jedoch nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Patientenanwältin ist entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes jedenfalls unzulässig.
Gelangt das Gericht nach einer Anhörung gem § 19 UbG zum Ergebnis, daß die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, so hat es diese vorläufig bis zur Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG für zulässig zu erklären und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, die spätestens innerhalb von 14 Tagen nach der Anhörung stattzufinden hat. Andernfalls hat es die Unterbringung für unzulässig zu erklären (§ 20 Abs 1 und 2 UbG). Die Entscheidung kann nur vom Abteilungsleiter im Fall der Unzulässigerklärung abgesondert angefochten werden. Darüberhinaus ist gem § 20 Abs 3 UbG ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig.
Diese Bestimmungen lassen erkennen, daß der Gesetzgeber der auf Grund der Erstanhörung zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit bloß vorläufigen Charakter zuordnet. Die erste Maßnahme soll nur zwischen der Erstanhörung und der darauf folgenden endgültigen Entscheidung Bestand haben. Durch letztere Entscheidung, die in der relativ kurzen Frist von höchstens 14 Tagen auf die erstere zu folgen hat (§§ 20, 26 Abs 1 UbG), ist erstere ohnehin überholt.
Diese Erwägungen gehen auch aus den Gesetzesmaterialien hervor:
Danach muß das vom Schutz- und Fürsorgegedanken geprägte Verfahren auf zwei Ziele ausgerichtet sein: Zum einen soll das Gericht möglichst rasch über die Zulässigkeit des Aufenthaltes im geschlossenen Bereich entscheiden, wie dies auch Art 6 des B-VG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/684, erfordert. Zum anderen soll der Entscheidung ein gründliches Verfahren vorangehen, in dem die Aufnahmevoraussetzungen eingehend geprüft werden. Beiden Zielsetzungen soll durch die Zweiteilung des Verfahrens, nämlich in die der ersten Anhörung des Kranken binnen vier Tagen und der vorläufigen Entscheidung einerseits und die der eingehenden Prüfung der Annahmevoraussetzungen andererseits Rechnung getragen werden, wobei letztere Phase unverzüglich zu folgen hat, wenn die Unterbringung aufrecht erhalten wird. Durch die Vorschriften der §§ 17, 19 und 20 UbG soll demnach sichergestellt werden, daß die gerichtliche Entscheidung über die vorläufige Zulässigkeit der Unterbringung jedenfalls innerhalb einer Woche, das ist der von Art 6 Abs 1 des B-VG über den Schutz der persönlichen Freiheit gesteckte Zeitraum, ergeht. Es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß der bei der Anhörung gefaßte Beschluß über die Zulässigkeit aber bloß vorläufigen Charakter hat. Das Gericht hat in einem Zug das Verfahren fortzusetzen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Betont wird weiters, daß mit der gesonderten Anfechtbarkeit der Entscheidung nach § 20 Abs 1 UbG demnach keine Verbesserung des Rechtsschutzes des Kranken verbunden wäre, sodaß deshalb von der Einräumung des abgesonderten Rechtsmittels gegen einen solchen Beschluß abgesehen wurde (RV 464 BlgNr 17.GP 17, 25; AB 1202 BlgNr 17.GP 8f).
Es soll somit möglichst rasch eine erste gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung herbeigeführt werden, die nicht durch einen das Verfahren erschwerenden und unter Umständen verzögernden Instanzenzug relativiert werden soll, zumal sie ohnehin provisorischer Natur ist. Dementsprechend enthält § 20 Abs 3 UbG die - nur für die erste, provisorische Verfahrensphase geltende - Sonderregelung der mangelnden gesonderten Anfechtbarkeit.
Es würde dem Sinn des provisorischen Charakters der Unterbringung nach der Erstanhörung bis zur mündlichen Verhandlung widersprechen, die Möglichkeit eines weiteren Rechtszuges gegen die Entscheidung der zweiten Instanz, mit der auf Grund eines gem § 20 Abs 2 UbG erhobenen Rekurses des Abteilungsleiters die Unterbringung bis zur Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG vorläufig für zulässig erklärt wird, zu bejahen.
Der Ansicht Kopecki's, der die Zulässigkeit des Revisionsrekurses gegen eine solche Entscheidung unter Hinweis auf eine Rekursentscheidung eines Gerichtshofes erster Instanz, aber ohne Begründung verneint, ist daher aus den dargelegten Gründen beizupflichten.
