OGH 11Os115/92

OGH11Os115/9215.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 1992 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Rzeszut, Dr. Hager und Dr. Schindler als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Munsel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann H* wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach den §§ 15, 201 Abs 2 StGB I. über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 3. November 1992, GZ 10 Vr 1666/92‑29, und II. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24. Juli 1992, GZ 10 Vr 1666/92‑18, sowie über die Beschwerde gegen den zugleich gefaßten Beschluß gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: European Case Law Identifier (ECLI) ECLI:AT:OGH0002:1992:0110OS00115.9200012.1215.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

I. Der Beschwerde gegen den Beschluß vom 30. November 1992 (ON 29) wird nicht Folge gegeben.

II. Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugemittelt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Der am 12. Juni 1969 geborene Johann Leopold H* wurde mit dem oben bezeichneten Urteil schuldig erkannt, "am 27.5.1992 in K*, (gemeint:) Bezirk V*, die Daniela K* dadurch, daß er sie zu Boden stieß, sich auf sie kniete, ihr den Mund zuhielt, sie würgte und sich ihr gegenüber äußerte, wenn sie um Hilfe rufe, werde er sie umbringen, somit mit gegen sie gerichteter Gewalt und gegen sie gerichteter Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des Beischlafes zu nötigen versucht" zu haben, „wobei die Vollbringung der Tat nur deshalb unterblieb, da sich Daniela K* wehrte und Johann H* durch ein vorbeifahrendes Auto in seinem kriminellen Unterfangen gestört wurde“.

Im Anschluß an diese spruchgemäße Tatindividualisierung enthielt die Urteilsurschrift folgende weitere Spruchpassage: „Johann Leopold H* hat hiedurch das Verbrechen der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs 1 StGB begangen.....“.

Nach den schriftlichen Urteilsgründen stellte das Erstgericht im Einklang mit der Tatindividualisierung laut Urteilsspruch unter anderem ausdrücklich fest: „......Johann H* versuchte nun mit seinem erigierten Glied in die Scheide der Daniela K* einzudringen, was ihm aber aufgrund der Abwehrbewegungen der K* mißlang. Als gegen 23.30 Uhr ein PKW am Tatort vorbeifuhr, rief der Angeklagte 'scheiße' und ließ von seinem Vorhaben ab. Der Versuch des Angeklagten, Daniela K* zu vergewaltigen....“ (S 185). „.....weil der Angeklagte sowohl vor der Gendarmerie als auch vor dem U‑Richter als Grund des Umstandes, daß es beim Versuch der Tathandlung geblieben ist .....“ (186/187). Weiters führte das Erstgericht aus: „In rechtlicher Hinsicht folgt aus dem festgestellten Sachverhalt, daß der Angeklagte ..... K* ...... zur Duldung des Beischlafes zu nötigen versuchte, wobei die Vollbringung der Tat nur deshalb unterblieb, da sich das Opfer wehrte und der Angeklagte durch ein vorbeifahrendes Auto in seinem kriminellen Unterfangen gestört wurde ....“ (188/189). Bei der Strafbemessung schließlich wertete das Erstgericht unter anderem den Umstand als mildernd, „daß es beim Versuch der Straftat geblieben ist“ (189).

Aus den dargelegten Urteilspassagen ergibt sich somit, daß der Angeklagte sowohl nach der spruchgemäßen Tatindividualisierung (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) als auch nach der (damit konformen) Tatkonkretisierung laut den Urteilsgründen unmißverständlich des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB in der Entwicklungsstufe des Versuches (nach § 15 StGB) schuldig erkannt und (wie aus der ausdrücklichen Anführung des besonderen Milderungsgrundes nach § 34 Z 13 StGB im Rahmen der Erwägungen zur Strafbemessung zweifelsfrei ersichtlich) auch dementsprechend bestraft wurde.

