OGH 12Os74/92

OGH12Os74/9217.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. September 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Rzeszut, Dr. Markel und Dr. Schindler als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Held als Schriftführer in der Strafsache gegen Desmond M* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. Februar 1992, GZ 5 b Vr 9428/91‑16, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Fabrizy, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Scheibner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:0120OS00074.9200007.0917.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

 

Gründe:

 

Der am 15. August 1956 geborene Desmond M* wurde von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe im Jahre 1991 in Wien in drei Angriffen seine Ehegattin Ulrike M* mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes genötigt und hiedurch das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nach den (zusammengefaßt wiedergegebenen) erstgerichtlichen Feststellungen kamen Desmond und Ulrike M* überein, ihre zerrüttete Ehe unter der (von Ulrike M* gestellten) Bedingung fortzusetzen, daß Desmond M* sich in sexueller Hinsicht von seiner Gattin fernhalte. Obwohl sich der Angeklagte zunächst damit einverstanden erklärt hatte, versuchte er in der Folge immer wieder, Ulrike M* zu sexuellen Kontakten zu bewegen. Als am 25. Juni 1991 ein derartiger Versuch erneut scheiterte, packte der Angeklagte Ulrike M* an den Handgelenken, zerrte sie auf ein Bett, hielt sie an den Armen fest, entkleidete sie gegen ihren Willen, leckte sie an Brust und Geschlechtsteil und vollzog schließlich an der durch sein Körpergewicht niedergehaltenen Frau, die sich sowohl verbal als auch nach Kräften körperlich zur Wehr setzte, einen Geschlechtsverkehr. Ulrike M*, deren Gegenwehr infolge körperlicher Unterlegenheit chancenlos blieb, erlitt durch die Aggression des Angeklagten nicht nur Blutergüsse am Ober‑ und Unterarm sowie Schmerzen an der Innenseite der Schenkel sondern wurde auch geschwängert.

Am 20. August 1991 ließ sich der Angeklagte abermals zu einem gleichartigen Verhalten hinreißen. Er warf seine Ehegattin erneut auf das Bett, entkleidete sie gewaltsam, drückte ihren Oberkörper nieder und versuchte ‑ infolge der Gegenwehr der Frau zunächst erfolglos ‑ sein Glied in ihre Scheide einzuführen. Erst als er Ulrike M* infolge seiner körperlichen Überlegenheit zur Seite drehte, gelang ihm ‑ hinter seiner Gattin liegend ‑ aus dieser Position der Vollzug des Geschlechtsverkehrs. Ulrike M* erlitt dabei eine Blutunterlaufung am linken Oberschenkel, Schmerzen am Kreuzbein, eine Abschürfung der hinteren Kommisur der Scheide und blaue Flecken am Körper sowie eine Bißwunde in der Oberschenkelregion.

Am 10. November 1991 schließlich erfaßte Desmond M* seine Ehegattin an den Handgelenken, zog sie auf das Bett, entkleidete sie gewaltsam am Unterkörper, drückte sie auf das Bett, preßte ihr die Beine auseinander und vollzog letztlich auf Grund seiner körperlichen Überlegenheit erneut einen Geschlechtsverkehr, obwohl Ulrike M* dies durch Tritte und körperliches Versteifen zu verhindern suchte. Sie erlitt dadurch Blutergüsse an beiden Oberschenkeln und Schmerzen am ganzen Körper.

Rechtliche Beurteilung

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß zwar alle Tatbildmerkmale des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht als erfüllt erschienen, dessenungeachtet jedoch ein Teil des Senates vermeint habe, die vom Angeklagten ausgeübte Gewalt sei trotz der festgestellten Verletzungen nicht so arg gewesen, daß sie als „Gewalt“ im Sinn des § 201 Abs 2 StGB beurteilt werden könne.

Die Staatsanwaltschaft bekämpft diesen Freispruch mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher Berechtigung zukommt.

Die Beschwerdeführerin rügt mit Recht, daß das vom Erstgericht festgestellte Tatverhalten die Kriterien der Gewalt im Sinn des § 201 Abs 2 StGB erfüllt. Dazu genügt nämlich nach gefestigter Judikatur jede Art von Gewalt als Einsatz einer nicht ganz unerheblichen physischen Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstandes, ohne daß daraus eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung folgen muß.

Obwohl sich das angefochtene Urteil in seiner rechtlichen Tatbeurteilung über diese klare Rechtslage hinwegsetzt, kommt eine reformatorische Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen bei der hier gegebenen Sachkonstellation nicht in Betracht, weil eine derartige Urteilskorrektur ein mängelfrei festgestelltes Tatsachensubstrat voraussetzt, gegen dessen Richtigkeit keinerlei Bedenken bestehen (Mayerhofer‑Rieder 3, E 38 ff zu § 288 StPO). Die Ausführung des Erstgerichtes, ein Teil des Senates habe vermeint, daß die vom Angeklagten ausgeübte Gewalt trotz der festgestellten Verletzungen nicht so arg gewesen sei, daß sie als Gewalt im Sinn des § 201 Abs 2 StGB angesehen werden könne, rechtfertigt aber grundlegende Zweifel daran, daß die in der Urteilsausfertigung angeführten Feststellungen zum Tathergang tatsächlich von der Mehrheit des Senates (§ 20 StPO) getragen wurden. Dies umso mehr, als in der Urteilsbegründung die tatrichterliche Meinung zum Ausdruck kommt, daß sich die Frau durch die Anzeigen gegen den Angeklagten möglicherweise Vorteile im Scheidungsverfahren zu verschaffen suchte. Diese Urteilspassage steht nämlich zu den die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen tragenden Erwägungen zur Beweiswürdigung in derartig krassem Widerspruch, daß von einer formell mängelfreien Begründung der hier entscheidenden Tatsachen keine Rede sein kann.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Erneuerung des Verfahrens anzuordnen.

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