Damit wird nicht in Frage gestellt, daß ein Rechtszug an den OGH gegen den Beschluß über die (endgültige) Zulässigkeit der Unterbringung gemäß § 26 UbG selbst dann zulässig ist, wenn inzwischen die freiheitseinschränkende Maßnahme aufgehoben wurde (SZ 60/12; 2 Ob 600/92) und daß letzterer Umstand einem von einer solchen oder ähnlichen (§§ 33ff UbG) Maßnahme Betroffenen nicht die Beschwer nimmt (Rz 1991/85; ÖAV 1988, 109). In den diesbezüglichen Entscheidungen wird damit argumentiert, daß durch einen derartigen Beschluß das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit (Art 5 Abs 1 lit e MRK bzw Art 2 Abs 1 Z 5 des B-VG über den Schutz der persönlichen Freiheit) berührt wird, sodaß der davon in seinen Rechten Beeinträchtigte auch noch nach Aufhebung der freiheitseinschränkenden Maßnahme weiterhin ein rechtliches Interesse an der Feststellung habe, ob die Anhaltung zu Recht erfolgte.
Auch in dem hier vorliegenden Fall wurde die Anhaltung inzwischen aufgehoben, und zwar nach der Entscheidung der zweiten Instanz und vor der mündlichen Verhandlung. Darauf kommt es aber im vorliegenden Fall nicht an. Für die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses an den OGH spricht ausschließlich der Provisorialcharakter des auf § 20 UbG gegründeten Anhaltebeschlusses.
Die damit zu rechtfertigende Ansicht, daß ein weiterer Instanzenzug nicht zulässig ist, widerspricht hier auch nicht der MRK: nach Art 6 MRK gehört ein mehrinstanzlicher Rechtsweg - anders als Art 14 Abs 5 des unter Erfüllungsvorbehalt nach Art 50 Abs 2 B-VG abgeschlossenen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl 1978/591) und Art 2 des 7.ZP zur MRK für das strafgerichtliche Verfahren - nicht zu den verfassungsgesetzlichen Verfahrensgarantien. Der verfassungsgesetzliche Grundrechtsanspruch des Art 6 MRK liegt darin, daß über zivilrechtliche Rechte und Pflichten nicht irgendein Organ, sondern ein Gericht, das unabhängig und unparteiisch ist, entscheidet. Die Regelung des Instanzenzuges bleibt dem innerstaatlichen Recht überlassen (Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, RZ 497 S 136; JBl 1991, 597; JBl 1975, 379 = RZ 1975/76).
Der Bestimmung des § 6 MRK ist im vorliegenden Fall dadurch Rechnung getragen, daß das Rekursgericht die Zulässigkeit der vorläufigen Unterbringung geprüft und bejaht hat.
Der Entscheidung 7 Ob 585/91 lag insoweit ein anderer Sachverhalt zugrunde, als das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes, mit dem letzteres die Unterbringung für nicht zulässig erklärte, mit der Begründung ersatzlos aufhob, daß der Patient bereits entlassen worden sei. Diese Entscheidung widersprach den verfassungsrechtlichen Normen des Art 5 Abs 4 und 6 MRK sowie des Art 6 Abs 1 des B-VG über den Schutz der persönlichen Freiheit, wonach über die Rechtmäßigkeit des der Entscheidung über die Unzulässigerklärung der vorläufigen Unterbringung jedenfalls vorangehende Einschränkung der persönlichen Freiheit durch ein Gericht zu entscheiden ist. Nach der Entscheidung des Rekursgerichtes wäre nämlich die Frage offengeblieben, ob die Voraussetzungen der Unterbringung des Patienten gegeben waren. Ein gleichgelagertes Problem stellte sich auch in der Entscheidung 2 Ob 512/92 = NRsp 1992/280, in der bereits das Erstgericht einen Antrag auf Entscheidung gemäß § 38 UbG über die Zulässigkeit einer ärztlichen Behandlung zurückwies, weil die Unterbringung inzwischen aufgehoben sei, und das Rekursgericht diese Entscheidung bestätigte.
Im vorliegenden Fall wurde die Frage der Berechtigung der Unterbringung durch das Rekursgericht aber inhaltlich behandelt und bejaht.
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