OGH 4Ob74/92

OGH4Ob74/9224.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** Handelsgesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Karl Grigkar, Rechtsanwalt in Wien„ wider die beklagte Partei Kurt S***** Gesellschaft mbH & Co, ***** vertreten durch Dr.Manfred Schwindl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zahlung von 100.000 S sA, Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert:

499.000 S; Rekursinteresse: 399.000 S), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 30.März 1992, GZ 2 R 43/92-22, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 10.Oktober 1991, GZ 41 Cg 324/90-18, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben, und es wird in der Sache selbst zu Recht erkannt:

"Das Ersturteil, welches in seinem in Rechtskraft erwachsenen, das Begehren auf Zahlung von 100.000 S sA abweisenden Teil unberührt bleibt, wird im übrigen dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

'Die beklagte Partei ist schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, 'CAPILLARIS Haaraktivator' bis zu dessen Zulassung als Arzneispezialität durch Verkauf und Bewerbung mit gesundheitsbezogenen Angaben, insbesondere mit den Angaben 'Durch die optimale Kombination wertvoller natürlicher Stoffe und die regelmäßige Kopfmassage mit dem CAPILLARIS Haaraktivator wird übermäßiger Haarausfall nachhaltig gebremst', 'CAPILLARIS Haaraktivator reduziert übermäßigen Haarausfall', 'Die Wirkung von CAPILLARIS Haaraktivator wurde in umfangreichen Tests geprüft.......

Die Ergebnisse: Stoppt Haarausfall - 76 % Zustimmung' und 'CAPILLARIS Haaraktivator kämpft um jedes einzelne Haar. Mit gesammelten Kräften aus der Natur. Und mit nachweisbarem Erfolg!' in Verkehr zu bringen.

Der klagenden Partei wird die Befugnis zugesprochen, diesen Urteilsspruch binnen sechs Monaten ab Rechtskraft auf Kosten der beklagten Partei je im Textteil einer Ausgabe der Wochenzeitschrift 'Die Ganze Woche' und einer Samstagausgabe der Tageszeitung 'Neue Kronen-Zeitung' mit Umrandung und in Fettdruck, mit Fettdrucküberschrift und gesperrt geschriebenen Prozeßparteien veröffentlichen zu lassen.

Das Mehrbegehren auf Unterlassung des Inverkehrbringens von 'CAPILLARIS Haaraktivator' vor dessen Zulassung als Arzneispezialität im Wege des Verkaufes und der Bewerbung auch mit nachstehenden gesundheitsbezogenen Angaben:

'CAPILLARIS Haaraktivator

'Der Erfolg stellt sich nach vier bis sechs Wochen regelmäßiger Anwendung ein', wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 23.388,48 S bestimmten Prozeßkosten (darin enthalten 4.210,08 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.'"

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 74,80 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin vertreibt (ua) unter der Bezeichnung "Priorin" ein Mittel gegen Haarausfall und Schuppenbildung, übermäßigen Talgfluß, fettiges Haar sowie gegen begrenzte oder allgemeine Haarwuchsstörungen; das Mittel ist als Arzneispezialität im Sinne des § 1 Abs 5 AMG zugelassen.

Die Beklagte erzeugt und vertreibt kosmetische Mittel. Sie hat unter der Bezeichnung "CAPILLARIS Haaraktivator" ein in Fläschchen abgefülltes Mittel auf den Markt gebracht; die vier Seiten der Verpackung enthalten - vergrößert - nachstehende Angaben:

In der Zeitschrift "Die Ganze Woche" Ausgabe Nr.27/1990, ist folgende ganzseitige Werbeeinschaltung der Beklagten erschienen:

Das Mittel der Beklagten besteht zu 100 % aus natürlichen Substanzen und enthält keine Stoffe, die "entsprechend der Negativliste zum Einsatz mit kosmetischen Mitteln verboten sind".