Was nun jene Sinnstörung anlangt, die sich daraus ergab, daß die Urteilsurschrift sowohl im Spruch als auch in den Entscheidungsgründen (dort im Anschluß an die ausdrücklich auch im Zuge der rechtlichen Erwägungen vorgenommenen Tatbeurteilung als bloß versuchte Vergewaltigung) aussprach, der Angeklagte habe „das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB verwirklicht“ (189), so ist in prozessualer Hinsicht von folgender Rechtslage auszugehen:

Gemäß § 260 Abs 1 StPO muß das Strafurteil - (nur) insoweit - bei sonstiger Nichtigkeit aussprechen, 1. welcher Tat der Angeklagte schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände; 2. welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden ist, begründet wird, unter gleichzeitigem Ausspruch, ob die strafbare Handlung ein Verbrechen oder ein Vergehen ist; 3. zu welcher Strafe der Angeklagte verurteilt wird.

Das hier nach der dargelegten Sachkonstellation allein problematische Postulat des § 260 Abs 1 Z 2 StPO ist (nach gesicherter Rechtsprechung) dahin zu verstehen, daß der unter Nichtigkeitssanktion unabdingbare Ausspruch, welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen begründet wird, die Klarstellung des verwirklichten Tatbestandes des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches verlangt, nicht aber (anders als Z 1) ebenso stringent dessen Verwirklichungsstadium (Versuch oder Vollendung) (Mayerhofer‑Rieder StPO3 EGr 75a zu § 260 = EvBl 1982/10 und 13 Os 99/86). Ein Versehen in der Bezeichnung des Entwicklungsstadiums der im übrigen - wie hier - eindeutig individualisierten und konkretisierten Tat reduziert sich damit auf einen von der gesetzlichen Nichtigkeitssanktion ausdrücklich ausgenommenen Verstoß gegen die Vorschrift des § 260 Abs 1 Z 4 StPO, wonach das Strafurteil die auf den Angeklagten angewendeten strafgesetzlichen Bestimmungen (vollständig) anzuführen hat.

Da die in Rede stehenden, dem Erstgericht bei Verfassung der Urteilsurschrift unterlaufenen Verstöße gegen § 260 Abs 1 Z 4 StPO eine Urteilsnichtigkeit welcher Art auch immer nicht bewirken (vgl ua 10 Os 12/79) und die Urteilsverkündung in der Hauptverhandlung am 24. Juli 1992 nicht nur nach Maßgabe der isoliert und im Kontext betrachtet unmißverständlichen Tatindividualisierung und -konkretisierung als bloß versuchte Vergewaltigung, sondern selbst nach den im Wortlaut seiner Rechtsmittelanmeldung (196) verdeutlichten Verständnis des Angeklagten das Verbrechen der versuchten Vergewaltigung zum Gegenstand hatte, sah sich der Oberste Gerichtshof vor einer Entscheidung über die - dem nunmehrigen Beschwerdevorbringen zuwider die hier erörterten, in der Urteilsurschrift unterlaufenen Versehen in keiner Weise berühenden - Rechtsmittelausführung des Angeklagten zur Vermeidung potentieller weiterer Irrtümer (Strafregister etc) veranlaßt, auf eine der Bestimmung des § 260 Abs 1 Z 4 StPO vollständig Rechnung tragende Urteilsangleichung im Sinn des angefochtenen Beschlusses hinzuwirken. Daß das Erstgericht dabei auch die evidentermaßen auf einen Hörfehler zurückzuführende Wortgruppe „Mangel der Akten“ (187/fünfte Zeile von oben) durch das nach dem Sinnzusammenhang zwingend richtige Wort „Angeklagten“ ersetzte, entsprach dem vorliegend aktuellen - die Interessen des (in Haft befindlichen) Angeklagten insgesamt denknotwendigerweise ausschließlich favorisierenden - Korrekturbedarf.

Die dagegen erhobene Beschwerde, die eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Vernehmung einer Mehrzahl von Teilnehmern an der Hauptverhandlung vom 24. Juli 1992 sowie des (nunmehrigen) Verteidigers des Angeklagten über den Inhalt des mündlich verkündeten Urteils im wesentlichen mit der nach der Aktenlage denklogisch nicht nachvollziehbaren Begründung anstrebt, der angefochtene Beschluß laufe auf die unzulässige erstgerichtliche Bestrebung hinaus, der Rechtsmittelargumentation des Angeklagten durch eine nachträgliche Urteilsmodifikation den Boden zu entziehen, erweist sich aus den dargelegten Erwägungen als unbegründet.

Dieser Beschwerde war daher spruchgemäß der Erfolg zu versagen.

Der Angeklagte bekämpft (weiters) seinen Schuldspruch mi  einer auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, überdies den Strafausspruch mit Berufung sowie den gemeinsam mit dem Urteil verkündeten Beschluß auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO mit Beschwerde.

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Soweit sich die Mängelrüge (Z 5) einleitend - insoweit gar nicht erkennbar zugunsten des Angeklagten ausgeführt - dagegen wendet, daß das Erstgericht die Tat abweichend von dem auf das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB lautenden Anklagevorwurf dem Abs 2 dieser Gesetzesbestimmung unterstellte, setzt sie sich nicht nur über das Wesen eines formellen Begründungsmangels in der Bedeutung des an erster Stelle geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes, sondern auch darüber hinweg, daß das erkennende Gericht gemäß § 262 letzter Satz StPO bei der Urteilsfindung in rechtlicher Hinsicht nicht an die in der Anklageschrift enthaltene Bezeichnung der Tat gebunden ist.

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider trifft es aber auch nicht zu, daß die den bekämpften Schuldspruch tragenden Tatsachenfeststellungen in den Angaben der Zeugin Daniela K* keine hinreichende Deckung fänden. Nach den (in der Hauptverhandlung verlesenen) Angaben des Tatopfers sowohl vor der Gendarmerie als auch vor dem Untersuchungsrichter warf der Angeklagte die Daniela K* („mit brutaler Gewalt“ - 41) zu Boden, hielt ihr den Mund zu und würgte sie am Hals (41, 84, 85). In der Hauptverhandlung bestätigte die Zeugin ohne jede Einschränkung die Richtigkeit ihrer vorausgegangenen Darstellungen des Tathergangs, die sie auf die ausdrückliche Frage nach der Intensität der vom Täter angewendeten Gewalt dahingehend ergänzte, daß sie um ihr Leben fürchtete (161). Dazu kommt, daß sich der bekämpfte Schuldspruch ‑ dem Beschwerdestandpunkt zuwider - keineswegs allein auf die selbst bei isolierter Betrachtung tragfähige Aussage der Zeugin K*, sondern auf eine Reihe weiterer Beweisergebnisse (Aussagen der Zeuginnen Ingrid S*, Renate F*, Theresia K* sowie der mit der Vernehmung der Daniela K* befaßt gewesenen Gendarmeriebeamten) stützt, aufgrund deren das Erstgericht formell mängelfrei einen tatbedingten Schockzustand sowie das Fehlen jedeweder Aggravierungstendenzen des Tatopfers bei der Anzeigeerstattung als erwiesen annahm.

Die Rechtsrügen hinwieder scheitern schon daran, daß sie die Behauptungen des Angeklagten, nicht aber die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen zum Tathergang mit dem Gesetz vergleichen. Dies gilt für den (sachlich auf die Z 9 lit b gestützten) Einwand strafaufhebenden Rücktritts vom Versuch in bezug auf die sexualbezogene Tatkomponente ebenso wie für die daran anknüpfende Subsumtionsrüge (Z 10), mit der (unter Ausklammerung der die geschlechtliche Integrität des Tatopfers betreffenden Tataspekte) eine Beurteilung des in Rede stehenden Täterverhaltens (bloß) als gefährliche Drohung (§§ 106, 107 StGB) bzw als Einschränkung der persönlichen Freiheit (§ 99 Abs 1 StGB) angestrebt wird. Da das angefochtene Urteil jedoch das Unterbleiben der Vollendung der tätergewollten Vergewaltigung ausdrücklich darauf zurückführt, daß der Angeklagte von dem gewaltsam attackierten Tatopfer nur infolge heftiger Gegenwehr und unter dem Eindruck der Annäherung eines Fahrzeuges, mithin in Abweichung von der Beschwerdeargumentation unter unfreiwilliger Aufgabe der angestrebten Vergewaltigung abließ, basieren die dargelegten rechtlichen Einwände durchwegs auf urteilsfremden Tatsachenprämissen und bringen die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe solcherart nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung.

Die insgesamt nicht berechtigte Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO) und teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§ 285 d Abs 1 Z 1 iVm § 285 a Z 2 StPO) bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Über die Berufung und die Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß wird das hiefür zuständige Oberlandesgericht Graz zu befinden haben (§§ 285 i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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