OGH 6Ob615/92

OGH6Ob615/9212.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Kindes Claudia S*****, geboren am *****, Lehrling, in der Obsorge der Mutter Gabriele S*****, ***** ********** in Verfolgung der Unterhaltsansprüche, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien (Amt für Jugend und Familie 17., 18.Bezirk), wegen Herabsetzung der nach dem UVG gewährten Vorschüsse auf die Unterhaltsansprüche gegen den Vater Helmut S*****, ***** ********** infolge außerordentlichen Rekurses des mj.Kindes gegen den zum Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom 9.Januar 1992, GZ 3 P 98/89-45, ergangenen rekursgerichtlichen Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 2. September 1992, AZ 47 R 490/92 (ON 59), den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise stattgegeben; die angefochtene Rekursentscheidung, die hinsichtlich der Einbehaltung unberührt bleibt und hinsichtlich der Herabsetzung der Vorschüsse für die Monate Oktober bis Dezember 1991 auf 1.200 S bestätigt wird, wird im übrigen derart abgeändert, daß die im Sinne des Beschlusses vom 18. Juli 1990 (ON 33) idF des Berichtigungsbeschlusses vom 23.Juli 1990 (ON 34) bewilligten Unterhaltsvorschüsse für die Zeit ab 1. Januar 1992 auf monatlich 1.425 S herabgesetzt werden.

Text

Begründung

Das am 15.Oktober 1974 geborene Mädchen wächst seit der Scheidung der Ehe seiner Eltern in der alleinigen Obsorge der Mutter auf. Der Vater ist nach dem pflegschaftsgerichtlichen Unterhaltserhöhungsbeschluß vom 30.Mai 1990 (ON 30) verpflichtet, seiner Tochter ab 1.Dezember 1989 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 2.200 S zu bezahlen. Dieser Unterhaltsfestsetzung lag als Bemessungsgrundlage ein vom damals unbekannten Aufenthaltes weilenden Vaters erzielbares durchschnittliches Monatsnettoeinkommen von 12.000 S sowie eine konkurrierende Sorgepflicht des Vaters für seinen am 30.Oktober 1980 geborenen ehelichen Sohn zugrunde. Die gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährten Vorschüsse wurden im Sinne der erwähnten Unterhaltsfestsetzung auf den monatlichen Betrag von 2.200 S erhöht (ON 33/34).

Auf die Mitteilung des Einhebungskurators, daß die Minderjährige ab 3. September 1991 bei einem Reisebüro als Lehrling im zweiten Lehrjahr monatlich 4.088 S ausbezahlt erhalte, setzte das Pflegschaftsgericht die monatlichen Unterhaltsvorschüsse für die Zeit ab 1.Oktober 1991 auf 800 S herab, weil die Minderjährige bei einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen von 4.769 S mit einem monatlichen Vorschußbetrag von 800 S das Auslangen fände. Gleichzeitig ordnete das Pflegschaftsgericht die Einbehaltung der zu Unrecht ausbezahlten Vorschüsse in Monatsraten von 300 S an.

Das Rekursgericht ermäßigte die Herabsetzung der monatlichen Unterhaltsvorschüsse für die Zeit ab 1.Oktober 1991 auf 1.200 S und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung im übrigen. Dazu sprach es aus, daß der außerordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Das Rekursgericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, daß das damals 17 Jahre alte Mädchen nach den zugrunde zu legenden (einfachen) Lebensverhältnissen bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 7.000 S als selbsterhaltungsfähig anzusehen wäre, eigene Einkünfte nur im monatlichen Durchschnittsbetrag von 4.769 S beziehe und daher ein monatlicher Unterhaltsgesamtbedarf im Unterschiedsbetrag von 2.231 S ungedeckt verbleibe. Dieser verbleibende Unterhaltsbedarf sei in angemessener Weise unter Bedachtnahme auf die Lebensverhältnisse der unterhaltsverpflichteten Eltern unter diesen zur Abdeckung aufzuteilen. Dem Vater sei bei seinen Einkommensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner weiteren Sorgepflicht eine Unterhaltsleistung für seine Tochter von 1.200 S zumutbar.

Die Vorschuß beziehende Minderjährige erhebt außerordentlichen Revisionsrekurs. Sie strebt eine geringere Herabsetzung der monatlichen Unterhaltsvorschüsse, und zwar für das letzte Quartal 1991 nur auf 1.500 S und für die Zeiten ab 1.Januar 1992 nur auf 1.800 S an. Dabei macht sie geltend, daß die an der Mindestpensionshöhe nach ASVG ausgerichtete Selbsterhaltungsfähigkeit im Jahr 1992 erst bei einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen von 7.600 S eintrete und daß das Wertverhältnis der Betreuungsleistungen des obsorgenden Elternteiles gegenüber den sonstigen, durch Geldzahlungen des anderen Elternteiles abzudeckenden Unterhaltsbedürfnisse mit 1 : 2 anzunehmen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die aus Gründen der Rechtssicherheit gebotene Abstimmung der Entscheidung mit den Leitsätzen der Entscheidung des verstärkten Senates vom 26.August 1992, 1 Ob 560/92, macht den Revisionsrekurs im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zulässig. Das Rechtsmittel ist auch teilweise berechtigt.

Die Bezüge an Lehrlingsentschädigung sind (nach Abzug der zur Deckung berufsbedingter Lehraufwendungen heranzuziehenden Teile) eigene Einkünfte des Kindes im Sinne des § 140 Abs 3 ABGB. Eigene Einkünfte mindern den durch Leistungen der Unterpflichtigen zu deckenden Unterhaltsbedarf. Der verbleibende Unterhaltsbedarf besteht in dem Ausmaß, der dem Unterschied zwischen dem Wert der zur Vollbefriedigung aller Unterhaltsbedürfnisse erforderlichen Leistungen zur Höhe der eigenen Einkünfte entspricht. Zu den zu berücksichtigenden Unterhaltsbedürfnissen gehören aber neben den durch Geldzahlung abzudeckenden Bedürfnissen auch die Betreuungsleistungen, die im Normalfall der obsorgende Elternteil erbringt und damit im Regelfall auch seinen Unterhaltsverpflichtungen voll nachkommt.

Welcher Betrag im jeweiligen Einzelfall zur angemessenen Deckung sämtlicher, den maßgebenden Lebensverhältnissen entsprechenden Unterhaltsbedürfnissen erforderlich ist, läßt sich prakikablerweise nur größenordnungsmäßig in Pauschalbeträgen ohne allgemein gültige Regeln erfassen. Als Richtschnur für die Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit kann aber bei einfachen Lebensverhältnissen - wie sie auch dem vorliegenden Fall zugrunde zu legen sind - der Richtsatz nach § 293 Abs 1 a bb ASVG dienen.

Das Rekursgericht legte seiner Entscheidung eben diese vom verstärkten Senat ausgesprochenen Leitsätze zugrunde. Wenn es aber erklärtermaßen die ASVG-Richtsätze zur Bestimmung der Selbsterhaltungsfähigkeitsgrenze heranziehen wollte, dann hatte es auch von den aktuellen Richtsätzen auszugehen und für die Zeit ab 1. Januar 1992 bei einem (14 x im Jahr ausbezahlten) Betrag von 6.500 S die Selbsterhaltungsfähigkeitsschwelle mit einem monatlich verfügbaren Betrag von 7.600 S anzusetzen.

Danach sind die Gesamtunterhaltsbedürfnisse der Minderjährigen in den Zeiträumen nach dem 1.Januar 1992 (von 7.600 S monatlich) durch die eigenen Einkünfte (von monatlich 4.770 S) nur zu 5/8 gedeckt.

Das Ausmaß der damit eintretenden Verminderung der Geldunterhaltszahlungspflicht hängt davon ab, welches Wertverhältnis zwischen den Betreuungsleistungen und den Geldzahlungsleistungen anzunehmen ist. Die Rechtsmittelwerberin bewertet die Betreuungsleistungen nur mit der Hälfte der Unterhaltszahlungen; der verstärkte Senat (1 Ob 560/92) leitete aus der Gegenüberstellung von Richtsatzhöhe und sogenanntem Regelbedarf bei einfachen Lebensverhältnissen eine ungefähre Gleichwertigkeit der Betreuungsleistungen und der sonstigen Unterhaltsbedürfnisse ab.

Auch im vorliegenden Fall sind die maßgebenden Lebensverhältnisse der Eltern als einfach anzusehen. Deshalb darf in analoger Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO davon ausgegangen werden, daß der Wert der Betreuungsleistungen im weiteren Sinn und der Wert der übrigen, durch Geldzahlungen abzudeckenden Unterhaltsbedürfnisse der Minderjährigen einander ungefähr entsprechen, die eigenen Einkünfte des Mädchens daher beide Bedürfnisgruppen im selben Verhältnis sicherstellen und offen lassen.

Daraus folgt rechnerisch:

a) Für das letzte Quartal 1991: Selbsterhaltungsfähigkeit bei eigenen Einkünften von 7.000 S monatlich; tatsächlich verfügbares Eigeneinkommen von 4.770 S; Wert der ungedeckten Unterhaltsgesamtbedürfnisse 2.230 S. Das sind rund ein Drittel des Gesamtbedarfs. Auf die durch Geldleistungen abzudeckenden Bedürfnisse entfallen die Hälfte, es verbleibt daher ein Unterhaltsanspruch im Ausmaß von einem Sechstel des Gesamtbedarfes, das sind 1.170 S monatlich oder aufgerundet 1.200 S.

b) Für die Zeit nach dem 1.Januar 1992: Selbsterhaltungsfähigkeit bei einem Eigeneinkommen von 7.600 S monatlich. Tatsächlich erzieltes Eigeneinkommen nur 4.770 S, es verbleibt ein darnach ungedeckter Restbetrag im Wert von 2.830 S, das sind rund 3/8 des Gesamtbedarfes; darin zur Hälfte die durch Geldzahlungen abzudeckenden Bedürfnisse. Der Geldunterhaltsanspruch verringert sich auf 3/16 der Gesamtbedürfnisse, also auf 1.425 S.

Dem Revisionsrekurs war aus diesen Erwägungen teilweise stattzugeben; die Herabsetzungsentscheidung war für die letzten drei Monate des Jahres 1991 zu bestätigen, für die Zeiten ab 1.Januar 1992 jedoch dahin abzuändern, daß die Herabsetzung nur auf den monatlichen Betrag von 1.425 S erfolgt.

Erst nach der erstinstanzlichen Entscheidung wurde aktenkundig, daß den Unterhaltspflichtigen eine weitere Sorgepflicht für den am 3. November 1990 geborenen Sohn trifft. Erst nach der Rekursentscheidung wurde aktenkundig, daß die Minderjährige nunmehr im dritten Lehrjahr (14 x im Jahr) 5.800 S bezieht. Diese Umstände wird das Pflegschaftsgericht unter dem Gesichtspunkt einer weiteren Herabsetzung der Vorschüsse zu prüfen haben.

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