Am 30.9.1989 waren der Marketingleiter der Beklagten und deren Laborleiterin bei Ing.Friedrich R***** in der Bundeswirtschaftskammer, um mögliche Produktaussagen für ein Haartonikum auszuloten. Die damals besprochene Rezeptur war identisch mit jener des "CAPILLARIS Haaraktivators". Ing.R***** wurde die Art der Inhaltsstoffe, nicht aber deren Konzentration bekanntgegeben. Kernpunkt seiner Aussage war, daß die Beklagte keine Gesundheitsversprechungen machen dürfe. Es wurde mit ihm auch abgeklärt, ob die Art und Zusammensetzung der Inhaltsstoffe mit den Angaben auf der Verpackung übereinstimmen bzw ob die Aussagen aus der Verpackung durch die Inhaltsstoffe begründet werden können. Das Gespräch ergab, daß auf Grund der Rezeptur der Beklagten folgende Aussagen getroffen werden könnten: "Tonisierend", "Durchblutungsfördernd", "Belebend", "Aktivierend", "Fördert das gesunde Wachstum des Haares", "Enthält ausschließlich natürliche Substanzen", "Bremst nicht krankheitsbedingten Haarausfall", "Stärkt und kräftigt das Haar"; hingegen dürfe eine Wirkung gegen Kopfjucken und gegen Schuppen nicht ausgelobt werden.

Im Juli und August 1989 ließ die Beklagte unter Mithilfe von Friseuren an von ihnen rekrutierten ca 50 Personen Tests durchführen, welche an Hand zu beantwortender Fragebögen das auf der Verpackung angeführte Ergebnis erbrachte. Bedingung für die Auswahl der Testpersonen war, daß sie nicht an krankhaftem Haarausfall leiden, was von den Friseuren an Hand der Selbstaussagen von Kunden festgestellt worden war. Eine ärztliche Betreuung der Tests hat nicht stattgefunden. Die ausgewählten Personen, welche keinerlei Honorar erhielten, hatten unter übermäßigem Haarausfall gelitten; sie waren über die Zusammensetzung des Mittels der Beklagten nicht informiert worden.

Unter "Wirkung" verstand die Beklagte eine pharmakologische, nämlich eine durchblutungsfördernde Wirkung. Ihr Mittel wirkt nur auf der Haut und in den obersten Hautschichten. Es soll in die Kopfhaut einmassiert werden, damit die Wirkstoffe durch die Kopfhautöffnungen, aus denen die Haare wachsen, zum Teil auch zu den Haarwurzeln durchdringen und so eine durchblutungsfördernde Wirkung an der Kopfhaut selbst und in den Zwischenräumen an den Rändern des Haarschaftes entfalten. Das Eindringen des Mittels in die Hautöffnungen ist von der Beklagten erwünscht.

Eine von der Klägerin in Auftrag gegebene psychologische Analyse an potentiellen Verwendern von "CAPILLARIS Haaraktivator" zur Klärung der Fragen, wie ein Konsument die Werbeaussagen der Beklagten versteht und welche Erwartungen durch sie geweckt werden, wie hoch die Affinität zu Medikamenten bzw Massagemitteln ist, wie weit sich der Konsument eine Heilung seiner Funktionsstörung erwartet und die Wirkung auf das Einmassieren sowie auf die Resorption zurückführt, hatte zum Ergebnis, daß auf Grund der Aussagen des Packungstextes ein Produkt erwartet wird, welches den Haarausfall stoppt, ihn vermindert bzw eine gewisse lindernde Wirkung zeigt; auch rechnet man damit, daß "CAPILLARIS Haaraktivator" das Haar dichter macht und dafür sorgt, daß mehr Haare nachwachsen; auf Grund der Information wird eine Kräftigung und Stärkung der Haare selbst angenommen. Zur Wirkungsweise ergab die Untersuchung eine Konsumentenerwartung dahin, daß das Mittel primär mangelnden Haarwuchs beseitigt, dies aber nur dann bewirkt, wenn es durch die Kopfhaut aufgenommen wird. Ein bloßes Auftragen auf die Haare oder Schütten auf die Kopfhaut wird für sinnlos gehalten; ohne Einmassieren wird nur eine abgeschwächte Wirkung erwartet. Nach den Ergebnissen der Umfrage wurde das Mittel der Beklagten primär mit "Einmassieren" und "Eindringen" in Zusammenhang gebracht, wobei der Begriff "dermatologisch getestet" dem Konsumenten die Sicherheit gibt, daß es sich um ein vertrauenswürdiges Produkt handelt; der Test wird im Zusammenhang mit "Medizin", "Arzneimittel", "vertrauenswürdig" und "innerlich" erlebt. Schließlich ergab die Analyse, daß es sich in der Vorstellung des Konsumenten bei dem Mittel der Beklagten stärker um ein medizinisches Produkt als um ein kosmetisches Produkt handelt.

Grundlage der Analyse waren Interviews mit 50 Personen, die Haarprobleme hatten und eine Bereitschaft zeigten, Haarverbesserungsprodukte zu verwenden. Jedes Interview dauerte etwa 25 Minuten, wobei den Befragten Testsets, bestehend aus einer Farbkopie der Anzeige der Beklagten und aus einer Kopie der Verpackung ihres Mittels, gezeigt wurden.

Mit der Behauptung, "CAPILLARIS Haaraktivator" sei sowohl nach der "objektiven" als auch nach der "subjektiven" Zweckbestimmung ein Arzneimittel (eine Arzneispezialität), welche vor ihrer Zulassung im Inland nicht abgegeben werden dürfe, weshalb sich die Beklagte mit dem Inverkehrbringen ihres Mittels und der Werbung hiefür über die Bestimmungen des AMG hinweggesetzt und so gegen § 1 UWG verstoßen habe, begehrt die Klägerin - soweit für das vorliegende Rekursverfahren noch von Interesse - die Beklagte schuldig zu erkennen, die Inverkehrbringung durch Verkauf und Bewerbung von "CAPILLARIS Haaraktivator" als Arzneispezialität bis zum Vorliegen einer Zulassung gemäß AMG, insbesondere unter Verwendung nachstehender gesundheitsbezogener Angaben, zu unterlassen:

"CAPILLARIS Haaraktivator besteht aus 100 % natürlichen Substanzen und ist, wie zahlreiche Tests gezeigt haben, ein wirksames Mittel zur Förderung des natürlichen Haarwuchses";

"Durch die optimale Kombination wertvoller natürlicher Stoffe und die regelmäßige Kopfhautmassage mit dem 'CAPILLARIS Haaraktivator' wird

"Die Wirkung von CAPILLARIS Haaraktivator wurde in umfangreichen Tests geprüft, die Ergebnisse:

"Der Erfolg stellt sich nach vier bis sechs Wochen regelmäßiger Anwendung ein";

"CAPILLARIS Haaraktivator bezieht seine Wirkung aus der Kraft der Natur";

"CAPILLARIS Haaraktivator fördert den natürlichen Haarwuchs"

"CAPILLARIS Haaraktivator reduziert übermäßigen Haarausfall"

"CAPILLARIS Haaraktivator kämpft um jedes einzelne Haar. Mit gesammelten Kräften aus der Natur. Und mit nachweisbarem Erfolg".

Damit verbindet die Klägerin ein Begehren auf Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung im Textteil je einer Wochenzeitung und einer Tageszeitung (Samstagausgabe).

Durch die beanstandeten gesundheitsbezogenen Angaben auf der Verpackung ihres Mittels und in ihrer Werbung erwecke die Beklagte den Eindruck, daß es "arzneiliche" Wirkungen im Sinne des § 1 Abs 1 AMG entfalte. Sie habe damit nicht nur gegen § 11 AMG, sondern auch gegen die Werbebeschränkungen der §§ 50 ff AMG verstoßen. Die Bezugnahme auf die Testergebnisse sei überdies irreführend, weil ein 76 %iger Erfolg keinesfalls zutreffe. Auch mit der erstbeanstandeten Werbebehauptung habe die Beklagte zusätzlich noch gegen § 2 UWG verstoßen, nehme sie doch damit eine nicht den Tatsachen entsprechende Spitzenstellung in Anspruch.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Ihr "CAPILLARIS Haaraktivator" sei ein kosmetisches Mittel. Es enthalte keine Stoffe, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienten, eine "arzneiliche" Wirkung zu entfalten; ebensowenig seien die von der Klägerin beanstandeten Angaben gesundheitsbezogen, sondern erlaubte Hinweise auf pharmakologische bzw physiologische Wirkungen des Kosmetikums. Der Beklagten könne im übrigen ein allfälliger Verstoß gegen § 1 UWG schon deshalb subjektiv nicht angelastet werden, weil sie wegen der Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen einer verbotenen "Heilanpreisung" und einem erlaubten Hinweis auf "physiologische oder pharmakologische Wirkungen" den Rat des Referenten des Fachverbandes der chemischen Industrie, zugleich Mitglied der Kodex-Unterkommission "kosmetische Mittel", eingeholt und sich auch in dessen Grenzen gehalten habe. Der behauptete Verstoß gegen § 2 UWG liege nicht vor, weil der beanstandete Hinweis auf ein Testergebnis wahr sei. Mit der erstbeanstandeten Werbebehauptung habe die Beklagte weder eine Spitzenstellung in Anspruch genommen, noch sei diese Behauptung unwahr.

In der letzten Streitverhandlung stellte die Klägerin mit der Behauptung, das Mittel der Beklagten und seine Inhaltsstoffe könnten die ausgelobten Wirkungen nicht haben, so daß selbst dann, wenn ein Kosmetikum vorliegen sollte, ihre Aussagen, insbesondere die Aussage "dermatologisch getestet", und der Hinweis auf andere Tests irreführend seien, das Eventualbegehren auf Unterlassung nachstehender Auslobungen durch die Beklagte:

"CAPILLARIS Haaraktivator besteht aus 100 % natürlichen Substanzen und ist, wie zahlreiche Tests gezeigt haben, ein wirksames Mittel zur Förderung des natürlichen Haarwuchses";

"Durch die optimale Kombination wertvoller natürlicher Stoffe und die regelmäßige Kopfhautmassage mit dem CAPILLARIS Haaraktivator wird

"Die Wirkung des CAPILLARIS Haaraktivators wurde in umfangreichen Tests geprüft";

"CAPILLARIS Haaraktivator - dermatologisch getestet".

Die Beklagte beantragte, die Klageänderung nicht zuzulassen; im übrigen bestritt sie das zur Klageänderung erstattete Sachvorbringen der Klägerin.

Das Erstgericht wies sowohl das Hauptbegehren auf Unterlassung und Urteilsveröffentlichung als auch das Eventualbegehren auf Unterlassung ab; ebenso das Schadenersatzbegehren der Klägerin. Die letztgenannte Abweisung des Zahlungsbegehrens ist in Rechtskraft erwachsen. Der "CAPILLARIS Haaraktivator" der Beklagten sei weder nach der objektiven noch nach der subjektiven Zweckbestimmung als Arzneimittel im Sinne des § 1 Abs 1 Z 1 bzw Z 5 AMG zu beurteilen, werde doch mit den beanstandeten Werbeaussagen weder auf einen krankheitsbedingten Haarausfall noch auf eine das gesunde Haar wachstumshindernde Funktionsstörung Bezug genommen. Aus ihnen ergebe sich kein Hinweis darauf, daß bei widmungsgemäßem Gebrauch auch nur ein Teil der in § 1 Abs 1 Z 1 AMG angeführten Wirkungen erzielt werden könnte, werde doch die Förderung des natürlichen und gesunden Haarwuchses betont und die Hintanhaltung übermäßigen Haarausfalls bei Auftragen und Einmassieren des Mittels in die Kopfhaut in den Vordergrund gestellt. Daran ändere auch nichts, daß Wirkstoffe im Wege des Einmassierens zu den Haarwurzeln vordringen sollten. Das sei noch keine "arzneiliche" Wirkung im Sinne de § 1 Abs 1 Z 5 AMG, werde doch in der Produktbeschreibung die Förderung der Blutzufuhr und die bessere Versorgung der Haarwurzeln mit wichtigen Nährstoffen ausschließlich als Folge einer auf regelmäßige Massage zurückzuführenden Anregung der Durchblutung der Kopfhaut dargestellt. Nach dem maßgeblichen Gesamteindruck der Angaben der Beklagten liege auch weder eine Alleinstellungswerbung noch eine sonstige gegen § 2 UWG verstoßende Irreführung vor.

Das Berufungsgericht hob das noch in Rede stehende Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Sowohl zum Haupt- als auch zum Eventualbegehren lägen rechtliche Feststellungsmängel vor, die schon für sich allein eine Aufhebung des Ersturteils unumgänglich machten. Zum Hauptbegehren sei nämlich die ergänzende Behauptung der Klägerin, daß jeder übermäßige Haarausfall grundsätzlich eine Funktionsstörung des menschlichen Körpers bedeute, ungeprüft geblieben. Werde das aber erwiesen, dann hätte die Beklagte mit den Angaben "mit dem CAPILLARIS Haaraktivator wird übermäßiger Haarausfall nachhaltig gebremst", CAPILLARIS Haaraktivator "stoppt Haarausfall" und "fördert das Nachwachsen auf kahlen und schlichten Stellen", sehr wohl "arzneiliche" Wirkungen im Sinne des § 1 Abs 1 AMG angepriesen. Zum Eventualbegehren sei die eine Irreführung im Sinne des § 2 UWG indizierende Behauptung der Klägerin ungeprüft geblieben, wonach das Mittel der Beklagten mit seinen Inhaltsstoffen die behaupteten Wirkungen keinesfalls erzielen könne.

Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs (richtig: Rekurs) der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils.

Die Klägerin stellt den Antrag, das Rechtsmittel der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist entgegen der Meinung der Klägerin schon deshalb zulässig, weil die Auffassung des Berufungsgerichtes durch eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht gedeckt ist und auch die Rechtslage gegen sich hat; der Rekurs ist auch berechtigt, weil die Streitsache bereits zur Entscheidung im Sinne einer teilweisen Abänderung des Ersturteils (Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1823) reif ist.

Die Klägerin hat ihr Unterlassungshauptbegehren dadurch, daß sie es im Obersatz auf das Inverkehrbringen von "CAPILLARIS Haaraktivator" als Arzneispezialität bis zum Vorliegen einer Zulassung gemäß AMG unter gleichzeitiger Verwendung bestimmter gesundheitsbezogener Angaben abgestellt hat, ausschließlich auf ein sittenwidriges Hinwegsetzen der Beklagten über das Abgabeverbot von Arzneispezialitäten vor deren Zulassung (§§ 11 ff AMG) und über die Werbebeschränkungen der §§ 50 ff AMG eingeschränkt. Damit ist in Ansehung des Hauptbegehrens nur noch ein Verstoß der Beklagten gegen § 1 UWG zu prüfen, welchen nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch begeht, wer sich schuldhaft über ein Gesetz hinwegsetzt, um im Wettbewerb einen Vorsprung gegenüber gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen (MR 1988, 102; ÖBl 1989, 122;

EvBl 1989/100; ÖBl 1990, 7; ecolex 1991, 261; MR 1991, 243 uva;

zuletzt etwa 4 Ob 42/92; 4 Ob 69, 70/92). Bei einer solchen unlauteren Veränderung der wettbewerblichen Ausgangslage zugunsten des Verletzers kommt es auch nicht darauf an, ob die übertretene Norm an sich wettbewerbsregelnden Charakter hat (MR 1990, 196; ecolex 1991, 261; MR 1992, 126 ua); entscheidend ist vielmehr die objektive Eignung des konkreten Verstoßes zur Beeinträchtigung des freien Leistungswettbewerbs (Nordemann, Wettbewerbsrecht6, 231 Rz 477 f und 258 Rz 527 ff; ecolex 1991, 261; MR 1992, 126). Daß einzelne Angaben möglicherweise auch gegen § 2 UWG verstoßen haben, muß daher bei Beurteilung des Hauptbegehrens der Klägerin außer Betracht bleiben, könnte doch im Hinblick auf dessen enge Fassung ein auf die Bejahung irreführender Angaben gestütztes Unterlassungsgebot nur unter Überschreitung des Klagebegehrens erlassen werden.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner grundlegenden Entscheidung SZ 59/32 dargelegt, daß seit dem Inkrafttreten des AMG der in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelte Arzneimittelbegriff überholt ist. Die Frage, ob einem bestimmten Stoff die Qualität eines Arzneimittels zukommt, ist seit dem 1.4.1984 allein nach der Legaldefinition des § 1 Abs 1 AMG zu beurteilen. Danach sind seither für die Arzneimittelqualität grundsätzlich zwei Kriterien maßgebend, nämlich einerseits die objektive Zweckbestimmung ("die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen.....") und andererseits die subjektive Zweckbestimmung durch den Hersteller, Depositeur, Großhändler usw ("nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind...."). Wenn auch im Regelfall beide Voraussetzungen gleichzeitig zutreffen werden, sind doch Fälle denkbar, in denen ein Mittel, das nach der Verkehrsauffassung arzneiliche Wirkungen entfaltet, nicht als Arzneimittel bezeichnet ist, oder umgekehrt ein Mittel, das keine derartigen Wirkungen entfalten kann, als Arzneimittel bezeichnet wird (SZ 59/32; ÖBl 1987, 71; ern 1989, 767 ua).

Gemäß § 1 Abs 3 Z 3 AMG sind aber kosmetische Mittel im Sinne des § 5 LMG 1975 keine Arzneimittel, sofern ihre Anwendung und Wirkung - wie hier - auf den Bereich der Haut und ihre Anhangsgebilde (und der Mundhöhle) beschränkt sind. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß gemäß § 1 Abs 3 Z 2 AMG in der Fassung der AMG-Novelle 1988 Verzehrprodukte im Sinne des LMG 1975 auch dann keine Arzneimittel sind, wenn sie nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, die Zweckbestimmung des § 1 Abs 1 Z 5 AMG zu erfüllen. Eine solche Ausnahme auch für kosmetische Mittel hat aber der Novellengesetzgeber des AMG nicht vorgesehen (vgl ErlBem zur RV der AMG-Novelle 1988, abgedruckt bei Michtner-Wrbka, AMG 13).

"Kosmetische Mittel" sind nach § 5 LMG 1975 Stoffe, die zur Reinigung, Pflege oder Vermittlung bestimmter Geruchseindrücke des Menschen, zur Beeinflussung des menschlichen Äußeren, zum Schutz der Haut oder zur Reinigung, Pflege oder Verbesserung des Gebrauches von Prothesen bestimmt sind. Daß in diesem Sinne "Haarpflegemittel" kosmetische Mittel sind (vgl dazu Punkt 2.8 der Anlage 1 der KosmetikV BGBl 1990/534), kann demnach nicht bezweifelt werden. Das gilt aber nicht für "Haarwuchsmittel", weil diese selbst dann, wenn sie in ihrer Bestimmung nicht auf die Heilung, Linderung oder Verhütung von krankhaftem Haarausfall (§ 1 Abs 1 Z 1 AMG) beschränkt sind, nach der Verkehrsauffassung zumindest auch dazu dienen oder dazu bestimmt sind, die Zweckbestimmungen des § 1 Abs 1 Z 5 AMG zu erfüllen. Die Vorinstanzen haben aber übersehen, daß hier - anders als in dem der Entscheidung ern 1989, 767 zugrundeliegenden Fall - der Beklagten nach den Feststellungen der Beweis für ihre Behauptung, der "CAPILLARIS Haaraktivator" sei ein kosmetisches Mittel, nicht gelungen ist. Die Feststellung, wonach das Mittel der Beklagten keine Stoffe enthalte, die "entsprechend der Negativliste zum Einsatz mit kosmetischen Mitteln verboten sind", kann zwar dahin verstanden, daß es nur Wirkstoffe enthält, die nach der KosmetikV zugelassen sind; damit ist aber noch keineswegs festgestellt, daß die Wirkstoffe auch den Zulassungsbedingungen und hinsichtlich Reinheit und Zusammensetzung (Mischung) den Anforderungen dieser Vorschrift entsprechen. Nur dann, wenn feststünde, daß das Produkt der Beklagten auf Grund seiner Zusammensetzung ausschließlich die Wirkungen eines kosmetischen Mittels hat, also ein Haarpflegemittel ist, könnte die beanstandete subjektive arzneiliche Zweckbestimmung der Beklagten den objektiven Zweck des Mittels nicht ändern (ern 1989, 767). Es läge dann allenfalls ein Verstoß der Beklagten gegen § 26 Abs 2 LMG vor, der aber von der Klägerin gar nicht geltend gemacht worden ist.

Umgekehrt hat auch die Klägerin nicht bewiesen, daß das Produkt der Beklagten nach seiner Stoffzubereitung, also nach der objektiven Zweckbestimmung ein Arzneimittel ist, konnte sie doch nicht einmal die stoffliche Zusammensetzung des Mittels angeben. Es kommt daher im vorliegenden Fall nur mehr darauf an, ob die Beklagte die von der Klägerin beanstandete subjektive arzneiliche Zweckbestimmung ihres Mittels tatsächlich vorgenommen hat oder nicht.

Für die Beurteilung, ob ein Produkt nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt ist, bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die Zweckbestimmung des § 1 Abs 1 Z 1 bis 5 AMG zu erfüllen, ist die allgemeine Verkehrsauffassung maßgebend. Demnach kommt es darauf an, wie die Angaben der Beklagten auf der Verpackung ihres Mittels und im Inserat vom Verkehr aufgefaßt wurden, nicht aber darauf, wie sie die Beklagte verstanden wissen wollte. Die für die Beurteilung von Werbeankündigungen zu § 2 UWG entwickelten Grundsätze sind auch hier heranzuziehen; entscheidend ist demnach der Gesamteindruck der Ankündigungen, wie er sich bei flüchtiger Wahrnehmung für einen nicht ganz unerheblichen Teil der angesprochenen Kreise ergibt (ÖBl 1990, 23 mwN; 4 Ob 78/92). Allfällige Zweifel gehen dabei zu Lasten der Beklagten, weil nach ständiger Rechtsprechung jeder Werbende bei mehrdeutigen Äußerungen die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen muß (ÖBl 1989, 42; ÖBl 1992, 35 uva).

Wenn die Beklagte in ihrem Inserat und auf der Verpackung unter Bezugnahme auf ein Testergebnis ankündigte, daß "CAPILLARIS Haaraktivator" mit 76 %iger Zustimmung von Testpersonen "Haarausfall stoppt" und (auf der Verpackung) darüber hinaus - von der Klägerin zwar beanstandet, aber nicht zum Gegenstand ihres Hauptbegehrens gemacht - mit 44 %iger Zustimmung "das Nachwachsen auf kahlen und lichten Stellen fördert", sowie auf der Verpackung hervorhob, daß mit ihrem Mittel "übermäßiger Haarausfall nachhaltig gebremst wird" bzw ihr Mittel "übermäßigen Haarausfall reduziert", so wurde damit für den flüchtigen Leser der Eindruck erweckt, ein "Haarwuchsmittel" vor sich zu haben. Dieser Eindruck mußte durch die weitere Angabe, das Mittel "kämpft um jedes Haar. Mit gesammelten Kräften aus der Natur. Und mit nachweisbarem Erfolg!" nur noch verstärkt werden. Abgesehen davon, daß diesen Ankündigungen nicht die geringste Einschränkung der angepriesenen Wirkung auf nicht krankheitsbedingten Haarausfall zu entnehmen ist, mußten sie von den angesprochenen Verkehrskreisen jedenfalls als arzneiliche Zweckbestimmung im Sinne des § 1 Abs 1 Z 5 AMG aufgefaßt werden. Daran ändert es auch nichts, daß mit einem Teil der Ankündigungen auf Testergebnisse Bezug genommen wurde, hat sich die Beklagte doch damit nur der (vorformulierten) Äußerungen von Testpersonen bedient und sich diese so zu eigen gemacht (Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht16, 790 Rz 83 zu § 3 dUWG). Allen anderen, von der Klägerin durch Aufnahme in ihr Hauptbegehren beanstandeten Angaben der Beklagten konnten aber die angesprochenen Verkehrskreise keine arzneiliche Zweckbestimmung entnehmen, gehen sie inhaltlich doch nicht über den Rahmen der für ein Haarpflegemittel üblichen Anpreisungen hinaus.

Bei dieser Sachlage hätte die Beklagte ihr nach der subjektiven Zweckbestimmung als Arzneispezialität deklariertes Mittel vor seiner Zulassung gemäß § 11 ff AMG im Inland weder abgeben noch für die Abgabe bereithalten dürfen. Sie hat sich demnach über dieses gesetzliche Verbot (vgl auch § 84 Z 5 AMG) hinweggesetzt, um damit einen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen. Mit diesem Verhalten hat sie zugleich gegen § 1 UWG verstoßen. Für die Annahme, sie habe mit guten Gründen die Auffassung vertreten können, zu ihrem Vorgehen berechtigt zu sein, bleibt kein Platz, weil dies nur dann zutreffen könnte, wenn ihr Produkt nach der objektiven Zweckbestimmung tatsächlich ein kosmetisches Mittel wäre. Das ist aber nicht erwiesen. Die Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg auf die Ratschläge Ing.R*****s berufen. Abgesehen davon, daß dessen Auskünfte auf der Annahme beruhten, das Produkt der Beklagten sei ein kosmetisches Mittel, hat die Beklagte auch seine Warnung, daß sie keine Gesundheitsversprechen abgeben dürfe und demnach (ua) Aussagen über ein Bremsen des Haarausfalls auf "nicht krankheitsbedingten Haarausfall" beschränken müsse, nicht beachtet.

Es kommt daher auf die vom Berufungsgericht noch als wesentlich erachteten fehlenden Feststellungen nicht mehr an. Vielmehr erweist sich das Hauptbegehren der Klägerin bereits als entscheidungsreif im Sinne einer teilweisen Stattgebung. Damit erübrigt sich aber auch ein näheres Eingehen auf das im Zweifel nur für den Fall der gänzlichen Abweisung des Hauptbegehrens erhobene Eventualbegehren der Klägerin.

Im Hinblick auf das Inverkehrbringen des Mittels der Beklagten in ganz Österreich sind deren arzneilichen Zweckbestimmungsangaben einem breiten Publikum bekannt geworden. Es besteht daher ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin an der Aufklärung des Publikums über das wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten. Die Voraussetzungen für den Zuspruch der beantragten Befugnis zur Urteilsveröffentlichung im Sinne des § 25 Abs 3 UWG liegen daher vor, zumal sich der Antrag inhaltlich sowie hinsichtlich Form und Umfang der Veröffentlichung im Rahmen des Üblichen hält.

Es war demnach über den Rekurs der Beklagten gemäß § 519 Abs 2, letzter Satz, ZPO durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen, weil die Streitsache zur Entscheidung im Sinne einer teilweisen Abänderung des Ersturteils reif war; darin liegt auch kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot (Fasching aaO).

Der Ausspruch über die Prozeßkosten erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Danach hat die Klägerin in Ansehung des Gesamtstreitwertes von 499.000 S nur mit rund 36 %, die Beklagte jedoch mit rund 64 % obsiegt. Die Klägerin hat der Beklagten daher 28 % der mit 90.216 S bestimmten Kosten (darin enthalten 15.036 S Umsatzsteuer), sohin den Betrag von 25.260,48 S (darin enthalten 4.210,08 S Umsatzsteuer), zu ersetzen; von diesem Betrag sind aber 36 % der der Klägerin zuzusprechenden Pauschalgebühr von 5.200 S, sohin 1.872 S, in Abzug zu bringen.

Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. hier hat die Klägerin in Ansehung des noch in Rede stehenden Streitwertes von 399.000 S jeweils mit rund 44 %, die Beklagte aber jeweils mit rund 56 % obsiegt. Die Klägerin hat der Beklagten daher 12 % der mit insgesamt 28.710 S (darin enthalten 4.785 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten, sohin den Betrag von 3.445,20 S (darin enthalten 574,20 S Umsatzsteuer), zu ersetzen. Da jedoch der Klägerin gemäß §§ 43 Abs 1, 50 ZPO 44 % der Pauschalgebühr des Berufungsverfahrens von 8.000 S, sohin ein Betrag von 3.520 S, zuzusprechen war, hat ihr die Beklagte letztlich noch 74,80 S zu ersetzen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte