OGH 10ObS164/92

OGH10ObS164/9215.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Oskar Harter (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Bayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** M*****, vertreten durch Dr.Heinz Kallan, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (Landesstelle Graz), Rossauerlände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.März 1992, GZ 7 Rs 5/92-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 15.Oktober 1991, GZ 35 Cgs 3/91-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 21.5.1949 geborene Kläger hat die Volksschule besucht und erlernte in der Zeit von 1964 bis 1968 den Beruf eines Konditors, den er in der Folge bis 1970 ausübte. Im Jahre 1970 war er danach als Tankwart beschäftigt und arbeitete von 1979 bis 1989 als Maler und Anstreicher, dies alles mit Unterbrechungen. Im Jahre 1980 erlitt der Kläger bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen, darunter ein Schädel-Hirntrauma. Im wesentlichen bestehen als Folgen dieser Verletzung posttraumatische epileptische Anfälle mit seltenen Grandmal-Anfällen und etwas häufigeren Absenzen (temporale Anfälle). Ferner besteht eine posttraumatische Taubheit rechts und ein geringer Unsicherheitsschwindel. Die Häufigkeit der epileptischen Anfälle kann mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Entfall gefährlicher Komponenten wie Alkohol und Schlafentzug auf ein Minimum reduziert werden. Dem Kläger ist die Verrichtung leichter und mittelschwerer Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen zumutbar. Die Verrichtung von Bück- und Hebearbeiten ist nicht eingeschränkt. Die Arbeiten können im Freien und in geschlossenen Räumen verrichtet werden. Arbeiten an exponierten Stellen, wie Leitern oder anderen Arbeitsbehelfen, Arbeiten an laufenden Maschinen, sowie Nachtarbeiten sind ausgeschlossen, das Feingefühl in den Händen ist erhalten. Arbeiten unter Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeiten) sind nicht zumutbar. Zu den gesetzlichen Ruhepausen sind zusätzliche Arbeitspausen von zehnminütiger Dauer nach jeder zweiten Stunde zu gewähren. Verweisbar ist der Kläger auf sämtliche bisherigen Tätigkeiten, sowie auf ähnliche Arbeiten in anderen, prinzipiell auch in gänzlich neuen Bereichen. Sie betreffen aber alle nur leicht überblickbaren Hilfsarbeiten, wobei Arbeiten, die ein ständiges Neuorientieren auf sich ändernde Umgebungsbedingungen erfordern, nicht mehr zugemutet werden können. Es ist auch mit einer um 30 % verlängerten Anlernzeit zu rechnen.

Der Maler und Anstreicher trägt Grundier-, Farb- und Lackschichten auf Stein-, Holz-, Metall- und Kunststoffflächen oder auf Gegenstände wie Möbel, Türen, Fenster, Spielwaren etc auf. Dem geht eine Behandlung des Untergrundes voraus: durch Entrosten, Spachteln, Grundieren und Schleifen schafft er die Voraussetzungen für die einwandfreie Oberflächenbehandlung. Wandmalereien erfordern ebenfalls verschiedene Arbeitsgänge wie Abbeizen, Abwaschen, Abscheren, Abbrennen, Kitten, Isolieren, Imprägnieren, Schleifen, Entrosten, Grundieren, Verputzen, Spachteln, Glätten, Spritzen, Rollen, Beschichten, Versiegeln, Polieren, Beizen, Walzen usw. Maler und Anstreicher führen auch Klebe- und Spannarbeiten (Tapeziererarbeiten) aus, soweit einschlägige Kurse besucht wurden. Der Maler und Anstreicher arbeitet sowohl auf Baustellen und in Wohnungen wie auch in seiner Werkstätte. Die Arbeiten werden überwiegend im Stehen, zum Teil auch auf Leitern und Gerüsten, in wechselnder Körperhaltung, teilweise auch gebückt, hockend oder über Kopf arbeitend durchgeführt und sind in der Regel mit einer leichten und mittelschweren körperlichen Belastung verbunden. Beim Maler (insbes beim Zimmermaler) tritt fallweise auch schwere körperliche Belastung auf. Türen- und Fensteranstriche werden zumeist in der Werkstätte ausgeführt, da vor allem die Vorbereitungsarbeiten (Abbrennen, Abbeizen etc) und auch die staubfreie Trocknung dies erfordern und dabei die Schmutz- und Geruchtsentwicklung eher groß ist. Die damit verbundenen Arbeiten erfordern eine höchstens mittelschwere körperliche Belastung und Bück- und Hebearbeiten überschreiten zwei Drittel der Tagesarbeitszeit nicht. Akkordarbeiten sind dabei üblicherweise nicht zu leisten. Auch die Einhaltung von zwei zusätzlichen zehnminütigen Pausen stellt kein Problem dar. Sie lassen sich in den Arbeitsablauf einbauen und erfordern kein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers. Auch die Tätigkeit eines Möbellackierers bzw Möbelanstreichers stellt keine Anforderungen, die das medizinische Leistungskalkül des Klägers überschreitet. Eine Tätigkeit an exponierten Stellen ist dabei nicht erforderlich; die Möbelstücke werden vor der Bearbeitung durch den Anstreicher entsprechend hergerichtet. Auch in der industriellen Erzeugung von Türen und Fenstern - in kleineren Betrieben wird dabei nicht unter Akkord- und Fließbandbedingungen gearbeitet - gibt es Arbeitsplätze für qualifizierte Facharbeiter, die zusammen mit Hilfskräften Imprägnierungsarbeiten und Lackanstriche vornehmen, wobei diese Arbeiten teilweise unter Anwendung des Spritz-, Tauch- oder Flutungsverfahrens, teilweise aber auch manuell durchgeführt werden. So werden beispielsweise Türen mit Isoliereinlagen nicht getaucht, sondern ebenso wie größere Elemente gepinselt. Das Tauchverfahren ist auf Türstöcke und Fensterflügel beschränkt. Auch diese Tätigkeiten, die beim Farbanmischen und bei der Qualitätskontrolle, beim Spritzlackieren und beim manuellen Anstreichen qualifizierte Kenntnisse erfordern, überschreiten eine mittlere körperliche Belastung nicht. Arbeiten in gebückter Haltung fallen nicht in mehr als einem Drittel der täglichen Arbeitszeit an.

Mit Bescheid vom 9.10.1990 lehnte die beklagte Partei den am 25.6.1990 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung der Invaliditätspension ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage des Klägers mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Gewährung der begehrten Leistung zu verpflichten. Der Kläger, der als angelernter Maler und Anstreicher tätig gewesen sei, sei zufolge der nach dem Verkehrsunfall bestehenden Leidenszustände nicht mehr in der Lage, seinem Beruf nachzugehen. Es komme laufend zu cerbralen Anfällen in Form von Absenzen und auch zu Grandmal-Anfällen. Dadurch träten Gedächtnisstörungen, Vergeßlichkeit, Wortfindungsstörungen, Schwindel und Zittererscheinungen auf. Weiters bestünden auch Sehstörungen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger, der als Malergehilfe tätig gewesen sei, sei auch unter Berücksichtigung der gesundheitsbedingten Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit nach wie vor in der Lage eine Vielzahl von Berufen auszuüben.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1.7.1990 ab. Es sei davon auszugehen, daß der Kläger als Maler und Anstreicher einen angelernten Beruf ausgeübt habe, zumal er auch einen einschlägigen Fachkurs besucht habe. Er sei wohl nicht mehr in der Lage alle Arbeiten des Maler- und Anstreicherberufes auszuüben, könne jedoch in den facheinschlägigen Berufen eines Möbellackierers bzw Möbelanstreichers tätig sein und auch als Fenster- und Türenanstreicher bzw -lackierer arbeiten. Bei diesen Tätigkeiten werde das medizinische Leistungskalkül nicht überschritten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die festgestellte Neigung zu epileptischen Anfällen schließe den Kläger von der Tätigkeit eines Fenster- und Türenlackierers nicht aus. Nach den Ergebnissen des Verfahrens trete nämlich bei Vermeidung der Risikofaktoren Alkohol und Schlafentzug die Wahrscheinlichkeit epileptischer Anfälle völlig zurück. Eine Gefährdung durch einen Sturz in die Glasscheibe eines bearbeiteten Stückes durch einen epileptischen Anfall sei daher zu vernachlässigen. Im übrigen komme dem Kläger Berufgsschutz nicht zu, weil nicht davon ausgegangen werden könne, daß er, bei Berücksichtigung einer der Lehrzeit entsprechenden Anlernzeit im Beobachtungszeitraum überwiegend als Maler und Anstreicher beschäftigt gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 255 Abs 2 ASVG liegt ein angelernter Beruf vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausgeübt hat, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Die Frage, ob ein angelernter Beruf vorliegt, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage. Grundlage für die Lösung dieser Frage bilden detaillierte Feststellungen über die Anforderungen, die an einen gelernten Arbeiter in diesem Beruf üblicherweise gestellt werden und andererseits über die Kenntnisse und Fähigkeiten, über die der Versicherte im einzelnen Fall verfügt (SSV-NF 1/48 ua). Diese Fragen wurden von den Vorinstanzen nicht vollständig geklärt. Festgestellt wurden wohl die Tätigkeitsinhalte des in Frage kommenden Berufes, doch blieb ungeprüft, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten der Kläger verfügt. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob dem Kläger im Sinne seiner Behauptungen tatsächlich Berufsschutz zukommt. Die Frage kann aber ungeprüft bleiben, weil auch bei Unterstellung der Richtigkeit des Prozeßstandpunktes des Klägers die Sache im Sinne der Entscheidungen der Vorinstanzen spruchreif ist.

Bemerkt sei, daß die Ausführungen des Berufungsgerichtes betreffend das Überwiegen der Tätigkeit als Maler und Anstreicher während des relevanten Zeitraumes nicht nachvollziehbar sind. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hat der Kläger seit dem Jahre 1979 ausschließlich als Maler und Anstreicher gearbeitet. Während des Beobachtungszeitraumes des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG (im Hinblick auf den Stichtag 1.7.1990 die Zeit vom 1.7.1975 bis 30.6.1990) hat er insgesamt 116 Beitragsmonate, davon 66 in der Zeit ab März 1980 erworben. Selbst wenn man (wie das Berufungsgericht) eine Anlernzeit in der Dauer der Lehrzeit unterstellt - tatsächlich könnte die Anlernzeit auch kürzer gewesen sein - oder die Voraussetzungen für die Anlernung erst mit der Absolvierung des Fachkurses im WIFI im Jahre 1980 annähme, wäre der Kläger im Hinblick darauf, daß er seit Abschluß dieses Kurses 66 Beitragsmonate erworben hat, im Beobachtungszeitraum jedenfalls überwiegend in einem angelernten Beruf tätig gewesen.

Die Revision gründet ihre Argumentation vor allem darauf, daß der Kläger bei Fensterstreicharbeiten gefährdet sei, weil er bei Auftreten eines epileptischen Anfalles in die Scheiben stürzen und sich dabei verletzen könnte; das Berufungsgericht habe der Gefahr von epileptischen Anfällen zu Unrecht nicht das erforderliche Gewicht beigemessen. Eine Auseinanderstzung mit dieser Frage ist jedoch entbehrlich. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kann der Kläger nämlich nicht nur Fensteranstreicharbeiten verrichten, sondern auch als Möbellackierer bzw -anstreicher tätig sein. Durch diese Tätigkeit wird das Leistungskalkül nicht überschritten. Tätigkeiten, die an exponierten Stellen zu verrichten wären, fallen dabei nicht an; die Möbelstücke werden vor dem Anstreichen entsprechend hergerichtet. Die von der Revision in den Vordergrund gestellte Gefährdung durch Sturz in Glasscheiben tritt dabei nicht auf. Dies trifft auch für die Tätigkeit bei der industriellen Fertigung von Türen und Fenstern zu, zumal die Oberflächenbehandlung der Werkstücke hier vor dem Einglasen erfolgt. Der Kläger kann daher weiterhin jedenfalls diese Tätigkeit im Beruf des Malers und Anstreichers, den er nach seiner Behauptung angelernt hat, verrichten. Daß er im Hinblick auf das erhobene Leistungskalkül, aus dem sich keine gravierenden Einschränkungen ergeben, zahlreiche Hilfsarbeiten verrichten kann, die keiner besonderen Anlernung oder Einschulung bedürfen, kann nicht bezweifelt werden. Dem erhobenen Begehren kommt daher keine Berechtigung zu.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte